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VwGH vom 19.12.1990, 90/13/0006

VwGH vom 19.12.1990, 90/13/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des S gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. 6/4-4017/87-06, betreffend Einkommensteuer 1983, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer machte für das Streitjahr eine außergewöhnliche Belastung in der Höhe von (zuletzt) S 112.582,-- geltend. Als Begründung führte er die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft an, die er für seine Gattin übernommen habe.

Das Finanzamt anerkannte im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1983 diesen Betrag nicht als außergewöhnliche Belastung, weil dem Beschwerdeführer diese Aufwendungen nicht zwangsläufig erwachsen seien.

In der dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, seine Gattin habe in G den Einzelhandel mit Textilien und Trachtenmoden betrieben. Für die erforderlichen Investitionen und die Finanzierung des Warenlagers sei bei einem Kreditinstitut ein Kontokorrentkredit von insgesamt S 520.000,-- beansprucht worden. Auf Grund der vom Beschwerdeführer diesbezüglich übernommenen Bürgschaftsverpflichtung sei er im Jahre 1983 in Anspruch genommen worden, nachdem infolge des schlechten Geschäftsganges seine Gattin insolvent geworden sei. Für den Beschwerdeführer bestünde keine Möglichkeit, die Zahlungen abzuwenden.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab und führte aus, bei Aufwendungen auf Grund der Inanspruchnahme aus Bürgschaften sei die Zwangsläufigkeit nur dann zu bejahen, wenn bereits bei Übernahme der Bürgschaft Zwangsläufigkeit gegeben gewesen sei. Auf die Tatsache, daß sich der Bürge der Zahlung aus rechtlichen Gründen nicht entziehen könne, komme es nicht an. Es bestehe für den Ehegatten keine Pflicht, betriebliche Kredite seiner Ehefrau, deren Unterhalt durch den Beruf ihres Gatten gesichert sei, durch Bürgschaftserklärungen zu stützen.

Der Beschwerdeführer beantragte die Vorlage seiner Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz und führte in dem diesbezüglichen Schriftsatz aus, infolge des schlechten Geschäftsganges sei "die Firma" zahlungsunfähig und mit eingestellt worden. Um die hohen Kosten eines gerichtlichen Insolvenzverfahrens zu vermeiden, sei ein außergerichtlicher Ausgleich abgeschlossen worden. Um die die Existenz seiner Ehegattin bedrohende Notlage abwenden zu können, habe der Beschwerdeführer die Bürgschaft für einen Bankkredit übernommen. Seine Gattin habe zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme keine anderen Einkünfte als die aus dem insolvent gewordenen Gewerbebetrieb gehabt. Die Schulden seiner Ehegattin seien durch den schlechten Geschäftsgang entstanden und nicht leichtfertig ohne besondere Notwendigkeit begründet worden. Zum Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme habe noch die Hoffnung auf die Gesundung der wirtschaftlichen Verhältnisse bestanden.

Im Schreiben an die belangte Behörde vom behauptete der Beschwerdeführer, die Darlehen seien aufgenommen worden, um laufende Geschäftsschulden abdecken zu können, da ansonsten von den Lieferanten Konkursanträge gestellt worden wären. Dem Schreiben waren Ablichtungen von Kredit- und Bürgschaftsverträgen sowie Wechselverpflichtungserklärungen angeschlossen, aus denen hervorgeht, daß der Beschwerdeführer sich gegenüber dem Kreditinstitut als (Wechsel-)Bürge verpflichtet hat, und zwar am für S 250.000,--, am für S 100.000,--, am für S 100.000,--, am für S 50.000,-- und am für S 70.000,--.

Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom unter Bezugnahme auf die Zeitpunkte der Bürgschaftserklärungen und die Tatsache, daß im Jahre 1978 eine weitere Betriebsstätte in G errichtet wurde, vor, daß die Kredite, für welche der Beschwerdeführer gebürgt habe, nicht der Abwendung eines drohenden Konkurses, sondern der wirtschaftlichen Expansion des Betriebes seiner Ehegattin gedient hätten, weshalb nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine sittliche Verpflichtung zur Übernahme der Bürgschaft bestanden habe.

