VwGH vom 12.04.1994, 93/14/0229
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Hutter, über die Beschwerde des J in F, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in V, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom , Zl 92/1-3/Ko-1993, betreffend die Aufhebung von Bescheiden in Ausübung des Aufsichtsrechtes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde vom Finanzamt für die Jahre 1990 und 1991 mit Bescheiden vom zur Einkommensteuer veranlagt, wobei die Abgabe jeweils gemäß § 200 Abs 1 BAO vorläufig festgesetzt wurde. In einer gegen diese beiden Einkommensteuerbescheide gerichteten Berufung wurde die Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bekämpft. Der Umstand, daß die Abgaben vorläufig festgesetzt worden waren, wurde nicht angefochten. Mit Berufungsentscheidung vom (dem Beschwerdeführer am zugestellt) wurde die Berufung abgewiesen und die Einkommensteuer gemäß § 200 Abs 2 in Verbindung mit § 289 Abs 2 BAO in unveränderter Höhe endgültig festgesetzt. Am erließ das Finanzamt Bescheide, mit welchen die vorläufigen Bescheide vom gemäß § 200 Abs 2 BAO für endgültig erklärt wurden. Einer gegen diese Bescheide erhobenen Berufung, worin gerügt wurde, daß die Höhe der Sonderausgaben falsch ermittelt worden wäre, wurde mit Berufungsvorentscheidung vom vollinhaltlich stattgegeben.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Bescheide des Finanzamtes vom und die Berufungsvorentscheidung vom gemäß § 299 Abs 2 BAO aufgehoben. Die Aufhebung der Bescheide vom begründete die belangte Behörde damit, daß die endgültige Festsetzung einer Abgabe das Vorliegen eines vorläufigen Bescheides voraussetze. Da eine endgültige Festsetzung einer bis dahin vorläufig festgesetzten Abgabe bereits mit Berufungsentscheidung vom erfolgt sei, eine vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer 1990 und 1991 daher nicht mehr vorliege, wären die Bescheide vom (gemeint wohl ) zu Unrecht ergangen. Da die "weiteren erstinstanzlichen Bescheide (= die nochmalige Endgültigerklärung)" zu Unrecht ergangen seien, wären auch die hierauf erlassenen Berufungsvorentscheidungen wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben gewesen, weil "die Einbringung einer Berufung nur gegen Abgabenbescheide der Abgabenbehörde erster Instanz zulässig" sei, ein "ordentliches Rechtsmittel ... somit gegen Berufungsentscheidungen der Abgabenbehörde zweiter Instanz nicht zulässig" sei.
Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diesen Bescheid in seinem Recht auf Unterbleiben einer Aufhebung der Bescheide des Finanzamtes vom und vom , beide betreffend die Einkommensteuer der Jahre 1990 und 1991, sowie in seinem Recht auf Bescheidbegründung verletzt und beantragt dessen Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt zunächst die Ausgangsposition der
belangten Behörde, mit Berufungsentscheidung vom wäre über die EINGEBRACHTE BERUFUNG abweislich entschieden und dabei mangels Vorlage von Gründen, die eine weitere vorläufige Veranlagung rechtfertigen, die Einkommensteuer für die Jahre 1990 und 1991 gemäß § 200 Abs 2 in Verbindung mit § 289 Abs 2 BAO endgültig festgesetzt worden, als rechtswidrige Sachverhaltsannahme, weil sich die gegen die vorläufigen Einkommensteuerbescheide für 1990 und 1991 (vom ) eingebrachte Berufung nicht gegen die vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer, sondern gegen die Höhe der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gerichtet hätte.
Dem ist folgendes entgegenzuhalten:
Unbestritten ist, daß das Finanzamt am hinsichtlich der Einkommensteuer für 1990 und 1991 jeweils einen Bescheid erließ, worin ausgehend von bestimmten Bemessungsgrundlagen eine bestimmte Einkommensteuer - und diese vorläufig - festgesetzt wurde. Unbestritten ist weiters, daß der Beschwerdeführer gegen diese Bescheide Berufung erhoben hat, welche mit Berufungsentscheidung vom erledigt wurde. Diese Erledigung bestand nach dem Beschwerdevorbringen letztlich darin, daß der in der Berufung ausschließlich vorgetragenen Rechtsansicht des Beschwerdeführers hinsichtlich der Höhe einer Bemessungsgrundlage nicht gefolgt wurde, in der Höhe der Bemessungsgrundlage und der Abgabe somit keine Änderung eintrat, die Abgabe jedoch - anders als im erstinstanzlichen Bescheid - endgültig festgesetzt wurde. Das Beschwerdevorbringen ist daher nicht geeignet, die für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidende Ausgangsposition der belangten Behörde, wonach im Hinblick auf die Berufungsentscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz vom die Einkommensteuer für 1990 und 1991 endgültig und durch Zustellung - unbestritten - rechtskräftig festgesetzt war, als aktenwidrig aufzuzeigen.
