VwGH vom 23.04.2003, 2002/08/0270
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2002/08/0280 E
2003/08/0001 E
2003/08/0014 E
2003/08/0115 E
2002/08/0285 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Kärntner Ring 10, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom , Zl. GS8-SV-68-2002, betreffend Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (mitbeteiligte Partei:
Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der am geborene Beschwerdeführer beantragte am bei der damaligen Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter (der Rechtsvorgängerin der nunmehr mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt) die Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gemäß § 253d ASVG. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom wurde dieser Antrag unter Hinweis auf die mittlerweile in Kraft getretene Bestimmung des § 587 Abs. 4 ASVG "ohne Überprüfung der allgemeinen und besonderen Anspruchsvoraussetzungen abgelehnt". Nach der Begründung dieses Bescheides seien solche Anträge, die nach dem und vor dem gestellt worden seien, als Anträge auf Invaliditätspension gemäß § 255 Abs. 4 ASVG in der ab geltenden Fassung zu werten. Dieser Anspruch sei an die Vollendung des 57. Lebensjahres geknüpft. Der Beschwerdeführer habe das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet.
Mit am bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eingelangtem Schriftsatz stellte der (nunmehr durch Bedienstete der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Niederösterreich vertretene) Beschwerdeführer den Antrag auf Herstellung des gesetzlichen Zustandes unter Hinweis auf das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom , 10 ObS 274/01, in welchem dieser festgestellt habe, dass die rückwirkende Aufhebung des § 253d ASVG gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen habe. Die Abweisung sei auf Grund eines offenkundigen Versehens der Pensionsversicherungsanstalt erfolgt.
Mit Bescheid von wies die Rechtsvorgängerin der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt diesen Antrag als unbegründet ab. Sie begründete diesen Bescheid lediglich damit, dass (ergänze: bei der Erlassung des Bescheides vom ) weder ein offenkundiges Versehen noch ein wesentlicher Irrtum vorgelegen sei.
Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. In ihrer Stellungnahme, mit welcher die Pensionsversicherungsanstalt diesen Einspruch der belangten Behörde vorlegte, berief sie sich (erstmals) im Wesentlichen darauf, dass sie sich bei Erlassung dieses und vergleichbarer Bescheide - wie auch die anderen Pensionsversicherungsanstalten - grundsätzlich jeweils nur auf nationales Recht gestützt und ihren Rechtsstandpunkt in den den die jeweilige Bescheiderlassung nachfolgenden sozialgerichtlichen Verfahren nachdrücklich verteidigt habe. Dieser Rechtsstandpunkt sei in Entscheidungen erster und zweiter Instanz, hingegen nicht vom Obersten Gerichtshof bestätigt worden. Es habe sich daher um eine "strittige Bestimmung" gehandelt, deren "Anwendung und Auslegung durch die bescheiderlassende Behörde nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsmaterie" erfolgt sei. Sie habe weder versehentlich den Vorrang des Gemeinschaftsrechts außer Acht gelassen, noch verhalte es sich so, dass sie um die "generelle Vorrangsregelung" (wohl gemeint: um den Anwendungsvorrang von Gemeinschaftsrecht gegenüber entgegenstehendem nationalen Recht) nicht gewusst hätte.
Darüber hinaus vertritt die Pensionsversicherungsanstalt in dieser Stellungnahme die Auffassung, dass der OGH zu Unrecht "acte claire" angenommen habe. Es liege jedenfalls kein offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG vor.
Die belangte Behörde wies den Einspruch des Beschwerdeführers mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid ab und machte sich in der Begründung im Wesentlichen die zuletzt wiedergegebene Argumentation der Pensionsversicherungsanstalt zu eigen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt beschränkte sich in einer als "Gegenschrift" bezeichneten Äußerung auf einen Hinweis auf die Begründung des angefochtenen Bescheides und beantragt die Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
I. Der vorliegende Beschwerdefall ist vor dem Hintergrund nachstehender Rechtsentwicklung zu beurteilen:
1. Mit der 35. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 585/1980, wurde in § 255 Abs. 4 ASVG erstmals ein spezieller Invaliditätsbegriff für versicherte Arbeiter ab dem vollendeten 55. Lebensjahr eingeführt, der (im Wesentlichen) daran anknüpfte, dass ein Versicherter die in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach dem ASVG während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag ausgeübte gleiche oder gleichartige Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte. Mit der 39. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 590/1983, wurde mit § 273 Abs. 3 ASVG in der Fassung dieser Novelle ein entsprechender Berufsunfähigkeitsbegriff auch für Angestellte eingeführt.
