VwGH vom 31.07.2002, 2002/13/0141
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Gerhard Renner und Dr. Gerd Höllerl, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Mariahilferstraße 76/10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VI) vom , Zl. RV/322- 16/05/97, betreffend u.a. Umsatz- und Einkommensteuer 1995, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Wie der Beschwerdeschrift und der ihr angeschlossenen Ausfertigung des angefochtenen Bescheides entnommen werden kann, erwarb der Beschwerdeführer mit Kaufvertrag vom einen Rohdachboden in der K-straße mit dem Recht zum Ausbau von Eigentumswohnungen. In der Folge veräußerte er Anteile am Rohdachboden an zwei Wohnungsinteressenten, mit denen er später auch Werkverträge schloss, in welchen er sich verpflichtete, den Dachboden zu schlüsselfertigen Eigentumswohnungen auszubauen. Eine dritte Eigentumswohnung errichtete der Beschwerdeführer für den Eigenbedarf.
Im Gefolge einer abgabenbehördlichen Prüfung waren zwei vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht mehr strittige Fragen - die Teilung der vertraglichen Beziehungen in Kaufverträge einerseits und Werkverträge andererseits sowie der Wert der eigenen Wohnung - Gegenstand einer vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gegen die im wiederaufgenommenen Verfahren ergangenen Bescheide des Finanzamtes betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 1995. Im Laufe des Berufungsverfahrens habe - so die Beschwerdeausführungen - die belangte Behörde "erstmals" vom Beschwerdeführer vorgelegte Rechnungen der D-GmbH "in Zweifel" gezogen. Dem angefochtenen Bescheid lässt sich dazu im Wesentlichen Folgendes entnehmen:
Am sei der Beschwerdeführer im Beisein seines steuerlichen Vertreters zur Errichtung der in Rede stehenden Dachgeschosswohnungen vernommen worden. Dabei habe er angegeben, dass die "Firma MDS", deren genauen Firmenwortlaut er nicht kenne, die Ausbauarbeiten laut Vereinbarung vom durchgeführt habe. Auf Seiten der MDS habe deren aus Jugoslawien stammender Geschäftsführer N den Vertrag unterzeichnet; ob "N" dessen Vor- oder Nachname sei, wisse er nicht. Er habe die "Firma MDS" auf einer anderen Baustelle kennen gelernt; die Geschäftsräumlichkeiten der MDS befänden sich in der T-gasse. Die Baumeisterkonzession habe ein Ing. S inne, der auch die Bauaufsicht ausgeübt habe. Welche Verbindung zwischen Ing. S und der MDS bestanden habe, sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt. Der Beschwerdeführer habe sich selbst praktisch täglich auf der Baustelle aufgehalten und den Baufortschritt "als Laie" kontrolliert. Wie viele Bedienstete der Firma MDS auf der Baustelle tätig geworden seien, könne er nicht sagen. N habe er glaublich einmal pro Woche auf der Baustelle gesehen. Ansprechpartner für den Beschwerdeführer sei Ing. S gewesen. Über Vorhalt des Namens "D" habe der Beschwerdeführer erklärt, dieser Name sei ihm völlig unbekannt. Nach wiederholtem Befragen habe der Beschwerdeführer schließlich eingeräumt, ein bei der Baupolizei eingereichter Plan habe möglicherweise den Stempel der "Firma D" getragen. In diesem Stadium der Vernehmung habe der Steuerberater die Frage gestellt, ob es sich bei dem gegenständlichen Verfahren um ein Finanzstrafverfahren nach § 99 FinStrG handeln würde. Die an den Beschwerdeführer gerichteten Fragen würden üblicherweise Beschuldigten im Rahmen von Finanzstrafverfahren gestellt, weshalb er dem Beschwerdeführer rate, die "Rechtswohltat des Finanzstrafgesetzes in Anspruch zu nehmen und keine weiteren Aussagen zu tätigen".
In der auf Anordnung des Vorsitzenden durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung vom habe der Beschwerdeführer folgende Erklärung abgegeben:
" ... Mit der Fa. D hatte ich, abgesehen vom Projekt Kstraße, weder vorher noch nachher etwas zu tun. Als sie mich damals gefragt haben, habe ich mich nicht an diese Firma erinnert. Aus diesem Grund habe ich damals auch gelacht, nachdem ich Einsicht in die Unterlagen genommen habe, und ich die D-Rechnungen gesehen habe. Hätten sie mir damals gleich eine D-Rechnung vorgelegt, wäre es einfacher gewesen. Wenn ich gefragt werde, ob ich noch weitere Angaben machen möchte, gebe ich an, nein."
