VwGH vom 16.05.2002, 98/13/0180
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Dr. Fuchs, Dr. Büsser und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde der Dr. F Wirtschaftstreuhand KEG in W, vertreten durch Dr. Walter Pfliegler, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Rahlgasse 1, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat IA) vom , Zlen. RV/148-15/08/98, RV/150-15/08/98, betreffend u.a. Berichtigung gemäß § 293 b BAO der einheitlichen und gesonderten Feststellung von Einkünften nach § 188 BAO für das Jahr 1992, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Bei der beschwerdeführenden KEG handelt es sich um eine mit Gesellschaftsvertrag vom gegründete Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft. In der den Steuererklärungen für das Jahr 1992 angeschlossenen Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für die Zeit vom 10. Juni bis machte die Beschwerdeführerin einen Investitionsfreibetrag (IFB) nach § 10 EStG 1988 in Höhe von 850.000 S geltend. Nach der dazu angeschlossenen Anlagenkartei betraf die Bildung des IFB den vom "Bp und StB Dkfm. Kurt B."
erworbenen Klientenstock. Als Anschaffungsbetrag war ein Wert von 4,250.000 S, als Anschaffungstag der (Abschreibungsdauer vier Jahre) ausgewiesen. Die Feststellung der Einkünfte nach § 188 BAO erfolgte erklärungsgemäß (negative Einkünfte in Höhe von rd. 1,5 Mio. S einschließlich des als "nicht ausgleichsfähige Verluste" ausgewiesenen IFB).
Auf der Grundlage einer im Jahr 1996 u.a. über das Jahr 1992 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung wurde mit Bescheid vom das Verfahren zur Feststellung von Einkünften für 1992 nach § 303 Abs. 4 BAO wiederaufgenommen. In dem im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen neuen Einkünftefeststellungsbescheid fand der IFB für den Klientenstock keine Berücksichtigung mehr. Mit der Übernahme des Klientenstockes seien die wesentlichen Grundlagen des Betriebes eines Steuerberaters erworben worden. Bei Erwerb eines Betriebes sei die Bildung eines IFB nach § 10 Abs. 5 EStG 1988 nicht zulässig.
In der gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, dass in der Steuererklärung 1992, insbesondere durch die Darstellung im Anlageverzeichnis, sowie bereits während des Kalenderjahres 1992 (Umsatzsteuervoranmeldung Juli 1992 und Überrechnungsantrag hinsichtlich der Vorsteuer) der Sachverhalt betreffend die Bildung des IFB für den erworbenen Klientenstock Dkfm. Kurt B. offen gelegt worden sei. Eine andere Rechtsansicht der Betriebsprüfung stelle keinen Wiederaufnahmegrund nach § 303 Abs. 4 BAO dar.
Mit Berufungsvorentscheidung vom gab das Finanzamt dieser Berufung betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens Folge.
Mit Ausfertigungsdatum erließ das Finanzamt einen gemäß § 293 b BAO berichtigten Bescheid betreffend die Einkünftefeststellung für das Jahr 1992. Zur Begründung wurde ausgeführt, im Jahr 1992 sei der gesamte Klientenstock des Steuerberaters Dkfm. B. übernommen und von den Anschaffungskosten ein IFB in Höhe von 850.000 S geltend gemacht worden. Dieser Sachverhalt sei in der Steuererklärung 1992 der Behörde offen gelegt worden. Das Finanzamt habe im Erstbescheid diese Unrichtigkeit übernommen. Nach ständiger Rechtsprechung sei bei Erwerb eines Klientenstockes die Bildung eines IFB nicht zulässig. Die Übernahme des Klientenstockes stelle die wesentliche Grundlage des Betriebes einer Steuerberatungskanzlei dar. Da die Voraussetzungen des § 293 b BAO erfüllt seien, sei der erklärte Verlust um den geltend gemachten IFB in Höhe von 850.000 S zu kürzen.
In der Berufungsschrift vom bestritt die Beschwerdeführerin das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Berichtung nach § 293 b BAO. Im Rahmen der Abgabenerklärung 1992 sei der erworbene Klientenstock vollständig offen gelegt worden. In der Geltendmachung des IFB liege keine "klar zutage liegende unvertretbare Rechtsansicht". Dafür spreche eine Literaturmeinung (Schubert/Pokorny/Schuch, Einkommensteuerhandbuch zum EStG 1972, 346) und auch aus der Judikatur sei keine eindeutig gegenteilige Auffassung ableitbar. Dkfm. B. sei mit in den Ruhestand getreten. Die Beschwerdeführerin habe von Dkfm. B. nur die von ihm betreuten Klienten entgeltlich erworben, wobei die Tätigkeiten ausschließlich die Personalverrechnung, Buchführung und Bilanzierung betroffen hätten. Es seien also Tätigkeiten übernommen worden, die "in der heutigen Zeit" aus Konkurrenzgründen nur mit aktueller, auf dem letzten Stand befindlicher EDV-Ausstattung und qualifiziertem Personal zu bewerkstelligen seien. Die Entwicklung, die sich seit den 80- iger Jahren abzeichne, zeige ein verändertes Berufsbild hinsichtlich der "Produktionsmittel" einer Wirtschaftstreuhandkanzlei. Hiefür seien Büroausstattung einschließlich EDV-Ausstattung, Personal (kein Hilfspersonal) sowie Kunden notwendig. Der ausschließliche Kundenstockerwerb stelle daher die Anschaffung eines immateriellen Wirtschaftsgutes dar, für dessen Anschaffungskosten ein IFB gebildet werden könne.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Voraussetzung für den Erwerb eines Betriebes sei nicht die Übernahme des gesamten Betriebsvermögens, sondern der Erwerb der wesentlichen Grundlagen eines Betriebes. Die wesentliche Grundlage des Betriebes eines Steuerberaters bilde der Klientenstock, zumal der Geschäftserfolg von der Betreuung der Klienten abhänge. Das Berufungsvorbringen könne die belangte Behörde angesichts der einhelligen Judikatur und Lehre nicht davon überzeugen, dass im zu beurteilenden Zeitraum dem Wert des Klientenstockes eine geringere Bedeutung bei der Beurteilung des Erwerbes eines Betriebes beizumessen sei. Aus der - aus dem Zusammenhang gerissenen - Wiedergabe einer Literaturstelle lasse sich für die Beschwerdeführerin nichts gewinnen (an anderer Stelle, zu § 24 EStG, sprächen diese Kommentatoren ohnedies auch davon, dass u.a. bei Steuerberatern der Kundenstock wesentliche Betriebsgrundlage sei).
