VwGH vom 22.09.2000, 98/15/0098

VwGH vom 22.09.2000, 98/15/0098

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Karger, Dr. Sulyok, Dr. Fuchs und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Doralt, über die Beschwerde des W M in M, vertreten durch Dr. Karl Claus, Rechtsanwalt in 2130 Mistelbach, Marktgasse 1-3, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom , RV/0040-08/03/97, betreffend Einkommensteuer 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer wohnt mit seiner Familie in Eibesthal in der Gemeinde Mistelbach und bezieht Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Für das Jahr 1995 machte er Aufwendungen für die auswärtige Berufsausbildung seiner Tochter als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 geltend. Die im Jahr 1976 geborene Tochter studierte im Veranlagungszeitraum Vermessungswesen an der Technischen Universität Wien. Für die Dauer des Studiums nahm sie in Wien Aufenthalt.

Gegen den Einkommensteuerbescheid, mit welchem der geltend gemachten außergewöhnlichen Belastung die Anerkennung versagt wurde, berief der Beschwerdeführer.

Mit dem angefochtenen Bescheid anerkannte die belangte Behörde die außergewöhnliche Belastung nicht. Mistelbach sei in der zu

§ 26 Abs. 3 StudFG ergangenen Verordnung, auf die die zu

§ 34 Abs. 8 EStG 1988 ergangene Verordnung verweise, als eine jener

Gemeinden angeführt, von denen die tägliche Hin- und Rückfahrt zum und vom Studienort Wien zeitlich noch zumutbar sei. Die Zumutbarkeit sei auch für den Zeitraum vor Erlassung der Durchführungsverordnung zu § 34 Abs. 8 EStG 1988 anzunehmen, da nicht davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber beim Studienförderungsgesetz andere Maßstäbe an die Zumutbarkeit von Fahrzeiten bei Studenten anlege als beim Einkommensteuergesetz.

Mit Beschluss vom , B 2449/97, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat sie nach Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Behandlung ab.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof behauptet der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechtes auf einkommensteuermindernde Berücksichtigung der außergewöhnlichen Belastung nach § 34 Abs. 8 EStG 1988.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 8 EStG 1988 gelten Aufwendungen für eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes dann als außergewöhnliche Belastung, wenn im Einzugsbereich des Wohnortes keine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit besteht. Diese außergewöhnliche Belastung wird durch Abzug eines Pauschbetrages von 1.500 S pro Monat der Berufsausbildung berücksichtigt.

Die zur zitierten gesetzlichen Bestimmung ergangene Verordnung des Bundesministers für Finanzen betreffend eine Berufsausbildung eines Kindes außerhalb des Wohnortes vom , BGBl. Nr. 624/1995 (im Folgenden: V), normiert in § 2 Abs. 1, dass Ausbildungsstätten innerhalb einer Entfernung von 80 km zum Wohnort dann als nicht innerhalb des Einzugsbereiches des Wohnortes gelegen gelten, wenn die Fahrzeit vom Wohnort zum Ausbildungsort bzw. vom Ausbildungsort zum Wohnort mehr als eine Stunde bei Benützung des schnellsten öffentlichen Verkehrsmittels beträgt.

Gemäß § 2 Abs. 2 der V gelten Ausbildungsstätten innerhalb einer Entfernung von 80 km zum Wohnort jedenfalls als innerhalb des Einzugsbereiches des Wohnortes gelegen, wenn von diesen Gemeinden die tägliche Hin- und Rückfahrt zum und vom Studienort nach den Verordnungen gemäß § 26 Abs. 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 zeitlich noch zumutbar ist.

Die V ist nach ihrem § 4 auf Zeiträume ab dem anzuwenden.

Für dem Zeitraum ab dem zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. In § 1 der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung über die Erreichbarkeit von Studienorten nach dem Studienförderungsgesetz 1992 vom , BGBl. Nr. 605/1993, ist Mistelbach als Gemeinde angeführt, von der die tägliche Hin- und Rückfahrt zum und vom Studienort Wien zeitlich noch zumutbar ist. Gemäß § 2 Abs. 2 der V gilt die Technische Universität Wien daher als im Einzugsbereich des Wohnortes Eibesthal gelegen. Nach dem Wortlaut ("jedenfalls") der eben zitierten Bestimmung der V kommt es für die Frage nach dem Einzugsbereich nicht auf die in Abs. 1 normierte zeitliche Grenze von einer Stunde Fahrzeit an. Damit ist die belangte Behörde zu Recht davon ausgegangen, dass für den Zeitraum ab hinsichtlich der Berufsausbildung der Tochter des Beschwerdeführers keine außergewöhnliche Belastung iSd § 34 Abs. 8 EStG vorliegt.

