VwGH vom 04.10.2001, 96/08/0312

VwGH vom 04.10.2001, 96/08/0312

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der C in W, vertreten durch Dr. Hans Wagner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Opernring 23, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom , Zl. MA 12-12001/86, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 12 - Sozialamt, vom wurde die der Beschwerdeführerin zuletzt zuerkannte monatliche Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berufung auf die §§ 8, 12 und 13 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG) mit eingestellt.

Begründet wurde diese Entscheidung lediglich damit, die Einstellung ergebe sich auf Grund geänderter Einkommens- und Familienverhältnisse der Beschwerdeführerin.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, die bloße Bezugnahme auf das Vorliegen geänderter Einkommens- und Familienverhältnisse erlaube keinen Rückschluss auf die maßgeblichen Beweggründe der Behörde für die negative Entscheidung.

Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin daraufhin mit, die Grundlage für die Erlassung des Bescheides sei der Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei ihrem Lebensgefährten N. wohne. Dieser beziehe derzeit Notstandshilfe in der Höhe von S 223,40 täglich.

In einer Stellungnahme vom brachte die Beschwerdeführerin dazu vor, mit dem Mitbewohner N. nicht in Lebensgemeinschaft zu wohnen, sondern lediglich an dessen Adresse aufhältig zu sein. Außerdem sei es ihr nicht möglich, den erforderlichen Lebensbedarf aus eigenen Kräften zu beschaffen oder diesen von anderen Personen, insbesondere von dem genannten Mitbewohner, zu erhalten.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben.

Nach der Begründung sei die Beschwerdeführerin im Februar 1995 schon seit mindestens drei Monaten bei Herrn N. wohnhaft. Das Wesen einer Lebensgemeinschaft werde darin erblickt, dass es sich um einen eheähnlichen Zustand handle, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspreche, wozu im Allgemeinen eine Geschlechts-, Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft gehöre. Es könne aber auch wie in einer Ehe, bei der die Ehegatten ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich gestalten sollten, das eine oder andere Merkmale fehlen. Auf Grund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin in einer Wohnung gemeinsam mit Herrn N. lebe und eine getrennte Haushalts- und Lebensführung unter diesen Umständen nicht möglich sei, zumal die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Behinderung zur selbstständigen Haushalts- und Lebensführung, insbesondere der finanziellen Angelegenheiten, nicht in der Lage zu sein scheine, sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin und ihr Mitbewohner in Lebensgemeinschaft lebten. Zumindest zwei der charakteristischen Merkmale der Lebensgemeinschaft, nämlich die Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft, seien im vorliegenden Fall als gegeben anzunehmen. Demnach habe der Mitbewohner N. sein Einkommen zur Deckung des Lebensbedarfes für sich und seine Lebensgefährtin einzusetzen. Gemäß einer Mitteilung des Arbeitsamtes erhalte er eine Notstandshilfe von täglich S 223,40, wobei die Miete der gegenständlichen Wohnung laut Auskunft der MA 52 derzeit S 1.509,56 betrage. Damit sei der Lebensbedarf für einen Hauptunterstützten sowie einen Mitunterstützten ohne Familienbeihilfenanspruch einschließlich des konkreten Wohnungsbedarfes hinreichend gedeckt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 8 Abs. 1 WSHG hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält.

Der Lebensunterhalt umfasst nach § 12 WSHG insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse. Zu den persönlichen Bedürfnissen gehört auch die Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben im angemessenen Ausmaß.

Gemäß § 13 WSHG hat die Bemessung von Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Anwendung von Richtsätzen zu erfolgen.

Nach § 13 Abs. 2 leg. cit. haben der Richtsatz für den Hauptunterstützten und für den Mitunterstützten zusammen den Lebensunterhalt eines Hilfesuchenden sowie seines Ehegatten oder Lebensgefährten zu decken.

Mit dem angefochtenen Bescheid ist die belangte Behörde von einer Lebensgemeinschaft der Beschwerdeführerin mit ihrem Mitbewohner N. ausgegangen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird das Wesen der Lebensgemeinschaft darin erblickt, dass es sich um einen eheähnlichen Zustand handelt, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen eine Geschlechts-, wie Wohnungs- und Wirtschaftsgemeinschaft. Es kann aber auch wie in der Ehe, bei der die Ehegatten ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich gestalten sollen, das eine oder andere Merkmal fehlen (vgl. z.B. das Erkenntnis vom , Zl. 98/03/0079, mit Hinweis auf Vorjudikatur). Es kommt regelmäßig auf die Gesamtumstände des Einzelfalles an, wobei der Wirtschaftsgemeinschaft nach der Rechtsprechung überragende Bedeutung zukommt (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0283).

Feststellungen, ob die Beschwerdeführerin und ihr Mitbewohner Einnahmen und Ausgaben gemeinsam bewirtschaften (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 94/08/0188), fehlen im Beschwerdefall allerdings zur Gänze. Die belangte Behörde hat konkrete Ermittlungen in diese Richtung - etwa durch die Vernehmung des Mitbewohners N. als Zeugen - unterlassen. Sie hat lediglich auf Grund der Vermutung, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer Behinderung zur selbstständigen Haushalts- und Lebensführung, insbesondere der finanziellen Angelegenheiten, nicht in der Lage zu sein scheine, den Schluss gezogen, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Mitbewohner in Lebensgemeinschaft lebe.

Im Übrigen ist auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 95/08/0109, zu verweisen, in dem dieser unter Hinweis auf Vorjudikatur ausgesprochen hat, dass es im Wiener Sozialhilfegesetz an einer gesetzlichen Grundlage dafür fehlt, dem Hilfeempfänger das Einkommen eines Dritten, mit dem er in Lebensgemeinschaft lebt, nach der Art einer fiktiven Leistungsgewährung an beide Partner der Lebensgemeinschaft zuzurechnen. In Betracht käme im Fall einer Lebensgemeinschaft nur die Berücksichtigung im einzelnen festgestellter, bedarfsmindernder Zuwendungen des Lebensgefährten.

Die belangte Behörde belastete daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am