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 293 b BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen einen Bescheid insoweit berichtigen, als seine Rechtswidrigkeit auf der Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen beruht.
Ob eine offensichtliche Unrichtigkeit vorliegt, ist anhand des Gesetzes und vor allem auch der dazu entwickelten Rechtsprechung zu beurteilen. Der in der Beschwerde vertretenen Meinung, zur Frage der Vertretbarkeit einer Rechtsansicht komme es "in keiner Weise" auf die ständige Rechtsprechung an, kann nicht gefolgt werden (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , 99/13/0035, und vom , 99/13/0027). Der in der Beschwerde zum Ausdruck gebrachten Auffassung, es käme darauf an, dass eine Rechtsansicht "absolut unvertretbar" sei, ist weiters nur insoweit zuzustimmen, als die Vertretbarkeit der Rechtsansicht auch aus der Sicht der Abgabenbehörde gegeben wäre und es eines Aktes der Rechtsfindung bedürfte, um von zwei oder mehreren vertretbaren Rechtsansichten die dem Gesetz entsprechende zu erkennen. Bestünde hingegen behördlicherseits bei entsprechender Prüfung von vornherein die Gewissheit, dass die in der Abgabenerklärung vertretene Rechtsansicht unrichtig ist, so liegt aus der Sicht der Abgabenbehörde eine offensichtliche Unrichtigkeit vor, auch wenn der Abgabepflichtige seine Rechtsansicht - was nahe liegend ist - für vertretbar hielte (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 93/13/0277).
Beginnend mit dem Erkenntnis vom , 1618/80, Slg. Nr. 5512/F, hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass zu den wesentlichen Grundlagen einer Steuerberatungskanzlei der Klientenstock gehört. Die Frage, welche Wirtschaftsgüter die wesentliche Grundlage des Unternehmens bilden, ist in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Betriebstypus zu beantworten. Bei freien Berufen ist in Rechnung zu stellen, dass dort der Geschäftserfolg in aller Regel entscheidend vom Vertrauen des Kunden (Klienten) zum Angehörigen des freien Berufes abhängt. Zu den wesentlichen Grundlagen eines Steuerberatungsunternehmens gehört somit der Klientenstock (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 93/15/0100, mwN zur Vorjudikatur sowie zuletzt etwa das Erkenntnis vom , 95/15/0063). Im Erkenntnis vom , 91/13/0152, hat der Verwaltungsgerichtshof u.a. betont, dass der beschwerdeführende Wirtschaftstreuhänder mit dem Hinweis auf die personelle und "materielle" Ausstattung jedenfalls deshalb nichts für seinen Standpunkt gewinnen könne, weil es aus der Sicht des § 10 Abs. 2 Z 5 EStG 1972 (entspricht § 10 Abs. 5 EStG 1988) nur darauf ankomme, ob die wesentliche Grundlage des Betriebes, das sei im Beschwerdefall der Klientenstock, übertragen worden sei. Dass es zur Versagung des IFB darauf angekommen wäre, dass der Veräußernde fortan als Gesellschafter-Geschäftsführer in der erwerbenden Steuerberatungs-GmbH tätig gewesen sei, ist entgegen den Beschwerdeausführungen diesem Erkenntnis nicht zu entnehmen. Mögen auch Veränderungen in den "Produktionsmitteln" (Büroausstattung, EDV, qualifiziertes Personal) eines Wirtschaftstreuhänders eingetreten sein, bedeutet dies noch nicht, dass der Kundenstock eines Wirtschaftstreuhänders nicht die wesentliche Grundlage bildet, um die gleiche Erwerbstätigkeit ohne Weiteres fortzuführen.
Die belangte Behörde hat zutreffend ausgeführt, dass sich aus der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Literaturmeinung für ihren Standpunkt nichts gewinnen lässt. Dass für den Ansatz eines Firmenwertes der Erwerb eines Betriebes nicht unbedingte Voraussetzung sei (damit die einschränkende Bestimmung für einen IFB betreffend Betriebserwerb nicht zutreffe), lässt auch keineswegs den Schluss zu, dieser Kommentarmeinung könnte entnommen werden, ein Kundenstock sei im Bereich der freien Berufe nicht als wesentliche Betriebsgrundlage anzusehen.
Da weiters nicht erkennbar ist, dass die Behörde bei Erlassung des nach § 293 b BAO berichtigten Bescheides nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes (vgl. Art. 130 Abs. 2 B-VG) Gebrauch gemacht hätte, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am