VwGH vom 03.08.2000, 98/15/0102
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde der PB in W, vertreten durch Dr. Robert Mayer, Rechtsanwalt in Wien VI,
Mariahilfer Straße 47/5/8, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , Zl. RV/095-07/02/98, betreffend Haftung gemäß § 14 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 15.000 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Das Finanzamt zog die Beschwerdeführerin als Unternehmenserwerberin gemäß § 14 Abs. 1 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten im Ausmaß von insgesamt 963.757 S heran (es handelte sich dabei um Umsatzsteuer für die Zeiträume 05/95 bis 08/96). Im Zuge einer UVA-Prüfung sei es zu einer Nachforderung an Umsatzsteuer beim Betriebsvorgänger WB, dem Ehemann der Beschwerdeführerin, gekommen. Da die Einbringungsversuche zum größten Teil erfolglos geblieben seien, sei die Haftung nach § 14 Abs. 1 BAO auszusprechen gewesen.
In der Berufung vom gegen den Haftungsbescheid wurde vorgebracht, der Haftungsbescheid beruhe auf einer Rechnung vom , die auf Grund des Verkaufes des Warenlagers sowie einiger Bürogeräte des WB an die Beschwerdeführerin gelegt worden sei. Das Warenlager, das im Sicherungseigentum einer Bank stehe, könne nach dem Sicherungsübereignungsvertrag vom , abgeschlossen zwischen der Bank und WB, nur mit der Zustimmung der Bank veräußert, verpfändet oder Dritten überlassen werden. Diese Zustimmung habe die Bank bis zum heutigen Tage nicht erteilt, weshalb ein rechtsgültiger Kaufvertrag nicht zu Stande gekommen sei. Aus diesen Tatsachen sei der Schluss zu ziehen, dass durch den Verkauf von Teilen der Büroeinrichtung nicht die wesentlichen Grundlagen des Betriebes auf die Beschwerdeführerin übergegangen seien. Die Beschwerdeführerin könne daher nicht als Haftungspflichtige nach § 14 Abs. 1 BAO in Anspruch genommen werden.
In einer abweisenden Berufungsvorentscheidung führte das Finanzamt aus, die steuerliche Vertretung der Beschwerdeführerin habe mit Schreiben vom mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin seit am Standort W, S.Gasse 24 (dem bisherigen Ort der Geschäftsleitung des Unternehmens des WB), den Handel mit Audio- und Videogeräten betreibe. Anlässlich einer Nachschau vom habe die Beschwerdeführerin niederschriftlich angegeben, dass sie über mehrere Betriebsstätten - und zwar in W, S.Gasse 24, Gr.S, F.Str. 4, und ein Verkaufsregal in G, K.Str. 2 - verfüge. Weiters habe sie angegeben, dass sie eine vormals im Unternehmen des Betriebsvorgängers beschäftigte Dienstnehmerin habe und das Warenlager des Vorgängerunternehmens ("Intern. Vertrieb für High-End-Geräte und Zubehör") laut vorgelegter Rechnung vom erworben habe. Da die Betriebsstätten, das Warenlager, das betrieblich genutzte Kfz sowie PC, Kopiergerät und Telekommunikationsanschlüsse an die Beschwerdeführerin übertragen worden seien, sei nach Ansicht des Finanzamtes eine Betriebsübergabe als Ganzes gegeben. Daran ändere es auch nichts, wenn die Veräußerung des mit Vertrag vom der Bank zur Sicherstellung ihrer Forderungen übereigneten Warenlagers in Gr.S, F.Str. 4, ohne Genehmigung der Sicherungseigentümerin zu Unrecht erfolgt sein sollte. Jedenfalls seien sämtliche dem Betrieb dienenden Einrichtungen (PC, Fax und die im Verkaufsregal G sowie im Büro in der S.Gasse 24 befindlichen Waren) an die Beschwerdeführerin übergegangen. Die Beschwerdeführerin sei auch in der Lage gewesen, die Geschäftsbeziehungen zu den schweizerischen, deutschen und amerikanischen Geschäftsfreunden ihres Ehemannes ohne wesentliche Unterbrechungen fortzuführen. Es sei damit als erwiesen anzusehen, dass beabsichtigt gewesen sei, einen lebensfähigen Betrieb zu übertragen, wobei dies auch offensichtlich realisiert worden sei.