Mit der 51. Novelle zum ASVG, Sozialrechts-Änderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 335/1993, wurde per (§ 551 Abs. 1 Z. 2 leg. cit.) in § 253d ASVG die Leistung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit im ASVG geschaffen, in welcher die bis dahin in § 255 Abs. 4 und § 273 Abs. 3 ASVG vorgesehenen Leistungen mit der Maßgabe aufgegangen sind, dass in § 253d Abs. 1 Z. 2 ASVG ein spezielles Anspruchserfordernis zusätzlich vorgesehen wurde.
In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (932 BlgNR XVIII. GP, 49) wird hierzu u.a. Folgendes ausgeführt:
"Als eine Maßnahme im Interesse älterer, nicht mehr voll einsatzfähiger Langzeitarbeitsloser, die vorher schon längere Zeit der Versichertengemeinschaft angehört haben, wird mit der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit eine neue Leistung der Pensionsversicherung eingeführt, und zwar dadurch, dass die derzeit bestehenden Regelungen (Tätigkeitsschutz) bei Invalidität/Berufsunfähigkeit ab dem 55. Lebensjahr (§§ 255 Abs. 4, 273 Abs. 3 ASVG) zu einer vorzeitigen Alterspension zusammengefasst werden."
2. Mit dem Strukturanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 201/1996, wurde das Anfallsalter für männliche Versicherte auf das vollendete 57. Lebensjahr erhöht; jenes für weibliche Versicherte blieb unverändert.
Mit dem ASRÄG 1997, BGBl. I Nr. 139/1997, wurden in § 253d Abs. 1 ASVG mit Wirkung vom zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen aufgenommen; durch die 55. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 138/1998 ebenfalls mit Wirksamkeit , wurde dem § 253d ASVG ein Abs. 4 hinzugefügt.
§ 253d Abs. 1 ASVG lautete somit:
"Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit hat der Versicherte nach Vollendung des 57. Lebensjahres, die Versicherte nach Vollendung des 55. Lebensjahres, wenn er (sie)
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1. | die Wartezeit erfüllt hat (§ 236), | |||||||||
2. | innerhalb der letzten 180 Kalendermonate vor dem Stichtag 72 Beitragsmonate der Pflichtversicherung nachweist, | |||||||||
3. in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs. 2) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat, | ||||||||||
4. infolge seines (ihres) körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit (Z. 3) wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt und | ||||||||||
5. bereits seit mindestens 20 Wochen gemäß Z 4 gemindert arbeitsfähig ist, wobei Zeiten des Anspruches auf Entgeltfortzahlung oder auf Krankengeld zu berücksichtigen sind." | ||||||||||
3. Eine gleichartige (seit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 ein unterschiedliches Anfallsalter für Männer und Frauen mit dem | ||||||||||
57. bzw. dem 55. Lebensjahr vorsehende) Parallelbestimmung enthielt § 122c BSVG (eingeführt mit der 18. BSVG-Novelle, BGBl. Nr. 337/1993). Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) sprach mit Urteil vom , Slg. 2000 I-03625, Rechtssache C-104/98 (im Folgenden auch: "Buchner"-Entscheidung), aus, dass das unterschiedliche Pensionsanfallsalter für Männer und Frauen für die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit gemäß § 122c BSVG gegen Art. 7 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit verstößt. Die Wirkung dieser Entscheidung wurde - mit näherer Begründung - nicht zeitlich begrenzt. Auf Grund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes war daher die in sämtlichen Sozialversicherungsgesetzen eingeführte Erhöhung des Anfallsalters für Männer auf 57 Jahre unbeachtlich. | ||||||||||
4. In der Folge wurden daher bei allen Pensionsversicherungsträgern zahlreiche Anträge auf Erlangung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gestellt (vgl. dazu Rudda, in SoSi 2001, 337 ff). |
5.1. Bereits zum Zeitpunkt der Verkündung des oben genannten EuGH-Urteiles bestand die Absicht, die vorzeitige Alterspension wegen Arbeitsunfähigkeit mit dem SRÄG 2000 zum abzuschaffen. Dies ergibt sich aus den Materialien des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000 - SVÄG 2000, BGBl. I Nr. 43/2000; mit diesem Gesetz, kundgemacht am , wurde unter dem Eindruck der "Buchner"-Entscheidung des EuGH § 253d ASVG, mithin die Anspruchsgrundlage für die vorzeitige Alterspension wegen Arbeitsunfähigkeit, (rückwirkend) mit Ablauf des außer Kraft gesetzt (§ 587 Abs. 2 ASVG idF des SVÄG 2000).
