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VwGH vom 21.01.1998, 96/09/0040

VwGH vom 21.01.1998, 96/09/0040

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des Ramazan Varli in Lustenau, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Vorarlberg vom , Zl. III-6704, betreffend Versagung eines Befreiungsscheines, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte mit Schriftsatz vom "nach § 15

(4) AuslBG" die Ausstellung eines Befreiungsscheines. Er sei zwischen dem und dem in Österreich erwerbstätig gewesen. Er sei Inhaber eines unbefristeten Sichtvermerkes und sei zuletzt im Besitz eines Befreiungsscheines des Arbeitsamtes Dornbirn vom , laufend bis , gewesen. Im Jahr 1990 habe er wegen einer schweren Erkrankung seiner Gattin in die Türkei zurückkehren müssen. Er sei im Jahr 1994 nach Österreich zurückgekommen. Er wolle hier wieder arbeiten, nachdem seine Gattin zwischenzeitlich anderweitig betreut werde. Eine Arbeitsstelle habe er in Aussicht.

Mit Bescheid vom wies die Behörde erster Instanz den Antrag vom , "bezüglich der Einleitung eines Nachsichtsansuchens gemäß § 15 (4) AuslBG" zurück. Ein "Nachsichtsansuchen" komme lediglich bei Fällen von § 15 Abs. 1 Z. 4 und 5 AuslBG zur Anwendung. Über das Ansuchen des Beschwerdeführers könne nur im Zuge einer Antragstellung auf einen Befreiungsschein bescheidmäßig entschieden werden.

In der dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß die Behörde erster Instanz tatsächlich davon ausgegangen sei, daß die materiellen Voraussetzungen für die Bewilligung des Antrages nicht vorlägen, weshalb die Zurückweisung des Antrages aus formalen Gründen verfehlt sei. Er stellte den Antrag, die Berufungsinstanz möge in der Sache selbst entscheiden und den Erstbescheid dahingehend abändern, daß der beantragte Befreiungsschein ausgestellt werde.

Mit Schreiben vom hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, daß eine Nachsicht wegen einer zweieinhalb Jahre übersteigenden Abwesenheit vom Bundesgebiet wegen wichtiger familiärer Gründe gemäß § 15 Abs. 4 AuslBG nicht für Befreiungsscheine gemäß § 15 Abs. 1 Z. 1 AuslBG vorgesehen sei. Der dem Beschwerdeführer ausgestellte Befreiungsschein mit der Laufzeit vom bis sei gemäß § 15 Abs. 1 Z. 1 AuslBG ausgestellt gewesen. Eine Nachsicht gemäß § 15 Abs. 4 AuslBG komme nur bei der "Anwendung des § 15 Abs. 1 Z. 4 und 5 AuslBG" in Betracht, wenn also gemäß Z. 4 der Ausländer das 19. Lebensjahr vollendet habe, sich zum Zeitpunkt der Erreichung der Volljährigkeit mehr als die halbe Lebenszeit rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe, oder er seine Schulpflicht zumindest zur Hälfte im Bundesgebiet erfüllt und auch beendet habe und sich wenigstens ein Elternteil mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe. Sollten diese Voraussetzungen beim Beschwerdeführer bei Vollendung des 19. Lebensjahres vorgelegen sein, werde der Beschwerdeführer um Beibringung der entsprechenden Nachweise ersucht.

Der Beschwerdeführer wies im Schriftsatz vom auf seinen bereits im Verfahren mehrfach "klar deponierten" Rechtsstandpunkt hin, machte sachverhaltsmäßig jedoch keine neuen Angaben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers wegen der "Versagung der Verlängerung bzw. Ausstellung eines Befreiungsscheines" mit der Maßgabe keine Folge, daß der Spruch insofern geändert werde, als die Gesetzesstelle, auf welche die Ablehnung gestützt werde, gemäß §§ 7 Abs. 7, 15 und 15a des AuslBG zu lauten habe und der Antrag vom abgelehnt werde. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung folgendermaßen:

"Die Zurückweisung des Antrages gem. § 13 Abs. 3 AVG war insofern verfehlt, als in der Bescheidbegründung und im vorausgegangenen Ermittlungsverfahren die inhaltlichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Befreiungsscheines verneint wurden, sodaß der gegenständliche Antrag nicht zurückzuweisen, sondern abzulehnen war.

Gemäß § 15 Abs. 4 AuslBG kann die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice nach Anhörung des Regionalbeirates bei der Anwendung des Abs. 1 Ziffer 4 und 5 eine zweieinhalb Jahre übersteigende Abwesenheit vom Bundesgebiet nachsehen, wenn sie durch Studienaufenthalt oder sonstige wichtige soziale, familiäre oder gesundheitliche Gründe bedingt ist.

