VwGH vom 29.11.1993, 93/12/0251

VwGH vom 29.11.1993, 93/12/0251

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß,

Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Stöckelle, über die Beschwerde der A in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom , Zl. 56.035/25-I/7/93, betreffend Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit nach dem Studienförderungsgesetz 1992, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin begann ihr Studium für Medizin an der Universität Wien im Wintersemester 1988/89 und legte die letzte Teilprüfung für das erste Rigorosum am ab.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Nachsicht von der Überschreitung der Studienzeit gemäß § 19 Abs. 6 Z. 2 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305 (im folgenden kurz StudFG) ab. Sie begründete ihre Entscheidung im wesentlichen damit, die Beschwerdeführerin habe sich im Sommersemester 1993 im zehnten Semester ihres Studiums befunden, das erste Rigorosum am abgelegt und daher die für den ersten Studienabschnitt der Studienrichtung Medizin vorgesehene Studienzeit - diese betrage nach der Studienordnung für die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 473/1978 für den ersten Studienabschnitt vier Semester - um mehr als das Doppelte zuzüglich eines Semesters überschritten. Das Vorliegen wichtiger Gründe könne nur dann die Überschreitung der Studienzeit rechtfertigen, wenn das überwiegende Ausmaß der Studienverzögerung auf die im Gesetz genannten wichtigen Gründe zurückzuführen sei (§ 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG). Demnach müßte mehr als die Hälfte (der Studienzeitüberschreitung) durch einen wichtigen Grund im Sinne des Studienförderungsgesetzes gerechtfertigt sein. Im Beschwerdefall sei daher zu prüfen, ob die von der Beschwerdeführerin angeführten Gründe das überwiegende Ausmaß ihrer Studienzeitüberschreitung von insgesamt sechs Semestern (zumindest mehr als drei Semester dauernde Studienverzögerung) bewirkt habe; dies sei nicht der Fall: Die Beschwerdeführerin habe ihre Studienverzögerung nämlich im wesentlichen mit der Krankheit im Wintersemester 1992/93 (14. Oktober bis ; 11. Jänner bis ) begründet. Diese Erkrankung lasse sich höchstens als Verzögerung um ein Semester werten, rechtfertige aber nicht das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung der Beschwerdeführerin von sechs Semester, weshalb ihr Antrag auf Erteilung der Nachsicht abzuweisen gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall ist das Studienförderungsgesetz 1992

(StudFG), BGBl. Nr. 305/1992, anzuwenden.

§ 19 Abs. 2 und Abs. 6 leg. cit. lauten:

"(2) Wichtige Gründe im Sinne des Abs. 1 sind:


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1.
Krankheit des Studierenden, wenn sie durch fachärztliche Bestätigung nachgewiesen wird,
2.
Schwangerschaft der Studierenden und
3.
jedes unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis, wenn den Studierenden daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Verschuldens trifft.
...

(6) Der zuständige Bundesminister hat auf Antrag des Studierenden und nach Anhörung des zuständigen Senates der Studienbeihilfenbehörde


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1.
bei Studien im Ausland, überdurchschnittlich umfangreichen und zeitaufwendigen wissenschaftlichen Arbeiten oder ähnlichen außergewöhnlichen Studienbelastungen die Anspruchsdauer um ein weiteres Semester zu verlängern oder
2.
bei Vorliegen wichtiger Gründe im Sinne der Z. 1 oder des Abs. 2 die Überschreitung der zweifachen Studienzeit des ersten Studienabschnittes zuzüglich eines Semesters (§ 20 Abs. 2 und § 21 Abs. 2) oder die Überschreitung der Studienzeit des zweiten und dritten Studienabschnittes um mehr als vier Semester (§ 15 Abs. 2) nachzusehen,
wenn das überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung auf die genannten Gründe zurückzuführen und auf Grund der bisherigen Studienleistungen zu erwarten ist, daß der Studierende die Diplomprüfung (das Rigorosum) innerhalb der Anspruchsdauer ablegen wird."
Nach Abs. 2 des § 20 StudFG (diese Bestimmung regelt den Studienerfolg an Universitäten) liegt ein günstiger Studienerfolg nicht vor, wenn ein Studierender die erste Diplomprüfung (das erste Rigorosum) des Studiums, für das Studienbeihilfe beantragt wird, oder eines Vorstudiums nicht innerhalb der zweifachen vorgesehenen Studienzeit zuzüglich eines weiteren Semesters absolviert hat.
§ 21 Abs. 2 enthält eine gleichartige Regelung betreffend
den Studienerfolg an Kunsthochschulen.

