VwGH vom 14.12.1994, 93/12/0329
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Josef H in W, vertreten durch Eugen H in W, dieser vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr vom , Zl. 125367/III-33/93, betreffend Ersatz eines Übergenusses zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.070,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahre 1905 geborene Beschwerdeführer steht als Amtsrat i. R. in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zum Bund.
Der Beschwerdeführer stellte am bei der Dienstbehörde einen Antrag auf Gewährung einer Hilflosenzulage gemäß § 27 des Pensionsgesetzes 1965 beginnend ab Mai 1990. Die daraufhin erfolgte Begutachtung durch einen ärztlichen Sachverständigen ergab, daß der Beschwerdeführer in geistiger Hinsicht einsichtig war, geringe Gedächtnislücken aufwies, jedoch ohne Schwierigkeiten mit Rücksicht auf seinen Geisteszustand alleingelassen werden konnte und sonstige für die Beurteilung der Hilflosigkeit wichtige Tatsachen (wie z.B. schwere Geisteskrankheit etc.) nicht vorlagen. Aufgrund dieses Befundes wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom gemäß § 27 des Pensionsgesetzes 1965 für die Dauer seiner Hilflosigkeit ab die Hilflosenzulage der Stufe II im monatlichen Betrag von S 2.890,20 gewährt und ihm gleichzeitig mitgeteilt, daß eine von einer anderen Stelle gezahlte gleichartige Zulage auf die Hilflosenzulage nach dem Pensionsgesetz anzurechnen sei. Er wurde auf die Verpflichtung hingewiesen, den Bezug einer derartigen Zulage zu melden; Leistungen, die er infolge Versäumnis dieser Meldepflicht zu Unrecht beziehen sollte, seien dem Bund zu ersetzen.
Am erfolgte eine Mitteilung der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, daß der Beschwerdeführer ab von dieser Anstalt einen Hilflosenzuschuß beziehe. Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer am mitgeteilt, es sei beabsichtigt, den seit entstandenen Übergenuß in der Höhe von S 69.468,-- gemäß §§ 39 und 40 PG einzufordern.
Mit Schreiben vom bestritt der Sohn des Beschwerdeführers, daß sein Vater von der Pensionsbehörde zu Unrecht einen Hilflosenzuschuß erhalten habe. Es liege auch keine Verletzung der Meldepflicht vor, darüberhinaus habe sein Vater die bescheidmäßig zuerkannte Pensionsleistung auch gutgläubig verbraucht. Unter Vorlage einer Vollmacht vom selben Tag beantragte er mit der Begründung, daß er sich bis dato nicht um die bezugsrechtlichen Angelegenheiten seines Vaters gekümmert habe und ihm der behauptete Sachverhalt auch nicht bekannt sei, Akteneinsicht sowie Parteiengehör.
Mit Bescheid vom sprach die Dienstbehörde schließlich aus, daß der Beschwerdeführer in der Zeit vom bis zu Unrecht empfangene Leistungen (Übergenüsse) in der Gesamthöhe von S 69.468,-- zu ersetzen habe.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer (vertreten durch seinen Sohn) vor, es sei ihm nach dem Ableben seiner Gattin im November 1991 eine Witwerpension einschließlich Hilflosenzuschuß von der PVAng zuerkannt worden. Bis zum Ableben seiner Frau habe diese alle Angelegenheiten des täglichen Lebens, wie Abhebungen von seinem Gehaltskonto etc. besorgt, weil er in der Zwischenzeit aufgrund seiner körperlichen und geistigen Behinderung dazu nicht mehr in der Lage gewesen sei. Aufgrund seiner körperlichen und altersbedingten Behinderung sei er schon seit mehreren Jahren faktisch geschäftsunfähig. Schon im Schreiben vom habe er seine Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung angeboten, wonach die verschiedensten Behinderungen so gravierend seien, daß von einer Geschäftsunfähigkeit auszugehen wäre.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen und hiezu nach Wiedergabe des Verwaltungsverfahrens und der Rechtslage ausgeführt, der Beschwerdeführer habe keine Meldung über die Zuerkennung des Hilflosenzuschusses, der der Hilflosenzulage gleichartig und daher anzurechnen sei, erstattet. Erst im Zuge der Umstellungsarbeiten im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Bundespflegegeldgesetzes sei anläßlich der Überprüfung, wer zur Leistung des Pflegegeldes nach den Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes zuständig sei, der Doppelbezug Hilflosenzulage PTV - Hilflosenzuschuß PVAng zu Tage getreten. Das in der Berufung vorgebrachte Argument, daß aufgrund der verschiedensten Behinderungen von einer Geschäftsunfähigkeit auszugehen sei und es die Behörde unterlassen habe, diesbezügliche Feststellungen zu treffen, könne der Berufung deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Feststellung darüber, ob eine behinderte Person nicht mehr in der Lage sei, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen und daher ein Sachwalter zu bestellen sei, in die Zuständigkeit der Gerichte falle. Eine Entscheidung in einer diesbezüglichen Angelegenheit durch die Verwaltungsbehörde sei unzulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 41 des Bundespflegegeldgesetzes, BGBl. Nr. 110/1993, gelten für den Ersatz zu Unrecht bezogener bisheriger pflegebezogener Geldleistungen, die sich auf Zeiträume vor dem beziehen, die jeweiligen Bestimmungen der im § 3 genannten Normen in der bis zum geltenden Fassung (damit nach § 3 Abs. 1 Z. 4 lit.a leg.cit. auch das Pensionsgesetz 1965).
