VwGH vom 25.06.2007, 2002/14/0089
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der M H in I, vertreten durch Mag. Peter Prechtl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Wilhelm-Greil-Straße 5/3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom , Zl. RV 85/1- T 2/01, betreffend Nichtgewährung der erhöhten Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Zuge einer Überprüfung des Familienbeihilfenanspruches legte die Beschwerdeführerin für ihren im Jahr 1988 geborenen Sohn Daniel, für welchen vom September 1993 bis April 2000 die erhöhte Familienbeihilfe bezogen worden war, eine ärztliche Bescheinigung der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Innsbruck vor, wonach Daniel an "Asthma bronchiale" leide und auf Grund dieses Leidens eine Behinderung von 25 % bestehe.
Unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 wies das Finanzamt den Antrag auf Weitergewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Mai 2000 mit Bescheid vom ab.
In einer gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bemängelte die Beschwerdeführerin, dass in der Bescheinigung der Universitätsklinik als Leiden nur "Asthma" angeführt worden sei und auf die anderen Leiden des Sohnes, wie diverse Allergien, nicht eingegangen worden sei. Da sich die Leiden des Sohnes in den letzten drei Jahren nicht verbessert, sondern vielmehr verschlechtert hätten, erscheine die Einstufung der Behinderung mit lediglich 25 % als nicht ausreichend. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der betreffende Arzt nicht den gesamten Leidenszustand des Sohnes beurteilt habe.
Das Finanzamt ersuchte das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (in der Folge nur Bundessozialamt) um Erstellung eines ärztlichen Gutachtens gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967. Das Bundessozialamt betraute Dr. N mit der Erstellung eines Gutachtens, welcher in einer zusammenfassenden Beurteilung zur Ansicht gelangte, dass ein schwererer Fall eines Asthma bronchiale durch dauernde Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens vorliege. Auf Grund der polyvalenten Allergie und der polleninduzierten Nahrungsmittelallergie werde der derzeitige Zustand gemäß § 7 KOVG der Position III/a/286 zugeordnet und auf Grund der jahrelangen Beschwerden und der medikamentösen Dauertherapie eine "MdE" von 30 % vorgeschlagen.
Die belangte Behörde hielt der Beschwerdeführerin das erstellte Gutachten des Dr. N sowie ein ergänzendes Gutachten und die Stellungnahme der ärztlichen Leiterin des Bundessozialamtes, in welcher eine "MdE" von 30 % als gerechtfertigt angenommen worden war, vor. In Reaktion darauf lehnte die Beschwerdeführerin den Sachverständigen Dr. N wegen Befangenheit ab, stellte den Antrag auf Bestellung eines anderen Sachverständigen und bezeichnete die beiden vom Bundessozialamt eingeholten Stellungnahmen als unbeachtlich und wertlos, zumal diese Stellungnahmen erstattet worden seien, ohne dass die die Stellungnahme erstattende Ärztin den Sohn der Beschwerdeführerin "in personam" gesehen habe. Wie derartige Stellungnahmen vom Bundessozialamt ohne persönliche Vorstellung bzw. Untersuchung möglich seien, bleibe unergründlich.
In der Folge übermittelte die belangte Behörde dem Bundessozialamt die Stellungnahme der Beschwerdeführerin, schloss von der Beschwerdeführerin vorgelegte Befunde an und ersuchte um ausführliche Stellungnahme zu dem Vorbringen, sofern diese unzutreffend und zurückzuweisen seien oder um neuerliche Einholung eines Gutachtens eines anderen Lungenfacharztes unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachbereich Allergologie bzw. Dermatologie und Venerologie wie dies von den Vertretern der Beschwerdeführerin beantragt worden war.
In der Folge betraute das Bundessozialamt Univ. Prof. Dr. F mit der Erstellung eines neuerlichen Gutachtens. In einem Schreiben an das Bundessozialamt teilte dieser mit, dass zur endgültigen Klärung des Gesundheitszustandes des Sohnes der Beschwerdeführerin von ihm aus noch eine ausführliche atemphysiologische Untersuchung mit Lungenfunktionsmessungen vor und nach Ergometerbelastung im Institut für Sport- und Kreislaufmedizin und ein allergologisches Zusatzgutachten im Allergielaboratorium vorgesehen gewesen wären. In einem Aktenvermerk zu einem in dem Schreiben ebenfalls erwähnten Telefonat wurde festgehalten, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Sohn die Ordination verlassen habe, bevor eine Begutachtung hätte durchgeführt werden können. Über Ersuchen des Bundessozialamtes führte in der Folge Dr. G eine atemphysiologische Untersuchung vor und nach Ergometerbelastung durch, wie dies von Professor F empfohlen worden sei. Als Ergebnis der Untersuchung wurde festgestellt, dass weder vor noch nach Ergometerbelastung eine Obstruktion feststellbar gewesen sei. Dies, obwohl der Patient am Tag der Untersuchung keinerlei Asthma-Medikamentation zu sich genommen habe und - als zusätzliches Risiko für eine etwaige Obstruktion - ein Infekt der oberen Atemwege bestanden habe. Streng vom Aspekt der durchgeführten Untersuchungen her betrachtet, ergebe sich kein neues Argument, die bisher durchgeführte Einstufung der "MdE" von 30 % zu ändern.