In der Vorhaltsbeantwortung vom legte der Beschwerdeführer (in den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten nicht vorhandene) Unterlagen betreffend Fahrnisexekutionsverfahren gegen seine Gattin aus den Jahren 1981 bis 1983 vor, aus denen sich ihre "triste finanzielle Situation" ergebe. Im Jahre 1978 sei nicht eine weitere Betriebsstätte errichtet, sondern "als letzter Ausweg" der Betrieb von Y nach G verlegt worden.

In der Berufungsverhandlung vom führte der Vertreter des Beschwerdeführers aus, es habe "eine heillose Überschuldung" bestanden, zumal "keine Eigenkapitalausstattung" vorhanden gewesen sei. Darin habe der Beschwerdeführer eine existenzbedrohende Notlage erblickt. Dies gelte aber nicht für den Zeitpunkt der Betriebseröffnung. Es sei richtig, daß beide Betriebe eine Zeitlang nebeneinander gelaufen seien, doch sei dies keine Betriebserweiterung gewesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie ging davon aus, daß die Ehegattin des Beschwerdeführers von 1975 bis in Y ein Textilwarengeschäft geführt habe und am in G eine zweite Betriebsstätte (Filiale) eröffnet habe, die nach der Schließung des Geschäftslokales in Y die einzige Betriebsstätte gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht gelangte die belangte Behörde zu der Auffassung, die Zwangsläufigkeit der dem Beschwerdeführer aus der Bürgschaftsverpflichtung entstandenen Aufwendungen sei zu verneinen. Der Beschwerdeführer sei bei Übernahme der Bürgschaftsverpflichtungen bestrebt gewesen, seiner Ehegattin die Eröffnung des Betriebes und dessen Fortbestehen zu ermöglichen, und habe nicht bezweckt, eine existenzbedrohende Notlage von seiner Ehegattin abzuwenden. Bei Aufgabe des Betriebes zur Zeit der Bürgschaftsübernahme wäre es nicht zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz seiner Ehegattin gekommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1972 werden auf Antrag außergewöhnliche Belastungen, die dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, insoweit vor Berechnung der Steuer vom Einkommen abgezogen, als sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen. Außergewöhnlich ist eine Belastung, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (§ 34 Abs. 2 leg. cit). Zwangsläufigkeit liegt vor, wenn sich der Steuerpflichtige der Belastung aus tatsächlichen, rechtlichen, oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 34 Abs. 3 leg. cit.).

Handelt es sich um Zahlungen aus Anlaß eingegangener Bürgschaftsverpflichtungen, so muß nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Zwangsläufigkeit schon für das Eingehen der Bürgschaftsverpflichtungen gegeben gewesen sein (siehe das Erkenntnis vom , Zl. 86/14/0004, und die dort zitierte Judikatur).

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist die Frage strittig, ob der Beschwerdeführer aus sittlichen Gründen zur Übernahme der Bürgschaften für die Bankkredite seiner Ehegattin verpflichtet war und demnach die daraus resultierenden Zahlungsverpflichtungen als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 EStG 1972 zu berücksichtigen sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu der Frage, ob Leistungen auf Grund von Bürgschaftsverpflichtungen eine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 34 EStG 1972 darstellen, bereits wiederholt ausgesprochen, daß dies unter anderem nur dann der Fall ist, wenn der Steuerpflichtige glaubt, durch die Übernahme der Bürgschaft eine existenzbedrohende Notlage eines nahen Angehörigen mit Ausicht auf Erfolg abwenden zu können (siehe u. a. die Erkenntnisse vom , Zl. 88/13/0020, und vom , Zl. 88/13/0222). Eine existenzbedrohende Notlage liegt aber nicht schon dann vor, wenn die Aufnahme oder Fortführung einer selbständigen Betätigung ohne die Übernahme der Bürgschaft nicht mehr möglich scheint, sondern wenn die wirtschaftliche Existenz des nahen Angehörigen überhaupt gefährdet ist, dieser also seine berufliche Existenz nicht auch auf andere ihm zumutbare Weise hätte erhalten können (siehe die Erkenntnisse vom , Zl. 17/2705/79, und vom , Zl. 86/14/0085).