Gemäß § 27 Abs. 5 des Pensionsgesetzes 1965 gebührt die Hilflosenzulage nach diesem Bundesgesetz nur einmal. Hilflosenzulagen nach anderen gesetzlichen Vorschriften und gleichartige Zulagen, wie Blindenzulagen, sind auf die für den gleichen Zeitraum gebührenden Hilflosenzulagen anzurechnen. Dies gilt nicht für Fürsorgeleistungen, die nach landesgesetzlichen Vorschriften gewährt werden.
Gemäß § 38 Abs. 1 PG ist der Anspruchsberechtigte verpflichtet, jede ihm bekannte Veränderung in den Voraussetzungen, die den Verlust oder die Minderung seines Anspruches oder das Ruhen der Leistung begründet, binnen einem Monat der Dienstbehörde zu melden.
Gemäß § 39 PG sind zu Unrecht empfangene Leistungen (Übergenüsse), soweit sie nicht im guten Glauben empfangen worden sind, dem Bund zu ersetzen. Die rückforderbaren Leistungen sind durch Abzug von den nach diesem Bundesgesetz gebührenden Leistungen hereinzubringen. Auf Verlangen ist die Verpflichtung zum Ersatz mit Bescheid festzustellen.
Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht darauf, daß er nicht zur Rückerstattung eines Übergenusses nach § 39 PG verpflichtet werde, obgleich die dafür in dieser Norm genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien, durch unrichtige Anwendung dieser Norm, sowie durch unrichtige Anwendung der Verfahrensvorschriften über die Sachverhaltsermittlung, das Parteiengehör und die Bescheidbegründung (§§ 1, 8 DVG, §§ 37, 39 und 60 AVG) verletzt.
Im Beschwerdefall ist das Vorliegen eines Übergenusses dem Grunde und der Höhe nach unbestritten. Der Beschwerdeführer bringt zur Frage der Gutgläubigkeit vor, er sei aufgrund seiner körperlichen und altersbedingten Behinderung schon seit mehreren Jahren faktisch geschäftsunfähig. Die belangte Behörde hätte darüber Erhebungen pflegen und Feststellungen treffen müssen, es sei ihr höchstens freigestanden, in Richtung auf ein Verfahren beim zuständigen Gericht initiativ zu werden und sodann das Verfahren betreffend der Übergenußrückforderung zu unterbrechen, die Vorfrage seiner Geschäftsfähigkeit einfach unbeachtet zu lassen, sei ihr jedoch nicht gestattet gewesen.
Nach der zu Meldeverpflichtungen in anderen Gesetzen ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hat jede schuldhafte Verletzung der gesetzlichen Meldepflicht zur Folge, daß sich der Leistungsempfänger nicht mehr darauf berufen kann, den auf die Verletzung der Meldepflicht ursächlich zurückzuführenden Übergenuß im guten Glauben empfangen zu haben (auf den gutgläubigen Verbrauch, den der Beschwerdeführer ebenfalls ins Treffen führt, kommt es nicht an). Diese Rechtsprechung ist auch auf Meldepflichtverletzungen nach § 38 Abs. 1 PG anzuwenden; denn der gute Glaube beim Empfang einer Leistung im Sinn des § 39 Abs. 1 PG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom , Zl. 88/12/0015, und vom , Zl. 88/12/0067, nach denen die zu § 13a GG entwickelte Judikatur auch auf § 39 Abs. 1 PG anzuwenden ist) schon dann nicht anzunehmen, wenn der Leistungsempfänger - nicht nach seinem subjektiven Wissen, sondern objektiv beurteilt - bei Anwendung eines durchschnittlichen Maßes an Sorgfalt an der Rechtmäßigkeit der ihm ausgezahlten Leistungen auch nur Zweifel hätte haben müssen. Daher muß seine Gutgläubigkeit beim Empfang eines Übergenusses an Hilflosenzulagen - vor dem Hintergrund des Zweckes, der eine spezielle Form der Mitwirkungspflicht darstellenden Meldeverpflichtung nach § 38 Abs. 1 PG, nämlich die Behörde in Fällen, in denen der Meldepflichtige schon eine Hilflosenzulage bezieht, ehestmöglich in die Lage zu versetzen, Tatsachen, die für den Verlust oder die Minderung des Anspruches oder das Ruhen der Leistung von Bedeutung sind, daraufhin zu prüfen, ob die Leistung einzustellen oder zu ändern ist - jedenfalls dann verneint werden, wenn der Meldepflichtige solche Tatsachen, deren Bedeutung für den Verlust oder die Minderung seines Anspruches er zumindest - wiederum objektiv beurteilt und nicht nach seinem subjektiven Wissen - erkennen mußte, nicht bzw. nicht rechtzeitig meldet, und der Übergenuß darauf zurückzuführen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/12/0324 mit weiteren Judikaturhinweisen).
