VwGH vom 10.03.1994, 93/15/0092
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Eigelsberger, über die Beschwerde des F in A, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom , Zl. B 31-3/93, betreffend Zurücknahme einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer erhob gegen Abgabenbescheide des Finanzamtes vom mittels eines von der Kanzlei seines bevollmächtigten Vertreters, eines Wirtschaftstreuhänders und Steuerberaters, verfaßten Schriftsatzes vom Berufung. Der Schriftsatz war - unter Beisetzung der Stampiglie des Vertreters - mit "i.A. M. ..." unterfertigt. Mit Bescheid vom trug das Finanzamt dem Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vertreters auf, den Berufungsschriftsatz durch Beisetzung der Unterschrift des Wirtschaftstreuhänders bis zum zu verbessern, wobei darauf verwiesen wurde, daß M., der den Berufungsschriftsatz unterfertigt habe, nicht Berufsanwärter sei; nach § 38 letzter Satz WTBO sei daher die Unterschrift des Wirtschaftstreuhänders erforderlich. Der Mängelbehebungsauftrag wurde am Montag, dem vom Vertreter des Beschwerdeführers persönlich übernommen. Dieser kam dem Mängelbehebungsauftrag zunächst nicht nach.
Mit Bescheid vom erklärte das Finanzamt die Berufung als zurückgenommen, weil dem Auftrag zur Mängelbehebung nicht entsprochen worden sei.
Am sprach der Vertreter des Beschwerdeführers beim Finanzamt vor und unterfertigte den Berufungsschriftsatz.
Mit Schriftsatz vom selben Tag wurde Berufung gegen den Bescheid vom erhoben. Nach deren Begründung habe der Vertreter des Beschwerdeführers den Sachverhalt erst am prüfen können, weil die Unterlagen bis zu diesem Zeitpunkt beim Sachbearbeiter gewesen seien.
In einer abweisenden Berufungsvorentscheidung vertrat das Finanzamt die Auffassung, die gesetzte Frist sei angemessen gewesen, weil lediglich eine Unterschrift zu leisten gewesen sei. An der Angemessenheit der Frist ändere auch der behauptete Urlaub des Sachbearbeiters nichts, da dieser den Mangel nicht hätte beheben können.
In seinem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz machte der Beschwerdeführer unter anderem geltend, der mangelhafte Schriftsatz sei nicht mit dem Mängelbehebungsauftrag zurückgestellt worden. Im übrigen habe sein Vertreter nach dem Grundsatz von Treu und Glauben davon ausgehen können, daß das Finanzamt die Berufung "zur Kenntnis nehmen" werde, weil diesem seit 1991 eine Vollmacht vorliege, wonach Herr M. das "Zeichnungsrecht für sämtliche Schriftsätze der Kanzlei des Vertreters" habe; das Finanzamt habe bisher die von Herrn M. unterfertigten Schriftstücke ohne Beanstandung zur Kenntnis genommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Begründend führte sie nach Darlegung des Verfahrensganges und der Rechtslage aus, der Vertreter des Beschwerdeführers habe nicht glaubhaft aufzeigen können, inwiefern es ihm tatsächlich unzumutbar und unmöglich gewesen sein sollte, der Aufforderung des Finanzamtes zur Unterschriftsnachholung fristgerecht und ordnungsgemäß nachzukommen. Die rechtzeitige Postaufgabe der Mängelbehebung hätte genügt; auch die Einreichung eines Fristverlängerungsansuchens wäre möglich gewesen. Es bestehe kein Rechtsanspruch darauf, daß einem Mängelbehebungsauftrag eine Kopie der mangelhaften Eingabe beigelegt werde. Im übrigen sei kein relevanter Unterschied bezüglich des Zeit- und Arbeitsaufwandes daraus abzuleiten, daß dem Mängelbehebungsauftrag keine Kopie der mangelhaften Eingabe beigelegt worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall besteht kein Streit darüber, daß der Berufungsschriftsatz mit dem Formmangel des Fehlens einer Unterschrift im Sinne des § 85 Abs. 2 BAO behaftet war.
Nach der zitierten Vorschrift berechtigen Formgebrechen von Eingaben wie auch das Fehlen einer Unterschrift an sich die Abgabenbehörde nicht zur Zurückweisung. Sie hat dem Einschreiter die Behebung dieser Mängel mit dem Hinweis aufzutragen, daß die Eingabe nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden angemessenen Frist als zurückgenommen gilt; werden die Mängel rechtzeitig behoben, gilt die Eingabe als ursprünglich richtig eingebracht.
