VwGH vom 12.08.1994, 93/14/0097
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Mag. Heinzl und Dr. Zorn als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des J in O, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol, Berufungssenat I, vom , Zl 30.309-3/92, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 1986 und Einkommensteuer 1986, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer errichtete in den Jahren 1978 und 1979 eine Tankstelle mit Servicestation auf fremdem (gepachtetem) Grund, welche er zunächst selbst betrieb und ab September 1984 verpachtete, wobei zu diesem Zeitpunkt eine Betriebsaufgabe (noch) nicht erfolgte. 1987 teilte der Beschwerdeführer dem Finanzamt mit, daß er die gewerbliche Verpachtung der Tankstelle mit eingestellt habe. Das Tankstellengebäude werde zwar weiter vermietet, die Einkünfte daraus stellten aber solche aus Vermietung und Verpachtung dar. Für das Jahr 1986 wurde, ausgehend von einem Entnahmewert des Gebäudes, nach einem den Abgabenerklärungen beigelegten Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen in Höhe von S 1,560.000,-- ein Veräußerungsgewinn erklärt. Das Finanzamt veranlagte den Beschwerdeführer erklärungsgemäß. Im Jahr 1989 verkaufte der Beschwerdeführer das Tankstellengebäude an den bisherigen Pächter um S 3,350.000,--.
Anläßlich einer im Jahr 1991 erfolgten abgabenbehördlichen Prüfung über die Jahre 1986 bis 1988 gelangte der Prüfer zur Ansicht, daß das vorgelegte Gutachten hinsichtlich des Entnahmewertes zahlreiche Fehleinschätzungen und Falschbewertungen aufweise. Insbesondere betreffe dies sehr hohe Abschläge für verlorenen "Baraufwand", Alterswertminderung, Ansatz für Steuern, Erhaltung und nicht verrechenbaren Verwaltungsaufwand, Pachtausfallswagnis und die angenommene Restnutzungsdauer von 17 Jahren ohne Berücksichtigung einer entsprechenden Gebäudeablöse bei "Auslaufen" des Pachtvertrages mit dem Grundeigentümer. Es werde daher nicht das vorgelegte Schätzungsgutachten, sondern als Hilfsmittel zur Berechnung des Entnahmewertes 1986 "der Verkaufspreis 1988" zugrunde gelegt. Da weder vom Steuerpflichtigen noch vom Käufer der Tankstelle behauptet worden sei, daß im Zeitraum 1986 bis 1988 Umstände eingetreten seien, die den Betrieb bzw. den Standort wertmäßig nennenswert beeinflußt hätten, werde zur Berechnung des Entnahmewertes lediglich ein "Indexabschlag vom Verkaufspreis 1988" vorgenommen (S 181.000,--). Der Entnahmewert sei daher mit S 3,169.000,-- anzusetzen.
Das Finanzamt folgte dieser Ansicht des Prüfers und erließ bezüglich Einkommensteuer 1986 sowohl einen Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens als auch einen entsprechenden neuen Sachbescheid.
In einer dagegen eingebrachten Berufung wurde ausgeführt, nach Ansicht der Finanzverwaltung läge die einzige Begründung für die Wiederaufnahme des Verfahrens darin, daß der auf dem Schätzungsgutachten basierende Entnahmewert des Gebäudes nicht dem tatsächlichen gemeinen Wert entspreche. Da der Verkauf des Gebäudes 1989 als novum productum einzustufen sei, sei es nicht möglich, einen zwei Jahre nach der Betriebsaufgabe erzielten Veräußerungspreis, der von allen möglichen Einflüssen abhängen könne, als Bewertungsgrundlage für die Betriebsaufgabe heranzuziehen. Es liege daher kein Wiederaufnahmsgrund vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Dem Finanzamt sei erst im Zuge der abgabenbehördlichen Prüfung der Inhalt des Bestandvertrages und des Bestandvertrag-Nachtrages bekannt geworden. Nach Punkt I des Bestandvertrages gingen die auf dem Bestandgrundstück im Rahmen des Bestandvertrages errichteten Anlagen und Einrichtungen nicht in das Eigentum des Bestandgebers über. Punkt II des