Im gegenständlichen Fall wurde für den Berufungswerber ursprünglich ein Befreiungsschein mit der Laufzeit vom bis gemäß § 15 Abs. 1 Ziffer 1 AuslBG ausgestellt. Da eine "Nachsicht" gem. § 15 Abs. 4 AuslBG jedoch nur bei Anwendung des § 15 Abs. 1 Ziffer 4 und 5 AuslBG in Betracht kommt, wenn also gem. Ziffer 4 der Ausländer das 19. Lebensjahr vollendet hat, sich zum Zeitpunkt der Erreichung der Volljährigkeit mehr als die halbe Lebenszeit im Bundesgebiet aufgehalten hat, oder er seine Schulpflicht zumindest zur Hälfte im Bundesgebiet erfüllt und auch beendet hat und sich wenigstens ein Elternteil mindestens 5 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hat.

Dies wurde dem Berufungswerber im Rahmen des Ermittlungsverfahrens mit Schreiben vom zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit gegeben, gegebenenfalls entsprechende Nachweise für das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 15 Abs. 1 Ziffer 4 oder 5 AuslBG beizubringen.

In seiner dazu ergangenen Stellungnahme vom hat der Berufungswerber nichts vorgebracht, was die Anwendung von

§ 15 Abs. 4 AuslBG rechtfertigen würde.

Da eine Verlängerung eines Befreiungsscheines im Sinne von

§ 7 Abs. 7 AuslBG nur dann in Frage kommt, wenn ein solcher Verlängerungsantrag vor Ablauf des Befreiungsscheines eingebracht wurde, der Berufungswerber jedoch einen Antrag auf Verlängerung des Befreiungsscheines vor dem (Ablauf der Geltungsdauer des für seine Person ausgestellten Befreiungsscheines) nicht eingebracht hat, kann ihr Antrag vom nicht als Verlängerungsantrag gelten.

Da somit weder die Voraussetzungen für eine Nachsicht im Sinne von § 15 Abs. 4, noch für die Verlängerung des Befreiungsscheines gem. § 15 Abs. 1 Ziffer 1 AuslBG gegeben sind, war Ihrer Berufung der Erfolg zu versagen."

Die Erlassung dieses Bescheides erfolgte durch Zustellung an den Parteienvertreter am .

Mit Schriftsatz vom , eingelangt beim Arbeitsmarktservice Vorarlberg am , ergänzte der Beschwerdeführer "seinen bisherigen Verfahrensstandpunkt" durch Hinweis auf Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei, welcher in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unmittelbare Wirkung habe. Der Beschwerdeführer sei insgesamt 18 Jahre in Österreich erwerbstätig gewesen. Der Beschwerdeführer leitet daraus ab, daß die "do. Behörde unmittelbar den Befreiungsschein auszustellen oder zu bestätigen" habe, "daß der Antragsteller aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Österreich ohnehin aufgrund unmittelbar anwendbaren EU-Rechts arbeitsberechtigt" sei.

Gegen den Bescheid vom erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Er erachtete sich in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Privat- und Familienleben, Erwerbsfreiheit und Niederlassungsfreiheit nach EU-Recht, Eigentumsrecht und Vertrauensschutz verletzt. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit dem Beschluß vom , B 1675/95-4, die Behandlung der Beschwerde ab. Aufgrund des vom Beschwerdeführer daraufhin gestellten Abtretungsantrages trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

In der Beschwerdeergänzung vom wies der Beschwerdeführer ausdrücklich auf die beim Verfassungsgerichtshof vorgetragenen Beschwerdepunkte und Beschwerdegründe hin. Er ergänzte, daß der Beschwerdeführer auch in den einfachgesetzlichen Rechten auf Erteilung (Verlängerung) des Befreiungsscheines, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren und umfassende Tatsachenfeststellung verletzt sei.

Der Beschwerdeführer begründete, daß er "nach nochmaliger Prüfung der Rechtslage" außer Streit stelle, daß der Beschwerdeführer keinen ausdrücklichen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Verlängerung seiner Beschäftigungsbewilligung nach innerstaatlichem Recht geltend machen könne. Er meine aber, "aufgrund einer Analogie zu den Tatbeständen der §§ 15 und 15a Ausländerbeschäftigungsgesetz allein oder allenfalls in Verbindung mit Artikel 8 EMRK und Artikel 6 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 nach dem Assoziationsabkommen EWG-Türkei einen solchen Rechtsanspruch zu haben".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Einleitend ist darauf hinzuweisen, daß - in Übereinstimmung mit der Rechtsansicht der belangten Behörde und des Beschwerdeführers - die belangte Behörde zu Recht davon ausging, daß die Behörde erster Instanz über den Antrag des Beschwerdeführers vom in Wahrheit eine Sachentscheidung getroffen hat, und sie sich im Spruch ihres Bescheides (zurückgewiesen statt abgewiesen) lediglich im Ausdruck vergriffen hat.