"(3) Zur Beurteilung des Anspruches auf Studienbeihilfe oder des Erlöschens von Studienbeihilfe enden die nach Semestern festgelegten Fristen für den Nachweis von Studienleistungen erst mit dem Ablauf der an das jeweilige Semester anschließenden Ferien."

Nach § 19 Abs. 1 des Allgemeinen Hochschul-Studiengesetzes (AHStG, BGBl. Nr. 177/1966 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 332/1981), beginnt das Studienjahr am 1. Oktober und endet am 30. September. Es besteht aus dem Wintersemester, dem Sommersemester und den Ferien. Das Wintersemester beginnt am 1. Oktober, das Sommersemester am 1. März.

Nach § 3 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom über die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 123, besteht das Studium zum Erwerb des in § 2 genannten Doktorates aus drei Studienabschnitten. Nach Abs. 4 dieser Bestimmung wird jeder Studienabschnitt mit einem Rigorosum abgeschlossen (erster Satz).

Nach der Studienordnung für die Studienrichtung Medizin, BGBl. Nr. 473/1978, umfaßt der erste Studienabschnitt vier Semester (§ 3 Abs. 1 erster Satz).

Die Beschwerdeführerin macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, es sei ihr im Dekanat erklärt worden, die im März 1993 abgelegten Prüfungen würden nicht dem zehnten, sondern ihrem neunten Studiensemester zugerechnet werden, sodaß der ihr zugewiesene Prüfungstermin vom hinreiche, um bei positiver Ablegung der Prüfung einen günstigen Studienerfolg im Sinne des § 20 Abs. 2 StudFG aufzuweisen. Die belangte Behörde sei bei der Beurteilung der (studienrechtlichen) Frage, welchem Semester eine Prüfung zuzuordnen sei, an die von der Universität vorgenommene Zurechnung gebunden, da es sich hiebei um eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Universität handle. Es habe daher gar keine Überschreitung der Studienzeit im Sinne des § 20 Abs. 2 StudFG stattgefunden.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Knüpft das Studienförderungsgesetz bei der Normierung der Studienförderung an Sachverhalte an, die im Studienrecht (im weiteren Sinn, d.h. im allgemeinen bzw. besonderen Studienrecht) geregelt sind, ohne diese selbst zu bestimmen, so wird zu seiner Auslegung auf die einschlägigen studienrechtlichen Vorschriften zurückzugreifen sein. Trifft der Gesetzgeber jedoch eine selbständige Regelung, so geht diese der studienrechtlichen Regelung vor. Dem einfachen Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, unter dem Gesichtspunkt der Studienförderung einen Sachverhalt (auch studienrechtlicher Art) selbständig zu regeln, sofern dies die Kompetenzverteilung zuläßt. Die Zuständigkeit des (einfachen) Bundesgesetzgebers ist im Beschwerdefall zweifellos gegeben: Aus Art. 14 B-VG ergibt sich nämlich sowohl seine Zuständigkeit zur Regelung der vom Studienförderungsgesetz erfaßten Studienförderung als auch für die studienrechtlichen Belange der von dieser Förderung erfaßten Studien.

