VwGH vom 22.02.1995, 93/15/0045

VwGH vom 22.02.1995, 93/15/0045

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):

93/15/0046

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Karger, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Rauscher, über die Beschwerden der X-Gesellschaft m.b.H. in K, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. 6/4-4013/91-10, betreffend 1) Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Körperschaftsteuer für das Jahr 1988 sowie Sachbescheid und 2) Kapitalertragsteuer für das Jahr 1988, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 25.840,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH die industrielle Rohstoffaufbereitung, insbesondere die Trennung von Metallen und Kunststoffen. Ihr vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr endet jeweils am letzten Tag des Monats Februar. Alleingesellschafter der Beschwerdeführerin ist die "S-GmbH", deren Alleingesellschafter wiederum die M Gesellschaft m.b.H. ist. Gesellschafter der zuletzt genannten Gesellschaft waren im Streitjahr mit jeweils 25 % Herbert und Brigitte sowie Dietrich und Ulrike M. Das Betriebsgebäude der Beschwerdeführerin wurde auf fremdem Grund und Boden als Superädifikat errichtet. Grundlage hiefür ist der am zwischen Ing. Herbert M und seinen schon genannten Söhnen Dietrich und Herbert M als Vermieter und der Beschwerdeführerin als Mieterin "zur Errichtung einer Metalltrennungsanlage samt dazugehörigem Bürogebäude und zur Errichtung und zum Betrieb einer Mülldeponie" betreffend zwei Grundstücke in der Katastralgemeinde N im Flächenausmaß von

37.404 m2 geschlossene Bestandvertrag. In diesem Vertrag heißt es auszugsweise wie folgt:

"... II.

(1) Das Mietverhältnis beginnt mit der Übergabe des Mietobjektes durch die Vermieter an die Mieterin;

Übergabetermin ist der .

(2) Der Mietvertrag wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen.

(3) Er kann von beiden Vertragsteilen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines jeden Quartals durch eingeschriebenen Brief aufgekündigt werden ...

(4) Die Vermieter verzichten auf die Dauer von 40 Jahren auf die Ausübung des Kündigungsrechtes, sodaß unter Einhaltung der sechsmonatigen Kündigungsfrist zum Ende des 40. Mietjahres, das ist der , die Kündigung auch durch die Vermieter rechtswirksam ausgesprochen werden kann.

III.

(1) Die Vermieter gestatten der Mieterin, auf dem Mietgrundstück ein Gebäude aufzuführen, wobei einvernehmlich festgestellt wird, daß es sich dabei um ein Bauwerk handelt, das in der Absicht errichtet worden ist, nicht stets auf der Liegenschaft zu verbleiben, es sich somit um ein Bauwerk im Sinne des § 435 ABGB handelt.

...

V.

(1) Das Entgelt für die Vermietung und für die Entschädigung der Entwertung der oben genannten Liegenschaft wird einvernehmlich mit monatlich S 45.000,-- zuzüglich der jeweiligen Umsatzsteuer festgesetzt.

(2) Der Mietzins ist nach dem vom Statistischen Zentralamt in Wien monatlich veröffentlichten Verbraucherpreisindex 1976 wertgesichert. ...

VII.

(1) Bei Auflösung des Mietvertrages steht den Vermietern das Wahlrecht zu, entweder die Entfernung der Gebäude zu verlangen oder diese Gebäude entschädigungslos in ihr Eigentum zu übernehmen.

(2) Die Vermieter sind nicht berechtigt, über den Mietzins hinaus eine Entschädigung für die Entwertung des Mietgrundstückes durch die Lagerung von Schredermüll oder anderen Produktionsabfällen zu verlangen.

..."

Nach dem Ableben des Ing. Herbert M wurden seine schon genannten Söhne je zur Hälfte Eigentümer des Bestandgegenstandes.

Im Oktober 1987 brach auf dem Deponiegelände ein Brand von Altgummi aus den Flotationsrückständen aus, der lange Zeit nicht gelöscht werden konnte und wiederholten Feuerwehreinsatz erforderte. Zur Vermeidung weiterer Brände mußte eine Grube im Ausmaß von rund 30.000 m3 (Fläche von 3000 m2 in einer Tiefe von rund 10 m) ausgehoben werden, in der das Material zwischengelagert wurde. Wegen dieser Änderungen am Bestandgegenstand zahlte die Beschwerdeführerin den Grundeigentümern im Streitjahr einen Entschädigungsbetrag von S 600.000,--, den die Beschwerdeführerin in ihrer Gewinn- und Verlustrechnung unter der Post "sonstige betriebliche Aufwendungen" in der Untergruppe "sonstiger Aufwand" erfolgsmindernd geltend machte.