Im Ausschussbericht (187 BlgNR XXI. GP) findet sich u.a. folgende Begründung dafür:
"Auf Grund des am verkündeten Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache C-104/98, Buchner, wird die österreichische Rechtslage, nach der das Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) für Frauen 55, für Männer 57 Jahre beträgt, als dem EG-Recht widersprechend angesehen, da dieser geschlechtsspezifische Unterschied der Richtlinie des Rates vom zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S 24) widerspricht. Nach der vorhergehenden Judikatur des EuGH zu dieser Richtlinie hat dieses Urteil zur Folge, dass das benachteiligte Geschlecht so lange Anspruch auf dieselben Vergünstigungen hat, als der nationale Gesetzgeber die EG-Widrigkeit nicht behoben hat. Daher haben de facto auf Grund dieses Urteils auch Männer einen Anspruch auf diese vorzeitige Alterspension bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres.
Mit Rücksicht darauf, dass im Entwurf eines SRÄG 2000 ohnehin die Aufhebung des § 253d ASVG samt Parallelbestimmungen mit Wirksamkeit vom vorgesehen ist, erweist es sich als notwendig, im Interesse der Rechtssicherheit sofort wirksame gesetzliche Maßnahmen zu setzen:
Entsprechend den im Entwurf eines SRÄG 2000 vorgesehenen Maßnahmen soll die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) aufgehoben werden, und zwar bereits mit Wirksamkeit vom ."
5.2. Gleichzeitig wurde mit der selben Novelle in § 587 Abs. 3 ASVG angeordnet, dass die die vorzeitige Alterspension wegen Arbeitsunfähigkeit betreffenden Regelungen auf Personen weiterhin anzuwenden sind, die Anspruch auf diese Versicherungsleistung mit Stichtag vor dem haben.
5.2.1. § 587 Abs. 4 ASVG in dieser Fassung bestimmte, dass § 253d ASVG auf männliche Versicherte, die nach dem geboren wurden und die diese vorzeitige Pension nach dem beantragt haben, nicht mehr anzuwenden ist.
5.2.2. Diese zuletzt erwähnte Regelung wurde mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000, SRÄG 2000, BGBl. I Nr. 92/2000, das am ausgegeben wurde und mangels gegenteiliger Anordnung am in Kraft getreten ist, dahin gehend abgeändert, dass Anträge auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die nach dem und vor dem gestellt wurden, als Anträge auf Invaliditäts- (Berufsunfähigkeits-)Pension mit Stichtag zu werten sind.
5.3. Mit dem SVÄG 2000 wurde auch der Begriff der Invalidität in § 255 ASVG (wieder) erweitert, wobei Absatz 4 des § 255 leg. cit. seitdem wie folgt lautet:
"(4) Als invalid gilt auch der (die) Versicherte, der (die) das 57. Lebensjahr vollendet hat, wenn er (sie) infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner (ihrer) körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er (sie) in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei sind zumutbare Änderungen dieser Tätigkeit zu berücksichtigen."
