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VwGH vom 14.09.2005, 2002/08/0090

VwGH vom 14.09.2005, 2002/08/0090

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der M GmbH in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 49, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 15-II-M 73/2000, betreffend Haftung für Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 67 Abs. 4 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, 1060 Wien, Windmühlgasse 30), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse verpflichtete mit Bescheid vom die beschwerdeführende Gesellschaft (in der Folge Beschwerdeführerin) als Betriebsnachfolgerin, gemäß § 67 Abs. 4 und § 83 ASVG die auf dem Beitragskonto des Betriebsvorgängers I. GmbH rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren im Betrage von EUR 12.793,79 zuzüglich Verzugszinsen seit (berechnet von EUR 12.005,35) binnen 14 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides zu bezahlen. In der Begründung wurde dazu ausgeführt, die Betriebsvorgängerin habe am Standort N eine Handelsgesellschaft geführt. Die Beschwerdeführerin habe am auf Grund eines mit der Betriebsvorgängerin abgeschlossenen Veräußerungsgeschäftes diesen Betrieb übernommen. Auf dem Beitragskonto der Betriebsvorgängerin seien die im beiliegenden Rückstandsausweis ausgewiesenen, im Haftungszeitraum des § 67 Abs. 4 ASVG fälligen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren unbeglichen. Die Beschwerdeführerin als Erwerberin des Betriebes sei verpflichtet, die angegebenen Beträge samt Nebengebühren zu bezahlen.

2.1. In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch führte die Beschwerdeführerin aus, die Voraussetzungen des § 67 Abs. 4 ASVG lägen nicht vor. Die Beschwerdeführerin benütze lediglich die ehemaligen Geschäftsräumlichkeiten der I. GmbH, ohne dass eine Veräußerung dieses Betriebes damit verbunden gewesen wäre.

2.2. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse legte den Einspruch der belangten Behörde vor und führte im Begleitschreiben vom aus, die Beschwerdeführerin habe laut Rechnung vom "die Standrechte an den Ständen 620- 622 samt dazugehörigem Inventar" um einen Kaufpreis von S 360.000,-

- von der I. GmbH erworben. Damit habe die Beschwerdeführerin die für den Betrieb eines Obst- und Gemüsehandels wesentlichen Betriebsmittel erworben.

2.3. In der von der belangten Behörde am durchgeführten Verhandlung führte die Beschwerdeführerin aus, mit der genannten Rechnung vom sei der Stand selbst sowie die dazugehörigen wesentlichen Betriebsmittel gekauft worden, nämlich die Hütte, Vitrinen, Kassa, Waage, Verkaufspult usw. Waren seien nicht mehr vorhanden gewesen. Personal sei nicht übernommen worden. Die Beschwerdeführerin handle mit Fisch und Meerestieren. Die Betriebsvorgängerin habe über keinen lebensfähigen Betrieb verfügt. Ein Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Betriebsvorgängerin sei mangels Vermögens abgewiesen worden.

In der weiteren Verhandlung vor der Einspruchsbehörde führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, dass der Insolvenz-Ausfallgeldfonds die im Haftungsbetrag enthaltenen Dienstnehmeranteile bezahlt habe.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch insoweit teilweise Folge, als der Haftungsbetrag auf EUR 5.723,12 zuzüglich Verzugszinsen ab , berechnet von EUR 4.498,26 verringert wurde. In der Begründung wurde nach einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, auf Grund der Aktenlage, insbesondere der Rechnung vom und den Ausführungen der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom , stehe fest, dass die Beschwerdeführerin von der Betriebsvorgängerin "die Standrechte" sowie das Inventar bzw. die Einrichtung an den Ständen (...) erworben habe. Unmittelbar nach Betriebsübernahme habe sie zwei bereits bei der Betriebsvorgängerin beschäftigte Dienstnehmer angestellt. Auf die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe die Standrechte vom Magistrat Wien zugewiesen erhalten, sei nicht weiter einzugehen, weil die Anmietung der Betriebsräumlichkeiten nicht vom Betriebsvorgänger, sondern von einem Dritten einer Betriebsnachfolge im Sinne des § 67 Abs. 4 ASVG nicht entgegenstehe. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, sie habe von der Betriebsvorgängerin das Inventar, also die wesentlichen Betriebsmittel, gekauft. Durch den Erwerb dieser Betriebsmittel sei die Beschwerdeführerin in die Lage gekommen, den Betrieb fortzuführen. Nicht entscheidend sei, dass die Betriebsvorgängerin mit Obst und Gemüse gehandelt habe, während die Beschwerdeführerin nunmehr mit Fisch und Meerestieren handle.

