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VwGH vom 20.11.1996, 93/15/0006

VwGH vom 20.11.1996, 93/15/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny sowie die Hofräte Dr. Karger und Dr. Steiner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde der G in S, ehemals vertreten durch Rechtsanwalt Dr. F, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , GA 7 - 893/92, betreffend Haftung für Abgabenschulden, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er über die Heranziehung zur Haftung für Umsatzsteuer abspricht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von 12.500 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin war alleinige Geschäftsführerin einer GmbH. Mit Beschluß des zuständigen Landesgerichtes vom wurde über das Vermögen der GmbH das Ausgleichsverfahren eröffnet.

Mit Bescheid vom nahm das Finanzamt die Beschwerdeführerin als Haftende gemäß §§ 9 und 80 BAO für die im Ausmaß von 340.829 S (davon 283.255 S Umsatzsteuer) aushaftenden Abgabenschulden der GmbH in Anspruch.

Im Berufungsverfahren führte die Beschwerdeführerin im wesentlichen aus, sie sei im Hinblick auf den im Insolvenzverfahren geltenden Gleichbehandlungsgrundsatz verhalten gewesen, alle Gläubiger gleich zu behandeln, weswegen ein haftungsbegründendes Verschulden nicht vorläge.

Mit Beschluß des zuständigen Landesgerichtes vom wurde der Ausgleich mit einer Quote von 40 % rechtskräftig bestätigt.

Im nunmehr angefochtenen Bescheid vertritt die belangte Behörde im wesentlichen die Ansicht, nach Erfüllung des Ausgleiches seien die - bereits um die 40 %ige Ausgleichsquote verminderten - aushaftenden Abgabenschulden uneinbringlich. Das die Haftung begründende Verschulden der Beschwerdeführerin ergebe sich hinsichtlich der Umsatzsteuer schon aus dem Umstand, daß diese Abgabe bereits mit den Entgelten vereinnahmt worden sei. Hinsichtlich der Lohnsteuer ergebe sich die Haftung aus § 78 Abs 3 EStG. Hinsichtlich der übrigen Abgaben habe die Beschwerdeführerin nicht behauptet, die erforderlichen Mittel zur - zumindest anteiligen - Abgabenentrichtung seien nicht zur Verfügung gestanden.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof lediglich in ihrem Recht, nicht zur Haftung für Umsatzsteuer herangezogen zu werden, verletzt, wobei sie Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend macht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 9 Abs 1 BAO haften die in den § 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 95/16/0077, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs 2 zweiter Satz VwGG hingewiesen wird, ausgeführt hat, ist die Haftung des § 9 BAO subsidiär und akzessorisch. Eine Person darf demnach nur dann als Haftende in Anspruch genommen werden, wenn der Hauptschuldner seiner Verbindlichkeit nicht nachkommt und diese Verbindlichkeit beim Hauptschuldner uneinbringlich ist (Subsidiarität). Die Haftungsschuld ist weiters ihrem bloß sichernden Charakter zufolge in ihrem Bestand von der Existenz der Hauptschuld abhängig. Ist die Hauptschuld nicht (gültig) entstanden oder ist sie erloschen, ist auch eine Haftung für diese nicht denkbar. Ihre Geltendmachung wäre unzulässig, die Haftung somit rechtswidrig begründet. Aus dem Wesen dieser Akzessorietät ergibt sich auch, daß die Haftung für mehr nicht besteht und für mehr nicht begründet werden kann, als der Hauptschuldner leisten muß.

Die Beurteilung, ob die Haftung dem Grund nach zu Recht besteht, obliegt im Berufungsverfahren der Berufungsbehörde; sie hat dabei grundsätzlich von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Entscheidung auszugehen. Es liegt im Wesen einer meritorischen Berufungsentscheidung, daß die Berufungsbehörde die Sache nach allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten neu zu überprüfen hat. Sie hat bei Geltendmachung einer Haftung daher die Umstände zu berücksichtigen, die im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides gegeben sind.

Im Beschwerdefall wurde die Haftung mit erstinstanzlichem Haftungsbescheid noch vor der rechtskräftigen Bestätigung des Ausgleiches und Entrichtung der Ausgleichsquote aber während des Ausgleichsverfahrens geltend gemacht. In diesem Zeitpunkt waren Abgaben aushaftend, die Höhe der uneinbringlichen Abgabenschulden aber noch keineswegs feststehend, was im Berufungsverfahren auch aufgezeigt wurde. Die Geltendmachung der Haftung nach § 9 BAO setzt jedoch die Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden voraus.

Nach rechtskräftiger Bestätigung des Ausgleiches und Entrichtung der Ausgleichsquote war der Hauptschuldner (die GmbH) von den diese Ausgleichsquote übersteigenden Verbindlichkeiten befreit. Die Geltendmachung der Haftung ist in einem solchen Fall unzulässig. Aber auch im Fall einer Berufung gegen einen Bescheid, mit dem vor diesem Zeitpunkt die Haftung geltend gemacht wurde, hat die Berufungsbehörde die in der Zwischenzeit eingetretene Befreiung des Hauptschuldners von den Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. Im Abgabenverfahren verlangt nämlich die Akzessorietät, daß die Abgabenschuld entstanden ist, also ein Abgabentatbestand hinsichtlich der persönlichen und sachlichen Komponente verwirklicht und der Abgabenanspruch aufrecht ist, unabhängig davon, ob beim Hauptschuldner die Möglichkeit der Geltendmachung oder der Einbringung besteht oder mangelt. Ist jedoch der Steuergegenstand sachlich oder der Hauptschuldner persönlich befreit, somit eine Abgabenschuld erst gar nicht entstanden, kann auch ein prinzipiell Haftender nicht zur Haftung herangezogen werden.

Der angefochtene Bescheid erweist sich im Hinblick auf die eingetretene Befreiung des Hauptschuldners und die infolge der Akzessorietät der Haftung gegebene Befreiung der erst nach rechtskräftiger Bestätigung des Ausgleiches als Haftende herangezogenen Beschwerdeführerin als rechtswidrig. Es erübrigte sich somit eine Auseinandersetzung mit den in der Beschwerde angestellten Erwägungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz im Insolvenzverfahren.

Der angefochtene Bescheid war daher im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG hinsichtlich seines Abspruches über die Heranziehung zur Haftung für Umsatzsteuer wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.