Gemäß § 587 Abs. 5 ASVG idF des SVÄG 2000 ist § 255 Abs. 4 in der Fassung dieses Bundesgesetzes nur auf Versicherungsfälle anzuwenden, in denen der Stichtag nach dem liegt.
6. Hinsichtlich der nach Erlassung des EuGH-Urteils gestellten Anträge auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zum Stichtag hat der OGH in mehreren Entscheidungen (z.B. vom , 10 ObS 43/01y) ausgesprochen, dass die Übergangsbestimmung des § 587 Abs. 4 ASVG idF SRÄG 2000 eine mittelbare Diskriminierung männlicher Versicherter darstelle und daher auf Grund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechtes unbeachtlich sei. Im Ergebnis konnten daher sowohl Männer als auch Frauen bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen ab Vollendung des 55. Lebensjahres die von ihnen beantragte Versicherungsleistung in Anspruch nehmen.
Ebenso entschied der OGH in Fällen mit Stichtag (z.B. Urteil vom , 10 ObS 189/01v). Auf diese Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes stützt sich auch der Beschwerdeführer bei seinem Antrag gemäß § 101 ASVG.
II. Ergibt sich im Sinne des § 101 ASVG nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen.
1. Die Entscheidung, dass gemäß § 101 ASVG der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (VfSlg. 13824/1994, sowie im Anschluss daran das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/08/0006, und die seither ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Ein Bescheid, mit dem eine Geldleistung infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, erwächst nicht iS des § 68 Abs. 1 AVG in Rechtskraft: Ergibt sich ein solcher Sachverhalt nachträglich, so ist gemäß § 101 ASVG mit Wirkung vom Tag der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 98/08/0051). Es ist Zweck des § 101 ASVG, dass mit Rücksicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Versicherungsleistung der den wirklichen Verhältnissen entsprechende Zustand hergestellt werden soll. Damit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Herstellung des gesetzlichen Zustandes jederzeit ungehemmt durch formelle Bedenken, daher auch ohne die strengen Voraussetzungen des Wiederaufnahmsverfahrens nach § 69 AVG möglich sein soll (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 99/08/0110, und vom , 95/08/0034).
2. Auch ein offenkundiges Versehen in rechtlicher Hinsicht, also ein offenkundiger Rechtsirrtum, kann Grundlage für die Anwendung des § 101 ASVG sein. Ein solcher offenkundiger Rechtsirrtum liegt vor, wenn eine gesetzliche Regelung völlig eindeutig und klar ist, sodass ihre Fehlanwendung jedem bewusst werden müsste. In diesem Sinn kann auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung nur dann als offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG betrachtet werden, wenn eine klare und eindeutige gesetzliche Bestimmung unrichtig ausgelegt wird und dies redlicher Weise nicht bestritten werden kann. Ein offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG liegt hingegen nicht vor, wenn das Ergebnis einer komplizierten rechtlichen Beurteilung unzutreffend sein sollte (vgl. die Erkenntnisse vom , Zl. 97/08/0542, vom , Zl. 95/08/0094, und vom , 95/08/0034).
3. Soweit Gemeinschaftsrecht in Rede steht, ist zwar die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, mangels einer Gemeinschaftsregelung in diesem Bereich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten; diese Verfahren dürfen aber nicht weniger günstig gestaltet werden als bei entsprechenden Verfahren, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und sie dürfen auch die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz; - vgl. in diesem Sinne das , "Clean Car Autoservice GmbH", mit Hinweisen auf die Vorjudikatur in Rz 28).
§ 101 ASVG ist daher schon wegen dieser gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen in ganz gleicher Weise auch dann anzuwenden, wenn der in Rede stehende Rechtsirrtum nicht hinsichtlich des innerstaatlichen Rechts, sondern hinsichtlich des Gemeinschaftsrechts unterlaufen ist, wobei das Versehen - entsprechend der Systematik des Gemeinschaftsrechts und der Rolle des Europäischen Gerichtshofes bei seiner Auslegung - nicht nur dann als offenkundig zu beurteilen ist, wenn gegen eine klare Rechtsnorm des primären oder des sekundären Gemeinschaftsrechts verstoßen wurde, sondern auch dann, wenn die von der Pensionsversicherungsanstalt beurteilte Rechtsfrage zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides bereits durch Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes im Sinne der "acte claire-Doktrin" (vgl. zu dieser das , "C.I.L.F.I.T.", Slg. 1982, 3415) in einem anderen Sinne als geklärt anzusehen ist.