Der Beschwerdeführer räumt selbst ein, daß er bereits im Jahre der Geschäftseröffnung in Y Bürgschaftserklärungen über S 350.000,-- abgegeben habe, und zwar deshalb, weil seine Ehegattin bei Betriebseröffnung kein Eigenkapital zur Verfügung gehabt habe. Damit vermag er keine die Zwangsläufigkeit im oben beschriebenen Sinne begründenden Umstände darzutun. Derartige Gründe würden voraussetzen, daß sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen der Übernahme der Bürgschaft nicht entziehen kann. Dabei ist nicht das persönliche Pflichtgefühl des Steuerpflichtigen, sondern der objektive Pflichtbegriff nach den herrschenden moralischen Anschauungen entscheidend. Es reicht daher nicht aus, daß das Handeln des Steuerpflichtigen menschlich verständlich ist, es muß vielmehr die Sittenordnung dieses Handeln gebieten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/14/0021, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann von einer Zwangsläufigkeit der Bürgschaftsübernahme durch den Beschwerdeführer keine Rede sein. Es besteht keine sittliche Pflicht für einen Steuerpflichtigen, seiner Ehegattin, die über keinerlei Eigenkapital verfügt, die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch die Übernahme von Bürgschaften für Bankkredite zu ermöglichen. Dazu kommt, daß nach den Beschwerdeausführungen keinerlei Finanzierungsplan vorhanden war, sodaß sich die Bürgschaftsverpflichtung des Beschwerdeführers als freiwillige Mitwirkung am unternehmerischen Wagnis seiner Ehegattin darstellt und nicht als Maßnahme zu ihrer Rettung aus einer existenzbedrohenden Notlage. Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorbringt, daß schon zum Zeitpunkt der Bürgschaftserklärungen Zahlungsverpflichtungen bestanden hätten und die Gläubiger sonst Exekution geführt hätten, entfernt er sich von seinem Vorbringen in der Berufungsverhandlung, wonach im Zeitpunkt der Betriebseröffnung keine existenzbedrohende Notlage vorgelegen sei. Der Beschwerdeführer hat aber auch für die später abgegebenen Bürgschaftserklärungen keine derartige Notlage unter Beweis gestellt, sondern sich auch in der Beschwerde auf die allgemein und durch den Akteninhalt nicht gedeckte Behauptung beschränkt, "zu dem Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme wurden über die ausstehenden Verbindlichkeiten von den verschiedenen Gläubigern Fahrnisexekutionen geführt". Der Beschwerdeführer hat auch nicht behauptet, daß im Zeitpunkt der späteren Bürgschaftserklärungen ein Sanierungskonzept ausgearbeitet worden sei, sodaß es nicht rechtswidrig war, wenn die belangte Behörde davon ausgegangen ist, daß mit den Bürgschaftserklärungen nicht eine existenzbedrohende Notlage der Ehegattin des Beschwerdeführers abgewendet werden sollte, sondern dadurch die Aufnahme und Fortführung des Betriebes unterstützt wurde. Auf das Ausmaß der Schulden der Ehegattin des Beschwerdeführers im Zeitpunkt der Betriebseinstellung im Jahre 1983, sohin rund fünf Jahre nach der letzten Bürgschaftserklärung, kommt es - wie bereits erwähnt - bei der Beurteilung der Zwangsläufigkeit der Bürgschaftsverpflichtung nicht an.

Aus den dargelegten Gründen erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Auspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.