VwGH vom 27.04.1994, 93/13/0159
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat V, vom , GZ 6/3-3182/89-06, betreffend Einkommensteuer 1986, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin war an der P. GmbH, deren Stammkapital
S 500.000,-- betrug, mit einem Geschäftsanteil im Nominalbetrag von S 475.000,-- beteiligt. Mit Abtretungsvertrag vom veräußerte sie den Geschäftsanteil um den Betrag von S 80,250.000,--, wovon der Beschwerdeführerin
S 68,750.000,-- im Jahre 1985, der Restbetrag von
S 11,500.000,-- aber im Jahre 1986 zuflossen.
Während für die Einkünfte aus der Veräußerung dieser wesentlichen Beteiligung (§ 31 EStG 1972) im zuletzt erlassenen, in Rechtskraft erwachsenen Einkommensteuerbescheid 1985 der ermäßigte Steuersatz im Sinne des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 EStG 1972 zugebilligt wurde, wurden die aus dieser Veräußerung erzielten Einkünfte des Jahres 1986 mit dem zuletzt erlassenen Einkommensteuerbescheid 1986 vom mit dem Normalsteuersatz nach § 33 EStG 1972 besteuert.
Mit der in Beschwerde gezogenen Berufungsentscheidung wurde der gegen diesen Einkommensteuerbescheid 1986 erhobenen Berufung keine Folge gegeben. In der Begründung der Berufungsentscheidung wurde unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Ansicht vertreten, daß außerordentliche Einkünfte im Sinne des § 37 EStG 1972 nur dann vorliegen, wenn die Einkünfte ausnahmsweise und einmalig in einem bestimmten Jahr angefallen sind, während bei einem auf mehrere Jahre verteilten Zufließen die angestrebte Tarifbegünstigung nicht in Frage kommen könne.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde von diesem Gerichtshof mit Beschluß vom , B 1811/92-7, abgelehnt. Gleichzeitig wurde die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof werden inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 31 Abs. 1 EStG 1972 gehören zu den sonstigen Einkünften die Einkünfte aus der Veräußerung eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Grund- oder Stammkapital der Gesellschaft zu mehr als 25 v.H. beteiligt war und der veräußerte Anteil 1 v.H. des Grund- oder Stammkapitals der Gesellschaft übersteigt.
Sind im Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist gemäß § 37 Abs. 1 EStG 1972 auf Antrag die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Der ermäßigte Steuersatz beträgt dabei die Hälfte des Prozentsatzes, der sich bei Anwendung des Einkommensteuertarifs (§ 33 EStG 1992) auf das gesamte zu versteuernde Einkommen ergibt.
Nach Abs. 2 des § 37 EStG 1972 sind außerordentliche Einkünfte im Sinne des Abs. 1 NUR die in den folgenden Z. 1 - 5 angeführten Einkünfte. In Z. 2 dieser Gesetzesstelle sind dabei neben Veräußerungsgewinnen nach § 24 EStG 1972 die Einkünfte im Sinne des § 31 EStG 1972 angeführt.
Nach dem durch das Abgabenänderungsgesetz 1985, BGBl. Nr. 557, mit Wirkung ab dem Veranlagungsjahr 1986 eingefügten Abs. 4 des § 37 EStG 1972 ist, wenn im Einkommen Gewinnanteile auf Grund offener Ausschüttungen nach § 22 Abs. 2 KStG 1966 enthalten sind, die auf diese Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach Abs. 1 des § 37 EStG 1972 zu berechnen.
Durch die Bestimmung des § 31 EStG 1972 soll verhindert werden, daß bei den in Form von Kapitalgesellschaften betriebenen Unternehmen tatsächlich erzielte, aber nicht ausgeschüttete Gewinne, die von den wesentlich beteiligten Gesellschaftern durch Veräußerung ihrer Anteile verwirklicht werden, der Einkommenbesteuerung entgehen (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 1699/66, Slg. Nr. 3582/F, und des Verfassungsgerichtshofes vom , B 388/68, Slg. Nr. 6049 zu § 17 EStG 1953; ebenso das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 85/14/0167). In wirtschaftlicher Hinsicht vergleichbar mit der Besteuerung der Veräußerung eines (Mit-)Unternehmens im Sinne des § 24 EStG 1972 werden bei einer Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung als Schlußpunkt des gesellschaftlichen Engagements des wesentlich Beteiligten die bisher angesammelten Gewinne des Unternehmens der Besteuerung unterzogen. Die wesentliche Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft kommt wirtschaftlich einer Mitunternehmerschaft bei einer Personengesellschaft gleich und kann daher auch steuerlich wie diese behandelt werden (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 435/80, Slg. Nr. 10029).