4. Ein offenkundiges Versehen im vorstehend dargelegten Sinne kann nicht nur dann vorliegen, wenn die Pensionsversicherungsanstalt eine Rechtsfrage zwar erkannt, sie aber in einer unvertretbaren Weise unzutreffend beantwortet hat, sondern auch dann, wenn sie von vornherein nicht erkannt hat, dass eine Rechtsfrage (hier: des Gemeinschaftsrechtes) für die Entscheidung über einen Pensionsantrag von Bedeutung ist und deren Beantwortung somit unterlassen hat. Bei einer solchen Konstellation kommt es im Sinne der zitierten Vorjudikatur des Verwaltungsgerichtshofes in ganz gleicher Weise darauf an, ob dieses Verkennen ein offenkundiges, d.h. im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung und im Sinne des zum Gemeinschaftsrecht Gesagten unvertretbar gewesen ist. Nicht entscheidend ist hingegen, wie die Rechtsfrage, wäre sie erkannt worden, von der Pensionsversicherungsanstalt gelöst worden wäre, oder ob es sich um eine Rechtsfrage handelt, zu deren Beantwortung komplizierte rechtliche Erwägungen anzustellen gewesen wären, bzw. ob diese Rechtsfrage im Gesetz eine eindeutig geregelte Lösung gefunden hat oder nicht.
5. Um den Tatbestand einer von der Pensionsversicherungsanstalt übergangenen Rechtsfrage des Gemeinschaftsrechtes handelt es sich im Beschwerdefall:
5.1. Die Pensionsversicherungsanstalt hat nämlich keineswegs - wie sie in ihrer Stellungnahme gegenüber der belangten Behörde erstmals ausführlich zu begründen suchte und wie auch die belangte Behörde meint - bei Erlassung ihres seinerzeitigen, den Pensionsantrag des Beschwerdeführers abweisenden Bescheides vom "die innerstaatliche Regelung in nachvollziehbarer Art und Weise als gemeinschaftskonform ausgelegt und der Bescheiderlassung zugrundegelegt", noch erfolgte die "Anwendung und Auslegung durch die bescheiderlassende Behörde nach ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsmaterie".
Die Pensionsversicherungsanstalt hat diese Frage vielmehr weder in der Begründung ihres Pensionsbescheides berührt, noch kann aus anderen Gründen zwingend vorausgesetzt werden, dass die Pensionsversicherungsanstalt die Frage in bestimmter Weise beantwortet hat (wie dies etwa bei Fragen der Pensionsberechnung der Fall sein mag, deren Lösung dem Bescheid, insbesondere der Höhe der ermittelten Pensionsleistung auch dann entnommen werden kann, wenn auf sie in der Begründung des Bescheides nicht besonders eingegangen wurde). Die Pensionsversicherungsanstalt hat sich nämlich ausschließlich auf die Übergangsbestimmung des § 587 Abs. 4 ASVG gestützt, derzufolge Leistungsanträge auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die nach dem und vor dem gestellt wurden, als Anträge auf Invaliditätspension gemäß § 255 Abs. 4 ASVG in der ab geltenden Fassung zu werten gewesen sind, sie hat ferner das Erfordernis der Vollendung des 57. Lebensjahres nach der zuletzt genannten Gesetzesstelle hervorgehoben und sodann festgestellt, dass der Beschwerdeführer dieses Erfordernis (damals) noch nicht erfüllt habe.
