VwGH vom 26.06.1991, 90/09/0194
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl und Dr. Germ, im Beisein des Schriftführers Mag. Fritz, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vom , Zl. 710-443.198-003, betreffend Beschädigtenrente-HVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11. 540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer verunglückte während der Zeit der Ableistung seines Präsenzdienstes am , um
17.10 Uhr, auf der Tauern-Autobahn mit seinem Pkw auf der Heimfahrt vom Ort der militärischen Dienstleistung.
Mit Bescheid des Landesinvalidenamtes für Kärnten vom wurde die vom Beschwerdeführer mit Antrag vom 16. Feber 1989 bzw. geltend gemachte Gesundheitsschädigung "Polytrauma nach Verkehrsunfall" gemäß §§ 1 und 2 HVG nicht als Dienstbeschädigung anerkannt.
Zur Begründung wird nach Wiedergabe der im einzelnen erlittenen Gesundheitsschädigungen als Sachverhalt im wesentlichen auf die Verkehrsunfallsanzeige des Landesgendarmariekommandos Salzburg vom (richtig: 1988) Bezug genommen. Nach dieser sei der Beschwerdeführer zum genannten Zeitpunkt mit seinem Pkw und weiteren vier Präsenzdienern als Mitfahrer auf der Tauern-Autobahn in Richtung Villach unterwegs gewesen. Unmittelbar vor dem Talübergang Lammertal sei der Beschwerdeführer auf der mit Schneematsch bedeckten Fahrbahn am linken Fahrstreifen gefahren und habe mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h einen Lkw überholen wollen. Dabei sei sein Fahrzeug ins Schleudern gekommen, habe sich überschlagen und sei auf dem Dach liegend quer über die Fahrbahn geschlittert.
Nach Wiedergabe der Rechtslage und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, nach der eine grobe Fahrlässigkeit dann anzunehmen sei, wenn eine außergewöhnliche und auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht vorliege und der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich vorhersehbar sei, wird lediglich weiter ausgeführt, da eine Gefährdung oder Behinderung durch einen anderen Verkehrsteilnehmer offensichtlich nicht erfolgt sei, sei als Unfallsursache die für den gegebenen Straßen- und Witterungszustand (Schneefahrbahn durch starken Schneefall, Dunkelheit) überhöhte Fahrgeschwindigkeit anzunehmen. Laut § 20 Abs. 1 StVO habe der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen, sowie den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Ein Überholvorgang auf einer mit Schneematsch bedeckten Fahrbahn bei Schneefall und Dunkelheit mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h stelle kein Versehen minderen Grades dar, sondern sei als grobe Fahrlässigkeit zu qualifizieren.
Dagegen brachte der Beschwerdeführer in seiner Berufung im wesentlichen vor, die Behörde stütze sich lediglich auf die Verkehrsunfallsanzeige, ohne auf das im Gegenstand laufende Strafverfahren Bedacht zu nehmen; das Ergebnis dieses Verfahrens wäre abzuwarten. Aber selbst bei einer Verurteilung nach § 88 StGB bedeute das noch nicht, daß die erlittene Dienstbeschädigung auf ein grob fahrlässiges Verhalten zurückzuführen sei, weil bei § 88 StGB nicht zwischen grober und leichter Fahrlässigkeit unterschieden werde. Es hätte daher die Behörde auch nach Vorliegen eines verurteilenden Abspruches zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer ein grob fahrlässiges Verhalten zur Last falle. In weiterer Folge werden dann noch verschiedene höchstgerichtliche Entscheidungen zum Begriff der groben Fahrlässigkeit dargelegt.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes A vom wurde der Beschwerdeführer gemäß § 88 Abs. 1 und Abs. 4 StGB auf Grund folgenden Sachverhaltes zu 40 Tagsätzen zu je S 30,-- verurteilt und die Strafe gemäß § 43 Abs. 1 StGB für eine Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen:
Der Beschwerdeführer "hat am in Eben im Pongau auf der Tauern-Autobahn (A 10) beim Talübergang 'Lammertal' als Lenker des Pkw mit dem Kennzeichen K n dadurch, daß er wegen Einhaltung einer relativ überhöhten Geschwindigkeit (Annäherungsgeschwindigkeit von 90 km/h auf Schneefahrbahn) die Herrschaft über das Fahrzeug verlor, ins Schleudern geriet und das Fahrzeug zum Überschlagen brachte, einen Verkehrsunfall verschuldet, bei welchem der Mitfahrer K schwer verletzt wurde (Knochenbrüche, Rißquetschwunden und Hautabschürfungen) und die Mitfahrer Z (Nierenprellung), B (Fraktur an der Nasenspitze und G (Prellungen) leichte Verletzungen erlittten."
