VwGH vom 16.03.1994, 93/13/0086
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde des Präsidenten der FLD f Wien, NÖ und Bgld gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der FLD f Wien, NÖ und Bgld, Berufungssenat II, vom , GZ. 6/1-1296/92-07, betreffend Einkommensteuer 1990 (mitbeteiligte Partei: Dr. E in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Facharzt, erklärte in der Einkommensteuererklärung für 1990 sowohl Einkünfte aus selbständiger Arbeit als auch solche aus nichtselbständiger Arbeit. Bei der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit wies er unter den Einnahmen eine "Krankenunterstützung Ärztekammer" in Höhe von S 95.600,-- aus.
In einem gleichzeitig vorgelegten Lohnzettel der Wiener Gebietskrankenkasse wurden nach § 69 Abs. 2 EStG 1988 besteuerte Beträge in Höhe von S 112.896,-- ausgewiesen, die der Mitbeteiligte in der Zeit vom 31. Juli bis erhalten hatte.
In der Berufung gegen den erklärungsgemäß erlassenen Einkommensteuerbescheid 1990 wurde beantragt, sowohl hinsichtlich der aus dem Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer erhaltenen Krankenunterstützung von S 95.600,-- als auch hinsichtlich des von der Gebietskrankenkasse zugekommenen Krankengeldes im Ausmaß von S 112.896,-- den halben Steuersatz im Sinne des § 37 Abs. 2 Z. 4 EStG 1988 zu berücksichtigen.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der Berufung Folge gegeben. In der Begründung dieses Bescheides vertrat die belangte Behörde die Auffassung, bei der Bestimmung des § 37 Abs. 2 Z. 4 EStG 1988, derzufolge der "Hälftesteuersatz" nur für solche Krankengelder gewährt werden könne, die für einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren geleistet werden, handle es sich um ein Redaktionsversehen. Eine (volle) Besteuerung erscheine der belangten Behörde als unbillig.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Durch § 3 Abs. 1 Z. 4 EStG 1988 wurde - im Gegensatz zur Vorgängerbestimmung des § 3 Z. 3 EStG 1972 - die generelle Steuerfreiheit für Transferleistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung eingeschränkt. Danach sind solche Leistungen insoweit steuerpflichtig, als sie Einkommensersätze darstellen (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage zu § 3 EStG 1988, 621 Blg NR 17. GP).
Infolge des Wegfalls bestimmter Steuerbefreiungen für Leistungen der gesetzlichen Krankenversorgung wurden diese Bezüge im Geltungsbereich des EStG 1988 in den Katalog der nichtselbständigen Einkünfte aufgenommen, wenn sie auf Grund eines bestehenden oder früheren Dienstverhältnisses zufließen. Dies gilt auch für Krankengelder von Versorgungs- und Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage zum § 25 EStG 1988, a.a.O.) Infolgedessen sind nach § 25 Abs. 1 Z. 1 lit. c EStG 1988 die Bezüge aus einer gesetzlichen Kranken- oder Unfallversorgung sowie nach lit. e dieser Gesetzesstelle die Krankengelder aus den Versorgungs- oder Unterstützungseinrichtungen der Kammern der selbständig Erwerbstätigen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.
Nach den beiden letzten Sätzen des § 25 Abs. 1 Z. 1 EStG 1988 sind Bezüge gemäß lit. c bis e, ausgenommen solche aus einer Unfallversorgung, nur dann Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wenn sie auf Grund eines bestehenden oder früheren Dienstverhältnisses zufließen. In allen anderen Fällen sind diese Bezüge nach § 32 Z. 1 EStG 1988 zu erfassen.
Nach § 32 Z. 1 lit. a EStG 1988 gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 EStG 1988 auch Entschädigungen, die gewährt werden als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen einschließlich eines Krankengeldes und vergleichbarer Leistungen.
Gemäß § 37 Abs. 1 Z. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Z. 4 EStG 1988 ermäßigt sich der Steuersatz auf die Hälfte des auf das gesamte Einkommen entfallenden Durchschnittssteuersatzes für Entschädigungen im Sinne des § 32 Z. 1 EStG 1988, wenn überdies im Falle der lit. a oder b der Zeitraum, für den die Entschädigungen gewährt werden, mindestens sieben Jahre beträgt.
