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VwGH vom 18.05.1995, 93/15/0234

VwGH vom 18.05.1995, 93/15/0234

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Rauscher, über die Beschwerde des E in G, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , Zl. B 246-10/92, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer hatte bis Jänner 1990 ein Schuhhandelsunternehmen betrieben. Mit Kaufvertrag vom veräußerte er das Unternehmen. Anläßlich dieser Veräußerung verzichtete die R-Gen.m.b.H. auf eine Forderung gegen den Beschwerdeführer in der Höhe von S 2,303.121,58. Im erwähnten Betrag war Umsatzsteuer von S 375.095,-- enthalten, für die der Beschwerdeführer bereits den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hatte. In seiner Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1990 wies der Beschwerdeführer ein Guthaben von S 10.150,-- aus. Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung erstattete er gegenüber der Prüferin eine Selbstanzeige. Sein steuerlicher Vertreter führte darin aus, es sei "der Sanierungsgewinn irrtümlich umsatzsteuerfrei behandelt worden". In einer "berichtigten Umsatzsteuererklärung" für 1990 wies der Beschwerdeführer eine Vorsteuerberichtigung von S 375.095,-- aus. Infolge Festsetzung einer Nachforderung an Umsatzsteuer für 1990 im Betrag von S 375.095,-- ergab sich auf dem Abgabenkonto des Beschwerdeführers beim Finanzamt W. eine Zahllast von S 372.434,--.

