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VwGH vom 07.09.1993, 90/14/0063

VwGH vom 07.09.1993, 90/14/0063

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Dr. Baumann und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des M, der B und der I, alle in X, alle vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol, Berufungssenat I, vom , 30.094-3/90, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1982 und 1983, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen von 3.035 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind eingeantwortete Erben nach dem im Jahr 1985 verstorbenen SF. SF übernahm mit Bürgschaftsvereinbarungen vom und vom Haftungen als Bürge und Zahler bis zum Höchstbetrag von 3,5 Mio S und von 2 Mio S zuzüglich Zinsen, Provisionen und sonstigen Nebengebühren für seinen Schwager W. W war bis Februar 1983 Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer der WT GmbH, wobei auf ihn 99 % und auf seine Ehegattin 1 % des Stammkapitals von 10 Mio S entfielen. W haftete nach seinen Angaben Anfang des Jahres 1982 mit fast 28 Mio S, im Juni 1982 mit über 39 Mio S für Schulden der WT GmbH.

Infolge der Ausgleichseröffnung über das Vermögen der WT GmbH am wurde SF im Jahr 1982 mit einem Betrag von 3,680.433 S und im Jahr 1983 mit einem solchen von 2 Mio S als Bürge und Zahler in Anspruch genommen. Diese Beträge machte SF in den entsprechenden Einkommensteuererklärungen als außergewöhnliche Belastungen geltend.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen nunmehr angefochtenen Bescheid verweigerte die belangte Behörde die Anerkennung dieser Zahlungen als außergewöhnliche Belastungen. Nach der Rechtsprechung komme es für die Beurteilung der Zwangsläufigkeit einer Zahlung allein auf das zugrundeliegende Schuldverhältnis an. Im vorliegenden Fall hätte daher zum Zeitpunkt des Abschlusses der jeweiligen Bürgschaftsvereinbarung (14. Jänner bzw ) feststehen müssen, daß der besicherte Kredit dazu gedient habe, von der Ehegattin des SF bzw von W eine unmittelbare Existenzbedrohung abzuwenden. SF habe angeführt, er sei die Bürgschaftsverpflichtung in bezug auf seine Ehegattin eingegangen, um den Verlust ihrer Beteiligung bzw den Verlust ihrer Forderung gegenüber der WT GmbH zu verhindern und so die Erbschaft seiner Ehegattin nach ihren Eltern abzusichern. Eine unmittelbar drohende Existenzvernichtung der Ehegattin des SF sei weder behauptet worden noch tatsächlich vorgelegen. Die unmittelbar drohende Existenzvernichtung des W sei damit begründet worden, daß dieser zugunsten der WT GmbH Haftungen als Bürge und Zahler im Gesamtbetrag von rund 24 Mio S übernommen habe und im Fall des Konkurses über das Vermögen der WT GmbH die Existenz des W vernichtet worden wäre. Aus einem Schreiben des W gehe hervor, die kreditgewährende Bank habe sich erst auf Grund der Haftungsübernahme und Inanspruchnahme von SF sowie einer zusätzlichen Zahlung von 1 Mio S durch W (die Finanzierung sei mittels hypothekarisch sichergestellten Kredites erfolgt) mit einer Ausgleichsquote von 50 % einverstanden erklärt und so die Übernahme der WT GmbH durch die RS GmbH im Februar 1983 ermöglicht. Das Privatvermögen des W sei sehr gering und hinsichtlich der Liegenschaften teilweise mit Veräußerungs- und Belastungsverboten zugunsten seiner Ehegattin belastet gewesen, weshalb dieser aus eigener Kraft nicht in der Lage gewesen wäre, die Minimalerfordernisse für die Erfüllung des Ausgleichs zu erbringen. Nach der Aktenlage habe der Gesamtbetrag der Einkünfte des W im Jahr 1982 852.322 S betragen. Überdies sei er Eigentümer mehrerer Liegenschaften mit Einheitswerten von insgesamt 1,856.500 S gewesen. Nach Übernahme der WT GmbH durch die RS GmbH habe W als Geschäftsführer der Letztgenannten jährliche Bruttobezüge aus nichtselbständiger Arbeit von rund 1 Mio S erhalten. Dieses Dienstverhältnis sei erst mit aufgelöst worden. Unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des W könne nicht angenommen werden, daß dessen wirtschaftliche Existenz im Fall eines Konkurses über das Vermögen der WT GmbH vernichtet worden wäre bzw er sich nicht auf andere ihm zumutbare Weise eine berufliche Existenz hätte schaffen können. Vielmehr sei die Erhaltung des Vermögens sowie des Arbeitsplatzes des W für die Übernahme der Bürgschaft durch SF ausschlaggebend gewesen. Eine sittliche Verpflichtung des SF zur Übernahme der Bürgschaft sei somit nicht vorgelegen. Dafür spreche auch, daß W als Gesellschafter und Geschäftsführer nicht verpflichtet gewesen sei, persönliche Haftungen für Verbindlichkeiten der WT GmbH zu übernehmen. Überdies sei nicht einsehbar, daß jemand sittlich verpflichtet sei, Bürgschaften bis zu einem Betrag von 5,5 Mio S zu übernehmen, damit ein Angehöriger aus seinen persönlichen Haftungen entlassen werde. SF sei im Rahmen des Ausgleichs über das Vermögen der WT GmbH mit der gesamten verbürgten Summe in Anspruch genommen worden, während W lediglich zu einer Zahlung von 1 Mio S verpflichtet worden sei.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Die Beschwerdeführer erstatteten eine Replik zur Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 34 Abs 1 EStG 1972 werden auf Antrag außergewöhnliche Belastungen, die dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, insoweit vor Berechnung der Steuer vom Einkommen abgezogen, als sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Außergewöhnlich ist eine Belastung, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (§ 34 Abs 2 leg cit). Zwangsläufigkeit liegt vor, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 34 Abs 3 leg cit).