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz erläuterte die Beschwerdeführerin, dass es sich beim Unternehmen ihres Ehemannes um einen Groß- und Einzelhandelsbetrieb gehandelt habe, der in Form eines Einzelunternehmens unter Mitwirkung von zehn Mitarbeitern geführt worden sei. Der Geschäftsgegenstand habe im Großhandel von Hifi-Endgeräten auf hohem Qualitäts- und Preisniveau bestanden. Örtlich sei das Unternehmen auf ein räumliches Minimum beschränkt gewesen. Außer dem Bürobetrieb in W, S.Gasse 24, habe in Gr.S, F.Str. 4, ein Warenlager und ein Verkaufsregal in G, K.Str. 2, bestanden. Seit November 1996 existiere dieser Betrieb nicht mehr. Dem Ehemann der Beschwerdeführerin sei seit Dezember 1996 von seinem Dienstgeber jegliche außerdienstliche Berufstätigkeit untersagt gewesen. Er sei am Unternehmen der Beschwerdeführerin auch in keiner Weise beteiligt. Die von WB geknüpften Lieferantenkontakte seien von der Beschwerdeführerin seit Beginn ihrer Geschäftstätigkeit im Dezember 1996, mit der Ausnahme zur vereinzelten Beschaffung von Ersatzteilen, nicht mehr benutzt worden. Auch die seinerzeitigen Kunden seien nicht mehr beliefert worden. Dies ergebe sich u.a. aus der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin im weitaus überwiegenden Maß mit Geräten für PKW Audio-Anlagen sowie Foto- und Video-Anlagen handle. Ihr Warensortiment unterscheide sich nicht nur in der Zusammensetzung sondern auch im Preisniveau von dem des WB. Im Gegensatz zu den Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung nütze die Beschwerdeführerin keine Geschäftsbeziehungen weiter. Zu den Handelswaren laut Rechnung vom räume das Finanzamt selbst ein, dass ein Eigentumsübergang von WB an die Beschwerdeführerin nicht habe erfolgen können, weil sich diese Handelswaren laut Vertrag vom im Sicherungseigentum der Bank befunden hätten. Es sei tatsächlich keine Übergabe dieser Handelswaren erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe aus dem Warenlager des Ehemannes zum keine Handelswaren übernommen und daher auch nicht im Rahmen ihres Unternehmens an Kunden weiter veräußert. Werde das Warenlager eines Handelsunternehmens als seine wesentliche Geschäftsgrundlage nicht übereignet, könne nicht von der Übereignung eines lebensfähigen Betriebes gesprochen werden. Das Finanzamt bleibe auch jeden konkreten Hinweis auf den Wert der im Büro in der S.Gasse 24 "sich befunden haben sollenden Waren schuldig". Aus der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin ihr Unternehmen in den ehemaligen Geschäftsräumen ihres Ehemannes betreibe und nur eine Mitarbeiterin, deren Qualifikation ihr bekannt gewesen sei, weiter beschäftige, könne keinesfalls geschlossen werden, dass ein lebendes Unternehmen im Ganzen übereignet worden sei. Vielmehr habe es die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Erfahrungen geschafft, ein eigenes Unternehmen im Bereich des Unterhaltungs-Elektronik-Einzelhandels aufzubauen und bis heute zu betreiben.
