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VwGH vom 15.06.2005, 2002/13/0232

VwGH vom 15.06.2005, 2002/13/0232

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Keidel LL.M., über die Beschwerde des W B in W, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 6/2, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat I) vom , Zl. RV/70-15/05/2002, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer 1990 bis 1992, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer betrieb in den Streitjahren ein Unternehmen mit dem Gegenstand "Kfz-Service" und ermittelte hiefür den Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG 1988.

Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die im Gefolge einer bei ihm durchgeführten Betriebsprüfung ergangenen Bescheide des Finanzamtes betreffend die Festsetzung der Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Streitjahre 1990 bis 1992 als unbegründet ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hob diesen Bescheid mit Erkenntnis vom , 96/13/0068, (im Folgenden: Vorerkenntnis) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Zur Vorgeschichte und zum näheren Sachverhalt wird auf das Vorerkenntnis verwiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich ab. Der Beschwerdeführer habe Autowracks, die seinem Betrieb dienten, nicht in die Inventuren aufgenommen, weshalb diese nicht vollständig seien. Er habe nicht bestritten, dass zu einigen Eingangsrechnungen keine zugehörigen Ausgangsrechnungen existierten. Ebenso habe er nicht bestritten, dass die Kassastände zumindest bis zur Erfassung einer Eingangsrechnung im Mai 1991 fiktiv gewesen seien. Schließlich hätte es in den Aufzeichnungen des Beschwerdeführers nicht aufscheinende "Fremdeinkäufe" gegeben, hinsichtlich derer die Prüferin dem Beschwerdeführer Wareneinsatzverkürzungen in Höhe von 7.647 S 1990), 10.083 S 1991) und 10.506 S 1992) nachgewiesen habe. Diese Wareneinsatzverkürzungen seien durch Einkäufe bei vier namentlich angeführten Unternehmen nachgewiesen. Da im Prüfungszeitraum "bei insgesamt 20 vergleichbaren Unternehmen in gleicher Höhe Wareneinkäufe getätigt" worden seien, habe die Prüferin die "tatsächlich nachgewiesene" Verkürzung "mit dem Faktor 5 kalkuliert" und dementsprechend Wareneinsätze in Höhe von 38.200,75 S 1990), 50.400,70 S 1991) und 52.530,64 S 1992) hinzugeschätzt. Der erklärte Wareneinsatz habe 114.471,25 S 1990), 50.623,30 S 1991) und 51.702,36 S 1992) betragen. Die verkürzten Wareneinsätze würden im Verhältnis zu den erklärten Wareneinsätzen demnach 59,31 % (1990), 89,04 % (1991) und 101,6 % (1992) ausmachen. Im Verhältnis zu diesen verkürzten Wareneinsätzen seien auch der verkürzte Umsatz mit gerundet 250.000 S 1990), 300.000 S 1991) und 400.000 S 1992) und der verkürzte Gewinn mit gerundet 300.000 S 1990), 360.000 S 1991) und 480.000 S 1992) geschätzt worden.

Zu den "Fremdeinkäufen" hatte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom Zeugeneinvernahmen beantragt und vorgebracht, die ihm vorgehaltenen, zur angeblichen Wareneinsatzverkürzung führenden Einkäufe bei den vier genannten Unternehmen, habe nicht er getätigt, sondern andere Personen, welche durch Nennung seines Namens Preisnachlässe erhalten hätten. Die belangte Behörde führte im fortgesetzten Verfahren die im Vorerkenntnis vermissten Zeugeneinvernahmen durch. Auf Grund dieser Zeugenaussagen müsse die belangte Behörde davon ausgehen, dass die Materialeinkäufe durch den Beschwerdeführer erfolgt seien und Wareneinsatzverkürzungen darstellten. Daher übernahm die belangte Behörde die von der Prüferin auf Grund dieser als Wareneinsatzverkürzung gewerteten Einkäufe vorgenommene Schätzung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung zu schätzen, wenn sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist nach § 184 Abs. 3 BAO, wenn der Abgabepflichtige die Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt, oder die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen.

Schon im Vorerkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof der belangten Behörde die Schätzungsberechtigung wegen des Mangels der Inventarisierung von Autowracks zugebilligt. Der im angefochtenen Bescheid darüber hinaus angenommene Widerspruch zwischen Eingangs- und Ausgangsrechnungen sowie die zumindest einen Teil des Streitzeitraumes umfassenden fiktiven Kassastände, welche in der vorliegenden Beschwerde nicht mehr bestritten werden, berechtigten die belangte Behörde ebenfalls zur Schätzung.

