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VwGH vom 28.06.2006, 2002/13/0134

VwGH vom 28.06.2006, 2002/13/0134

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Keidel LL.M., über die Beschwerde des Dr. A K in P, vertreten durch Mag. Martin Kranich und Mag. Andreas Fehringer, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Neubaugasse 68, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GZ. RV/154-17/13/2002, betreffend Einkommensteuer 2000, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In seiner Erklärung zur Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2000 machte der Beschwerdeführer außergewöhnliche Belastungen aus dem Titel der Behinderung seiner Tochter geltend, wobei er die Kosten für eine Beschäftigungstherapie in Höhe von 47.800 S sowie für Heilbehandlung und Hilfsmittel einen weiteren Betrag von 5.114,24 S berücksichtigt wissen wollte.

Gegen den Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes vom , mit welchem zwar die Kosten der Beschäftigungstherapie, nicht aber jene für die Heilbehandlung als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt wurden, erhob der Beschwerdeführer Berufung mit dem Vorbringen, dass nach der VO BGBl. Nr. 303/1996 das für die Tochter erhaltene Pflegegeld lediglich den Pauschbetrag von 3.600 S mindere, welcher bei höherem Pflegegeld - wie im Beschwerdefall - zur Gänze wegfalle. Die Kosten für die Heilbehandlung der Tochter seien hingegen ebenso als außergewöhnliche Belastung in Ansatz zu bringen wie jene für die Beschäftigungstherapie. Für eine unterschiedliche Behandlung einzelner der in § 5 Abs. 3 der angeführten Verordnung angesprochenen Aufwendungen bleibe das Finanzamt jede Begründung schuldig.

Mit dem angefochtenen Bescheid änderte die belangte Behörde den Einkommensteuerbescheid 2000 zu Ungunsten des Beschwerdeführers ab, indem auch die Kosten der Beschäftigungstherapie nicht mehr als außergewöhnliche Belastung anerkannt wurden. Der Beschwerdeführer habe für die Monate Jänner bis Dezember 2000 für seine Tochter die erhöhte Familienbeihilfe sowie ein monatliches Pflegegeld von 8.074 S bezogen. Das im Streitjahr erhaltene Pflegegeld in Höhe von insgesamt 96.888 S sei vom pauschalen Jahresbetrag im Sinne des § 5 Abs. 1 der VO BGBl. Nr. 303/1996 in Höhe von 43.200 S abzuziehen, sodass sich rechnerisch ein negatives Pauschale von 53.688 S ergebe. § 34 Abs. 6 dritter Teilstrich EStG 1988 fordere den Abzug der pflegebedingten Geldleistungen von allen Mehraufwendungen. "Dasselbe und somit gesetzeskonforme Ergebnis" werde durch die Heranziehung auch eines negativen Pauschbetrages iSd § 5 Abs. 1 "als Eingangswert für § 5 Abs. 3 der VO BGBl. Nr. 303/1996" erzielt. Die Berechnung laut der angeführten VO stelle sich daher wie folgt dar:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
S
monatlich 3.600 S, jährlich
43.200,00
abzüglich Pflegegeld
- 96.888,00
Betrag gem. § 5 Abs. 1
- 53.688,00
zusätzlich gem. § 5 Abs. 3 VO
Kosten der Heilbehandlung/Hilfsmittel
+ 5.114,24
Schulbesuch/Beschäftigungstherapie
+ 47.800,00
Betrag gem. § 5 Abs. 1 u. 3 VO
- 773.76

Erst dieser negative Endbetrag sei gesetzeskonform als Null bzw. nichtexistent zu betrachten, weil es ansonsten systemwidrig zu einer einkommenserhöhenden außergewöhnlichen Belastung käme. Damit sei für das Jahr 2000 keine außergewöhnliche Belastung aus der Behinderung der Tochter zu berücksichtigen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen.