In einem ergänzenden Vorbringen vom wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß das Gericht ausgehend vom Gutachten des verkehrstechnischen Sachverständen nur einen sehr geringen Grad der Fahrlässigkeit in seinem Fall angenommen habe und vertrat unter Hinweis auf das Gutachten auch die Auffassung, daß die Ursache für das Schleudern nicht so sehr in einer zu hohen Geschwindigkeit, sondern in einer zu raschen Gaswegnahme in Verbindung mit dem Spurwechsel (Überholen eines Lkws) zu suchen sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben.
Zur Begründung wird nach Wiedergabe des Spruches des erstinstanzlichen Bescheides und zusammengefaßter Darlegung des Berufungsvorbringens weiter ausgeführt:
Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen sei der Beschwerdeführer zum genannten Zeitpunkt mit seinem Pkw mit einer Geschwindigkeit von 90 bis 100 km/h auf der Tauern-Autobahn in Richtung Villach gefahren. Es sei bereits dunkel gewesen, es habe geschneit und die Fahrbahn sei zu diesem Zeitpunkt schneebedeckt gewesen. Als der Beschwerdeführer zum Überholen eines Lkws angesetzt habe, sei das Fahrzeug ins Schleudern gekommen, habe sich überschlagen, sei auf dem Dach liegend quer über die Fahrbahn geschlittert und anschließend am Pannenstreifen liegen geblieben. Im Zuge des gerichtlichen Beweisverfahrens seien Sachverständigengutachten eines namentlich genannten gerichtlich beeideten Sachverständigen eingeholt worden. In diesem Gutachten, auf das der Beschwerdeführer in seinem ergänzenden Vorbringen vom verwiesen habe, werde im wesentlichen ausgeführt, daß die Instabilität des Fahrzeuges bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von 90 km/h und glatter Auflage bei Gangwechsel, Gaswegnahme und allfälligen Lenkkorrekturen (Überholabsicht) möglich sei. Wenn bei der Geschwindigkeit von 90 km/h eine Instabilität des Fahrzeuges beobachtet worden sei, so könne als Erklärung hiefür eine Änderung in den Reibungswerten bei Gaswegnahme und Frontantrieb zu dem Ausbrechen des Hecks führen. Der Feststellung des Beschwerdeführers, daß bloß (und damit ausschließlich) eine zu rasche Gaswegnahme zur Instabilität des Pkws geführt habe, könne daher nicht gefolgt werden.
Weiters sei festgestellt worden, daß ein Kontakt mit einem Hindernis bei der Auslaufbewegung ausgeschlossen werden könne. Die Beschädigung an der Innenseite des linken Vorderreifens stelle einen Einstich dar, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch Lenkgestänge oder Spurstangen im Kippvorgang verursacht worden sei. In Kenntnis dieses Gutachtens habe der Beschwerdeführer vor Gericht bekannt, daß er einsehe, sein Verschulden liege darin, daß er - gemessen an den Fahrbahnverhältnissen - mit relativ überhöhter Geschwindigkeit gefahren und deshalb ins Schleudern gekommen sei.