Zur Schätzungsmethode, deren Wahl der belangten Behörde grundsätzlich freistand (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2003/15/0019), führte sie aus, "die von der BP angewandte Schätzungsmethode widerspricht nicht den Denkgesetzen und steht auch mit den allgemeinen wirtschaftlichen Erfahrungen im Einklang." Damit übernahm die belangte Behörde die von der Prüferin "nachgewiesenen Wareneinsatzverkürzungen" im angeführten Umfang als Schätzungsgrundlage. Gerade diese als Wareneinsatzverkürzung gewerteten Materialeinkäufe hat der Beschwerdeführer bestritten, indem er bereits im Verwaltungsverfahren leugnete, diese Einkäufe getätigt zu haben und sie anderen Personen seines Bekanntenkreises unterstellte, welche durch Nennung seines Namens Preisnachlässe erzielt hätten.

Die Frage, ob die von der belangten Behörde angenommenen Materialeinkäufe ("Fremdeinkäufe") zur Gänze vom Beschwerdeführer durchgeführt wurden und damit Wareneinsatzverkürzungen darstellen, ist eine Tatfrage, welche die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung zu beantworten hatte. Dabei obliegt dem Verwaltungsgerichtshof lediglich die Prüfung, ob die Feststellungen aktenwidrig sind oder gegen die Denkgesetze oder das allgemeine menschliche Erfahrungsgut verstoßen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2001/15/0080).

Die belangte Behörde hat im fortgesetzten Verfahren zum einen die Zeugin C.P. vernommen, welche angegeben hat, den Beschwerdeführer nach Erhalt der Ladung zur Zeugeneinvernahme angerufen und ihn gefragt zu haben, worum es bei der Sache gehe, weil sie sich nicht mehr habe erinnern können. Er habe ihr mitgeteilt, dass es um die Einkäufe bei der Firma A. in den Jahren 1990 bis 1992 gehe. C.P. habe eine Visitenkarte des Beschwerdeführers gehabt, mit der sie bei der Firma A. zu seinen Konditionen habe einkaufen können. Davon habe sie Gebrauch gemacht, könne aber nicht mehr sagen, wie oft und welche Teile sie genau eingekauft habe. Die Vorlage der Visitenkarte habe genügt, um die Konditionen des Beschwerdeführers zu erhalten. Bezahlt sei immer bar worden. Die Teile seien von ihrem damaligen Lebensgefährten eingebaut worden. Dieser habe in den Jahren 1990 bis 1992 nur eine große Reparatur für sie durchgeführt, wobei sie nicht mehr sagen könne, wann das genau gewesen sei. Was sie genau gekauft habe, könne sie auch nicht mehr sagen, glaube aber, dass es sich "um ein Getriebe bzw. um einen Teil für den Motor" gehandelt habe. Ihr damaliger Lebensgefährte habe "das erforderliche Bestandteil" ausgebaut und sie habe es "nach Muster" gekauft. Einige Zeit später habe er den Kühler repariert. Sie habe damals einen Schlauch gekauft; ob noch weitere Bestandteile erforderlich gewesen seien, wisse sie nicht.

Die belangte Behörde wertete die Aussage der C.P. als unglaubwürdig und widersprüchlich, weil C.P. auf ihre Aussage durch den Anruf beim Beschwerdeführer "vorbereitet" gewesen sei. Sie habe nicht einmal angegeben, welche Teile sie eingekauft habe, und nur vage Angaben gemacht, dass es sich um einen Teil des Getriebes gehandelt habe. Auf Grund der vorliegenden Rechnungen der Firma A. könnten diese Materialeinkäufe nicht nachvollzogen werden, weil lediglich eine Rechnung über einen Kühlerschlauch vorliege und keine Rechnung, die einen Teil eines Getriebes zum Gegenstand hätte. Es liege eine Rechnung vor, die mehrere Teile eines Getriebes zum Gegenstand habe. Die Zeugin habe aber ausdrücklich ausgesagt, dass sie nur "einen Teil" gekauft habe. Auf Grund dieser Widersprüche gehe die belangte Behörde davon aus, dass nicht C.P. die Wareneinkäufe vorgenommen habe, sondern dass diese durch den Beschwerdeführer erfolgt seien.