§ 34 Abs. 6 leg. cit. in der Fassung des StruktAnpG 1996, BGBl. Nr. 201, und des AbgÄG 1997, BGBl. I Nr. 9/1998, lautet:

"(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
-
...
-
...
-
Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, soweit sie die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
-
Aufwendungen im Sinne des § 35, die an Stelle der Pauschbeträge geltend gemacht werden (§ 35 Abs. 5).
-
Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn der Steuerpflichtige selbst oder bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag der (Ehe)Partner (§ 106 Abs. 3) oder bei Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag oder den Unterhaltsabsetzbetrag das Kind (§ 106 Abs. 1 und 2) pflegebedingte Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) erhält, soweit sie die Summe dieser pflegebedingten Geldleistungen übersteigen.
Der Bundesminister für Finanzen kann mit Verordnung festlegen, in welchen Fällen und in welcher Höhe Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung ohne Anrechnung auf einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 und ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung zu berücksichtigen sind."
Auf Grund der §§ 34 und 35 EStG 1988 erließ der Bundesminister für Finanzen die Verordnung BGBl. Nr. 303/1996, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:

"§ 1.

...

(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

§ 4. (in der Fassung BGBl. II Nr. 91/1998)

Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

§ 5. (1) Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten mit monatlich 3 600 S vermindert um die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) zu berücksichtigen (in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Stammfassung).

(2) Bei Unterbringung in einem Vollinternat vermindert sich der nach Abs. 1 zustehende Pauschbetrag pro Tag des Internatsaufenthaltes um je ein Dreißigstel.

(3) Zusätzlich zum (gegebenenfalls verminderten) Pauschbetrag nach Abs. 1 sind auch Aufwendungen gemäß § 4 sowie das Entgelt für die Unterrichtserteilung in einer Sonder- oder Pflegeschule oder für die Tätigkeit in einer Behindertenwerkstätte im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen."

Die durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, gestaltete und durch das Abgabenänderungsgesetz 1997 nur unwesentlich geänderte, im Beschwerdefall anzuwendende Rechtslage ist demnach durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Gesetzgeber mit der Bestimmung des letzten Satzes des § 34 Abs. 6 EStG 1988 eine Norm statuiert hat, mit welcher im Kleid einer Verordnungsermächtigung der materielle Gehalt der in den diesbezüglichen Regelungen der §§ 34 und 35 EStG 1988 geschaffenen Ansprüche geändert worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 99/13/0169).

Die in § 34 Abs. 6 Teilstrich 3 leg. cit. getroffene Anordnung, dass Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für Personen, für die gemäß § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 erhöhte Familienbeihilfe gewährt wird, nur zu berücksichtigen sind, soweit sie die Summe dieser pflegebedingten Geldleistungen übersteigen, wird durch den letzten Satz des § 34 Abs. 6 EStG 1988 inhaltlich verändert, indem der Bundesminister für Finanzen auch zur Festlegung von solchen Fällen ermächtigt wird, in denen Aufwendungen "ohne Anrechnung auf eine pflegebedingte Geldleistung" zu berücksichtigen sind. Davon hat der Verordnungsgeber durch die Statuierung verschiedener Mehraufwendungen, die nicht um eine pflegebedingte Geldleistung zu kürzen sind, Gebrauch gemacht (§ 1 Abs. 3 der zitierten VO). Dies hat die belangte Behörde verkannt, indem sie von sämtlichen behinderungsbedingten Aufwendungen, auch solchen für die "Heilbehandlung", das Pflegegeld (in Form eines "negativen Pauschbetrages" iSd § 5 Abs. 1 der VO) abgezogen hat.

Zur Bemerkung der belangten Behörde, die vom Beschwerdeführer - wie gezeigt zutreffend - vertretene Rechtsansicht führe zu einer systemwidrigen "einkommenserhöhenden außergewöhnlichen Belastung" ist zu ergänzen, dass das Pflegegeld den Zweck hat, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen so weit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen (vgl. Art. II § 1 des Bundespflegegeldgesetzes BGBl. Nr. 110/1993). Hat das Pflegegeld aber nicht die gesetzliche Funktion der Leistung eines Beitrages auch zu den dem Behinderten erwachsenden Kosten einer Heilbehandlung seiner die Behinderung verursachenden Erkrankung, dann begründet der Bezug von Pflegegeld einerseits als Beitrag zu den (bloß) pflegebedingten Mehraufwendungen und die Möglichkeit einer Berücksichtigung der Kosten der Heilbehandlung der die Behinderung verursachenden Erkrankung als außergewöhnliche Belastung andererseits nicht eine solche "Überförderung", wie sie der Gesetzgeber mit den durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 getroffenen Regelungen verhindern wollte (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 785/02, VfSlg. Nr. 16.839).

Da die belangte Behörde die Rechtslage in der aufgezeigten Weise verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am