Im vorliegenden Fall begehrte der Beschwerdeführer - anders als der dem Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0088, zugrundeliegende Antrag, mit dem über die Ausstellung eines Befreiungsscheines hinausgehend auch die Feststellung begehrt wurde, daß die Beschwerdeführerin des dortigen Verfahrens berechtigt sei, auch ohne zusätzliche Bewilligung nach dem AuslBG jede von ihr gewählte Beschäftigung in Österreich aufzunehmen - ausschließlich die Ausstellung eines Befreiungsscheines. Die Behörde erster Instanz hat über diesen Antrag entschieden, wogegen sich die Berufung des Beschwerdeführers richtete. "Sache" des Berufungsverfahrens ist nur der Gegenstand des Verfahrens in der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde. Die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsbehörde berechtigt diese daher nur dazu, den erstinstanzlichen Bescheid im Rahmen der mit der Berufung bekämpften Punkte einer Abänderung zu unterziehen (ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 1199/80, mwN.).

Dem Beschwerdeführer ist zwar grundsätzlich dahingehend zuzustimmen, daß die Eingabe vom , die der belangten Behörde noch vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides (Zustellung ) zukam (), zu berücksichtigen gewesen wäre. Doch die belangte Behörde wäre selbst bei Berücksichtigung der in dieser Eingabe enthaltenen Angaben aus folgenden Gründen nicht zu einem anderen Bescheid gelangt:

Sollte der Beschwerdeführer mit dem in dieser Eingabe erstmalig gestellten Antrag, die Behörde werde "zu bestätigen haben, daß der Antragsteller ..." aufgrund unmittelbar anwendbaren EU-Rechts arbeitsberechtigt) sei, die Erlassung eines - grundsätzlich zulässigen (vgl. das bereits genannte Erkenntnis vom ) - Feststellungsbescheides begehren, steht dem die "Sache" des Berufungsverfahrens entgegen, welche ausschließlich die beantragte Ausstellung eines Befreiungsscheines betrifft. Die Berufungsbehörde wäre daher in Beachtung ihrer funktionellen Zuständigkeit zur Entscheidung über diesen erstmalig im Berufungsverfahren gestellten Antrag nicht berechtigt gewesen.

Zu dem vom Beschwerdeführer angesprochenen Assoziationsrecht mit der Türkei hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 96/09/0088 (auf das im übrigen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird), unter anderem dargelegt, daß ein türkischer Familienangehöriger bei Erfüllung der im Beschluß Nr. 1/80 des Assoziationsrates genannten entsprechenden Voraussetzungen des Art. 7 freien (keiner konstitutiven Bewilligung wie etwa die vom Beschwerdeführer beantragte Ausstellung bzw. Verlängerung eines Befreiungsscheines bedürftigen) Zugang zu jeder gewählten Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis des jeweiligen Mitgliedsstaates (hier: Österreich) genießt. Nichts anderes hat aber für einen türkischen Arbeitnehmer selbst zu gelten, der die entsprechenden Voraussetzungen des Art. 6 (vier Jahre ordnungsgemäße Beschäftigung (Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates) im Lohn- oder Gehaltsverhältnis) des Beschlusses Nr. 1/80 zu erfüllen vermag.

Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde ausdrücklich vor, daß ihm (bereits) ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt in Österreich nach dem in Rede stehenden Assoziationsrecht zustehe.

Bei Zutreffen dieser Behauptung verletzt aber die Abweisung eines Antrages auf Ausstellung bzw. Verlängerung eines Befreiungsscheines den Beschwerdeführer nicht in den von ihm genannten subjektiv-öffentlichen Rechten. Daher bestand für die belangte Behörde auch keine Veranlassung, aufgrund einer Analogie zu den Tatbeständen der §§ 15 und 15a AuslBG einen konstitutiv wirkenden Befreiungsschein zu erteilen.

Aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 15 Abs. 4 AuslBG, der eine Nachsicht bei einer zweieinhalb Jahre übersteigenden Abwesenheit vom Bundesgebiet nur bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 Z. 4 und 5 AuslBG vorsieht, bestand im Fall des Beschwerdeführers kein Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Befreiungsscheines, da der Beschwerdeführer die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Z. 4 und 5 AuslBG (vgl. dazu die Verständigung der belangten Behörde vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens vom ) nicht behauptet hat. Auch die sachverhaltsmäßigen Voraussetzungen des § 15a AuslBG (Verlängerung eines Befreiungsscheines) wurden vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Daß sich unmittelbar aus dem Gesetz ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Erteilung oder Verlängerung des bis gültigen Befreiungsscheines ergebe, wird in der Beschwerde auch nicht mehr behauptet.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 41 AMSG und der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Fundstelle(n):
RAAAE-50549