Hiezu habe die belangte Behörde erwogen, es sei nach dem Sachverständigengutachten möglich, daß eine Gaswegnahme zur Instabilität des Fahrzeuges geführt habe; es seien aber auch andere Gründe, wie z.B. eine Lenkkorrektur bei Überholabsicht, durchaus denkbar. Der Lenker eines Kraftfahrzeuges habe jedenfalls die Geschwindigkeit und das Fahrverhalten den äußeren Bedingungen (Licht- und Witterungsverhältnissen) und auch seiner Fahrpraxis anzupassen. Bei einem Überholmanöver mit 90 km/h in der Dunkelheit, bei Schneefall und auf einer Schneematschfahrbahn sei ein Verstoß gegen das normale Handeln auffallend und der Vorwurf der Sorglosigkeit in höherem Maße (grobe Fahrlässigkeit) gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der kostenpflichtige Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und kostenpflichtige Abweisung beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 1 des Heeresversorgungsgesetzes wird eine Gesundheitsschädigung, die ein Soldat infolge des ordentlichen oder außerordentlichen Präsenzdienstes (§§ 27 und 35 des Wehrgesetzes 1978, BGBl. Nr. 1950), einschließlich einer allfälligen beruflichen Bildung im freiwillig verlängerten Grundwehrdienst oder im Wehrdienst als Zeitsoldat, erlitten hat, nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes als Dienstbeschädigung entschädigt (§ 2). Das gleiche gilt für eine Gesundheitsschädigung, die ein Wehrpflichtiger (§ 16 des Wehrgesetzes 1978) bei einem Ausgang auf dem Hin- oder Rückweg zwischen der Wohnung und dem Ort der militärischen Dienstleistung erlitten hat (§ 1 Abs. 1 lit. i leg. cit.). Eine Gesundheitsschädigung, die auf einem Weg gemäß lit. d bis k erlitten wird, ist jedoch dann nicht als Dienstbeschädigung zu entschädigen, wenn sie auf ein grob fahrlässiges Verhalten des Wehrpflichtigen zurückzuführen ist. Diese durch Art. II Z. 1 der 18. Novelle zum Heeresversorgungsgesetz, BGBl. Nr. 614/1987, geschaffene Rechtslage gilt jedenfalls ab .
Im Beschwerdefall ist strittig, ob der vom Beschwerdeführer am erlittene Unfall, der unbestrittenermaßen als Wegunfall zu werten ist, auf eine grobe Fahrlässigkeit des Beschwerdeführers zurückzuführen ist oder nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , Zl. 89/09/0002, zur Frage der groben Fahrlässigkeit in diesem rechtlichen Zusammenhang und unter Zitierung weiterer Judikatur Stellung genommen. Demnach ist eine grobe Fahrlässigkeit nur dann anzunehmen, wenn der Täter die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlicher und darum auffallender Weise vernachlässigt. Es muß sich um ein Versehen handeln, das mit Rücksicht auf die Schwere und die Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt und sich dabei auffallend aus der Menge der - auch für den Sorgsamsten nie ganz vermeidbaren - Fahrlässigkeitshandlungen des täglichen Lebens heraushebt. Sie ist dann anzunehmen, wenn sich jemand über grundlegende und leicht erkennbare Vorschriften hinwegsetzt. Eine grobe Fahrlässigkeit setzt ein Handeln oder Unterlassen voraus, bei dem unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen und bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den Umständen in einem ungewöhnlichen hohem Maße verletzt wurde und ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden. Dabei wird in der Regel das Bewußtsein der Gefährlichkeit vorausgesetzt.
Im Beschwerdefall anerkennt die belangte Behörde auf Grund des genannten und in der Begründung des angefochtenen Bescheides auszugsweise wiedergegebenen Sachverständigengutachtens, daß auch geringfügige fahrtechnische Ursachen für den gegenständlichen Unfall zumindest mit maßgebend gewesen sein können. Der Beschwerdeführer habe aber seine Fahrgeschwindigkeit nicht ausreichend den Fahrverhältnissen angepaßt, wodurch die belangte Behörde bereits die grobe Fahrlässigkeit verwirklicht sieht.
Damit geht die belangte Behörde bereits von einem Begriffsinhalt der groben Fahrlässigkeit aus, der im Sinne der vorher dargestellten Rechtsprechung im Gesetz keine Deckung findet. Nicht jede, allenfalls nur geringe Überschreitung einer von den Fahrverhältnissen und daher weder normativ, noch sonst überhaupt festgelegten Höchstgeschwindigkeit stellt im Sinne der genannten gesetzlichen Bestimmung nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bereits ein grob fahrlässiges Verhalten dar.
Da die belangte Behörde ausgehend von einer unrichtigen Rechtsauffassung eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage, ob im Beschwerdefall tatsächlich eine ungewöhnliche und darum auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht durch eine deutliche Überschreitung der nach den Verhältnissen gebotenen Höchstgeschwindigkeit vorgelegen ist, unterlassen hat, mußte der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Soweit in der Amtlichen Sammlung nicht veröffentlichte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes genannt sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.