Auch die Ansicht des Beschwerdeführers, die gesetzliche Vorschrift des § 200 Abs 2 BAO erfülle eindeutig nur "der Bescheid" der Abgabenbehörde erster Instanz vom , keinesfalls aber die Berufungsentscheidung vom , kann eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht erweisen. Diese Ansicht einschließlich allfälliger Verfahrensrügen (etwa über die Verletzung des Parteiengehörs) wäre allenfalls in einer Beschwerde gegen die Berufungsentscheidung vom vorzutragen gewesen, nicht aber im vorliegenden, ausschließlich die Aufhebung von erstinstanzlichen Bescheiden zum Gegenstand habenden Beschwerdeverfahren.
Der belangten Behörde ist auch noch insoweit zuzustimmen, als sie im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der aufgehobenen Bescheide die Ansicht vertritt, daß diese zu Unrecht ergangen sind. Dies schon deswegen, weil die abermalige Erlassung eines Bescheides über eine Rechtssache, über welche bereits mit rechtskräftigem Bescheid abgesprochen wurde, - soweit nicht die Voraussetzungen für eine allfällige Wiederaufnahme des Verfahrens erfüllt oder eine Änderung des das Verfahren abschließenden Bescheides verfahrensrechtlich möglich ist - dem Grundsatz ne bis in idem widerspricht. Der Tatbestand des § 299 Abs 2 BAO ist daher grundsätzlich erfüllt.
Dies allein - und darin ist dem Beschwerdeführer Recht zu geben - rechtfertigt aber noch nicht die Aufhebung durch die Oberbehörde, weil es sich bei einer solchen Maßnahme um eine Ermessensentscheidung handelt, welche nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist (§ 20 BAO). Um eine Überprüfung der diesbezüglichen Erwägungen zu gewährleisten, sind Ermessensentscheidungen zu begründen (vgl Stoll, BAO, Handbuch, Seite 714 und die dort zitierte hg Judikatur).
Eine Begründung der Ermessensentscheidung enthält der angefochtene Bescheid jedoch nicht. Dieser Verfahrensmangel ist auch wesentlich: Die belangte Behörde räumt in ihrer Gegenschrift ein, daß das Berufungsbegehren der gegen die Bescheide vom gerichteten Berufung berechtigt war. Demzufolge wären die Berufungsvorentscheidungen, welche den Berufungen Folge gaben, inhaltlich nicht zu beanstanden.
Die belangte Behörde stand daher bei ihrer Ermessensentscheidung insoweit vor der Frage, ob sie rechtswidrige Bescheide, nämlich solche, die zwar verfahrensrechtlich zu Unrecht ergangen, aber inhaltlich richtig waren, zugunsten anderer rechtswidriger Bescheide, nämlich verfahrensrechtlich richtig ergangener, aber inhaltlich unrichtiger Bescheide aufheben sollte oder nicht. Da der angefochtene Bescheid aber die Gründe, welche die belangte Behörde in der Folge zur Aufhebung veranlaßten, nicht enthält, kann er auf seine Gesetzmäßigkeit nicht überprüft werden.
Soweit sich die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift - abgesehen davon, daß die Nachholung einer Begründung in der Gegenschrift die Verpflichtung der Behörde, eine Ermessensentscheidung zu begründen, nicht ersetzen kann - auf den Vorrang der Rechtsrichtigkeit vor der Rechtsbeständigkeit stützt, sind diese Erwägungen im Beschwerdefall jedenfalls nicht geeignet, die oberbehördliche Aufsichtsmaßnahme zu rechtfertigen, weil dadurch rechtswidrige Bescheide durch einen anderen rechtswidrigen Bescheid ersetzt würden. Inwieweit dadurch dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit ein Vorrang eingeräumt worden wäre, ist nicht erkennbar.
Aus verfahrensökonomischen Gründen wird überdies darauf hingewiesen, daß die in der Gegenschrift zum Ausdruck gebrachte Ansicht, eine Interessensabwägung hätte deshalb unterbleiben können, weil "die rechtswidrigen Bescheide JEDENFALLS zu beseitigen" gewesen wären, sowohl isoliert betrachtet, als auch in Verbindung mit der Aussage, daß eine Entscheidung zwischen einem Bescheid mit geringerer oder größerer Rechtswidrigkeit "demnach überhaupt nicht zu treffen war", nicht nachvollziehbar ist. Geteilt wird allerdings die damit allenfalls zum Ausdruck gebrachte Ansicht, daß der Qualität der Rechtswidrigkeit im Beschwerdefall entscheidende Bedeutung nicht zukommt.
Aus den oben angeführten Gründen hat die belangte Behörde aber Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid gelangen hätte können.
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 104/1991.