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VwGH vom 17.02.1994, 93/16/0162

VwGH vom 17.02.1994, 93/16/0162

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Dr. Wurdinger, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 13-7/Ö-23/2/92, betreffend Haftung gemäß § 224 BAO iVm § 60 Abs. 5 ZollG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist ausschließlich die Auslegung des Art. 11 Abs. 2 des Zollabkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets-TIR (TIR-Abkommen) vom , BGBl. Nr. 112/1978 (im folgenden kurz: Abk) strittig.

Der Beschwerdeführer ist ein "bürgender Verband" gemäß Art. 1 lit. f des Abk und wurde mit Haftungsbescheid des Zollamtes Wien vom auf Grund des Art. 8 Abs. 1 des Abk zur Haftung für einen Abgabenbetrag von insgesamt S 2,877.132,-- herangezogen, weil nach den Ergebnissen eines strafgerichtlichen Verfahrens die Erledigungsbescheinigungen zu insgesamt sechs Carnets-TIR mißbräuchlich bzw. betrügerisch erwirkt worden waren.

Während der Beschwerdeführer den Standpunkt vertritt, die Aufforderung zur Entrichtung der von ihm als bürgendem Verband zu zahlenden Beträge sei nicht fristgerecht erfolgt, vertritt die belangte Behörde in ihrer abweislichen Berufungsentscheidung folgende Ansicht:

Die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens begründenden vorschriftswidrigen Verbringungen von Waren in das Inland, die von Carnets-TIR erfaßt gewesen seien, seien in der Zeit vom bis erfolgt. Die Mitteilung gemäß Art. 11 Abs. 1 des Abk sei am und damit rechtzeitig vorgenommen worden. Am habe das Zollamt Wien der Beschwerdeführerin mitgeteilt, daß die Angelegenheit Gegenstand eines Gerichtsverfahrens in Österreich sei.

In diesem Verfahren (7 Vr 1635/88 des LG für Strafsachen Graz) sei am ein Urteil ergangen, womit die Angeklagten ua des Verbrechens des versuchten schweren Betrugs nach §§ 15, 146, 147 Abs. 3 StGB und der Finanzvergehen des gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Schmuggels nach §§ 35 Abs. 1, 38 Abs. 1 lit. a und b FinStrG, weiters der vorsätzlichen Verletzung der Verschlußsicherung nach § 48 Abs. 1 lit. a und des vorsätzlichen Eingriffs in die Rechte des Branntweinmonopols nach § 44 Abs. 1 lit. c FinStrG schuldig erkannt worden seien. Dieses Urteil sei in der Folge durch den OGH aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden. Im folgenden sei schließlich mit dem am in Rechtskraft erwachsenen Urteil des LG für Strafsachen Graz vom wieder ein Schuldspruch erfolgt.

Mit der Rechtskraft des Strafurteiles habe die Ein-Jahres-Frist gemäß Art. 11 Abs. 2 des Abk zu laufen begonnen und sei demnach der Haftungsbescheid vom , zugestellt am , fristgerecht erlassen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht verletzt, nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist des Art. 11 Abs. 2 des Abk zu keiner Haftung herangezogen zu werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Art. 1 f des Abk ist "bürgender Verband" ein Verband, der von den Zollbehörden einer Vertragspartei zugelassen ist, um für die Benutzer des TIR-Verfahrens die Bürgschaft zu übernehmen.

Nach Art. 8 Abs. 1 des Abk hat sich der bürgende Verband zu verpflichten, die fälligen Eingangs- oder Ausgangsabgaben zuzüglich etwaiger Verzugszinsen zu entrichten, die nach den Zollgesetzen und anderen Zollvorschriften des Landes zu entrichten sind, in dem eine Zuwiderhandlung hinsichtlich des unter Verwendung des Carnet-TIR durchgeführten Transports festgestellt worden ist. Der bürgende Verband haftet mit den Personen, die die vorgenannten Beträge schulden, solidarisch für die Entrichtung dieser Beträge.

Art. 8 Abs. 7 des Abk bestimmt:

"Die zuständigen Behörden haben soweit möglich bei Fälligkeit der in den Absätze 1 und 2 genannten Beträge deren Entrichtung zunächst von der Person oder den Personen zu verlangen, die sie unmittelbar schulden, bevor der bürgende Verband zur Entrichtung dieser Beträge aufgefordert wird."

Gemäß Art. 10 Abs. 1 des Abk kann das Carnet-TIR unter Vorbehalt oder ohne Vorbehalt erledigt werden; ein Vorbehalt muß sich auf Tatsachen beziehen, die den TIR-Transport selbst betreffen. Diese Tatsachen sind auf dem Carnet-TIR anzugeben.

Art. 11 des Abk lautet auszugsweise:

"(1) Ist ein Carnet-TIR nicht oder unter Vorbehalt erledigt worden, so können die zuständigen Behörden vom bürgenden Verband die Entrichtung der in Art. 8 Abs. 1 und 2 genannten Beträge nur verlangen, wenn sie dem bürgenden Verband innerhalb eines Jahres nach der Annahme des Carnet-TIR durch die Zollbehörden die Nichterledigung oder die Erledigung unter Vorbehalt schriftlich mitgeteilt haben. Das gleiche gilt, wenn die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist, jedoch beträgt in diesen Fällen die Frist zwei Jahre.