Im Beschwerdeverfahren ist insbesondere strittig, ob die gesetzte Frist angemessen war.
Eine Frist ist dann angemessen im Sinne der Mängelbehebungsvorschriften, wenn die Fristbemessung den besonderen Verhältnissen sachgerecht Rechnung trägt und der Berufungswerber in die Lage versetzt wird, dem Auftrag innerhalb der gesetzten Frist ordnungsgemäß nachzukommen (vgl. zur insoweit entsprechenden Vorschrift des § 275 BAO die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 91/15/0135, und vom , Zl. 92/13/0215).
Im Beschwerdefall ist maßgeblich, daß der Mängelbehebungsauftrag dem Vertreter des Beschwerdeführers im Laufe des (Montag), zugestellt wurde und die zur Mängelbehebung gesetzte Frist am Tag darauf (Dienstag), ablief. Es besteht ferner kein Streit darüber, daß das Finanzamt dem Vertreter des Beschwerdeführers den mit Mängeln behafteten Schriftsatz nicht zurückstellte; es ist daher davon auszugehen, daß der Vertreter, um dem hier erteilten Mängelbehebungsauftrag durch Unterfertigung des Berufungsschriftsatzes nachkommen zu können, das Finanzamt hätte aufsuchen müssen. Davon ausgehend ist die Auffassung der belangten Behörde, daß die rechtzeitige Postaufgabe der Mängelbehebung genügt hätte, nicht nachvollziehbar. Weiters ist festzuhalten, daß die Kanzlei des Vertreters nicht am Ort des Sitzes des Finanzamtes liegt. Unter diesen Umständen des Beschwerdefalles kann die gesetzte Frist, die sich im Ergebnis nur aus den restlichen Amtsstunden des 28. Dezember und jenen des zusammensetzte, auch im Hinblick darauf nicht als angemessen betrachtet werden, daß mit der Mängelbehebung an sich - der bloßen Unterfertigung des Schriftsatzes - nur ein geringer Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden war. Der oben dargelegte Maßstab für die Angemessenheit einer Frist bedeutet nicht, daß bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des im Grunde des § 85 Abs. 2 BAO erlassenen Bescheides unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit der gesetzten Frist eine ex-Post-Betrachtung darüber anzustellen wäre, ob der Abgabepflichtige oder dessen Vertreter bei äußerster Eile und unter Hintanstellung anderer Angelegenheiten dem Mängelbehebungsauftrag hätte nachkommen können. Dem Beschwerdeführer kann daher nicht - wie die belangte Behörde dies tut - entgegengehalten werden, sein Vertreter habe nicht aufgezeigt, inwiefern es ihm tatsächlich unzumutbar und unmöglich gewesen sein solle, der Aufforderung des Finanzamtes zur Unterschriftsnachholung nachzukommen. Vielmehr ist die Angemessenheit der gesetzten Frist ausgehend von jenen Gesichtspunkten zu prüfen, die der Behörde bei der Erlassung des Bescheides, der die Frist setzt, vorlagen.
Dabei konnte das Finanzamt zwar auf den Umstand Bedacht nehmen, daß die Mängelbehebung an sich nur in der Leistung einer Unterschrift bestand; andererseits hatte es aber - gerade im Hinblick auf den Umstand, daß der Vertreter zur Mängelbehebung das Finanzamt aufsuchen mußte - auf die in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters auch bei ordnungsgemäßer Organisation übliche Dauer organisatorischer Abläufe sowie die üblicherweise vorliegende Belastung berufsmäßiger Parteienvertreter mit Terminen Rücksicht zu nehmen. Unter diesen Umständen ist eine am Tage nach der Zustellung des Mängelbehebungsauftrages ablaufende Frist nicht angemessen im Sinne des § 85 Abs. 2 BAO.
Die Unangemessenheit der gesetzten Frist führt zur Rechtswidrigkeit des Bescheides, mit dem die Berufung als zurückgenommen erklärt wird. Die belangte Behörde konnte den Beschwerdeführer im vorliegenden Zusammenhang auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, daß er keinen Fristverlängerungsantrag gestellt habe. Einem solchen Antrag wäre weder fristhemmende Wirkung zugekommen noch hätte sich der Abgabepflichtige darauf verlassen dürfen, daß die Frist verlängert werde (vgl.
- wiederum zur insoweit entsprechenden Vorschrift des § 275 BAO - das Erkenntnis vom , Zl. 92/14/0213).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren betreffend Barauslagen war abzuweisen, soweit es den Anspruch auf Ersatz jener Stempelgebühren übersteigt, die der Beschwerdeführer nach den Gebührenvorschriften zu entrichten hatte.