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VwGH vom 27.04.1994, 93/13/0101

VwGH vom 27.04.1994, 93/13/0101

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des L in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat II, vom , Zl. 6/1 - 1107/93-07, betreffend Einkommensteuer 1991, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer war Steuerberater und ermittelte seinen Gewinn aus den von ihm erzielten Einkünften aus selbständiger Tätigkeit nach § 4 Abs. 3 EStG 1988. Am hat er seinen Betrieb aufgegeben. Die bis zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe nicht bestimmungsgemäß verwendeten, in den Jahren 1987 bis 1990 gemäß § 9 Abs. 3 EStG 1988 gebildeten steuerfreien Beträge löste er zugunsten des laufenden Gewinnes des Rumpfwirtschaftsjahres 1991 auf, ohne eine Erhöhung der gewinnerhöhend aufgelösten steuerfreien Beträge im Sinne des vorletzten Satzes des § 9 Abs. 2 EStG 1988 vorzunehmen.

Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1991 erhöhte das Finanzamt jedoch die Einkünfte aus selbständiger Arbeit um einen 20 %igen Zuschlag der aufgelösten Investitionsrücklage für das Jahr 1987 mit der Begründung, daß für die Verwendung der Investitionsrücklage 1987 die volle Verwendungsfrist zugestanden sei.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer ins Treffen, daß durch die Betriebsaufgabe das Wirtschaftsjahr 1991 und damit die Verwendungsfrist für den steuerfreien Betrag des Jahres 1987 auf einen Monat verkürzt worden sei. Die im Gesetz vorgesehene Sanktion für das Unterlassen bestimmungsgemäßer Verwendung von Investitionsrücklagen sei vom Gesetzgeber für Fälle entschärft worden, in denen die Verwendungsfrist durch eine Betriebsaufgabe verkürzt werde. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 9 Abs. 2 letzter Satz EStG 1988 habe ein Zuschlag im Sinne des vorletzten Satzes dieses Paragraphen dann zu entfallen, wenn die gewinnerhöhende Auflösung der Investitionsrücklage anläßlich einer Betriebsaufgabe erfolge.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers nicht Folge. Die belangte Behörde vertrat in der Begründung dieses Bescheides die Auffassung, daß der Umstand, daß das Einkommensteuergesetz 1988 als Verwendungszeitraum für Investitionsrücklagen ausdrücklich eine Frist von vier Wirtschaftsjahren vorsehe, es nicht mehr gestatte, für den Verwendungszeitraum von Investitionsrücklagen eine Zeitspanne von 48 aufeinanderfolgenden Monaten zu fordern, wie dies der Verwaltungsgerichtshof in seinem zum Einkommensteuergesetz 1972 ergangenen Erkenntnis vom , 1418, 1500/79, ausgesprochen hatte. Die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung, wonach der Zuschlag zu bei Betriebsaufgabe aufzulösenden steuerfreien Beträgen auch im Geltungsbereich des Einkommensteuergesetzes 1988 immer dann zu entfallen habe, wenn für die bestimmungsgemäße Verwendung dieser Beträge nicht volle 48 Monate zur Verfügung gestanden hätten, sei nicht zu teilen; auch die Gesetzesmaterialien stützten den vom Beschwerdeführer eingenommenen Standpunkt nicht. Es habe durch die Festlegung der Verwendungsfrist in Wirtschaftsjahren der Gesetzgeber gegenüber dem Einkommensteuergesetz 1972 vielmehr eine mögliche Verkürzung der Frist im Falle von Rumpfwirtschaftsjahren in Kauf genommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aus dem Grunde der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben; der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in seinem Recht auf Wegfall des Zuschlages auf den aus Anlaß der Betriebsaufgabe gewinnerhöhend aufgelösten steuerfreien Betrag im Sinne des letzten Satzes des § 9 Abs. 2 EStG 1988 als verletzt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der zweite Absatz des § 9 EStG 1988 hat folgenden Wortlaut:

"Die Rücklage ist gegen jenen Betrag aufzulösen, der als Investitionsfreibetrag (§ 10) gewinnmindernd in Anspruch genommen werden könnte (bestimmungsgemäße Verwendung). Rücklagen (Rücklagenteile), die nicht bestimmungsgemäß verwendet wurden, sind im vierten Wirtschaftsjahr nach der Bildung der Rücklage gewinnerhöhend aufzulösen. Die Rücklage kann auch freiwillig vorher gewinnerhöhend aufgelöst werden. Der gewinnerhöhend aufgelöste Betrag erhöht sich um je 5 % für jedes Wirtschaftsjahr ab der Bildung (Zuschlag). Der Zuschlag entfällt bei der gewinnerhöhenden Auflösung anläßlich der Betriebsaufgabe, der entgeltlichen Übertragung eines Betriebes, Teilbetriebes oder Mitunternehmeranteiles sowie anläßlich der Einbringung in eine Körperschaft."

Gemäß § 9 Abs. 3 EStG 1988 sind für die Bildung, Verwendung und Auflösung der steuerfreien Beträge die Abs. 1 und 2 anzuwenden, wenn der Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 ermittelt wird.