Anders als regelmäßig bei der Ermittlung eines Veräußerungsgewinnes im Sinne des § 24 EStG 1972 ist dabei für die Ermittlung der Einkünfte im Sinne des § 31 EStG 1972 hinsichtlich ihrer zeitlichen Zuordnung § 19 EStG 1972 maßgeblich. Daraus folgt aber im Beschwerdefall, daß der einheitliche Veräußerungsvorgang zu Einkünften nicht eines einzigen Jahres, sondern zu solchen zweier Besteuerungszeiträume führte. Wie der belangten Behörde dabei zuzugestehen ist, hat der Verwaltungsgerichtshof zu dem im § 37 EStG 1972 gebrauchten Begriff der außerordentlichen Einkünfte in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß eine solche Außerordentlichkeit nur dann gegeben sei, wenn die Einkünfte ausnahmsweise und einmalig in EINEM bestimmten Jahr angefallen sind, während bei einem auf mehrere Jahre verteilten Zufließen die angestrebte Tarifbegünstigung nicht in Frage kommen könne. Dabei wurde das geforderte Merkmal der Außerordentlichkeit der Einkünfte insbesondere auch dann verneint, wenn sie - wie im Beschwerdefall - in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Jahren zugeflossen (ausbezahlt) waren. Diese Auffassung wurde insbesondere in den ebenfalls zu Veräußerungsvorgängen im Sinne des § 31 EStG 1972 ergangenen Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom , 83/14/0081, 0082, und vom , 89/14/0074, unter Hinweis auf zahlreiche Vorjudikate ausgesprochen. Diese Auffassung zur Außerordentlichkeit von Einkünften wurde vom Verwaltungsgerichtshof auch bis zuletzt aufrechterhalten (vgl. die - allerdings nicht zu § 37 Abs. 2 Z. 2 iVm. § 31 EStG 1972 ergangenen - Erkenntnisse vom , 90/13/0088, vom , 88/14/0053, und vom , 88/14/0108).
Dennoch ist die Beschwerdeführerin im Hinblick auf das Abgabenänderungsgesetz 1985 im Recht: Wie von der Beschwerdeführerin in ihrem Ergänzungsschriftsatz dargestellt wurde, wurde durch das AbgÄG 1985 (aus der Sicht des Aktionärs bzw. Gesellschafters) das Halbsatzverfahren eingeführt. Dabei wurde dem bei offenen Ausschüttungen von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung anfallenden halben (gespaltenen) Körperschaftssteuersatz im Sinne des § 22 Abs. 2 KStG 1966 auf der Ebene des Aktionärs bzw. des Gesellschafters einer GmbH der halbe Einkommensteuersatz zur Seite gestellt. Damit wurde die wirtschaftliche Doppelbelastung der Unternehmensgewinne von Kapitalgesellschaften beseitigt. Die Ermäßigung stand ab der Veranlagung 1986 zu, gleichgültig, in welchem Jahr bzw. für welches Jahr der Ausschüttungsbeschluß gefaßt wurde (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage zum AbgÄG 1985, 715 Blg NR 16. GP).
Soweit die in Betracht kommenden Bestimmungen des § 37 EStG 1972 auf den Beschwerdefall anzuwenden sind, führt eine am Gleichheitssatz orientierte Auslegung des Gesetzes nämlich - und zwar unter Bedachtnahme auf den gleichen Gesichtspunkt, der den Regelungen sowohl des § 37 Abs. 2 Z. 2 iVm. § 31 EStG 1972, als auch des § 37 Abs. 4 EStG 1972 idF. des Abgabenänderungsgesetzes 1985 zugrundeliegt - zu dem Ergebnis, daß zwischen der Besteuerung von Gewinnanteilen auf Grund offener Ausschüttungen und der durch die Veräußerung der Anteile erfolgte Nacherfassung bis dahin "vorenthaltener" oder "aufgespeicherter" Gewinnausschüttungen kein Unterschied bestehen kann. Dem § 37 EStG 1972 in der Fassung des AbgÄG 1985 kann somit nur der Sinn beigemessen werden, daß Einkünfte nach § 31 EStG 1972 jedenfalls dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, gleichgültig auf welchen Vorgang sich die Einkünfte im einzelnen Veranlagungsjahr beziehen und gleichgültig, wann das Zufließen (§ 19 EStG 1972) der Einnahmen erfolgte (in diesem Sinne Herzog, Die ermäßigten Steuersätze nach EStG 1988, RdW 1988, 461, und Lattner, Die ermäßigten Steuersätze des § 37 EStG 1988, ÖStZ 1990, 212, jeweils zur Rechtslage nach dem EStG 1988 in seiner Stammfassung, womit das Halbsatzverfahren inhaltlich unverändert aus dem EStG 1972 der angeführten Fassung übernommen worden war). Daß der Gesetzgeber dem Begriff der "Außerordentlichkeit" aus Sicht der in Rede stehenden Einkünfte ab dem Streitjahr nicht die in der Rechtsprechung vertretene Bedeutung beigemessen hat, ist auch daraus ersichtlich, daß im Abs. 4 des § 37 EStG 1972 unter der unveränderten Überschrift "Steuersätze bei außerordentlichen Einkünften" die Bestimmungen über offene Gewinnausschüttungen enthalten sind; derartige offene Gewinnausschüttungen stellen aber zweifellos keine außerordentlichen Einkünfte im Sinne der bis zum AbgÄG 1985 maßgeblichen Auffassung dar.
Zu der Aussage, daß Einkünfte aus der Veräußerung wesentlicher Beteiligungen seit dem Veranlagungsjahr 1986 jedenfalls dem ermäßigten Steuersatz des § 37 Abs. 1 EStG 1972 unterliegen, bedurfte es keines verstärkten Senates im Sinne des § 13 Abs. 1 VwGG, weil der in den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom , 83/14/0081, 0082, und vom , 89/14/0074, ausgesprochenen Auffassung durch das Abgabenänderungsgesetz 1985 die Grundlage entzogen worden ist.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, wobei von der Durchführung der beantragten Verhandlung aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden konnte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Der Ersatz von Stempelgebühren ist beschränkt auf die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof eingebrachten Schriften.