(2) Die Aufforderung zur Entrichtung der in Art. 8 Abs. 1 und 2 genannten Beträge ist an den bürgenden Verband frühestens drei Monate und spätestens zwei Jahre nach dem Tage der Mitteilung an den Verband zu richten, daß das Carnet nicht oder nur unter Vorbehalt erledigt oder die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist. Ist jedoch innerhalb der genannten Frist von zwei Jahren die Sache zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht worden, so muß die Zahlungsaufforderung binnen einem Jahr nach dem Tage ergehen, an dem die gerichtliche Entscheidung rechtskräftig geworden ist."

Gemäß Tz 0.10 der Anlage 6 des TIR-Abkommens gilt die Erledigungsbescheinigung des Carnet TIR als mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt, wenn der TIR-Transport unter Verwendung von Laderäumen oder Behältern durchgeführt worden ist, die auf betrügerische Weise geändert worden sind, oder wenn widerrechtliche Handlungen wie etwa die Verwendung falscher oder unzutreffender Dokumente, die Vertauschung von Waren oder die Manipulation der Zollverschlüsse festgestellt worden sind, oder wenn sonstige illegale Mittel zur Erlangung der Erledigungsbescheinigung angewandt worden sind.

Gemäß § 60 Abs. 5 ZollG sind die im Zollverfahren durch Garantien oder durch die Übernahme von Bürgschaften begründeten persönlichen Haftungen durch die Erlassung von Haftungsbescheiden (§ 224 BAO) geltend zu machen.

Der Beschwerdeführer steht auf dem Standpunkt, daß zwischen der Mitteilung an ihn über die Abfertigung der Carnets unter Vorbehalt am und der Zustellung des Haftungsbescheides am mehr als zwei Jahre vergangen seien. Seinem Einwand, die in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 des Abk vorgesehene Fristverlängerung komme im Beschwerdefall nicht zum Tragen, weil die Sache nicht Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens zwischen der Zollbehörde und dem Beschwerdeführer gewesen sei, ist folgendes entgegenzuhalten:

Der Terminus "die Sache", wie ihn Art. 11 Abs. 2 Satz 2 des Abk verwendet, ist insbesondere im Zusammenhang mit Art. 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 und 11 Abs. 1 des Abk zu verstehen. Die übernommene Bürgschaft wird danach schlagend, wenn ein Zuwiderhandeln hinsichtlich des unter Verwendung des Carnet-TIR durchgeführten Transportes festgestellt wird (Art. 8 Abs. 1). Wird deshalb ein Carnet-TIR gemäß Art. 10 Abs. 1 des Abk unter Vorbehalt erledigt, so ist die fristgerechte schriftliche Verständigung des bürgenden Verbandes gemäß Art. 11 Abs. 1 des Abk (die im Beschwerdefall unstrittig am erfolgte) Voraussetzung der weiteren Inanspruchnahme des bürgenden Verbandes. "Sache" iS des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 des Abk ist demnach jener Komplex von Sach- und Rechtsfragen, der sich auf den Umstand eines Zuwiderhandelns iS des Art. 8 Abs. 1 und damit auf den Grund des Vorbehaltes gemäß Art. 10 Abs. 1 des Abk bezieht, bzw. der allenfalls im Zusammenhang mit der Frage der mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkten Erledigungsbescheinigungen steht. Sind Angelegenheiten des so zu verstehenden Sachbegriffes des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 des Abk Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens - wie dies hier hinsichtlich des Verfahrens 7 Vr 1635/88 des LG für Strafsachen Graz der Fall war - so greift die Sondervorschrift des Art. 11 Abs. 2 Satz 2 des Abk ein. Danach wurde aber im Beschwerdefall durch die Zustellung des Haftungsbescheides am die maßgebliche Jahresfrist gewahrt.

Für eine Auslegung in der vom Beschwerdeführer angestrebten Richtung, es hätte eines gerichtlichen Verfahrens zwischen der Zollbehörde und dem bürgenden Verband bedurft, besteht kein Raum, weil dem Informationsbedürfnis des bürgenden Verbandes ohnehin durch die Mitteilung gemäß Art. 11 Abs. 1 des Abk (und im Beschwerdefall überdies durch die im Gesetz gar nicht vorgesehene Mitteilung vom ) Rechnung getragen war und die Inanspruchnahme des bürgenden Verbandes nicht im Gerichts-, sondern gemäß § 60 Abs. 5 ZollG im Verwaltungsweg stattzufinden hat.

Mit Rücksicht darauf, daß durch den vom Beschwerdeführer so formulierten Beschwerdepunkt der Prüfungsrahmen für den Verwaltungsgerichtshof auf den Fristenlauf gemäß Art. 11 Abs. 2 des Abk beschränkt war (vgl. dazu die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 242, vorl. Abs. ref.

hg. Judikatur), brauchte auf die Frage einer allfälligen Subsitiarität der Haftung eines bürgenden Verbandes auf Grund der Bestimmung des Art. 8 Abs. 7 des Abk (die Abgabenschuldner wurden nämlich nach der Aktenlage nicht vor dem Beschwerdeführer, sondern zugleich mit diesem zur Zahlung aufgefordert) nicht eingegangen zu werden.

Da sich sohin der angefochtene Bescheid als frei von der behaupteten inhaltlichen Rechtswidrigkeit erweist, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. Nr. 104/1991.