5.2. Da der abweisliche Pensionsbescheid durchaus auf § 587 Abs. 4 ASVG allein gestützt werden konnte und ein Hinweis darauf, dass die Pensionsversicherungsanstalt sich mit der gemeinschaftsrechtlichen Frage auseinandersgesetzt hätte, weder dem insoweit klaren Wortlaut der Begründung dieses Bescheides noch dem Pensionsakt entnommen werden kann, muss dies die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt insoweit gegen sich gelten lassen. Sie vermag sich unter diesen Umständen auf eine bestimmte (aus ihrer Sicht vielleicht sogar selbstverständliche) Lösung der gemeinschaftsrechtlichen Frage nicht zu berufen, weshalb der Einwand, es hätte sich um eine komplizierte gemeinschaftsrechtliche Rechtsfrage gehandelt, der Anwendung des § 101 ASVG nicht entgegensteht.
6. Es ist also im Beschwerdefall nicht zu untersuchen, ob die Pensionsversicherungsanstalt § 587 Abs. 4 ASVG vertretbarerweise als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar beurteilt hat, sondern ob sie diese Frage vertretbarerweise als für ihre Entscheidung unbeachtlich halten durfte. Davon kann aber im vorliegenden Fall schon im Hinblick auf die Vorgeschichte keine Rede sein:
6.1. Der Oberste Gerichtshof hat zur Unvereinbarkeit des § 584 Abs. 4 ASVG mit dem Gemeinschaftsrecht ausgeführt, dass durch § 587 Abs 4 ASVG idF des SVÄG 2000 genau für die Personengruppe von männlichen Versicherten, die als von der gemeinschaftsrechtswidrigen Regelung des § 253d ASVG unmittelbar Betroffene im Sinne des C- 104/98 (Buchner) einen Antrag auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gestellt haben, die vom EuGH ausdrücklich für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erklärte geschlechtsspezifische Diskriminierung fortgeschrieben werde. Der EuGH habe die Begrenzung der zeitlichen Wirkungen seines Urteiles ausdrücklich abgelehnt. Es sei daher unter Zugrundelegung der bindenden Rechtsansicht des EuGH ohne Einholung einer neuerlichen Vorabentscheidung davon auszugehen, dass auch die Übergangsbestimmung des § 587 Abs. 4 ASVG idF des SVÄG 2000 als unmittelbare geschlechtsspezifische Diskriminierung dem Gemeinschaftsrecht widerspreche und diese Übergangsbestimmung auf Grund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts somit unbeachtlich sei. Der OGH ist somit davon ausgegangen, dass mit der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Buchner auch insoweit "acte claire" eingetreten sei.
6.2. Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofes an und weist ergänzend darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH auch die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Dabei lässt sich der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hiebei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu (vgl. insbesondere die Urteile Hoechst/Kommission, Slg. 1989, 2859, Randnr. 13, und vom in der Rechtssache C-274/99 P, Connolly/Kommission, Slg. 2001, I-1611, Randnr. 37). Wie der Gerichtshof ebenfalls festgestellt hat, sind die in dieser Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze durch die Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte und sodann durch Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union erneut bekräftigt worden (Urteil vom in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 79). Sie sind nunmehr in Artikel 6 Absatz 2 EG aufgenommen worden (Urteil Connolly/Kommission, Randnr. 38). Im Übrigen hat der Gerichtshof nach seiner ständigen Rechtsprechung im Vorabentscheidungsverfahren dann, wenn eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, dem vorlegenden Gericht alle Auslegungshinweise zu geben, die es benötigt, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten, wie sie sich insbesondere aus der EMRK ergeben, beurteilen zu können, deren Wahrung der Gerichtshof sichert (vgl. insbesondere Urteile vom in der Rechtssache C- 260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 42, und vom in der Rechtssache C-159/90, Society for the Protection of Unborn Children Ireland, Slg. 1991, I-4685, Randnr. 31, zuletzt zum Ganzen vgl. das Urteil vom , in der Rechtssache C-94/00, Roquette Freres SA, Randnr. 23 - 26).