Obwohl eine Meldepflichtverletzung nur die objektive und nicht die subjektive Erkennbarkeit des Eintrittes eines Meldefalles im eben genannten Sinn voraussetzt, bedingt dies nicht die völlige Außerachtlassung der subjektiven Faktoren. Vielmehr muß der Meldepflichtige nach den obigen Ausführungen bei Anwendung eines durchschnittlichen Ausmasses an Sorgfalt - wieder objektiv beurteilt und nicht nach seinem subjektiven Wissen - die Bedeutung eingetretener Tatsachen für den Verlust oder die Minderung seines Anspruches erkennen können. Das aber setzt die Geschäftsfähigkeit des Meldepflichtigen voraus, die freilich nicht schon durch jede körperliche oder geistige Behinderung beseitigt wird (vgl. hg. Erkenntnis vom , Zl. 88/12/0067). Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei "aufgrund seiner körperlichen und altersbedingten Behinderung" bereits seit mehreren Jahren geschäftsunfähig, kommt daher unter Berücksichtigung dieser Grundsätze Bedeutung zu.
§ 9 AVG bestimmt, daß die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit von Beteiligten von der Behörde - sofern in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist - nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen ist. Die Beurteilung der Handlungsfähigkeit obliegt der Behörde, die einen Verfahrensakt, der diesen Beteiligten betreffen soll, zu setzen hat.
Ob eine Partei handlungsfähig ist, bestimmt sich primär nach den Verwaltungsvorschriften, subsidiär nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes (Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5 Rz 131 und 133). Ob der Beschwerdeführer handlungsfähig war, hängt daher davon ab, ob er seine Angelegenheiten (aus einem anderen Grund als dem der Minderjährigkeit) selbst gehörig zu besorgen vermochte.
Dies wäre nicht der Fall, wenn er diesbezüglich (trotz seiner Volljährigkeit) "den Gebrauch der Vernunft nicht gehabt hätte" (§ 865 ABGB). Solche Personen sind nämlich nach dieser Gesetzesstelle unfähig, ein Versprechen zu machen oder es anzunehmen, können also wegen ihrer Geisteskrankheit oder -schwäche keine gültigen Geschäfte schließen.
Dafür bedarf es aber grundsätzlich völliger Unfähigkeit, die Bedeutung rechtsgeschäftlicher Handlungen zu erkennen, also einer Geisteskrankheit oder -schwäche, die früher volle Entmündigung, nunmehr die Betrauung des Sachwalters mit der Besorgung aller Angelegenheiten der behinderten Person nach § 273 Abs. 3 Z. 3 ABGB gerechtfertigt hätte bzw. rechtfertigen würde (Rummel in Rummel, ABGB I2 Rdz 3 zu § 865 mit weiteren Hinweisen). Darüber hinaus lassen Rechtsprechung und Lehre auch durch Geisteskrankheit oder -schwäche bedingte völlige Unfähigkeit, die Tragweite eines bestimmten Geschäfts einzusehen, für die Ungültigkeit desselben ausreichen (sog. partielle Geschäftsunfähigkeit - Rummel aaO mit Literaturzitaten).
Weder aus dem Verwaltungsakt noch aus der Beschwerde lassen sich Hinweise darauf ableiten, daß für den Beschwerdeführer ein Sachwalter bestellt wäre. Das schließt allerdings nicht aus, daß der Beschwerdeführer zwar nicht infolge Bestellung eines Sachwalters, sondern wegen Geisteskrankheit oder -schwäche, in seiner Handlungsfähigkeit so beschränkt war, daß er nicht mehr in der Lage war, der durch den Bescheid der PVAng (mit dem ihm nach dem Ableben seiner Gattin mit Wirkung vom ebenfalls ein Hilflosenzuschuß zuerkannt wurde) ausgelösten Meldeverpflichtung gegenüber der belangten Behörde nachzukommen. Diese Fragen werden von der belangten Behörde im fortgesetzten Verfahren durch geeignete Ermittlungen zu prüfen sein. Ferner ist zu klären, ob diese Behinderung während der gesamten Dauer des Bezuges des Hilflosenzuschusses andauerte und ob die behauptete Geistesschwäche auch zum Zeitpunkt der rechtsgeschäftlich erteilten Vollmachten (für das Verwaltungsverfahren und das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof) vorlag.
Die belangte Behörde hat ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht, ihre Zuständigkeit zur Prüfung der Geschäftsfähigkeit des Beschwerdeführers verneint und diesbezügliche Ermittlungen unterlassen. Da die belangte Behörde durch die aufgezeigten Unterlassungen grundlegende Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.