Vertrages bestimme, daß das Bestandverhältnis mit Wirkung vom auf unbestimmte Dauer abgeschlossen werde und von beiden Vertragsteilen unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten jeweils zum Jahresende aufgekündigt werden könne. Seitens des Bestandgebers könne eine Aufkündigung frühestens zum erfolgen. Der (wertgesicherte) Bestandzins betrage S 15.000,-- pro Jahr zuzüglich Umsatzsteuer (Pkt III des Vertrages). Der Bestandgeber räume den Bestandnehmern hinsichtlich der Bestandsliegenschaft das Vorkaufsrecht ein. Das Entgelt für dieses Vorkaufsrecht sei im Bestandzins inbegriffen. Weiters räume der Bestandgeber den Bestandnehmern das Vorpachtrecht nach Ablauf dieses Bestandsvertrages und seine Zustimmung zur Verbücherung dieser Rechte zugunsten der Bestandnehmer ein (Pkt V des Vertrages). Im Bestandvertrag-Nachtrag werde unter Punkt III vereinbart: "Sollte das Bestandsverhältnis, aus welchem Grunde immer, vorzeitig aufgelöst werden, so erklärt sich der Bestandgeber bereit, mit der Unterbestandnehmerin Shell Austria AG, ... hinsichtlich des Bestandgrundstückes einen verbücherungsfähigen Vertrag zu den gleichen Konditionen abzuschließen, wobei sich die Unterbestandnehmerin verpflichtet, die von den bisherigen Bestandnehmern getätigten Investitionen zur Errichtung der Tankstelle auf dem Grundstück ..., zu dem von einem Dritten angebotenen Preis ablösen; sollte ein derartiges Anbot eines Dritten nicht vorliegen, wird der Wert der genannten Investitionen durch ein einvernehmlich bestelltes Schätzungsgutachten festgestellt."
Damit sei aber nach Ansicht der belangten Behörde zweifelsfrei erwiesen, daß in dem den Abgabenerklärungen 1986 beigeschlossenen Gutachten die vorangeführten Vertragsbestimmungen unberücksichtigt geblieben seien. Die beiden Bestandverträge seien im Zeitpunkt der Erlassung des (ursprünglichen) Einkommensteuerbescheides 1986 dem Finanzamt nicht vorgelegen. Die Kenntnis dieser Umstände hätte aber einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt. Bei Erstellung des Gutachtens hätte daher von einer höheren Gesamtnutzungsdauer und damit auch von einem wesentlich niedrigeren Altersabschlag ausgegangen werden müssen. Aber auch die Abschläge von 15 % und 10 % wegen verloren Bauaufwandes erwiesen sich als unberechtigt, sei das Gebäude doch weiterhin seiner Bestimmung gemäß verwendet worden. Desgleichen sei ein Abschlag für Pachtausfallswagnis unbegründet, zumal das Gebäude seit 1984 an den späteren Käufer verpachtet gewesen sei.
Zu dem vom Prüfer angesetzten Wert führte die belangte Behörde aus, daß sich bei objektiver Wertermittlung nach F W Ross und R Brachmann, Ermittlung des Bauwertes von Gebäuden und des Verkehrswertes von Grundstücken, unter Heranziehung der seinerzeitigen Herstellungskosten, der jeweiligen Baukostenindexsteigerung und unter Zugrundelegung einer Gesamtnutzungsdauer von 45 Jahren sowie nach Abzug eines Altersabschlages von 10,5 % ein Wert von S 3,137.952,-- ergebe.
Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bzw. "Nichtigkeit wegen Aktenwidrigkeit".
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, worin die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird. Der Beschwerdeführer replizierte auf die Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 303 Abs 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs 1 lit a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der Beschwerdeführer tritt der im angefochtenen Bescheid erstmals vertretenen Ansicht entgegen, dem Finanzamt wären der Bestandvertrag und der Nachtrag hiezu erst anläßlich der abgabenbehördlichen Prüfung bekannt geworden; die Verträge hätten bereits bei der vorangegangenen Prüfung Berücksichtigung gefunden.