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 3 der V, der sich nach seinem Wortlaut ausdrücklich nur auf Schüler und Lehrlinge bezieht und daher auf Studenten nicht anwendbar ist. Die hiezu vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Differenzierung zwischen Schülern und Studenten teilt der Verwaltungsgerichtshof nicht, weil Alter und damit Schüler- oder Studentenstatus des Kindes bei der Beurteilung der Frage nach dem Einzugsbereich keine sachfremden Kriterien darstellen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hatte die belangte Behörde auf den vorliegenden Beschwerdefall für den Zeitraum ab die zu § 34 Abs. 8 EStG 1988 ergangene V anzuwenden. So weit er vorbringt, dass dem in seinem Fall die Unmöglichkeit der täglichen Rückfahrt der Tochter wegen der in den Abendstunden stattfindenden Lehrveranstaltungen entgegenstehe, ist darauf zu verweisen, dass die Behörde an eine ordnungsgemäß kundgemachte Verordnung gebunden ist. Überdies sei angemerkt, dass das Gesetz den unbestimmten Rechtsbegriff "Einzugsbereich" enthält und die von der V getroffene Auslegung des Gesetzes dessen Rahmen auch dann nicht überschreitet, wenn sie im Rahmen eines ordentlichen Studiums nicht auch auf die am Abend abgehaltenen Lehrveranstaltungen abstellt.

Für den Zeitraum bis zum , für welchen die durch die V vorgenommene Auslegung des "Einzugsbereiches des Wohnortes" nicht zur Anwendung gelangt, ist der angefochtene Bescheid hingegen mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit behaftet. Unter dem in § 34 Abs. 8 EStG 1988 genannten "Einzugsbereich" ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 97/14/0043) der Nahebereich des Wohnortes zu verstehen, innerhalb dessen die tägliche Hin- und Rückfahrt von und zum Studienort mit öffentlichen Verkehrsmitteln unter Berücksichtigung der dafür aufzuwendenden Zeit (einschließlich der Zeiten für das Erreichen des öffentlichen Verkehrsmittels und der Wartezeiten) zumutbar ist. Für die Frage der Zumutbarkeit sind sowohl das Alter des Kindes als auch die zur Verfügung stehenden Verkehrsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 93/14/0213; vom , 92/15/0131, 0132).

Im vorliegenden Fall ist nach dem unbestrittenen Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren die schnellste Verbindung für die Hinfahrt mit dem Bus um 6.25 Uhr von Eibesthal zum Bahnhof Mistelbach und von dort mit dem nächsten Eilzug um

6.48 Uhr nach Wien, der um 7.38 Uhr in Wien Nord ankomme. Hinzu komme die Fahrt mit der U-Bahn bis zur Technischen Universität. Die Dauer der über die eigentliche Bahnfahrt hinausgehenden Fahrten mit dem Bus bzw der U-Bahn, die nötig sind, um von der Wohnung zum Bahnhof sowie vom Bahnhof zur Universität zu gelangen, ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit in die Fahrzeit einzubeziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 97/14/0043). Gleiches gilt für die Wartezeit, die beim Wechsel der verschiedenen öffentlichen Verkehrsmittel entsteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 91/13/0229).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis 91/13/0229) führt das Merkmal der Außergewöhnlichkeit der Belastung zu einer individuellen Betrachtung. Die belangte Behörde hat es im Beschwerdefall unterlassen zu prüfen, ob nach den konkreten Verhältnissen die Fahrt zum Studienort für die Tochter des Beschwerdeführers zumutbar gewesen wäre. Dieses Unterlassen ist auf die unrichtige Rechtsauffassung der belangten Behörde zurückzuführen, wonach auch für den Zeitraum vor Inkrafttreten der V allein davon auszugehen sei, dass sich die Zumutbarkeit von Fahrzeiten bei Studenten aus der Regelung der zu § 26 Abs. 3 Studienförderungsgesetzes ergangenen Verordnung ergebe. In Verkennung der Rechtslage hat die belangte Behörde ohne Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles die Zumutbarkeit bejaht.

Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebühren wurden nicht entrichtet.

Wien, am