Das Finanzamt anerkannte ursprünglich bei Festsetzung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr diese Abzugspost, nahm jedoch in der Folge das diese Abgabe betreffende Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf und vertrat im neuen Sachbescheid die Rechtsansicht, daß die Entschädigungsleistung an die Grundstückseigentümer keine Betriebsausgabe, sondern eine verdeckte Gewinnausschüttung darstelle. Unter einem wurde die Beschwerdeführerin mit gesondertem Bescheid zur Haftung für die auf die verdeckte Gewinnausschüttung entfallende Kapitalertragsteuer herangezogen.

Die Beschwerdeführerin berief und brachte ein Sachverständigengutachten über die auf Grund des Schadensfalles eingetretene Wertminderung der Bestandflächen bei. Diesem Gutachten zufolge ist die vom Brand betroffene Fläche auch nach 40 Jahren nicht mehr für eine Bebauung mit Hallenbauwerken verwendbar. Der Sachverständige sah eine Wertminderung von 30 % als angemessen an und gelangte "bei einem ortsüblichen Vergleichsgrundstückspreis von S 200,--/m2 für Industriegrundstücke in der Forstheide" nach Abrundung zu dem Schadensbetrag von S 600.000,--.

Nach Durchführung der von der Beschwerdeführerin beantragten Verhandlung wies der Berufungssenat die Berufung im Spruchgegenstand des erstangefochtenen Bescheides als unbegründet ab. Unter Verweisung auf die Begründung dieser Berufungsentscheidung wies die belangte Behörde als monokratisches Organ die Berufung der Beschwerdeführerin im Spruchgegenstand des zweitangefochtenen Bescheides ebenfalls als unbegründet ab.

Zur Wiederaufnahme des Körperschaftsteuerverfahrens für das Streitjahr führte der Berufungssenat im wesentlichen aus, daß die genauen Hintergründe der Aufwandpost "Deponiekosten" dem Finanzamt erst im Zuge eines die Grundstücksgemeinschaft betreffenden Ermittlungsverfahrens bekannt geworden seien. Diese neu hervorgekommenen Tatsachen rechtfertigten auch die Erlassung eines anders lautenden Körperschaftsteuerbescheides für das Streitjahr, weil die Entschädigungszahlung nicht betrieblich veranlaßt gewesen sei, sondern sich auf das Gesellschaftsverhältnis gegründet habe, weswegen eine verdeckte Gewinnausschüttung vorliege. Zu dieser Beurteilung gelangte die Behörde im wesentlichen aus folgenden Gründen:

Unter dem Blickpunkt der Fremdüblichkeit sei keine betriebliche Veranlassung für die Entschädigungszahlung zu erkennen, weil es nicht der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, daß ein Schädiger (die Beschwerdeführerin) zur Feststellung der Schadenshöhe ein Gutachten in Auftrag gebe; weiters, daß der Schadenersatz für einen der Beschwerdeführerin selbst entstandenen Schaden - nämlich für den Schaden, nicht (wie geplant) ein Hallenbauwerk auf der Bestandfläche errichten zu können - gewährt worden sei und daß schließlich die einvernehmliche Aufhebung des der Beschwerdeführerin ursprünglich gemäß Punkt VII Abs. 2 des Mietvertrages zugestandenen Rechtes, daß die Vermieter über den Mietzins hinaus keine Entschädigung für die Entwertung des Mietgrundstückes durch die Lagerung von Schredermüll oder anderen Produktionsabfällen verlangen dürften, nicht mit der Zahlung der vereinbarten Entschädigungsleistung verbunden sein müßte.

Gegen diese Bescheide richten sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden Beschwerden.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihren Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerden wegen ihres engen sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden; er hat sodann erwogen:

1) Zum erstangefochtenen Bescheid:

a) Zur Wiederaufnahme:

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO setzt in allen Fällen voraus, daß die Kenntnis des Wiederaufnahmsgrundes im Zeitpunkt der Erlassung des in Rechtskraft erwachsenen Bescheides "allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte".

