VwGH 20.02.1997, 96/06/0110
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssätze
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RS 1 | Wenngleich seit der Novelle zum AVG durch das Bundesgesetz BGBl 357/1990 im § 63 Abs 5 AVG nicht mehr die Worte "schriftlich oder telegraphisch" enthalten sind, ergibt sich die Notwendigkeit zur schriftlichen Einbringung (der nach § 13 Abs 1 AVG auch die dort genannten Einbringungsformen gleichzuhalten sind) bereits aus § 13 Abs 2 AVG. Hier: mündlich durch einen Vertreter der Bundesstraßenverwaltung eingebrachte Berufung gegen einen Bescheid des Landeshauptmannes, über die eine handschriftliche Notiz im Akt des Landeshauptmannes besteht und die offensichtlich von einem Amtsorgan und dem einschreitenden Vertreter der Bundesstraßenverwaltung gezeichnet ist. Die Berufung wurde weder schriftlich noch in einer der im § 13 Abs. 1 AVG genannten, der Schriftform gleichzuhaltenden Formen, eingebracht. Es liegt daher keine zulässige Berufung vor, sodaß weder die Zuständigkeit zur Erlassung einer Berufungsvorentscheidung durch die Behörde erster Instanz noch jene zu einer Berufungsentscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG durch die belangte Behörde (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) gegeben waren. Die belangte Behörde hätte die vermeintliche Berufung als unzulässig zurückweisen müssen. Siehe jedoch E VS , Zl. 2001/20/0195, betreffend § 13 Abs. 2 AVG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998. |
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RS 2 | § 64a AVG idF BGBl 471/1995 sieht zwar die Möglichkeit einer Berufungsvorentscheidung vor, jedoch geht nach Stellung eines Vorlageantrages iSd § 64a Abs 2 AVG die Kompetenz zur Entscheidung ÜBER DIE EINGEBRACHTE BERUFUNG auf die Berufungsbeh über (Hinweis B , 92/06/0243). |
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RS 3 | § 64a AVG iVm § 66 AVG erfordert KEINE förmliche Entscheidung über einen zulässigen Vorlageantrag. Die Entscheidungskompetenz der Berufungsbehörde ist auch im Falle der Erlassung einer Berufungsvorentscheidung keine andere als in einem Berufungsverfahren, in dem keine Berufungsvorentscheidung ergangen ist. |
Norm | AVG §64a Abs2; |
RS 4 | Gemäß § 64a Abs 2 vierter Satz AVG tritt die Berufungsvorentscheidung mit dem Einlangen eines rechtzeitig eingebrachten Vorlageantrages außer Kraft. Eine Bestätigung einer Berufungsvorentscheidung kommt damit begrifflich nicht in Betracht und geht ins Leere. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. König, über die Beschwerde der A Gesellschaft m.b.H. & Co KG in H, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , Zl. 870.095/14-VI/12a/96, betreffend Enteignung nach dem Bundesstraßengesetz (mitbeteiligte Partei:
Bund - Bundesstraßenverwaltung, vertreten durch den Landeshauptmann von Tirol), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft, von der ein Teil von der Bundesstraßenverwaltung für die Neutrassierung der "X-Straße" benötigt wird. Im Zuge der Grundeinlösungsgespräche kam es hinsichtlich der Inanspruchnahme einer Fläche von 1.946 m2 zu einer Einigung hinsichtlich der Enteignungsentschädigung. Es wurde eine Absprache unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen, daß Naturalersatz im Ausmaß von rund 900 m2 geleistet werde. In der Folge wurde durch den Landeshauptmann von Tirol ein Enteignungsbescheid vom erlassen, in dem auch die Höhe der Entschädigung festgesetzt wurde. Die Beschwerdeführerin erhob Berufung gegen diesen Bescheid. Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde der Beschwerdeführerin bekannt, daß der vorgesehene Naturalersatz nicht zur Verfügung gestellt werden könnte. Nach neuerlichen Verhandlungen mit dem Landeshauptmann von Tirol wurde vom Landeshauptmann von Tirol am ein weiterer Bescheid erlassen, in dem die Entschädigungssumme "in Ergänzung bzw. Abänderung des Bescheides vom " für das von der Enteignung betroffene Grundstück der Beschwerdeführerin neu festgesetzt wurde. Die Beschwerdeführerin zog daraufhing ihre Berufung gegen den Bescheid vom zurück.
Aufgrund einer mündlich durch einen Vertreter der Bundesstraßenverwaltung am eingebrachten Berufung (darüber besteht eine handschriftliche Notiz im Akt des Landeshauptmannes von Tirol, die offensichtlich von einem Amtsorgan und dem einschreitenden Vertreter der Bundesstraßenverwaltung gezeichnet ist) erließ der Landeshauptmann von Tirol am eine Berufungsvorentscheidung gemäß § 64a AVG. Mit dieser Berufungsvorentscheidung wurde der Bescheid vom aufgehoben. Begründet wird diese Aufhebung damit, daß die von der Beschwerdeführerin in den Gesprächen geltend gemachte Vereinbarung mit der Bundesstraßenverwaltung, wie sie dem Bescheid vom zugrundegelegt worden sei, nicht den tatsächlichen Abmachungen entspreche.
