VwGH vom 15.02.2006, 2002/13/0093
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Keidel LL.M., über die Beschwerde des G M in W, vertreten durch Dr. Erich Kafka, Dr. Manfred Palkovits, Dr. Robert Steiner, Mag. Boris Knirsch, Mag. Michael Braun und Mag. Christian Fellner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Rudolfsplatz 12, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/274- 10/01, betreffend Haftung nach §§ 9 und 80 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer der B.-GesmbH und wurde vom Finanzamt mit Bescheid vom zur Haftung nach §§ 9 und 80 BAO für Abgabenschulden dieser Gesellschaft (Umsatzsteuer für 1996 sowie für einzelne Monate der Jahre 1997 und 1998) im Gesamtbetrag von 917.356 S herangezogen.
Der Beschwerdeführer sei Geschäftsführer der B.-GesmbH gewesen, über deren Vermögen am ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses abgewiesen worden sei, woraus sich die Uneinbringlichkeit der Abgaben ergebe, für die der Beschwerdeführer zur Haftung herangezogen werde. Es sei Sache des Geschäftsführers, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegende abgabenrechtliche Verpflichtung zu erfüllen, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung im Sinn des § 9 Abs. 1 BAO annehmen dürfe. Demnach hafte der Geschäftsführer für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung standen, hiezu nicht ausgereicht hätten, es sei denn, er weise nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt habe als andere Verbindlichkeiten.
In der Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer vor, dass die in Rede stehenden Abgabenrückstände das Ergebnis eines Betriebsprüfungsverfahrens seien, in welchem keine Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten festgestellt worden sei. Vielmehr habe die Betriebsprüfung einen anderen Rechtsstandpunkt vertreten als er (behauptete Formalmängel bei Eingangsrechnungen). Es sei damit zu rechnen, dass die aus der Nichtanerkennung von Vorsteuerbeträgen stammenden Abgabenschulden in Folge von Rechnungsberichtigungen fast vollständig "erlöschen" würden.
Mit Vorhalt vom richtete die belangte Behörde an den Beschwerdeführer die Frage, ob im Zuge der Liquidation der B.-GesmbH mit einer (teilweisen) Befriedigung der Abgabenschuldigkeiten der GesmbH zu rechnen sei. Hinsichtlich der Nachforderungen auf Grund nicht anerkannter Vorsteuerbeträge wegen formeller Rechnungsfehler sei ein schuldhaftes Verhalten hinsichtlich der Nachforderungen anzunehmen, wenn diese Abgabenschuldigkeiten nicht innerhalb der im jeweiligen Nachforderungsbescheid ausgewiesenen Zahlungsfrist entrichtet worden seien, es sei denn, der Geschäftsführer weise das Fehlen entsprechender Mittel nach oder er belege, dass er die Abgabenforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt habe. Im Hinblick darauf ersuche die belangte Behörde den Beschwerdeführer, sein Berufungsvorbringen zu ergänzen.
Mit Schriftsatz vom beantwortete der Beschwerdeführer die Frage der belangten Behörde damit, dass im Zuge der Liquidation der B.-GesmbH mit einer teilweise Befriedigung der derzeit bestehenden Abgabenschuldigkeiten zu rechnen sei, und zwar in der Form, dass durch eine Verminderung der Abgabenschulden auf Grund des Erhaltes berichtigter Rechnungen der Vorsteuerabzug dann zuzulassen sei. Die Zahlungsfristen für die in Rede stehenden Abgaben der B.-GesmbH würden auf drei Nachforderungsbescheiden basieren und am , am und am enden bzw. aus der Fälligkeit zweier Umsatzsteuervoranmeldungen für September und Oktober 1998 mit 16. November und enden. Zum Fehlen entsprechender Mittel zur Berichtigung zu diesen Fälligkeiten von der B.-GesmbH zu entrichtenden Abgaben brachte der Beschwerdeführer vor, wie aus den beigelegten Jahresabschlussdetails der Jahre 1997, 1998 und 1999 hervorgehe, hätten ab dem Jahr 1998 auf Grund der fehlenden Mittel keine Abstattungen von Lieferantenverbindlichkeiten mehr vorgenommen werden können, während sich andererseits Verbindlichkeiten, insbesondere gegenüber Banken weiter aufgebaut hätten. Geld sei lediglich im Zusammenhang mit drei Projekten geflossen, und zwar hinsichtlich dreier namentlich angeführter Unternehmen. Es habe sich bei den abgeflossenen Geldern um Gelder der Kunden gehandelt, welche ausschließlich zur Weiterleitung an den Lieferanten zur Verfügung hätten gestellt werden müssen und deren andere Verwendung den Tatbestand der Veruntreuung verwirklicht hätte.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Mit seiner Antwort auf den Vorhalt der belangten Behörde vom habe der Beschwerdeführer "nicht das Vorhandensein von Mitteln" zur teilweisen Befriedigung der Abgabenschuldigkeiten dargetan. Eine allfällige Herabsetzung der Abgabenschuld der Primärschuldnerin im Hinblick auf allfällige Rechnungsberichtigungen könne nur im Abgabenfestsetzungsverfahren und nicht im Haftungsverfahren erfolgen. Im Hinblick auf die Vorhaltsbeantwortung sei daher von der Uneinbringlichkeit der in Rede stehenden Abgaben bei der sich nach Abweisung des Konkursantrages mangels Kostendeckung nunmehr in Liquidation befindlichen Primärschuldnerin auszugehen.