Dass C.P., welche von der belangten Behörde eine Ladung als Zeugin lediglich mit dem Vermerk "in der Berufungssache des (Beschwerdeführers(, Kfz-Service, (Anschrift(" erhielt, den Beschwerdeführer anruft, um Näheres über die von der belangten Behörde beabsichtigte Zeugeneinvernahme zu erfahren, ist nicht ungewöhnlich. Daraus bereits zu schließen, die Zeugin wäre vom Beschwerdeführer "vorbereitet" worden und sage die Unwahrheit, bedürfte weiterer Anhaltspunkte, welche die belangte Behörde jedoch nicht anführt.

Nach der Aussage der Zeugin habe nicht sie selbst, sondern ihr damaliger Lebensgefährte die Reparaturen am Auto durchgeführt, sie habe die von ihm ausgebauten Teile nach Muster gekauft, könne sich nur mehr vage erinnern und glaube, einen Teil des Motors bzw. ein Getriebe gekauft zu haben. Dass diese Aussage deshalb unglaubwürdig oder widersprüchlich sei, weil eine entsprechende Rechnung mehrere Teile des Getriebes enthalte, kann der Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehen. Gerade da die Zeugin C. rund zehn Jahre nach den Einkäufen sich nur mehr vage erinnern können und lediglich Autoersatzteile nach Muster eingekauft haben will, welche sie nicht näher habe bezeichnen können, stellt es noch keinen Widerspruch dar, wenn sie von einem Getriebe bzw. einem Teil des Motors spricht, während die Rechnung mehrere Teile eines Getriebes erfasst. Die genaue Unterscheidung zwischen einem Getriebe oder einem Teil eines Motors und mehreren Teilen eines Getriebes kann im Fehlen technischer Kenntnisse und der Erinnerung nach dem Zeitraum von rund zehn Jahren begründet sein.

Der Zeuge E.H. sagte, von der belangten Behörde vernommen, aus, er habe gewusst, dass der Beschwerdeführer bei verschiedenen "Automaterialfirmen" begünstigt einkaufen könne, und habe in dessen Werkstatt auch sein Auto reparieren lassen. Ob der Zeuge bei der Firma J. Ersatzteile gekauft habe, könne er sich nicht mehr erinnern, er glaube, selbst nie bei der Firma J. gewesen zu sein, sondern immer den Beschwerdeführer beauftragt zu haben.

Der Zeuge R.L. gab, von der belangten Behörde vernommen, an, er kenne den Beschwerdeführer aus seiner Tätigkeit als Obmann eines Oldtimerclubs, bei dem auch der Beschwerdeführer Mitglied sei. "Im Rahmen des Clubs" sei "nicht öffentlich publik gemacht" worden, dass man bei Nennung des Namens von Kfz-Werkstätten günstig einkaufen könne. Aus persönlichen Gründen sei er daran nicht interessiert, derartiges publik zu machen, weil er selbst eine Kfz-Werkstatt habe und somit gegen sein Geschäft handeln würde. Er könne aber nicht ausschließen, dass der Beschwerdeführer von sich aus anderen Leuten dies mitgeteilt habe. Es bestehe auch die Möglichkeit, dass Leute, die Clubmitglieder sind, auf den Namen einer Firma ohne deren Wissen einkaufen. Diese Einkäufe würden gegen Barzahlung erfolgen.

Aus dieser Aussage könne laut belangter Behörde abgeleitet werden, dass man bei Firmen auf den Namen des Beschwerdeführers einkaufen könne, sodass die Einvernahme eines weiteren Zeugen (Anmerkung: den der Beschwerdeführer zum Beweis dafür beantragt hatte, dass das Unternehmen bei Barverkäufen die Identität des Käufers nicht kontrolliere) entbehrlich erscheine. Es müsse - so die belangte Behörde weiter - somit davon ausgegangen werden, dass die Materialeinkäufe durch den Beschwerdeführer erfolgt seien und Wareneinsatzverkürzungen darstellen.

Wenn die belangte Behörde einerseits davon ausgeht, dass bei den in Rede stehenden Unternehmen andere Personen "auf Namen" des Beschwerdeführers (preisgünstiger) einkaufen können, so lässt sie offen, warum sie ungeachtet dieser vom Beschwerdeführer behaupteten und von der belangten Behörde selbst eingeräumten Möglichkeit gleichzeitig davon ausgeht, dass sämtliche in Rede stehenden Materialeinkäufe durch den Beschwerdeführer erfolgt seien, und darauf die Höhe der Schätzung gründet.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am