Über Ersuchen des Bundessozialamtes erstellte auch Dr. Gsch ein dermatologisches Gutachten, wonach sich im Bereiche des gesamten Integuments kein krankhafter Befund finde, insbesondere hätten keine Ekzemherde festgestellt werden können. Bezüglich der Haut seien derzeit keine vermehrten Aufwendungen notwendig, sodass die Gewährung einer erhöhten Familienbeihilfe derzeit "dermatologischerseits" nicht gerechtfertigt sei.
Die leitende Ärztin des Bundessozialamtes fasste die Gutachten des Dr. N, Dr. F, Dr. G und Dr. Gsch zusammen, wonach eine "MdE" von 30 % ausreichend sei.
Mit Stellungnahme vom rügte die Beschwerdeführerin das Ergebnis der Untersuchungen abermals als vollkommen unerklärlich und nicht nachvollziehbar. Insbesondere beim Gutachten des Dr. G bemängelte die Beschwerdeführerin, dass dieser ausgeführt habe, ihr Sohn Daniel habe am Tag der Untersuchung keine Asthma-Medikation zu sich genommen. Auf dieser Feststellung habe Dr. G in weiterer Folge sein Gutachten aufgebaut. Die Feststellung sei jedoch unrichtig, weshalb dem Gutachten im gegenständlichen Fall keine Bedeutung zukommen könne. Wie dem Gutachter Dr. G anlässlich der Untersuchung von der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden sei, habe ihr Sohn Daniel am Tag der Untersuchung sehr wohl in der Früh seine Asthma-Medikation zu sich genommen. Dieser Umstand habe selbstverständlich Auswirkungen auf die nachfolgenden Untersuchungsergebnisse gezeitigt. Nur zufolge der vorangegangenen Asthma-Medikation hätte Dr. G am Tage der Untersuchung vom Vorhandensein einer bloßen "Bronchitis" mit gelöster Expektoration sowie auskultatorisch dem Fehlen spastischer RG's ausgehen können. Indem Dr. G die eingenommene Asthma-Medikation von Daniel nicht zur Kenntnis genommen habe (es werde im Gutachten sogar zweimal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Daniel keinerlei Asthma-Medikation zu sich genommen habe), beruhe seine gutachterliche Stellungnahme auf falschen Sachverhaltsvoraussetzungen, sodass dieser - wenn überhaupt - nur ein äußerst eingeschränkter Aussagewert zukomme. Dr. G hätte sein Gutachten auf der Grundlage der kurz vor Untersuchung stattfindenden Asthma-Medikation von Daniel erstellen müssen. Diesfalls wären die anlässlich der Untersuchung erzielten Messwerte (Spirometrie; Ergometrie) in ganz anderer Weise zu würdigen gewesen als dies durch Dr. G geschehen sei. Da dies unterblieben sei, komme dem Gutachten von Dr. G keine Beweiskraft zu.
Im Übrigen brachte die Beschwerdeführerin zum Ausdruck, dass sie die Ordination des Dr. F mit ihrem Sohn wegen einer Terminkollision am betreffenden Tag verlassen habe. Zufälligerweise seien nämlich die Termine bei Dr. F und einem weiteren Arzt, der einen Handbruch bei Daniel zu untersuchen gehabt habe, am gleichen Tag anberaumt worden. Dr. F sei mit seinen Untersuchungen derart verspätet gewesen, dass der Beschwerdeführerin in der Ordination mitgeteilt worden sei, sie müsse noch weitere zwei Stunden warten, bis die Untersuchung bei ihrem Sohn durchgeführt werden könne. Da sie im Falle des Zuwartens den anderen ärztlichen Termin nicht hätte wahrnehmen können, habe sie in der Folge gehen müssen, um zumindest im Rahmen des zweiten Termins behandelt zu werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass auf Grund der in der Stellungnahme vom von der Beschwerdeführerin selbst gemachten, wenngleich im Widerspruch zu den Angaben in der Berufung stehenden Angabe, wonach sich der Gesundheitszustand des Sohnes zwischenzeitlich durchaus gebessert habe und in freier Beweiswürdigung aus den vom Bundessozialamt eingeholten drei fachärztlichen Gutachten bedenkenlos geschlossen werden könne, dass sich der Gesundheitszustand des Kindes seit der Untersuchung am "wesentlich gebessert hat und dadurch" der Grad der Behinderung von 55 v.H auf 30 v.H. gesunken sei, wodurch bei Daniel seit Mai 2000 keine erhebliche Behinderung mehr im Sinne des § 8 Abs. 5 FLAG 1967 vorliege. Die Vermutung der Beschwerdeführerin, dass sich bei Nichtgewährung der erhöhten Familienbeihilfe "pro futura" eine Verschlechterung des derzeitigen Gesundheitszustandes ergeben könne, könne auf Grund der eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen zu keiner anderslautenden Entscheidung führen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
§ 8 Abs. 4 FLAG 1967 sieht für erheblich behinderte Kinder
eine erhöhte Familienbeihilfe vor.