Es sei Sache des Geschäftsführers, die Gründe darzulegen, die ihn ohne sein Verschulden daran gehindert hätten, die ihm obliegenden abgabenrechtlichen Pflichten zu erfüllen, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen dürfe. Der Geschäftsführer hafte für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft auch dann, wenn die Mittel, die ihm für die Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft zur Verfügung gestanden seien, hiezu nicht ausreichten, es sei denn, er weise nach, dass er diese Mittel anteilig für die Begleichung aller Verbindlichkeiten verwendet, die Abgabenschulden daher im Verhältnis nicht schlechter behandelt habe als andere Verbindlichkeiten.
Ein Verschulden am Fehlen der Entrichtung der Abgaben zum gesetzlichen Fälligkeitstag sei zwar nicht anzunehmen, allerdings hätte der Geschäftsführer die Abgaben (nunmehrigen Haftungsschulden) innerhalb der mit den Nachforderungsbescheiden gesetzten Zahlungsfristen zu entrichten gehabt, es sei denn, er hätte das Fehlen entsprechender Mittel nachgewiesen oder belegt, dass er die Abgabenforderungen bei der Verfügung über die vorhandenen Mittel nicht benachteiligt hätte. Zur Beantwortung eines diesbezüglichen Vorhaltes der belangten Behörde vom habe der Beschwerdeführer als Nachweis für das Fehlen der entsprechenden Mittel die Jahresabschlüsse der Primärschuldnerin für die Jahre 1997 bis 1999 übermittelt. Die Vorlage von Bilanzen genüge nicht als Nachweis dafür, dass der Gesellschaft mangels vorhandener Mittel die Abgabenentrichtung unmöglich gewesen sei, und könne auch nicht die von der Behörde geforderte Liquiditätsrechnung ersetzen. Aus "den vorgelegten Bilanzen, genauer: Gewinn und Verlustrechnungen", sei ersichtlich, dass u.a. Gehälter, die Kfz-Versicherung sowie Rechts- und Beratungskosten als Betriebsaufwand verbucht worden seien. Die in Rede stehenden Verbindlichkeiten gegenüber der Abgabenbehörde seien jedoch nicht (anteilsmäßig) entrichtet worden. Daher habe der Beschwerdeführer als Geschäftsführer die Gläubiger nicht gleichmäßig befriedigt und die nunmehr haftungsgegenständlichen Abgaben infolge schuldhafter Pflichtverletzung nicht entrichtet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer war im in Rede stehenden Zeitraum unbestritten Geschäftsführer der B.-GesmbH.
Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen haben nach § 80 BAO alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflicht nicht eingebracht werden können.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO annehmen darf (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , 2001/15/0138, und vom , 2001/13/0190).
Die in § 80 BAO dem Vertreter auferlegten Pflichten umfassen auch die rechtzeitige Entrichtung der für die Gesellschaft anfallenden Abgaben. Es hat nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogene Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel. Unterbleibt ein Nachweis, kann die Behörde von einer schuldhaften Pflichtverletzung ausgehen (vgl. in ständiger Rechtsprechung etwa das erwähnte hg. Erkenntnis vom ).
Die qualifizierte Mitwirkungspflicht des Geschäftsführers bedeutet jedoch nicht, dass die Behörde von jeder Ermittlungspflicht entbunden wäre; entspricht der Geschäftsführer nämlich seiner Obliegenheit, das Nötige an Behauptung und Beweisanbot zu seiner Entlastung darzutun, dann liegt es an der Behörde, erforderlichenfalls Präzisierungen und Beweise vom Geschäftsführer abzufordern, jedenfalls aber konkrete Feststellungen über die von ihm angebotenen Entlastungsbehauptungen zu treffen (siehe etwa das zur insoweit vergleichbaren Rechtslage nach der Wiener Abgabenordnung ergangene hg. Erkenntnis vom , 2001/13/0220, mwN, sowie das hg. Erkenntnis vom , 2001/14/0024).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer auf den Vorhalt der belangten Behörde vom vorgetragen, dass keine Abstattungen von Lieferantenverbindlichkeiten mehr vorgenommen worden seien und dass abgeflossene Gelder lediglich Kundengelder zur Weiterleitung an Lieferanten seien, deren (teilweise) Verwendung zur Abgabenentrichtung den Tatbestand der Veruntreuung verwirklicht hätte. Zu Recht rügt der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde lediglich Feststellungen eines verbuchten Aufwandes getroffen hat. Zahlungen hätten sich für die bilanzierungspflichtige Primärschuldnerin nämlich daraus keine ergeben, seien nicht erfolgt und würden auch die "vorgelegten Konten" nicht zeigen.
Bei dieser Sachlage wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, Präzisierungen und allenfalls Beweise zum Entlastungsvorbringen des Beschwerdeführers abzufordern (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2005/13/0011) und dem Beschwerdeführer vorzuhalten, dass die vorgelegten Unterlagen eine Liquiditätsrechnung nicht ersetzen könnten.
Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift ausführt, es widerspreche der Lebenserfahrung, dass die gebuchten Aufwendungen, wie Kfz-Haftpflichtversicherung, nicht bar entrichtet worden seien, ist sie daran zu erinnern, dass die nach § 288 Abs. 1 lit. d BAO gebotene Begründung einer Berufungsentscheidung in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2003/13/0163).
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am