VwGH vom 21.11.1990, 90/13/0129
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde des W. gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. GA 5-1517/5/90, betreffend Familienbeihilfe und erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid versagte die belangte Behörde dem am geborenen Beschwerdeführer, einem Vollwaisen, der an einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres aufgetretenen, in Schüben verlaufenen Geisteskrankheit (Hebephrenie) leidet, ab dem die Gewährung von Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe. Die belangte Behörde wies darauf hin, daß der Beschwerdeführer von 1945 bis 1960, wenn auch mit Unterbrechungen, als Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sei, und hielt auch diese Beschäftigungsverhältnisse im angefochtenen Bescheid im einzelnen fest. Die festgestellten Dienstverhältnisse könnten nicht als vergeblicher Versuch einer Eingliederung in das Erwerbsleben bezeichnet werden. Es müsse vielmehr davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer sowohl vor als auch nach Vollendung seines 21. Lebensjahres trotz seiner Behinderung, unter welchen Umständen und mit welcher Hilfe auch immer, in der Lage gewesen sei und schließlich infolge Zuerkennung der Invaliditätspension durch die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter ab 1961 (Pension einschließlich Ausgleichszulage 1988 - nach der Aktenlage teilweise steuerfrei -: S 7.438,--) auch weiterhin im bescheidenen Rahmen in der Lage wäre, für seinen Unterhalt aufzukommen.
Vorliegende Beschwerde macht inhaltliche Rechtswidrigkeit
des angefochtenen Bescheides geltend.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 6 Abs. 2 FLAG 1967 haben volljährige Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie - was im Beschwerdefall unbestritten ist - die Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a bis c zutreffen und wenn sie (worum der Streit geht) ...
"d) wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden."
Nur wenn Vollwaisen nach § 6 FLAG 1967 Anspruch auf Familienbeihilfe haben, kommt für sie auch die erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs. 4 bis 6 FLAG 1967 in Betracht (§ 8 Abs. 7 leg. cit.). Die belangte Behörde spricht dem Beschwerdeführer aber schon den Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 6 FLAG 1967 ab.
Voraussetzung für den Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 ist es (unter anderem), daß der Vollwaise wegen dieser Behinderung voraussichtlich DAUERND AUSZERSTANDE ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 86/13/0206, - und mittelbar auch aus dem dort zitierten hg. Erkenntnis vom , Zl. 82/13/0222 - ergibt sich hiezu, daß eine mehrjährige berufliche Tätigkeit (im Falle des Erkenntnisses vom waren es viereinhalb Jahre) die für den Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 2 lit. d FLAG 1967 notwendige Annahme widerlegt, der Vollwaise wäre infolge seiner Behinderung DAUERND AUSZERSTANDE gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
Der Verwaltungsgerichtshof sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsmeinung abzurücken. Er wird in dieser Meinung vielmehr durch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 290/76, 114 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XIV. GP, bestärkt. Heißt es dort doch, durch die Neufassung des § 6 Abs. 2 FLAG 1967 werde volljährigen erwerbsunfähigen Personen, die bereits im Kindesalter erheblich behindert waren und die daher NIEMALS ERWERBSFÄHIG geworden seien, ein eigener Anspruch auf Familienbeihilfe eingeräumt, sobald sie - infolge Todes der Eltern - Vollwaisen geworden seien.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Beschwerdefall durchaus anwendbar. Gibt doch die Beschwerde widerspruchslos die mit dem angefochtenen Bescheid im Einklang stehende Stellungnahme des Bundesministers für Umwelt, Jugend und Familie wieder, "wonach der Beschwerdeführer mit Unterbrechungen von November 1945 bis März 1960 (somit vor Vollendung des 21. Lebensjahres bis über das 27. Lebensjahr hinaus) erwerbstätig gewesen sei". Nach den unbestrittenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides war der Beschwerdeführer zwischen 1945 und 1960 zwar mit Unterbrechungen bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt, die Beschäftigung bestand aber in drei Jahren ganzjährig und während einer Reihe weiterer Jahre über den größten Teil des Jahres hin. In Anbetracht dieser Beschäftigungsverhältnisse kann nicht die Rede davon sein, daß der Beschwerdeführer dauernd außerstande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bzw. niemals erwerbsfähig wurde. Daran ändert auch die von ihm ins Treffen geführte Unterstützung durch die Eltern bei der Berufsausübung bzw. das Entgegenkommen der Arbeitgeber nichts. Hat doch der Beschwerdeführer nicht behauptet, daß seine Arbeitsleistungen - nach den von ihm vorgelegten Unterlagen als nichtselbständig erwerbstätiger Gärtner - ungeeignet gewesen wären, ihm den Unterhalt zu verschaffen. In der Berufung stellte er es vielmehr sogar als möglich hin, daß seine Arbeitsfähigkeit zwischen den Krankheitsschüben gegeben war. Die Forderung, daß sich der Vollwaise den Unterhalt mit den üblichen, zum Erwerb normalerweise erforderlichen Mitteln bzw. unter den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Bedingungen verschaffen kann, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.
Da, wie die zitierte Rechtsprechung zeigt, bereits die von der belangten Behörde festgestellten Beschäftigungsverhältnisse des Beschwerdeführers die für seinen Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme widerlegen, er wäre infolge seiner Behinderung dauernd außerstande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, war die belangte Behörde nicht, wie er meint, verhalten, durch Sachverständigenbeweis zu klären, ob er "im entscheidungswesentlichen Zeitpunkt" (21. Lebensjahr bzw. Ende der Berufsausbildung) jeweils prognostisch in der Lage war, sich künftig durch Verwertung seiner Arbeitskraft den Lebensunterhalt zu verdienen.
Die in der Beschwerde beispielhaft erwähnten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ( 10 Ob S 44/87, SSV-NF 1/33, 10 Ob S 117/88, SSV-NF 2/60, und 10 Ob S 157/88, SSV-NF 2/87) führen deshalb zu keiner anderen Beurteilung, weil nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren eine zumindest vorübergehende Arbeitsfähigkeit nicht auszuschließen ist.
Der Beschwerdeführer vermochte somit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG und die Verordnung vom , BGBl. Nr. 206.