Die Beschwerdeführerin beantragte fristgerecht, die Berufung der mitbeteiligten Partei der Berufungsbehörde zur Entscheidung vorzulegen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid entschied die belangte Behörde wie folgt:
"Der Vorlageantrag der A Ges.m.b.H. & Co. KG. in H, vertreten durch Dr. S in W, betreffend den Bescheid des Landeshauptmann von Tirol vom , Zl. IIb1-B-2195/23-1995, verbunden mit einem Antrag auf Zurückweisung der Berufung der Bundesstraßenverwaltung gegen den Bescheid des Landeshauptmann von Tirol vom , Zl. IIb1-B-2195/22-1995, wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz abgewiesen sowie gemäß § 63 Abs. 3 AVG zurückgewiesen.
Der Bescheid des Landeshauptmann von Tirol vom , Zl. IIb1-B-2195/23-1995, mit welchem der Bescheid des Landeshauptmann von Tirol vom , Zl. IIb1-B-2195/22-1995, behoben wurde, wird bestätigt."
Begründend wird in dem Bescheid nach Wiedergabe des wesentlichen Inhaltes des Vorlageantrages ausgeführt, daß "nach Erörterung der Sach- und Rechtslage, im speziellen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Landeshauptmann von Tirol" die Bundesstraßenbehörde zweiter Instanz "wie folgt erwogen" habe. In den anschließenden Erwägungen wird - ohne nähere Angabe, worauf sich diese Annahme gründet - ausgeführt, daß sich die Berufung der Republik Österreich, Bundesstraßenverwaltung, sehr wohl gegen den Umfang der beantragten Enteignung richte, "da eine Erhöhung der Einlösefläche vorgesehen" gewesen sei. Die Berufung sei daher gemäß § 20 Abs. 3 BStG zulässig gewesen. Es wird sodann ausgeführt, daß bestimmte Passagen im Vorlageantrag der Beschwerdeführerin nicht verständlich seien. In diesem Zusammenhang wird die Formulierung verwendet "Ausführungen in Punkt 3 des verfahrensgegenständlichen Antrages".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich im Recht auf gesetzeskonforme Festsetzung der Enteignungsentschädigung verletzt und macht (unter Hinweis darauf, daß die belangte Behörde nicht über die Berufung entschieden habe, sondern über den Vorlageantrag der Beschwerdeführerin) die Unzuständigkeit der belangten Behörde geltend.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der unter anderem neuerlich darauf hingewiesen wird, daß sich die Berufung der Republik Österreich - Bundesstraßenverwaltung gegen den Umfang der beantragten Enteignung gerichtet habe, daß seitens der belangten Behörde über den Vorlageantrag der Beschwerdeführerin vom gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom abgesprochen worden sei und daß im Hinblick auf die Differenzierung zwischen Hoheitsverwaltung und Privatwirtschaftsverwaltung die Berufung der Bundesstraßenverwaltung (auch wenn für diese der Landeshauptmann von Tirol eingeschritten sei) entgegen den Beschwerdeausführungen zulässig gewesen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Abgesehen davon, daß die belangte Behörde offensichtlich die Bedeutung einer Berufungsvorentscheidung gemäß § 64a AVG verkennt (sie hat auch nach den Ausführungen in der Gegenschrift über den Vorlageantrag der Beschwerdeführerin entschieden und nicht über die Berufung der Bundesstraßenverwaltung, die sie offenbar als zulässig angesehen hat), erweist sich die vorliegende Beschwerde schon aus folgendem Grund als berechtigt:
Gemäß § 63 Abs. 1 AVG richten sich der Instanzenzug und das Recht zur Einbringung der Berufung und sonstiger Rechtsmittel (Vorstellung), abgesehen von den im AVG besonders geregelten Fällen, nach den Verwaltungsvorschriften. Gemäß § 63 Abs. 5 AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser. Gemäß § 13 Abs. 2 sind Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, schriftlich einzubringen.
Wenngleich seit der Novelle zum AVG durch das Bundesgesetz BGBl. Nr. 357/1990 im § 63 Abs. 5 nicht mehr die Worte "schriftlich oder telegraphisch" enthalten sind, ergibt sich die Notwendigkeit zur schriftlichen Einbringung (der nach § 13 Abs. 1 AVG auch die dort genannten Einbringungsformen gleichzuhalten sind) bereits aus § 13 Abs. 2 AVG (vgl. in diesem Sinn auch die Erläuternden Bemerkungen zur genannten Novelle zum AVG, 1089 BlgNR XVII. GP, 10).