Voraussetzung für die Zuerkennung dieser Steuerbegünstigung ist somit aus der Sicht des Beschwerdefalls einerseits, daß es sich bei den Einkünften um Entschädigungen im Sinne des § 32 Z. 1 EStG 1988 handelt und andererseits - wie durch die Beifügung des Wortes "überdies" besonders hervorgehoben wird -, daß der Zeitraum, für den die Entschädigungen gewährt werden, mindestens sieben Jahre beträgt. Hinsichtlich der Bezüge, die der Mitbeteiligte von der zuständigen Gebietskrankenkasse erhalten hat, trifft dabei - was auch der beschwerdeführende Präsident außer acht gelassen hat - schon die erste dieser beiden Voraussetzungen nicht zu. Aus dem Zusammenhalt der angeführten Gesetzesbestimmungen, insbesondere unter Bedachtnahme auf die beiden letzten Sätze des § 25 Abs. 1 Z. 1 EStG 1972 ist ersichtlich, daß als Bezug im Sinne des § 32 Z. 1 EStG 1988 nur ein solches Krankengeld in Betracht kommt, das selbständig Erwerbstätige erhalten. Das dem Mitbeteiligten seitens der Gebietskrankenkasse geleistete Krankengeld ist diesem aber auf Grund seines - in einem in den Akten befindlichen Lohnzettel dokumentierten - Dienstverhältnisses zur Stadt Wien zugeflossen, sodaß dadurch der Tatbestand nach § 32 Z. 1 EStG 1988 nicht erfüllt ist.
Soweit im übrigen hinsichtlich des von der Wohlfahrtseinrichtung der Ärztekammer im Zusammenhang mit der selbständigen Berufstätigkeit des Mitbeteiligten geleisteten Krankengeldes § 32 Z. 1 lit. a EStG 1988 anzuwenden ist, ist jedoch hinsichtlich dieser Bezüge die Voraussetzung für die dem Mitbeteiligten von der belangten Behörde gewährte Begünstigung nicht gegeben, wonach der Zeitraum, für den die Entschädigung gewährt wurde, mindestens sieben Jahre zu betragen hat.
Daß es sich bei der Formulierung der in Rede stehenden Bestimmungen nicht um ein Redaktionsversehen handelt - wie dies die belangte Behörde gemeint hat -, geht daraus hervor, daß der Zweck der Bestimmung des § 37 EStG 1988 eine Progressionsmilderung beim zusammengeballten Anfall von Einkünften ist, die sonst verteilt auf mehrere Wirtschaftsperioden zu erfassen wären (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 88/14/0053, zu § 37 EStG 1972). In Weiterverfolgung dieser Zweckbestimmung sieht der Gesetzgeber des EStG 1988 eine "Sperrfrist" von sieben Jahren vor. Dieser Maßnahme lag - neben der herbeigeführten generellen Tarifsenkung - die Überlegung zugrunde, daß eine Minderung der Progression erst bei einer erheblichen Zusammenballung von Einkünften gerechtfertigt ist (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage zu § 37 EStG 1988, a.a.O.). Demgegenüber ist dem Gesetz keinerlei Hinweis darauf zu entnehmen, daß der Gesetzgeber des EStG 1988 - entgegen seiner (gegenüber dem EStG 1972) einschränkenden Auffassung über das Erfordernis einer Progressionsmilderung - gerade für das Krankengeld der selbständig Erwerbstätigen eine derartige Steuerbegünstigung normieren wollte. Auch den Gesetzesmaterialien ist kein Hinweis für eine solche Auffassung des Gesetzgebers zu entnehmen. Insbesondere würde die Meinung, bei (ehemals) selbständig Erwerbstätigen sei die Steuerbegünstigung im Sinne des § 37 Abs. 1 EStG 1988 hinsichtlich eines Krankengeldes (unabhängig von einer Zusammenballung für einen Zeitraum von sieben Jahren) anzuwenden, der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung widersprechen, da in den Fällen, in denen das Krankengeld zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählt, nach der klaren Anordnung des letzten Absatzes des § 25 Abs. 1 Z. 1 EStG 1988 eine Erfassung nach § 32 Z. 1 EStG 1988 (und damit eine Anwendung des begünstigten Steuersatzes) keinesfalls in Betracht kommt. Die gegenteilige Auffassung von Hofstätter-Reichel, Kommentar zur Einkommensteuer (EStG 1988), Rz 3.3 zu § 32, vermag der Verwaltungsgerichtshof aus den dargestellten Gründen nicht zu teilen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.