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VwGH vom 31.05.2000, 96/08/0225

VwGH vom 31.05.2000, 96/08/0225

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des S in J, vertreten durch Dr. Herta Schirnhofer, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Am Heumarkt 9, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-P 7/95, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeiststraße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles ist dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 94/08/0204, zu entnehmen. Davon ist für den vorliegenden Beschwerdefall noch Folgendes wesentlich:

Der im Jahr 1938 wegen Verfolgung aus Gründen der Abstammung aus Österreich ausgewanderte Beschwerdeführer hat - seinen Angaben zufolge - von 1932 bis März 1938 als Gehilfe im Galanteriewarengeschäft seines Onkels Emanuel S in M gegen monatliches Entgelt gearbeitet. Seine Tätigkeit habe den Verkauf, die Warenübernahme, die Warensortierung, die Kundenbedienung und die Geschäftsreinigung umfasst.

Mit dem im ersten Rechtsgang ergangenen Einspruchsbescheid hat der Landeshauptmann von Wien den Antrag des Beschwerdeführers auf begünstigte Anrechnung im Sinne der §§ 500 ff ASVG mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer habe in der Pensionsversicherung der Angestellten keine Beitragszeiten gemäß § 226, noch Ersatzzeiten gemäß § 228 ASVG oder nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz zurückgelegt. Die vom Beschwerdeführer behauptete Tätigkeit als Gehilfe in einem Galanteriewarenbetrieb sei die Tätigkeit eines Arbeiters und nicht eine solche eines Angestellten.

Dieser Bescheid wurde mit dem genannten Erkenntnis vom , Zl. 94/08/0204, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies damit begründet, dass nach den Feststellungen der belangten Behörde, wonach die Tätigkeit des Beschwerdeführers den Verkauf, die Warenübernahme, die Warensortierung, die Kundenbedienung und die Geschäftsreinigung umfasst habe, nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer eine Tätigkeit im Sinne des § 223 Abs. 1 lit. d GSVG 1938 zumindest überwiegend verrichtet habe. Es stehe nämlich keineswegs fest, dass die Verkaufstätigkeit in einem Galanteriewarengeschäft (dabei handle es sich im Wesentlichen um den Handel mit modischem Zubehör zur Kleidung) keine "kaufmännische Signatur" trage und gegenüber nicht kaufmännischen Tätigkeiten (wie etwa der Verpackung und dem Sortieren von Waren) nicht überwogen habe. Ob die Verkaufstätigkeit bzw. die Kundenbedienung durch den Beschwerdeführer die Höhe kaufmännischer Dienste im Sinne der Lehre und Rechtsprechung zum GSVG erreicht habe (Hinweis auf Kerber, Die gewerbliche Sozialversicherung 345; zum Begriff der kaufmännischen Hilfsdienste aaO, 352 bzw. zur Verkaufstätigkeit das Stichwort "Verkäufer" im Berufsverzeichnis, Seite 875), hätte - so heißt es in der Begründung des zitierten Vorerkenntnisses weiter - die belangte Behörde durch Befragung des Beschwerdeführers zu Umfang und Art der von ihm verrichteten Tätigkeiten zu klären gehabt.

Im fortgesetzten Verfahren richtete die belangte Behörde ein Verwaltungshilfeersuchen folgenden Wortlaut an das Österreichische Konsulat in Jerusalem:

"Es wird ersucht, [den Beschwerdeführer] wohnhaft in ... als Partei zu laden und hinsichtlich des Umfanges und der Art der vom Genannten im Galanteriewarengeschäft seines Onkels Emanuel S in M verrichteten Tätigkeit niederschriftlich zu vernehmen. Insbesondere wird um Befragung gebeten, ob die Verkaufstätigkeit bzw. die Kundenbedienung gegenüber den nicht kaufmännischen Tätigkeiten, wie Warenübernahme, Warensortierung und Geschäftsreinigung, überwogen hat und welche Fertigkeiten und Kenntnisse der Genannte für seine Tätigkeit besessen hat.

Die Partei möge zur genauen Beantwortung der Fragen verhalten und besonders darauf hingewiesen werden, dass Verweise auf frühere Angaben oder Aussagen keinesfalls als ausreichend erachtet werden können."

In Beantwortung dieses Rechtshilfeersuchens übermittelte das Österreichische Konsulat in Jerusalem mit Schreiben vom an die belangte Behörde "die ... geforderten Fragen an [den Beschwerdeführer] und deren Beantwortung". Dem liegt ein mit "Niederschrift" überschriebenes Schriftstück, datiert mit , bei, wonach der Beschwerdeführer "zu den einzelnen Fragen nachstehend zu Protokoll" gegeben habe. Der folgende Text dieser Niederschrift lautet wörtlich wie folgt:

"Anbei 2 Beilagen, welche von [es fehlt eine Angabe der Person] wurden, und im Jersalemer ho. Konsulat von ihr persoenlich uebergeben wurde.

1.) Verkaufstätigkeit:


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2.)
Kundenbedienung:
3.)
Nicht kaufmaenische Tätigkeiten:
4.)
Warenübernahme:
5)
Warensortierung:
6)
Geschäftsreinigung:
7)
Welche Kenntnisse hat [der Beschwerdeführer] besessen (fuer diese Tätigkeit)

sowie Fertigkeiten?