Die vom Bund - Bundesstraßenverwaltung gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom erhobene Berufung wurde hingegen weder schriftlich noch in einer der im § 13 Abs. 1 AVG genannten, der Schriftform gleichzuhaltenden Formen, eingebracht.
Es liegt daher im Beschwerdefall keine zulässige Berufung vor, sodaß weder die Zuständigkeit zur Erlassung einer Berufungsvorentscheidung durch die Behörde erster Instanz noch jene zu einer Berufungsentscheidung gemäß § 66 Abs. 4 AVG durch die belangte Behörde gegeben waren. Die belangte Behörde hätte die vermeintliche Berufung des Bundes - Bundesstraßenverwaltung als unzulässig zurückweisen müssen. Zu einer Sachentscheidung über die Berufung war die belangte Behörde nicht zuständig. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , Slg. Nr. 5078/F, oder vom , Zl. 85/15/0052). Die Unzuständigkeit der belangten Behörde wäre vom Verwaltungsgerichtshof nach den zitierten Erkenntnissen auch von Amts wegen wahrzunehmen, sodaß es nicht von Bedeutung ist, ob die Unzuständigkeit in der Beschwerde mit zutreffender Begründung geltend gemacht wurde (die Beschwerdeführerinnen stützen den Einwand der Unzuständigkeit auf die verfehlte Entscheidung über den Vorlageantrag; zur Entscheidungskompetenz der Berufungsbehörde nach Stellung eines Vorlageantrages und die allfälligen Deutungsmöglichkeiten der von der Behörde vorgenommenen "Bestätigung der Berufungsvorentscheidung" siehe sogleich).
2. Es wäre daher im Beschwerdefall nicht näher auf die sich aus dem angefochtenen Bescheid ergebenden weiteren Fragen einzugehen. Aus verfahrensökonomischen Gründen für allfällige weitere Berufungsverfahren sei jedoch darauf hingewiesen, daß § 64a AVG (nunmehr in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 471/1995) zwar die Möglichkeit einer Berufungsvorentscheidung vorsieht, daß jedoch nach Stellung eines Vorlageantrages im Sinne des § 64a Abs. 2 AVG die Kompetenz zur Entscheidung ÜBER DIE EINGEBRACHTE BERUFUNG () auf die Berufungsbehörde übergeht (vgl. den hg. Beschluß vom , Zl. 92/06/0243, und dazu Walter/Thienel, Die Verwaltungsverfahrensnovellen 1995, 38, Fn 92). Im Beschwerdefall hätte dies - soferne tatsächlich eine zulässige Berufung vorgelegen wäre - bedeutet, daß über die Berufung des Bundes - Bundesstraßenverwaltung abzusprechen gewesen wäre (dies hat die belangte Behörde nur indirekt getan, indem sie die Berufungsvorentscheidung "bestätigt" hat; dazu siehe sogleich).
Abgesehen davon, daß die belangte Behörde anstelle der Entscheidung über die Berufung des Bundes
- Bundesstraßenverwaltung über den Vorlageantrag abgesprochen hat, ist der diesbezügliche Spruch "wird gemäß § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz abgewiesen sowie gemäß § 63 Abs. 3 AVG zurückgewiesen" in sich widersprüchlich, ohne daß diese Widersprüchlichkeit in der Begründung des Bescheides beseitigt würde (es wird nicht klargestellt, ob etwa bestimmte Teile des Antrags zurückgewiesen, andere abgewiesen würden; zur Vermeidung von Mißverständnissen sei aber noch einmal betont, daß § 64a AVG iVm § 66 AVG KEINE förmliche Entscheidung über einen zulässigen Vorlageantrag erfordert. Die Entscheidungskompetenz der Berufungsbehörde ist auch im Falle der Erlassung einer Berufungsvorentscheidung keine andere als in einem Berufungsverfahren, in dem keine Berufungsvorentscheidung ergangen ist; ganz allgemein ist aber die belangte Behörde darauf hinzuweisen, daß derselbe Antrag nicht gleichzeitig zurück- und abgewiesen werden kann).
Weiters ist darauf hinzuweisen, daß gemäß § 64a Abs. 2 vierter Satz AVG mit dem Einlangen eines rechtzeitig eingebrachten Vorlageantrages die Berufungsvorentscheidung außer Kraft tritt. Eine Bestätigung einer Berufungsvorentscheidung kommt damit begrifflich nicht in Betracht und geht ins Leere.
3. Der angefochtene Bescheid war bereits aufgrund der unter
1. dargestellten Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgrund des Umstandes, daß keine schriftliche Berufung vorlag, gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Zusatzinformationen
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Normen | |
Schlagworte | Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Instanzenzug Maßgebender Zeitpunkt |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:1997:1996060110.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
GAAAE-48458