Der Beschwerdeführer beantragte die Nachsicht dieses Betrages. Er führte aus, sein Unternehmen habe in der Zeit von 1983 bis 1989 Verluste von insgesamt S 6,9 Mio erzielt. Dies sei einerseits auf im Verhältnis zum Umsatz erhöhte Personal-, Finanzierungs- und Werbungskosten und andererseits darauf zurückzuführen, daß er sich wegen einer weiteren Tätigkeit als Geschäftsführer der Q-GmbH & Co KG nicht ausreichend um das Unternehmen habe kümmern können. Dieses sei nur durch den Verkauf zu retten gewesen. Der Beschwerdeführer sei mit Verbindlichkeiten in der Höhe von insgesamt S 3,5 Mio belastet. Aus seinem monatlichen Nettoeinkommen von ca. S 27.000,-- zahle er an die Bausparkasse zur Tilgung einer Verbindlichkeit von ca. S 1,6 Mio monatlich S 12.280,-- und an die R-Gen.m.b.H. zur Tilgung einer Schuld von rund S 1,3 Mio monatlich S 12.000,--. Für einen Volksbankkredit von S 207.474,-- habe er ein zu erwartendes Guthaben aus der Einkommensteuerveranlagung verpfändet. Er besitze ein Einfamilienhaus im Schätzwert von ca. S 2,5 Mio; dieses sei mit den erwähnten Verbindlichkeiten belastet. Er habe für zwei minderjährige Kinder zu sorgen. Die Lebenshaltungskosten der Familie würden aus dem Gehalt der Gattin des Beschwerdeführers, die als Lehrerin ca. S 17.000,-- monatlich verdiene, bestritten.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt den Nachsichtsantrag nach Durchführung von Erhebungen mit der Begründung ab, neben den Abgabenschulden bestünden weitere Verbindlichkeiten von rund S 3,168.000,--. Eine Abgabennachsicht werde zu keiner wesentlichen Besserung der wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers führen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, es bestehe die Möglichkeit, einen Betrag von S 100.000,-- zur Teilabstattung der Abgabenschuld aufzubringen, wenn gleichzeitig der Restbetrag nachgesehen werde. In einem Gespräch mit dem Präsidenten der Finanzlandesdirektion sei dies als Lösungsmöglichkeit genannt worden. Es werde die Erlassung eines Bescheides beantragt, wonach "eine Nachsicht dann ausgesprochen werde, wenn seitens des Beschwerdeführers ein Teilbetrag von S 100.000,-- zur Einzahlung gelangt". Im Zuge des Berufungsverfahrens trug der Beschwerdeführer über Aufforderung der belangten Behörde - seinem Vorbringen in erster Instanz entsprechend - Gründe nach, die seiner Auffassung nach eine Unbilligkeit der Einhebung darstellten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides finden sich nach Darlegung des Verfahrensgeschehens folgende ergänzende Feststellungen: Der Beschwerdeführer habe im Jahr 1992 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in der Höhe von S 433.813,30 bezogen. Sein Monatsgehalt habe beispielsweise im August 1991 S 38.465,--, im Mai 1993 S 42.483,-- und ab Juli 1993 S 58.000,-- betragen. Auf seinem Abgabenkonto hafte zum ein Betrag von S 442.837,38 aus. In diesem Betrag sei die Umsatzsteuer 1990 in der Höhe von S 363.469,69 enthalten. Vom Abgabenkonto des Beschwerdeführers beim Finanzamt Graz-Stadt sei am ein Guthaben in der Höhe von S 105.004,-- zurückbezahlt worden. Der Beschwerdeführer habe weiters bis Einkünfte aus einer Konsulententätigkeit (1993 netto S 61.479,32) bezogen. In rechtlicher Beurteilung vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die vom Beschwerdeführer dargelegten Umstände, die zu Verlusten geführt hätten, bedeuteten keine Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO; wirtschaftliches Fehlverhalten und wirtschaftliche Fehleinschätzungen begründeten keine Unbilligkeit der Einhebung von Abgaben. Auch daraus, daß der Beschwerdeführer nahezu sein gesamtes Einkommen zur Tilgung anderweitiger Verbindlichkeiten aufwende, die Abgabenschulden aber nicht einmal teilweise abdecke, ergebe sich keine Unbilligkeit der Einhebung. Der Hinweis auf eine Vereinbarung mit dem Präsidenten der Finanzlandesdirektion sei im vorliegenden Zusammenhang nicht zielführend; eine solche Vereinbarung stelle keinen Unbilligkeitstatbestand dar. Im übrigen habe der Beschwerdeführer auch den angebotenen Betrag nicht bezahlt; er mache die Entrichtung von der (vorherigen) Erlassung eines Nachsichtbescheides abhängig. Die gesetzlichen Voraussetzungen einer Abgabennachsicht lägen somit nicht vor; der Antrag sei daher aus den Rechtsgründen des § 236 Abs. 1 BAO abzuweisen. Selbst bei Vorliegen einer Unbilligkeit wäre das vorliegende Ansuchen aus Zweckmäßigkeitsgründen abzuweisen, weil eine Nachsicht der Abgabenverbindlichkeit von S 372.434,-- (auch vermindert um den angebotenen Betrag von S 100.000,--) bei einem Gesamtschuldenstand in der Höhe von S 3,165.603,30 per zu keiner wesentlichen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers führen würde. Es sei auch nicht zweckmäßig, eine Nachsicht zu gewähren, die ausschließlich zu Lasten des Abgabengläubigers gehe, während der Beschwerdeführer bemüht sei, alle anderen Verbindlichkeiten aus seinem monatlichen Nettoeinkommen von S 35.612,-- zu tilgen. Weiters habe der Beschwerdeführer Einkünfte aus einer Konsulententätigkeit gegenüber der Abgabenbehörde im Nachsichtsverfahren nicht offengelegt. Den zur Umsatzsteuerzahllast führenden Sachverhalt habe der Beschwerdeführer erst im Rahmen einer Selbstanzeige offengelegt, die mangels Entrichtung der Abgabe nicht strafbefreiend sei. Das auf Grund der Verlustveranlagung bei einem anderen Finanzamt entstandene Guthaben habe der Beschwerdeführer unter Ausnützung eines Fehlverhaltens des Finanzamtes für andere Zwecke als zur Tilgung der Abgabenschuld verwendet. Eine Nachsicht wäre eine Benachteiligung jener Abgabenpflichtigen, die ihre abgabenrechtlichen Pflichten stets ordnungsgemäß erfüllt haben und bemüht waren, nach ihren Kräften zur Tilgung der Abgabenschulden beizutragen. Dieser Wille sei beim Beschwerdeführer nicht einmal ansatzweise erkennbar.