6.3. In diesem Zusammenhang ist daher auch auf die im Sinne der zitierten Rechtsprechung sowie gemäß Art. 6 Abs. 2 EG gemeinschaftsrechtlich bedeutsame Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom , Appl. Nr. 24846/94 und 34165/96 bis 34173/96, in der Rechtssache Zielinski ua (= ecolex 2000, 321) zu verweisen, wonach jeder Einmischung der gesetzgebenden Gewalt in die Rechtspflege mit dem Ziel der Beeinflussung des Ausgangs gerichtlicher Streitigkeiten die in Art. 6 EMRK verankerten Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des "fair trial" entgegenstehen, sofern nicht zwingende Gründe des Allgemeinwohls vorliegen. Pensionsansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung unterliegen aber dem Schutzbereich des Art. 6 (vgl. EGMR Urteil vom in der Rechtssache Schuler-Zgraggen gg. Schweiz, Appl. Nr. 14518/89, Randz 44-46, sowie die Zusammenfassung dieser Rechtsprechung und ihre Anwendung auf Beitragssachen im Urteil vom in der Rechtssache Schouten und Meldrum gg. Niederlande, Appl. Nr. 19005/91 und 19006/91, Randz 50 ff; zur Verfassungswidrigkeit einer vergleichbaren Übergangsbestimmung im BSVG mangels zureichender Gründe des öffentlichen Interesses zur Rechtfertigung des rückwirkenden Eingriffs in ein bereits durch Antrag eingeleitetes Pensionsverfahren vgl. neuerdings auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom ,
G 42/02), sodass für die Pensionsversicherungsanstalt auch aus dieser Sicht Anlass zur Prüfung hätte bestehen müssen, ob die Vorgangsweise des Gesetzgebers, Pensionsansprüche, zu deren Anerkennung bereits ein Antrag gestellt wurde, während des Verfahrens zu deren Feststellung rückwirkend zu beseitigen, dem Gemeinschaftsrecht (soweit es Grundsätze der EMRK auf Grund von Art. 6 Abs. 2 EG beinhaltet) entsprochen hat.
7. Angesichts des im Zeitpunkt der Erlassung des abweislichen Pensionsbescheides vom gegebenen Standes der einschlägigen Rechtsprechung sowohl des EuGH als auch des EGMR konnte die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt die Frage der Vereinbarkeit der Vorgangsweise des Gesetzgebers mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vertretbarerweise für rechtlich unbeachtlich halten. Wenn sie ungeachtet der Vorgeschichte und der auch aus den Gesetzesmaterialien hervorgehenden, auf die Vereitelung der Realisierung der durch den EuGH eröffneten Pensionsansprüche gerichteten Absicht des Gesetzgebers sowie der ebenfalls im Gemeinschaftsrecht begründeten Möglichkeit der Pensionsversicherungsanstalt, § 584 Abs. 4 ASVG gegebenenfalls unangewendet zu lassen, diese Frage im Pensionsbescheid nicht einmal aufgeworfen hat, so liegt darin ein offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG.
Diese als offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG zu qualifizierende Vorgangsweise der Pensionsversicherungsanstalt konnte - worauf es freilich gar nicht ankommt - nicht nur den Rechtsschutz des Beschwerdeführers beeinträchtigen (nämlich insoweit, als dies auf seine Entscheidung von Einfluss sein konnte, gegen den abweislichen Pensionsbescheid keine Klage zu erheben), sondern hat - wie die nachfolgende Rechtsprechung des OGH zeigt - dazu geführt, dass der Anspruch des Beschwerdeführers jedenfalls insoweit zu Unrecht abgewiesen wurde, als die Abweisung auf § 587 Abs. 4 ASVG gestützt und ausdrücklich ohne Prüfung der allgemeinen und besonderen Anspruchsvoraussetzungen vorgenommen worden ist. Die Voraussetzungen für die Herstellung des gesetzlichen Zustandes iS des § 101 ASVG liegen daher vor.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Durchführung der nur vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung war aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG entbehrlich.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das über die Pauschalsätze der genannten Verordnung hinausgehende Kostenbegehren war abzuweisen, da die Umsatzsteuer in diesen Pauschalsätzen bereits enthalten ist, das Begehren auf Ersatz der Beschwerdegebühr unter Hinweis auf die auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende sachliche Gebührenbefreiung gemäß § 110 ASVG.
Wien, am