Mit dem angefochtenen Bescheid schränkte die belangte Behörde zwar den Haftungsbetrag auf 735.799,40 S ein, gab der Berufung jedoch ansonsten keine Folge. Es sei unbestritten - so die belangte Behörde in ihrer Begründung -, dass WB ein Handelsunternehmen betrieben und das Warenlager dessen wesentliche Geschäftsgrundlage dargestellt habe. Wie bereits in der Berufungsvorentscheidung vorgehalten, sei dieses laut Aussage der Beschwerdeführerin vom und Rechnung vom von der Beschwerdeführerin erworben worden. Dem Einwand, ein Eigentumsübergang dieser Handelswaren habe nicht erfolgen können, weil sich diese Waren im Sicherungseigentum der Bank befunden hätten, sei vorerst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 93/13/0088, entgegen zu halten, wonach es nicht darauf ankomme, ob Vertragspartner der primäre Abgabenschuldner oder ein Dritter sei, weil sich die Haftung auf Abgaben beziehe, die objektiv auf den Betrieb des Betriebsvorgängers zurück gingen. Der Umstand des Sicherungseigentums der Bank habe auf die Zurechnung des Warenlagers zum Unternehmen des WB gemäß § 24 Abs. 1 lit. a BAO keinen Einfluss gehabt. Unter "Übereignung" im hier maßgebenden Sinn sei nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 94/15/0025, die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht anzusehen, wobei es nicht auf eine besondere zivilrechtliche Gestaltung ankomme. Dem Betriebsvorgänger sei lt. Punkt 3 des Sicherungsübereignungsvertrages auch die bestimmungsgemäße Veräußerung im Zusammenhang mit aliquoter Kreditrückführung gestattet gewesen. Es sei nicht erforderlich, dass der Erwerber genau dieselbe Betriebsform wie der Veräußerer fortführe. Deshalb erweise sich der Hinweis auf ein anderes Warensortiment als nicht zielführend. Da bereits mit dem Warenlager die wesentliche Grundlage des Unternehmens des WB übereignet worden sei, habe es zur Verwirklichung des Tatbestandes nach § 14 BAO nicht der Fortführung der Geschäftskontakte mit dessen Lieferanten und Kunden bedurft. Durch die Übereignung der wesentlichen Grundlagen des Unternehmens des WB sei eine darin gelegene Sicherung für die auf den Betrieb des Unternehmens sich gründenden haftungsgegenständlichen Verbindlichkeiten verloren gegangen. Da auch die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 14 Abs. 1 BAO erfüllt seien und wegen der wirtschaftlichen Lage des Primärschuldners die Einbringung der Abgabenschuld gefährdet sei, sei die Haftungsinanspruchnahme zu Recht erfolgt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Strittig ist im Beschwerdefall allein die Frage, ob zur Geltendmachung der Erwerberhaftung nach § 14 Abs. 1 BAO ein Unternehmen im Ganzen im Sinn dieser Gesetzesbestimmung übereignet wurde. Sinn der Bestimmung des § 14 BAO ist es, eine bestehende Sicherung für Abgabenansprüche gegenüber dem Veräußerer fortzuführen, nicht aber eine Sicherung, die bisher nicht bestand, durch die Unternehmensübereignung erst zu begründen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 87/14/0106).
Ein dem § 14 BAO zu subsumierender Übereignungsvorgang liegt vor, wenn die wesentlichen Grundlagen des Betriebes übereignet werden und der Übernehmer mit der Übernahme in die Lage versetzt wird, das Unternehmen fortzuführen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 89/13/0169). Die belangte Behörde vertritt die Ansicht, eine Übereignung der wesentlichen Betriebsgrundlagen bejahen zu können, weil der in der Rechnung vom aufgelistete Warenbestand auf die Beschwerdeführerin übergegangen sei. Zu Recht weist die belangte Behörde darauf hin, dass unter "Übereignung" im hier maßgebenden Zusammenhang die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu verstehen ist (vgl. zuletzt etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2000/16/0238).