Handelt es sich, wie im vorliegenden Fall, um Zahlungen aus Anlaß eingegangener Bürgschaften, so muß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Zwangsläufigkeit schon für das Eingehen der Bürgschaftsverpflichtungen gegeben gewesen sein (vgl das hg Erkenntnis vom , Zl 86/14/0004, mwA).

Strittig ist, ob SF aus sittlichen Gründen zur Übernahme der Bürgschaften für seinen Schwager W verpflichtet war und die daraus resultierenden Zahlungen als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 34 EStG 1972 zu berücksichtigen sind.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich der strittigen Frage in ständiger Rechtsprechung folgendes ausgeführt (vgl das hg Erkenntnis vom , 86/14/0085, mwA):


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.)
Es ist erforderlich, daß der Steuerpflichtige glaubt, durch die Übernahme von Bürgschaften eine existenzbedrohende Notlage eines nahen Angehörigen mit Aussicht auf Erfolg abwenden zu können.
2.)
Eine existenzbedrohende Notlage liegt nicht schon dann vor, wenn nur die Fortführung einer selbständigen Betätigung ohne die Übernahme von Bürgschaften nicht mehr möglich scheint, sondern wenn die wirtschaftliche Existenz des nahen Angehörigen überhaupt verloren zu gehen droht, dieser also seine berufliche Existenz nicht auch auf andere ihm zumutbare Weise hätte erhalten können.
3.)
Die besicherten Kredite dürfen nicht dazu dienen, den Betrieb des Schuldners zu erweitern oder ihm sonst bessere Ertragschancen zu vermitteln.
4.)
Es besteht keine sittliche Verpflichtung eines Steuerpflichtigen zur Übernahme von Bürgschaften für Schulden, die ein naher Angehöriger ohne
besondere Notwendigkeit eingegangen ist.
5.)
Eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen setzt voraus, daß sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen der Übernahme von Bürgschaften nicht entziehen kann. Nicht das persönliche Pflichtgefühl des Steuerpflichtigen, sondern der objektive Pflichtbegriff nach den herrschenden moralischen Anschauungen ist entscheidend. Es reicht daher nicht aus, daß das Handeln des Steuerpflichtigen menschlich verständlich ist, es muß vielmehr die Sittenordnung dieses Handeln gebieten.

Auf Grund dieser Ausführungen ergibt sich unter Berücksichtigung des Vorbringens im Verwaltungsverfahren und in der Beschwerde folgendes:

ad 1.) Nach Ansicht der Beschwerdeführer seien durch die Übernahme der Bürgschaften seitens des SF die drohenden Konkursverfahrens über das Vermögen der WT GmbH und über das des W erfolgreich abgewehrt worden. Die WT GmbH sei im Zug des Ausgleichsverfahrens von der RS GmbH übernommen worden. W sei daraufhin haftungsfrei gestellt und so von seiner hohen privaten Überschuldung befreit worden. Ohne die Bürgschaften des SF wären die Konkursverfahren nicht zu verhindern gewesen.

Den Beschwerdeführern ist somit zuzugestehen, SF habe im Jahr 1982 geglaubt, durch die Übernahme der Bürgschaften eine existenzbedrohende Notlage von W abwenden zu können.

ad 2.) Die im Jahr 1982 drohenden Konkursverfahren hätten wegen der hohen privaten Überschuldung des W nach Ansicht der Beschwerdeführer seine wirtschaftliche Existenz auf Dauer vernichtet. Der Makel derartiger Verfahren hätte W den Zugang zu Berufen versperrt, die ihm auf Grund seiner akademischen Laufbahn offenstünden. Darüber hinaus hätte er auch nicht mehr einen Gewerbebetrieb eröffnen oder wieder als Geschäftsführer tätig werden können. Die Erlangung einer umfassenden Haftungsfreistellung sei nur durch die Bürgschaften des SF möglich geworden und für W eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens gewesen.