§ 8 Abs. 5 FLAG 1967 lautet:
"(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom , BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen."
Nach § 8 Abs. 6 FLAG in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung vor der Änderung durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 105/2002 war der Grad der Behinderung oder die voraussichtliche Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines Mobilen Beratungsdienstes der Landesinvalidenämter (nunmehr Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen) nachzuweisen und hatte das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen, wenn auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden konnte. Die Finanzlandesdirektion hatte zur Entscheidung über eine Berufung gegen diesen Bescheid ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Landesinvalidenamtes (nunmehr: Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen) einzuholen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt eine Bescheinigung im Sinne des § 8 Abs. 6 FLAG 1967 ein Beweismittel dar, welches im Sinne des § 167 Abs. 2 BAO der freien Beweiswürdigung durch die Beihilfenbehörde unterliegt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 92/14/0070).
Im Beschwerdefall gelangte die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung zur Ansicht, dass insbesondere aus den eingeholten drei fachärztlichen Gutachten "bedenkenlos geschlossen" werden könne, dass sich der Gesundheitszustand des Kindes seit der Untersuchung am "wesentlich gebessert hat, und dadurch" der Grad der Behinderung von 55 v.H auf 30 v.H. gesunken sei.
Im Ergebnis zutreffend rügt die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde unter anderem, dass die belangte Behörde die "Ergänzung der Gutachten" hätte veranlassen müssen:
Hinsichtlich des Gutachtens des Dr. G, Facharzt für Innere Medizin, hat die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahrens vorgebracht, dieses beruhe insofern auf falschen Grundlagen, als darin ausgeführt worden sei, Daniel habe - seinen Angaben zu Folge - am Morgen des Tages der Untersuchung keine Asthmamedikamentation zu sich genommen. Dies sei jedoch insofern nicht richtig, als die Beschwerdeführerin dem Gutachter mitgeteilt hätte, dass Daniel entsprechende Medikamente zu sich genommen hätte.
Nun ist nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen, dass das Untersuchungsergebnis je nachdem, ob die entsprechenden Medikamente von Daniel eingenommen worden waren oder nicht, zu verschiedenen Ergebnissen führen konnte. Zumindest hätte die belangte Behörde den sachverständigen Gutachter dazu hören müssen, ob die diesbezügliche, von der Beschwerdeführerin angeführte Behauptung, Daniel habe seine Medikamente genommen, geeignet sein könnte, das Ergebnis der Untersuchung entscheidend zu beeinflussen. Wäre diese Frage zu bejahen gewesen, wäre allenfalls weiter zu prüfen gewesen, ob es zutreffen konnte oder ob es allenfalls (aus welchen Gründen) auszuschließen gewesen wäre, dass Dr. G diesbezüglich von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist.
Der Umstand alleine, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme eingeräumt hat, dass sich der Gesundheitszustand Daniels gegenüber der im Jahr 1997 durchgeführten Untersuchung "durchaus gebessert" habe, - dass die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom eine "wesentliche" Besserung behauptet hätte, ist der in den Verwaltungsakten enthaltenen Stellungnahme entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen - ist im Hinblick auf den damals festgestellten Grad der Behinderung von 55 v.H. nicht geeignet, nunmehr jedenfalls einen Grad der Behinderung als erwiesen anzunehmen, der den Anspruch der Beschwerdeführerin auf die erhöhte Familienbeihilfe nicht mehr rechtfertigt, weil auch bei einer Verminderung des Grades der Behinderung auf 50 % noch davon gesprochen werden kann, dass sich der Gesundheitszustand (gegenüber 55 %) "durchaus gebessert" hat, aber auch bei diesem Grad der Behinderung erhöhte Familienbeihilfe noch zusteht.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als rechtwidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am