Über Befragen des Vorsitzenden, wessen Unterschrift sich auf der "D-Rechnung vom " befinde, habe der Beschwerdeführer gemeint, "ich gehe davon aus, dass es ein ordentlicher Geschäftsablauf war und dass es sich um die Unterschrift von Hrn. N handelt". Schließlich habe der steuerliche Vertreter das Wort ergriffen, und erklärt, "ich gebe meinen Mandanten den Rat, keine Fragen mehr zu beantworten". Vom Beschwerdeführer könne nicht verlangt werden, dass er sich an Vorgänge erinnere, die mittlerweile länger als sechs Jahre zurücklägen. Detaillierte Fragen sollten in schriftlicher Form gestellt werden. In der Folge sei die Verhandlung zur Durchführung eines schriftlichen Vorhalteverfahrens vertagt worden.
Mit Schreiben vom habe die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vorgehalten, im Laufe des Berufungsverfahrens sei hervorgekommen, dass die D-GmbH den gegenständlichen Dachbodenausbau nicht ausgeführt habe; bei den von ihr gelegten Rechnungen handle es sich nach Ansicht der belangten Behörde um so genannte "Deckungsrechnungen", also um Rechnungen zur Deckung von Leistungen, die tatsächlich von "Schwarz-Arbeitskräften" erbracht worden seien. Der Beschwerdeführer sei ausdrücklich aufgefordert worden, alles vorzubringen, was gegen diese Beurteilung sprechen könnte. Auch sei er in dem Schreiben auf die möglichen steuerlichen Konsequenzen dieser Feststellung - die beabsichtigte Kürzung der mit Hilfe der D-Rechnungen belegten Betriebsausgaben und der Vorsteuern - hingewiesen worden.
Der Beschwerdeführer habe den Vorhalt trotz Erinnerung vom und Einräumung einer Nachfrist nicht beantwortet.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers teilweise Folge, änderte die Bescheide des Finanzamtes aber auch in der Frage der Höhe der anzuerkennenden Errichtungskosten dem Vorhalt vom entsprechend zu Ungunsten des Beschwerdeführers ab. Die zum Nachweis der Errichtungskosten der drei Dachgeschosswohnungen vorgelegten Rechnungen der D-GmbH würden nicht den wahren Geschehnisablauf wiedergeben. Die D-GmbH könne nicht als Leistungserbringerin angesehen werden. Dafür spräche vor allem die eigene Aussage des Beschwerdeführers vom , wonach die Arbeiten seitens der "Fa. MDS, T-gasse" durchgeführt worden seien. Der Beschwerdeführer habe im weiteren Verlauf des Verwaltungsverfahrens, obgleich ihm ausreichend Gelegenheit dazu geboten worden sei, nichts dazu beigetragen, den aufgezeigten Widerspruch aufzuklären. Die D-GmbH sei steuerlich nicht erfasst und verfüge über keinen Gewerbeschein. Ihr Gesellschafter-Geschäftsführer Dragan N halte sich nicht mehr in Österreich auf. Die Unüblichkeit der behaupteten Geschäftsbeziehung zur D-GmbH widerspiegle sich auch in dem Umstand, dass sämtliche Rechnungen (im Gesamtbruttobetrag von 6,683.315,82 S) im Wege von Barzahlungen beglichen worden sein sollen. Obwohl es sich "um Dutzende Beträge handelte", sei es in keinem Fall zu einer Zahlung mittels (Bank)Überweisung gekommen. In das sonderbare Bild der Geschäftsbeziehungen zur D-GmbH füge sich überdies die Angabe des Beschwerdeführers, wonach er selbst am eigenen PC eine Bautafel angefertigt und sie mit einer Plastikfolie umhüllt auf der Baustelle angebracht habe. Dass Dragan N (auch) für die D-GmbH unterschrieben habe, sei auf Grund eines angestellten Unterschriftenvergleichs unglaubwürdig. Hätte es sich bei den Rechnungen der D-GmbH nicht um "Deckungsrechnungen" gehandelt, wäre dem Beschwerdeführer wohl aufgefallen, dass die auf den Rechnungen angegebene Betriebsadresse der D-GmbH mit der vom Beschwerdeführer verwendeten Zustellanschrift in einem näher bezeichneten "Business-Center" ident sei. Mangels Leistungserbringung durch die D-GmbH stehe ein Vorsteuerabzug aus diesen Rechnungen nicht zu. Eine Kürzung der geltend gemachten Vorsteuern sei allerdings nur insoweit vorzunehmen, als von der D-GmbH Arbeitsleistungen verrechnet worden seien, hinsichtlich der verrechneten Materialkosten könne nämlich davon ausgegangen werden, dass anderweitige zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungen (etwa von Baumärkten) vorhanden gewesen seien. Vom Gesamtbruttobetrag der Rechnungen entfielen auf "Kosten für Arbeiten" laut einer im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Aufstellung 3,377.501,01 S, die Vorsteuerkürzung aus den "D-Rechnungen" betrage demnach 675.500,19 S. Ertragsteuerlich seien die dem Beschwerdeführer tatsächlich angefallenen Errichtungskosten (wie im Vorhalt vom angekündigt) mit zwei Dritteln des von der D-GmbH verrechneten Betrages zu schätzen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde mit dem Vorbringen, der dem Beschwerdeführer gemachte Vorwurf, mittels "Deckungsrechnungen" Betriebsausgaben und Vorsteuerbeträge zu Unrecht beansprucht zu haben, erfülle "zweifellos den Tatbestand der Abgabenhinterziehung gem. § 33 Finanzstrafgesetz". Der Beschwerdeführer wäre daher "in dem Augenblick, in dem er erkennen konnte, dass die belangte Behörde Erhebungen in Richtung eines Finanzstrafdeliktes anstellt" berechtigt gewesen, seine weitere Mitwirkung am Berufungsverfahren unter Hinweis auf § 99 Finanzstrafgesetz zu verweigern. "Richtigerweise hätte die belangte Behörde das Berufungsverfahren abbrechen und die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens durch die zuständige Finanzstrafbehörde erster Instanz veranlassen müssen". Die Finanzstrafbehörde hätte sodann "sämtliche Umstände" im Zusammenhang mit der Ausstellung der Rechnungen durch die D-GmbH erheben und etwa Dragan N befragen müssen. "Dieser wesentliche Mangel" rechtfertige eine Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 289 Abs. 2 BAO ist die Abgabenbehörde zweiter Instanz berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Es ist Aufgabe der Berufungsbehörde, in der Sache zu entscheiden, das heißt, neuerlich und zwar so zu entscheiden, als ob die Sache erstmals nach den für diese geltenden materiellrechtlichen Bestimmungen unter Beachtung der Verfahrensgrundsätze behandelt würde (Reformation). Die Berufungsbehörde ist demnach nicht nur berechtigt, sondern gegebenenfalls sogar verpflichtet, ihre Entscheidung (gegenüber der Vorentscheidung) originär neu zu gestalten. Das Ergebnis ihrer Entscheidung kann von dem der vorangehenden Bescheide abweichen. Jede Anfechtung eines Bescheides, auch eine bloß partielle Anfechtung führt deshalb dazu, dass die Rechtsmittelbehörde einen neuen "rechtsrichtigen" Bescheid zu erstellen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2000/13/0175).
Die Berufungsbehörde hat auch dann über die bei ihr anhängige Berufung zu entscheiden, wenn der von ihr festgestellte Sachverhalt die Annahme nahe legt, der Abgabepflichtige habe damit möglicherweise den Tatbestand der Abgabenhinterziehung verwirklicht. Welche gesetzliche Grundlage es der Berufungsbehörde gebieten würde, die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens zu veranlassen und sodann dessen Ergebnis abzuwarten, lässt sich den Beschwerdeausführungen nicht entnehmen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Berufungsbehörde sogar die Frage, ob eine Abgabenhinterziehung im Sinne des § 207 Abs. 2 BAO vorliegt und deshalb die (verlängerte) Verjährungsfrist von zehn Jahren zur Anwendung kommt, im Abgabenverfahren nach eigener Anschauung als Vorfrage zu beurteilen. Eine derartige Feststellung der Berufungsbehörde setzt die Einleitung eines Finanzstrafverfahrens nicht voraus (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 90/14/0142). Umso weniger bedurfte es im Beschwerdefall, in dem die belangte Behörde gar nicht vor die Frage gestellt war, ob der von ihr festgestellte Sachverhalt den Tatbestand einer Abgabenhinterziehung erfüllt, der Einleitung eines Finanzstrafverfahrens vor Ergehen des angefochtenen Bescheides.
Soweit der Beschwerdeführer sinngemäß meint, das Vorgehen der belangten Behörde stelle eine Umgehung des dem Beschuldigten aus der Bestimmung des § 84 Abs. 2 FinStrG erfließenden Rechtes dar, sich zu dem ihm zur Last gelegten Finanzvergehen nicht zu äußern, ist ihm zu erwidern, dass die belangte Behörde ohnedies die Beantwortung der Fragen nicht - was § 84 Abs. 2 FinStrG verbieten würde - erzwungen hat. Die im Vorhalt vom gestellten Fragen zielten zudem nicht darauf ab, dass sich der Beschwerdeführer selbst eines Finanzvergehens beschuldigen sollte, sondern dienten vielmehr dazu, ihm Gelegenheit zu geben, den in diese Richtung weisenden Verdacht durch ein entsprechendes Vorbringen zu zerstreuen. Dass der Beschwerdeführer davon keinen Gebrauch gemacht und auch keine Beweisanträge gestellt hat, kann der belangten Behörde nicht mit Aussicht auf Erfolg als Verletzung von Verfahrensvorschriften vorgeworfen werden.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid eingehend dargelegt, aus welchen Gründen sie zur Feststellung gelangt sei, dass die D-GmbH die von ihr in Rechnungen gestellten Leistungen tatsächlich nicht erbracht habe. Eine der belangte Behörde bei der Beweiswürdigung unterlaufene Unschlüssigkeit zeigt die Beschwerde nicht auf.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer gerügte Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.
Wien, am