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Antworten des [Beschwerdeführers] zu den obigen Fragen:
I.) Verkauf von Kurzwaren.
2.)
Habe Kunden bedient.
3.)
Geschäftsreinigung.
4.)
Warenübernahme.
5.)
Warensortierung.
6.)
Habe das Geschäft in Ordnung gehalten und sauber gemacht.
7.)
Habe keine Kaufmaennischen Kenntnisse besessen. sowie auch keine Fertigkeiten ausgeführt.

Gelesen und mit meinen Aussagen übereinstimmend


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befunden"

Diese Niederschrift trug die Unterschrift einer Konsularbediensteten und des Beschwerdeführers und war vom Konsul mit Datum unterfertigt und mit dem Dienstsiegel versehen.

Gestützt auf diese Niederschrift, zu welcher die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt eine Stellungnahme im Sinne ihrer bisher vertretenen Rechtsauffassung (der Beschwerdeführer jedoch keine Stellungnahme erstattete) erließ die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid, zu dessen Begründung sie nach Wiederholung des Verwaltungsgeschehens und Zitierung der von ihr in Betracht gezogenen gesetzlichen Bestimmungen Folgendes ausführte:

"Nach der Aussage des Begünstigungswerbers vom , wonach er keine kaufmännischen Kenntnisse und Fähigkeiten besessen habe, steht nunmehr fest, dass die Verkaufstätigkeit bzw. die Kundenbedienung durch den Genannten die Höhe kaufmännischer Dienste im Sinne der Lehre und Rechtsprechung zum GSVG nicht erreicht hat, sondern es sich im Zusammenhang mit den übrigen Tätigkeiten, die der Genannte ausgeübt hat (Geschäftsreinigung, Warenübernahme, Warensortierung) um kaufmännische Hilfsdienste im Sinne des GSVG 1938 gehandelt hat. Eine derartige Tätigkeit kann jedoch nicht die Angestelltenversicherungspflicht begründen.

Die angerufene Behörde hat daher in freier Beweiswürdigung festgestellt, dass [der Beschwerdeführer] eine Tätigkeit im Sinne des § 223 Abs. 1 lit. d GSVG 1938 nicht überwiegend verrichtet und damit keine Ersatzzeit gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 lit. a ASVG in der Pensionsversicherung der Angestellten zurückgelegt hat."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, in der als richtig eingeräumt wird, dass der Beschwerdeführer "keinen Abschluss als kaufmännischer Angestellter" erworben habe, jedoch darauf hingewiesen wird, dass dies für den Verkauf von Galanterie- und Kurzwaren und zur Bedienung von Kunden keine Voraussetzung sei. Der Umstand, dass neben der Verkaufstätigkeit auch das Geschäft in Ordnung gehalten und gereinigt worden sei, sei damals durchaus üblich gewesen. Die Tätigkeit als Angestellter habe überwogen.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerde ist schon deshalb begründet, weil die belangte Behörde zu den vom Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. 94/08/0204, als klärungsbedürftig erachteten Umständen, welche Tätigkeit der Beschwerdeführer in welchem zeitlichen Ausmaß verrichtet hat, neuerlich keine auf Beweisergebnissen beruhenden Feststellungen getroffen hat.

Die belangte Behörde konnte die näheren Umstände und das zeitliche Ausmaß der Verkaufstätigkeit des Beschwerdeführers auch gar nicht feststellen, weil ihr in dieser Hinsicht keine Beweisergebnisse vorlagen, auf deren Basis Feststellungen in der einen oder anderen Richtung hätten getroffen werden können. Es wäre vielmehr Sache der belangten Behörde gewesen, die ihr vom Österreichischen Konsulat in Jerusalem als "Niederschrift" übermittelte, inhaltlich jedoch völlig unzureichende und das Rechtshilfeersuchen in Wahrheit nicht beantwortende Erledigung, zweckmäßigerweise unter Hilfestellung durch Übermittlung eines präzisen Fragebogens ergänzen zu lassen. Die Verantwortung für die Vollständigkeit und Verwendbarkeit der konsularischen Niederschrift für das relevante Beweisthema trägt nämlich nicht etwa der Beschwerdeführer, sondern die belangte Behörde, sodass dem Beschwerdeführer weder der nichts sagende Inhalt dieser Niederschrift anzulasten ist, noch es zu seinem Nachteil auszuschlagen vermag, dass die Beschwerdevertreterin dazu im Verwaltungsverfahren keine weitere Stellungnahme erstattet hat. Eine solche erübrigt sich nämlich dann, wenn ein sachliches Substrat im Sinne des vom Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis bindend (§ 63 Abs. 1 VwGG) umschriebenen Beweisthemas überhaupt nicht vorliegt. Auch könnte eine solche Stellungnahme die ordnungsgemäße Beweisaufnahme nicht ersetzen. Ebenso wenig berechtigte das Fehlen jeglicher Angaben über das zeitliche Ausmaß der vom Beschwerdeführer offenbar genannten Tätigkeiten die belangte Behörde dazu, "in freier Beweiswürdigung" anzunehmen, dass Tätigkeiten im Sinne des § 223 Abs. 1 lit. d GSVG nicht überwiegend verrichtet worden seien. Insoweit vermochte sich die belangte Behörde auch nicht auf Erfahrungssätze allgemeiner Art stützen: es entspricht nämlich nicht gerade der Lebenserfahrung, dass in einem Verkaufsgeschäft die zeitlich überwiegenden Tätigkeiten der dort zum Verkauf Beschäftigten in der Reinigung des Geschäftes und in der Warensortierung bestehen würden.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am