§ 20 Abs. 2 StudFG enthält einen den Anspruch auf Studienförderung berührenden (nämlich einen solchen ausschließenden) Tatbestand. Neben den studienrechtlichen Vorschriften, denen die "vorgesehene Studienzeit" im Sinne des § 20 Abs. 2 leg. cit. zu entnehmen ist, ist bezüglich des Semesterbegriffes jedenfalls die ausdrückliche Regelung des § 41 Abs. 3 StudFG zu beachten. Da die Studienzeit für den ersten Studienabschnitt der Studienrichtung Medizin nach der einschlägigen Studienordnung vier Semester beträgt, ist der Tatbestand nach § 20 Abs. 2 StudFG mit Ablauf des neunten Semesters erfüllt. Im Beschwerdefall war dies - wie sich aus § 41 Abs. 3 StudFG in Verbindung mit § 19 Abs. 1 dritter Satz AHStG in der Fassung BGBl. Nr. 332/1981 ergibt - mit Ablauf des der Fall.

Eine Bindungswirkung eines studienrechtlichen Bescheides für eine Angelegenheit der Studienförderung, wie sie von der Beschwerdeführerin behauptet wird, besteht auf Grund der Gesetzeslage jedenfalls im Beschwerdefall nicht. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Auskunft des Dekanates überhaupt als solcher gewertet werden kann.

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde ferner eine unrichtige Auslegung des § 20 Abs. 2 StudFG vor. Eine Studienzeitüberschreitung (Studienverzögerung) liege erst dann vor, wenn jener Zeitraum überschritten werde, den der Gesetzgeber für einen künftigen Studienerfolg nach § 20 Abs. 2 leg. cit. als gerechtfertigt ansehe. Ein Überschreiten der Studienzeit (Studienverzögerung) könne daher immer nur dann vorliegen, wenn die sich aus § 20 Abs. 2 StudFG ergebende Zeit (hier: neun Semester) überschritten worden sei. Die Beschwerdeführerin habe diesen Zeitraum - wenn die Rechtsansicht der belangten Behörde zutreffe - um einen Tag überschritten. Die von der belangten Behörde selbst eingeräumte Verzögerung von einem Semester sei daher ausreichend, um dem Nachsichtsantrag der Beschwerdeführerin stattzugeben. Aus dem unstrittigen Sachverhalt ergebe sich, daß sämtliche Umstände, die einen wichtigen Grund im Sinne des § 19 StudFG darstellten, im letzten Semester der Anspruchsdauer eingetreten seien. Im übrigen sei ein weiterer wichtiger Grund im Sinne des § 19 Abs. 2 Z. 3 StudFG darin gelegen, daß sich die Beschwerdeführerin (bei zutreffender Rechtsansicht der belangten Behörde) auf Grund einer Auskunft des Dekanates in einem Irrtum befunden habe, der lediglich auf einem minderen Grad des Versehens beruhe.

Dem ist folgendes entgegenzuhalten:

Auf Grund des Wortlautes in Verbindung mit systematischen Zusammenhängen - § 19 Abs. 6 Z. 2 StudFG verweist auf die §§ 20 Abs. 2 und 21 Abs. 2, in denen jeweils von der VORGESEHENEN Studienzeit die Rede ist - kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die Studienzeitüberschreitung im Sinne des § 19 Abs. 6 StudFG dann gegeben ist, wenn die in den studienrechtlichen Vorschriften vorgesehene (Mindest)Studienzeit nicht eingehalten wurde. Dies entspricht auch - trotz unterschiedlicher Textierung - der früheren Rechtslage, wie sie durch § 2 Abs. 3 lit. g und § 2 Abs. 4 lit. b StudFG 1983 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 379/1988, geschaffen wurde (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/12/0140). Gegen eine derartige Regelung bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. zur alten Rechtslage das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 779/89).

Auf dem Boden dieser Rechtslage war es daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde die unstrittig alle im neunten Studiensemester der Beschwerdeführerin eingetretenen wichtigen Gründe im Sinne des § 19 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 6 Z. 2 StudFG als nicht ausreichend angesehen hat, das nach dem Studienförderungsgesetz geforderte "überwiegende Ausmaß der Studienzeitüberschreitung", im Beschwerdefall also mehr als die Hälfte des Zeitraumes vom fünften Semester an bis einschließlich , abzudecken. Abgesehen davon ist der von der Beschwerdeführerin erstmals in der Beschwerde geltend gemachte "Rechtsirrtum" als Neuerung im Sinne des § 41 VwGG anzusehen, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtlich ist.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.