Auch die belangte Behörde bestreitet die Notwendigkeit der Bürgschaften durch SF zur Abwehr der Konkursverfahren über das Vermögen der WT GmbH und über das des W nicht. Derartige Verfahren verbunden mit dem vollkommenen Vermögensverlust stellen entgegen der Ansicht der belangten Behörde für den Betroffenen aber sehr wohl eine existenzgefährdende Notlage dar (vgl das hg Erkenntnis vom , 84/14/0200).

ad 3.) Die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens haben nie behauptet, die besicherten Kredite hätten der Erweiterung des Betriebes des W oder der Verbesserung seiner Ertragschancen gedient.

ad 4.) Die Beschwerdeführer wiederholen, die besicherten Kredite seien zur Rettung der wirtschaftlichen Existenz des W notwendig gewesen. Ohne die (durch die Bürgschaften des SF) besicherten Kredite wären die Konkursverfahren über das Vermögen der WT GmbH und über das des W eröffnet worden, wodurch die wirtschaftliche Existenz des W vernichtet worden wäre.

Diese Ausführungen sagen über die Notwendigkeit der seinerzeitigen Haftungsübernahme des W für Schulden der WT GmbH noch nichts aus. Die im Jahr 1982 unbestrittenermaßen drohenden Konkursverfahren und die damit verbundene Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des W stellten lediglich eine Folge aus der Haftungsübernahme des W für Schulden der WT GmbH dar. Wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, war W in seiner Stellung als Gesellschafter und Geschäftsführer der WT GmbH nicht verpflichtet, die persönliche Haftung für deren Verbindlichkeiten zu übernehmen. Die grundsätzliche Haftungsfreiheit in bezug auf Schulden der GmbH ist für diese Gesellschaftsform derart charakteristisch, daß neben den gesetzlichen Ausnahmen auch in Notfällen weder den Gesellschafter noch den Geschäftsführer eine Verpflichtung trifft, für Gesellschaftsschulden einzustehen (vgl das hg Erkenntnis vom , 85/14/0116, Slg Nr 6032/F). Das Vorliegen einer gesetzlichen Verpflichtung oder einer besonderen Notwendigkeit für die Übernahme der Haftungen durch W wurde nie behauptet. Es bestand für SF somit keine sittliche Verpflichtung zur Übernahme von Bürgschaften für jene Schulden, für die W haftete.

ad 5.) Nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen ist auch eine Person mit hohem Ansehen in Wirtschaft und Öffentlichkeit nicht verpflichtet, einem Angehörigen das von diesem eingegangene Unternehmerrisiko abzunehmen. Überdies ist gerade bei der Beurteilung des Vorliegens einer sittlichen Verpflichtung zur Unterstützung eines nahen Angehörigen dessen wirtschaftliche Lage genau zu prüfen. Auch wenn eine vorübergehende finanzielle Hilfe für W durchaus geboten gewesen sein mag, verpflichtete die Sittenordnung SF trotz seiner ausgezeichneten Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht, die mit der Übernahme der strittigen Bürgschaften verbundenen Aufwendungen von 5,680.443 S endgültig zu tragen. Die Bürgschaften ermöglichten W schließlich, weiterhin eine nichtselbständige Tätigkeit mit einem Jahresgehalt von rund 1 Mio S auszuüben, private Grundstücke mit Einheitswerten von insgesamt 1,856.500 S zu behalten sowie mit einer Zahlung von 1 Mio S aus sämtlichen persönlichen Haftungen entlassen zu werden.

Die belangte Behörde hat - wie aus den Ausführungen unter den Punkten 4.) und 5.) hervorgeht - somit zutreffend eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen für die Übernahme der Bürgschaften durch SF verneint.

Auch die von den Beschwerdeführern behaupteten Verletzungen von Verfahrensvorschriften liegen nicht vor. In der Beschwerde wird insbesondere nicht aufgezeigt, worin die Unrichtigkeit der Feststellungen der belangten Behörde, W habe in seiner Stellung als Gesellschafter und Geschäftsführer ohne besondere Notwendigkeit persönliche Haftungen für Verbindlichkeiten der WT GmbH übernommen, bzw, es sei nicht sittlich geboten, daß SF Bürgschaften von (rund) 5,5 Mio S übernehme, während W aus sämtlichen Haftungen entlassen und lediglich zu einer Zahlung von 1 Mio S verpflichtet werde, liegt. Weder die Übernahme der Schulden der WT GmbH durch W, um das von seinem Vater übernommene Unternehmen vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, noch die Tatsache, W habe den Betrag von 1 Mio S zur Ermöglichung des Ausgleichs nur mittels Kredit aufbringen können, begründen eine sittliche Verpflichtung des SF zur Übernahme der Bürgschaften verbunden mit der endgültigen Tragung der gesamten Haftungssumme. Der Vorwurf der Beschwerdeführer, das Parteiengehör im Sinn des § 115 BAO sei insofern verletzt worden, als die belangte Behörde die getroffenen Feststellungen nicht vorgehalten und ihnen damit die Möglichkeit genommen habe, deren Unrichtigkeit zu beweisen, geht damit ins Leere. Die behaupteten Aktenwidrigkeiten schließlich stellen, soweit sie für das Ergebnis des angefochtenen Bescheides überhaupt wesentlich sind, in Wahrheit rechtliche Würdigungen der belangten Behörde dar.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 104/1991.