Die Bestimmung des § 9 Abs. 2 EStG 1972 hatte demgegenüber folgenden Wortlaut:

"Die Rücklage ist entweder

1. gegen die Anschaffungs- oder Herstellungskosten abnutzbarer Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens mit dem Betrag aufzulösen, der als vorzeitige Abschreibung (§ 8) von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten dieser Wirtschaftsgüter zulässig wäre, oder

2. gegen den Betrag aufzulösen, der als Investitionsfreibetrag (§ 10) geltend gemacht werden könnte.

Rücklagen (Rücklagenteile), die nicht bis zum Ablauf des der Bildung der Rücklage folgenden vierten Jahres bestimmungsgemäß verwendet wurden, sind im vierten Jahr nach der Bildung der Rücklage gewinnerhöhend aufzulösen. Bei der gewinnerhöhenden Auflösung erhöht sich der aufzulösende Betrag um 20 v.H. Dieser Prozentsatz vermindert sich um je 5 v.H. für jedes Wirtschaftsjahr, um das die Rücklage (der Rücklagenteil) früher aufgelöst wird. Die Erhöhung des aufgelösten Betrages hat im Falle der Betriebsaufgabe, der entgeltlichen Übertragung eines Betriebes sowie im Falle der Einbringung eines Betriebes in eine Kapitalgesellschaft zu entfallen."

Auch nach § 9 Abs. 3 EStG 1972 waren die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 über die Begrenzung, Verwendung und Auflösung der Rücklage auf die nach diesem Absatz steuerfrei gelassenen Beträge sinngemäß anzuwenden.

Entgegen der von Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch3, Tz 29 zu § 9 EStG 1988, im Einklang mit Doralt, Einkommensteuergesetz, Kommentar2, Tz 22 zu § 9 EStG 1988, vertretenen Auffassung ist der sprachlichen Änderung der Bestimmung des § 9 Abs. 2 EStG im Einkommensteuergesetz 1988 nicht zu entnehmen, daß der Gesetzgeber den Entfall des im vorletzten Satz des § 9 Abs. 2 EStG 1988 vorgesehenen Zuschlages zur gewinnerhöhenden Auflösung der Investitionsrücklage (des steuerfreien Betrages nach § 9 Abs. 3 leg. cit.) für jene Fälle, in denen die Rücklagenauflösung durch die im letzten Satz des § 9 Abs. 2 EStG 1988 genannten Umstände veranlaßt ist, tatsächlich beseitigen wollte oder dem Wortlaut der Norm nach beseitigt hätte.

Zwar führt eine Betriebsaufgabe während des Kalenderjahres nach § 2 Abs. 6 Z. 1 EStG 1988 zwangsläufig zum Entstehen eines Rumpfwirtschaftsjahres, was zunächst bewirkt, daß die in "Wirtschaftsjahren" bemessene Verwendungsdauer von Rücklage oder steuerfreiem Betrag insoweit "voll" zur Verfügung stand. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß das letzte Wirtschaftsjahr auch in seiner Bildung durch die Betriebsaufgabe veranlaßt war, was nach dem letzten Satz des § 9 Abs. 2 EStG 1988 eine andere Betrachtung des Bestehens der Zuschlagspflicht als für solche Fälle gebietet, in denen der zum Zeitpunkt der Rücklagenbildung prognostizierte Verwendungszeitraum ungeachtet des Umstandes voll zur Verfügung stand, daß der Ablauf des ursprünglich bestandenen Verwendungszeitraums mit einer Betriebsaufgabe zusammenfiel (vgl. dazu das von der belangten Behörde zitierte hg. Erkenntnis vom , 89/14/0152). Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis klargestellt hat, kann in einem solchen, zu einer Verkürzung des vorgesehenen Verwendungszeitraumes nicht führenden Fall die gewinnerhöhende Auflösung nicht als durch die Betriebsaufgabe veranlaßt angesehen werden. Bildet hingegen wie im Beschwerdefall die Betriebsaufgabe den rechtlichen Grund für die den ursprünglichen vorgesehenen Verwendungszeitraum verkürzende Entstehung eines Rumpfwirtschaftsjahres, dann verwirklicht die "Anläßlichkeit" der Betriebsaufgabe für die Bildung des Rumpfwirtschaftsjahres auch den Tatbestand der "Anläßlichkeit" der gewinnerhöhenden Auflösung von Investitionsrücklage oder nach § 9 Abs. 3 EStG 1988 steuerfrei gebildetem Betrag im Sinne der "Entschärfungsregel" des § 9 Abs. 2 letzter Satz EStG 1988.

Daß die belangte Behörde dies verkannt hat, belastet den angefochtenen Bescheid mit der vom Beschwerdeführer gerügten inhaltlichen Rechtswidrigkeit. Der Bescheid war damit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben; von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung hat der Verwaltungsgerichtshof aus dem Grund des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens gründet sich auf die überhöhte Verzeichnung des gebührenden Stempelersatzaufwandes.