Nun kann jedoch im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, wann der Behörde die entsprechenden Verträge bekannt geworden sind. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde enthalten die Verträge nämlich in dem von ihr zitierten Umfang nichts, was in bezug auf die vom Prüfer angeführten Fehleinschätzungen und Falschbewertungen als Tatsache oder Beweismittel im Sinn des § 303 Abs 1 lit b BAO angesehen werden könnte. Weder dem Bestandvertrag noch dem Nachtrag hiezu sind nämlich Umstände zu entnehmen, die die Annahme einer längeren als 25-jährigen Nutzungsdauer des Gebäudes rechtfertigen. Zwar wurde einerseits das Bestandverhältnis im Jahr 1978 "auf unbestimmte Dauer" abgeschlossen und seitens des Bestandgebers auf eine Aufkündigung vor dem Jahr 2003 verzichtet, andererseits mußte der Bestandnehmer aber gewärtigen, daß der Bestandgeber von seinem Recht der Aufkündigung im Jahr 2003, somit 25 Jahre nach Vertragsabschluß, Gebrauch macht. Wenngleich der Bestandgeber dem (bezughabenden) Bestandnehmer in Punkt V des Vertrages das (weitere) Vorpachtrecht "nach Ablauf dieses Bestandvertrages" einräumte, muß darin zunächst ein Ablauf des Bestandvertrages im Jahr 2003 gesehen werden. Auch aus der Formulierung des Nachtrages zu diesem Bestandvertrag kann daher nach Ablauf des Jahres 2003 nicht mehr von einer "vorzeitigen" Auflösung des Bestandverhältnisses ausgegangen werden, für welchen Fall eine Ablöse durch den UNTERbestandnehmer (zwischen Bestandgeber und Bestandnehmer) vereinbart war. Unter Berücksichtigung der Unkündbarkeit des Vertrages durch den Bestandgeber bis 2003 und im Hinblick auf den oben erwähnten "Ablauf dieses Bestandvertrages" kann die "vorzeitige" Auflösung des Bestandverhältnisses laut Nachtrag zum Bestandvertrag nur auf den Bestandnehmer bezogen werden, sodaß der Bestandnehmer mit einer Ablöse allenfalls nur innerhalb des Zeitraumes zwischen 1978 und 2003 rechnen durfte. Von einer "Gebäudeablöse bei Auslaufen des Pachtvertrages mit dem Grundeigentümer", wie sie der Prüfer in seinem gemäß § 151 BAO erstatteten Bericht erwähnt, kann daher ebensowenig ausgegangen werden wie von der Unrichtigkeit der darin erwähnten 17-jährigen Restnutzungsdauer. Daß die darüber hinaus erwähnten Fehleinschätzungen und Falschbewertungen auf einer "neuen" Kenntnis des Bestandvertrages einschließlich des Nachtrages hiezu beruht, zeigt der Prüfer nicht auf. Auch die belangte Behörde stellt einen Bezug zu den bei der abgabenbehördlichen Prüfung bekannt gewordenen Verträgen nicht her, wenn sie die Abschläge von 15 % und 10 % wegen verlorenen Bauaufwandes ausdrücklich deswegen als unberechtigt bezeichnet, weil "das Gebäude weiterhin seiner Bestimmung gemäß verwendet wurde". Die Kenntnis dieses Umstandes ist (ebenso wie der behaupteterweise unberechtigte Ansatz eines Abschlages für Pachtausfallswagnis) zweifellos erst auf einen Zeitpunkt bezogen, der nach dem Verkauf des Gebäudes liegt.
Die Ansicht der belangten Behörde, daß im Rahmen der abgabenbehördlichen Prüfung (entscheidungswesentliche) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorgekommen seien, die der Abgabenbehörde im abgeschlossenen Verfahren nicht bekannt gewesen seien, kann daher nicht geteilt werden. Der Umstand, daß das Gebäude im Jahr 1989 um rund S 3 Mio verkauft wurde, mag zwar die Wertermittlung durch das den Abgabenerklärungen 1986 beigeschlossene Sachverständigengutachten unzutreffend erscheinen lassen, rechtfertigt alleine aber als neue Tatsache (novum productum) nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens.
Da somit die Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer 1986 zu Unrecht erfolgt ist, ist auch der Erlassung eines neuen Sachbescheides hinsichtlich dieser Abgabe der Boden entzogen. Es erübrigt sich daher eine Auseinandersetzung mit der Überprüfung des gemeinen Wertes des Betriebsgebäudes durch die belangte Behörde im Rahmen dieses neuen Sachbescheides. Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, daß diesem - wie oben dargelegt mit unzureichender Begründung - eine Gesamtnutzungsdauer von 45 Jahren (statt von 25 Jahren) zugrunde gelegt wurde.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl Nr 416/1994. An Stempelgebühren waren dem Beschwerdeführer S 360,-- für den Schriftsatz in dreifacher Ausfertigung sowie S 90,-- für den angefochtenen Bescheid in einfacher Ausfertigung zuzuerkennen.
Damit erübrigte sich eine Erledigung des Antrages, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.