Ausgehend von einem Betriebsübergang per sei der Haftungszeitraum auf die Beitragszeiträume August 1999 bis einschließlich Jänner 2000 zu beschränken gewesen.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde vor, nicht festgestellt zu haben, ob ein lebender Betrieb oder lediglich das Inventar eines bereits geschlossenen Betriebes übernommen worden sei. Da sie bloß Inventar übernommen habe, seien die Voraussetzungen des § 67 Abs. 4 ASVG nicht gegeben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wird ein Betrieb übereignet, so haftet gemäß § 67 Abs. 4 ASVG der Erwerber für Beiträge, die sein Vorgänger zu zahlen gehabt hätte, unbeschadet der fortdauernden Haftung des Vorgängers sowie der Haftung des Betriebsnachfolgers nach § 1409 ABGB unter Bedachtnahme auf § 1409a ABGB und der Haftung des Erwerbers nach § 25 HGB für die Zeit von höchstens 12 Monaten vom Tag des Erwerbes zurückgerechnet.

Als Erwerber gemäß § 67 Abs. 4 ASVG (unter dem Gesichtspunkt der Nachfolge unter Lebenden) ist jene Person zu verstehen, die den Betrieb oder einen organisatorisch selbständigen Teilbetrieb auf Grund eines Veräußerungsgeschäftes (von Veräußerungsgeschäften) vom Betriebsvorgänger erworben hat. Zum Betriebserwerb ist es allerdings nicht erforderlich, dass alle zum Betrieb gehörigen Betriebsmittel erworben werden; es genügt vielmehr der Erwerb jener Betriebsmittel, welche die (nach Betriebsart und Betriebsgegenstand) wesentliche Grundlage des Betriebes des Betriebsvorgängers gebildet haben und den Erwerber mit ihrem Erwerb in die Lage versetzen, den Betrieb fortzuführen. Der Erwerb einzelner, nicht die wesentliche Grundlage des Betriebes darstellender Betriebsmittel von einem Dritten schließt die Betriebsnachfolge nicht aus. Es ist auch nicht entscheidend, ob der Betrieb tatsächlich fortgeführt wird und ob im Falle der Fortführung der Betriebsgegenstand und die Betriebsart gleich bleiben (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa die hg. Erkenntnisse vom , 94/08/0187, und vom , 2003/08/0063, m.w.N.).

Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerdeführerin weder im Verwaltungsverfahren noch in ihrer Beschwerde behauptet hat, dass der Vorgängerbetrieb im Zeitpunkt des Erwerbsgeschäftes () bereits längere Zeit geschlossen gewesen wäre. Es ist daher davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Betriebsübernahme ein "lebender" Vorgängerbetrieb an diesem Standort bestanden hat.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin genügt für die Haftung nach § 67 Abs. 4 ASVG die Übernahme eines "lebensfähigen" Unternehmens, d.h. die Übernahme der die wesentliche Grundlage eines Unternehmens bildenden Wirtschaftsgüter, die den Erwerber in die Lage versetzen, das Unternehmen fortzuführen. Die Frage, welche Güter die wesentliche Grundlage des Unternehmens bilden, ist in funktionaler Betrachtungsweise nach dem jeweiligen Betriebstypus zu beantworten. Im Beschwerdefall hängt die Entscheidung somit von der Beantwortung der Frage ab, ob in Beziehung auf die örtlichen und räumlichen Betriebsgrundlagen, mit anderen Worten auf das Geschäftslokal und die Ladeneinrichtung, ein dem § 67 Abs. 4 ASVG zu subsumierender Übereignungsvorgang stattgefunden hat. Es ist nicht strittig, dass die Beschwerdeführerin von der Betriebsvorgängerin den Marktstand samt dem zur Betriebsfortführung benötigten Zubehör (die gesamte Ladeneinrichtung) erworben hat. Dieser Erwerbsvorgang ermöglichte der Beschwerdeführerin die ungehinderte Weiterführung des durch den Standort gekennzeichneten Betriebes der Betriebsvorgängerin. Ob die Beschwerdeführerin diesen Betrieb tatsächlich fortgeführt hat oder ob sie dort mit anderen Waren handelt, ist nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung ohne Bedeutung.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am