Auch die belangte Behörde geht davon aus, dass der strittige Lagerbestand entsprechend dem Sicherungsübereignungsvertrag vom im Sicherungseigentum einer Bank stand (Punkt 4 des Sicherungsübereignungsvertrages sah die Lagerung der Waren in einem eigens als mit Sicherungseigentum der Bank gekennzeichneten Raum vor, wobei die Übergabe des Sicherungseigentums derart erfolgte, dass der Kreditnehmer die Schlüssel übergab, sodass nur die Bank "allein die tatsächliche Verfügungsgewalt und den alleinigen unbeschränkten Besitz zu diesem Lager hat"). Durch die Sicherungsübereignung wird dem Gläubiger ein dingliches (somit ein auch gegen Dritte und damit nach außen wirkendes) Vollrecht an einer Sache eingeräumt, das allerdings (nur) im Innenverhältnis beschränkt ist. Diese Beschränkung im Innenverhältnis auf eine Art Treuhandschaft rechtfertigt die Zurechnung der zum Zweck der Sicherung übereigneten Wirtschaftsgüter an demjenigen, der die Sicherung einräumt (vgl. dazu Stoll, BAO-Kommentar, 299).
An sich zutreffend nimmt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid Bezug auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 93/13/0088, wonach es für die Übereignung nicht darauf ankomme, ob Vertragspartner der primäre Abgabenschuldner oder ein Dritter sei. Unter dem Gesichtspunkt der diesem Dritten im Fall eines Sicherungseigentums zukommenden eigentümerähnlichen Stellung muss dieser Dritte aber bei der Übereignung mitwirken, um dem Erwerber die wirtschaftliche (auch gegen ihn als Sicherungseigentümer wirkende) Verfügungsmacht an den Gegenständen zu verschaffen. Dementsprechend konnte in dem bezogenen Erkenntnis die Verschaffung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht (der Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht vom Vorgänger auf den Erwerber) an den wesentlichen Grundlagen für ein Transportunternehmen deshalb bejaht werden, weil ein Teil des Fuhrparks direkt vom damaligen Sicherungseigentümer (als Dritten) erworben wurde. Ein derartiges Übereignungsgeschäft hat die belangte Behörde im nunmehrigen Beschwerdefall nicht festgestellt. Allfällige "Verpflichtungsgeschäfte" des WB zur Übereignung des Warenlagers waren zur Verschaffung der tatsächlichen wirtschaftlichen Verfügungsmacht an dem laut Ausführungen in der Beschwerdeschrift nach wie vor im Besitz und Eigentum der Bank stehenden Lager nicht ausreichend. Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift u.a. geltend macht, dass das Eigentum des Sicherungsnehmers im Zweifel mit der Zahlung der Schuld von selbst erlischt, ist festzuhalten, dass auch betreffend eine diesbezügliche Schuldenzahlung oder Kreditrückführung Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht getroffen wurden. Abgesehen davon, dass eine im angefochtenen Bescheid fehlende Begründung in der Gegenschrift nicht nachgetragen werden kann, ist der in der Gegenschrift angesprochenen Niederschrift vom weiters nicht zu entnehmen, dass die Übergabe des Warenlagers infolge Benützung des Warenlagers in Gr.S, F.Str. 4, offensichtlich bereits erfolgt sei. In der Niederschrift ist im Wesentlichen lediglich vom Vorhandensein eines Lagerraums als - weitere - Betriebsstätte die Rede, ohne eine tatsächliche Übergabe darin befindlicher Lagerware zu erwähnen. Im Übrigen spricht die in der genannten Niederschrift weiters enthaltene Feststellung, dass der Rechnungsbetrag vom noch nicht bezahlt wurde (Anm.: In der Rechnung war ein Zahlungsziel von 30 Tagen angegeben), gegen eine Aufgabe des Sicherungseigentums durch die Bank.
Da die belangte Behörde somit zur Frage der Unternehmensübereignung bezüglich der tatsächlichen Verschaffung der Verfügungsmacht an den wesentlichen Betriebsgrundlagen keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen getroffen hat, war der angefochtene Bescheid nach § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die gesondert geltend gemachte Umsatzsteuer, weil diese im Schriftsatzpauschale bereits enthalten ist.
Wien, am