Die Beschwerde macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in § 236 BAO vorgesehene Ermessensentscheidung. Verneint die Abgabenbehörde die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 91/15/0054).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde im Rahmen der in rechtlicher Gebundenheit zu treffenden Entscheidung schon die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einhebung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder für den Steuergegenstand ergeben. Die Unbilligkeit kann "persönlich" oder "sachlich" bedingt sein. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere dann vor, wenn die Einhebung der Abgaben die Existenzgrundlagen des Nachsichtwerbers gefährdete. Eine sachliche Unbilligkeit ist anzunehmen, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als aus persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom , Zl. 90/15/0015, und vom , Zl. 91/15/0054).

Schon der Antrag des Beschwerdeführers enthält keine schlüssige Behauptung eines Sachverhaltes, der eine Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO aufzeigt. Daß für den Beschwerdeführer infolge des Verzichtes eines Gläubigers auf Forderungen, die Umsatzsteuer beinhalteten, für die der Beschwerdeführer bereits den Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hatte, eine Berichtigung des Vorsteuerabzuges vorzunehmen war (vgl. § 16 Abs. 1 Z. 2 UStG), die im vorliegenden Fall zu einer Zahllast führte, ist eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage; es kann nicht davon die Rede sein, daß hier ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes atypisches Ergebnis eingetreten wäre. Eine sachliche Unbilligkeit liegt daher nicht vor (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 90/15/0015).

Im übrigen macht die Beschwerde eine Unbilligkeit der Einhebung nur noch unter dem Gesichtspunkt geltend, daß der Beschwerdeführer über einen Großteil seines Einkommens - über das "Existenzminimum" hinaus - zur Schuldtilgung bereits zu einem Zeitpunkt verfügt habe, als er davon ausgehen habe können, daß er an die Finanzbehörde keine weiteren Zahlungen zu leisten haben werde. Die Beschwerde bleibt jedoch nähere Darlegungen in der Richtung schuldig, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer davon hätte ausgehen können, daß er keine weiteren Zahlungen an die Abgabenbehörde zu leisten haben werde. Selbst wenn man das erwähnte Vorbringen in der Richtung deutet, dem Beschwerdeführer wäre es nicht bekannt gewesen, daß eine Änderung der Bemessungsgrundlagen zu einer Berichtigung der in Anspruch genommenen Vorsteuer für jenen Veranlagungszeitraum, in dem die Änderung des Entgeltes eingetreten ist, hätte führen müssen (vgl. § 16 Abs. 1 Z. 2 UStG), begründet dies keine Unbilligkeit der Einhebung. Die Unkenntnis einer Verwaltungsvorschrift kann nur dann als unverschuldet angesehen werden, wenn jemand die Vorschrift trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 91/13/0118). Davon kann im Beschwerdefall im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Vorsteuerberichtigung nicht die Rede sein.

Die Auffassung, es liege eine persönliche Unbilligkeit vor, wird in der Beschwerde im übrigen nicht weiter verfolgt. Es genügt daher der Hinweis, daß eine persönliche Unbilligkeit der Einhebung nicht vorliegt, wenn eine Nachsicht im Hinblick auf den gesamten Schuldenstand zu keiner wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Lage des Abgabenschuldners führen würde (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 89/15/0100); die Auffassung der belangten Behörde, daß dies angesichts der hier vorliegenden Relation zwischen Abgabenverbindlichkeit und anderweitigen Verbindlichkeiten der Fall wäre, entspricht dem Gesetz.

Die belangte Behörde hat somit das Vorliegen einer Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO zu Recht verneint. Sie hatte daher in rechtlicher Gebundenheit den Antrag abzulehnen. Davon ausgehend erübrigt sich ein Eingehen auf jene Darlegungen der Beschwerde, die sich der Sache nach gegen jene Begründungselemente des angefochtenen Bescheides wenden, wonach eine Nachsicht auch angesichts der für die Ermessensübung ausschlaggebenden Umstände nicht hätte gewährt werden können.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.