Diese Voraussetzung läge im Beschwerdefall nur vor, wenn der Rechtsansicht der belangten Behörde beigepflichtet werden könnte, daß die Entschädigungsleistung der Beschwerdeführerin an die Bestandgeber im Streitjahr nicht betrieblich, sondern durch die Gesellschaftssphäre veranlaßt war. Dies trifft jedoch aus den gleich anschließend dargelegten Gründen nicht zu, weswegen die Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend die Körperschaftsteuer für das Streitjahr nicht rechtens war.

b) Zum Charakter der Entschädigungsleistung:

Die Begründung des Berufungssenates, weswegen der Entschädigungsleistung der Beschwerdeführerin an den Bestandgeber in Höhe von S 600.000,-- Betriebsausgabencharakter nicht zukomme, erweist sich - selbst ausgehend von der Annahme, daß im Beschwerdefall überhaupt eine Ersatzpflicht der Beschwerdeführerin bestand - aus folgenden Gründen als unschlüssig:

Dem Argument des Berufungssenates, es entspreche nicht der Lebenserfahrung, daß der Schädiger zur Feststellung der Schadenshöhe ein Gutachten in Auftrag gebe, hält die Beschwerde mit Recht entgegen, daß es für die Beurteilung der betrieblichen Veranlassung der Entschädigungsleistung unerheblich ist, ob die Beschwerdeführerin oder die Bestandgeber das erwähnte Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben haben. Auch dem Schädiger steht das Recht zu, sich sachverständig beraten zu lassen, um die Schadenshöhe richtig auszumessen.

Das weitere Argument des Berufungssenates, mit der Entschädigungsleistung sei (nur) ein der Beschwerdeführerin selbst entstandener Schaden abgegolten worden, übersieht, daß die Beschwerdeführerin schon im Verwaltungsverfahren von der belangten Behörde unwiderlegt ausgeführt hat, die Bestandgeber erblickten im Aushub einer Grube und dem Ausfüllen derselben mit Brandrückständen eine Entwertung IHRES Grundes, weil die spätere Bebaubarkeit auch nach 40 Jahren nicht mehr gegeben sei (vgl das Schlußwort des steuerlichen Vertreters der Beschwerdeführerin in der vor der belangten Behörde durchgeführten mündlichen Verhandlung).

Schließlich kann die betriebliche Veranlassung der Entschädigungsleistung nicht zu Recht mit dem Argument verneint werden, daß diese Entschädigungsleistung in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang mit der einvernehmlichen Aufhebung des Punktes VII Abs. 2 des ursprünglichen Mietvertrages stehe. Maßgebend erscheint vielmehr, ob die Schadenersatzpflicht der Beschwerdeführerin durch den ursprünglichen Mietvertrag ausgeschlossen war. Einer derartigen Annahme hält die Beschwerde aber mit Recht entgegen, daß die Bestandgeber nach dem Vertrag zwar nicht berechtigt waren, über den Bestandzins hinaus von der Beschwerdeführerin eine Entschädigung für die Entwertung des Bestandgrundstückes DURCH

DIE LAGERUNG VON SCHREDDERMÜLL ODER ANDEREN PRODUKTIONSABFÄLLEN

ZU VERLANGEN, daß aber die Beschwerdeführerin für jede andere Art der Entwertung des Grundstückes sowohl nach dem Vertrag als auch nach dem ABGB voll haftbar gewesen sei.

Dadurch, daß die belangte Behörde somit auf unschlüssige Weise zum Ergebnis gelangt ist, die Entschädigungsleistung der Beschwerdeführerin an die Bestandgeber sei nicht betrieblich veranlaßt, sondern in der Gesellschaftersphäre begründet gewesen, hat sie Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

2. Zum zweitangefochtenen Bescheid:

Auf Grund des zum erstangefochtenen Bescheid Gesagten war auch die Haftungsinanspruchnahme der Beschwerdeführerin für die auf eine verdeckte Gewinnausschüttung entfallende Kapitalertragsteuer nicht rechtens. Der zweitangefochtene Bescheid war daher ebenfalls gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der von der Beschwerdeführerin in beiden Beschwerdefällen beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.