VwGH vom 22.01.2003, 2002/08/0034
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der V in U, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager, Dr. Dieter Gallistl und Dr. Elfgund Frischenschlager, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Landstraße 15, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom , Zl. LGSOÖ/Abt.4/1281/0551/2001-1, betreffend Sondernotstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin stellte am einen Antrag auf Zuerkennung von Sondernotstandshilfe.
Die Gemeinde P bescheinigte dazu in ihrer Stellungnahme vom , dass geeignete Unterbringungsmöglichkeiten für den Sohn der Beschwerdeführerin, laut Antrag der Beschwerdeführerin geboren am , bei den Tagesmüttern G in O und H in A sofort verfügbar seien.
Nachdem die Beschwerdeführerin daraufhin zwei Bestätigungen des Vereines Aktion Tagesmütter OÖ vorgelegt hatte, wonach weder in der Gemeinde A noch in der Gemeinde P und Umgebung derzeit eine Tagesmutter zur Verfügung stehe, gab die Gemeinde P neuerlich eine Stellungnahme ab. Danach stünde die Tagesmutter G in O zur Verfügung. Bei ihr könne ein Kind jederzeit untergebracht werden. Die Bestätigungen des Vereines für Tagesmütter bezögen sich auf die Unterbringung für beide Kinder der Beschwerdeführerin. Richtig sei, dass Frau H als Tagesmutter nicht mehr zur Verfügung stehe.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom gemäß § 39 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 6 AlVG auf Grund des Vorhandenseins einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit keine Folge gegeben. Begründend wurde ausgeführt, laut Bestätigung der Gemeinde P sei eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit gegeben.
In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei im LKH Salzburg beschäftigt, wo sie Frühdienst (6:00 Uhr bis 14:00 Uhr) bzw. Spätdienst (11:30 Uhr bis 19:30 Uhr) machen müsse. Sie habe beim LKH Salzburg ein aufrechtes Dienstverhältnis bis zum sechsten Lebensjahr ihres Sohnes Thomas. Derzeit und bis auf weiteres bestünde im LKH Vöcklabruck keine Möglichkeit zur Teilzeitbeschäftigung. Die Anreise zum LKH Salzburg würde an Werktagen mit dem Zug erfolgen, Abfahrt in A um 4:57 Uhr; an Sonn- und Feiertagen würde die Anreise unter größerem Zeitaufwand mit dem PKW erfolgen, da kein Zug fahre. Laut den Bestätigungen des "Vereines Tagesmütter" sei derzeit für ihre zwei zu beaufsichtigenden Kinder keine Tagesmutter zur Verfügung. Die Tagesmutter in O würde nur eines ihrer Kinder beaufsichtigen. Es sei gegen ihren Willen und für die Kinder unzumutbar, wenn jedes Kind zu einer anderen Tagesmutter käme. Außerdem könne die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer fachlichen Ausbildung als Diplomkrankenschwester beurteilen, dass, wenn Kinder im Entwicklungsstadium so gravierend aus dem Tag- und Nachtrhythmus gerissen würden, dies die Entwicklung sehr negativ beeinflusse. Weiters sei der Weg zu der Tagesmutter in O (etwa fünf Kilometer) in entgegengesetzter Fahrtrichtung zur Abfahrtsstelle ihres Zuges. Die Wegstrecke vom Wohnort zum Bahnhof betrage sieben Kilometer. Demnach würde zusätzlich zur langen Anreise zur Arbeitsstelle ein Aufwand von ca. 17 Kilometern zur Unterbringungsmöglichkeit ihrer Kinder entstehen, dies zweimal täglich.
Im weiteren Verfahren gab die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck eine Stellungnahme vom ab. Demnach wäre die Tagesmutter G in O jederzeit bereit, zwei Kinder aufzunehmen. Dafür habe sie auch eine behördliche Bewilligung. Die Wegstrecke von P nach O betrage fünf bis sechs Kilometer. Der Weg liege in entgegengesetzter Richtung zum Arbeitsweg der Kindesmutter. Die Beschwerdeführerin müsse in Salzburg sowohl Frühdienst als auch Spätdienst machen. Dies würde bedeuten, dass die Kinder um 4:15 Uhr zur Tagesmutter gebracht werden müssten bzw. erst spät abends abgeholt würden. Der Kindesvater arbeite bei den Österreichischen Bundesbahnen im Turnusdienst und sei nur fallweise in der Lage, die Kinder zur Tagesmutter zu bringen bzw. abzuholen. Es gebe keine weitere Betreuungsperson. Die Eignung von Frau G als Tagesmutter sei unbestritten. Die Rahmenbedingungen für eine Unterbringung der Kinder der Beschwerdeführerin bei dieser Tagesmutter seien jedoch sowohl für die Kinder als auch für die Kindesmutter äußerst ungünstig und entsprächen nicht dem Kindeswohl. Eine Unterbringung der Kinder bei Frau G sei daher nicht zu empfehlen.
Die Gemeinde P verwies in einer Stellungnahme vom darauf, dass eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung stehe.
Im Akt befinden sich weiters zwei Aktenvermerke vom . Diese lauten:
"AV: tel. Rü m. Fr. W.: SV+Re zur Kenntnis gebracht.
Keine Änderung SV."
"Nochmaliger Anruf: Das KFZ der Familie stehe Fr. W. zur
Verfügung."
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten
Behörde wurde der Berufung der Beschwerdeführerin nicht stattgegeben. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die grundsätzliche Eignung der Tagesmutter Frau G sei nicht bestritten. Der Gesetzgeber stelle nur auf das Kind ab, für das Karenzgeld gewährt wurde. Für dieses Kind gebe es eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit. Auch sei ein eventuell bestehendes Dienstverhältnis nicht von Belang. Im konkreten Fall bestehe eine geeignete Unterbringungsmöglichkeit bei der Tagesmutter Frau G. Die Beschwerdeführerin verfüge über ein Kraftfahrzeug. Die Strecke von fünf bis sechs Kilometern zur Tagesmutter sei somit kein Problem.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Zu dieser Gegenschrift hat die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 39 AlVG in der hier (gemäß § 80 Abs. 11 AlVG in der Fassung BGBl. I Nr. 103/2001) anzuwendenden Fassung vor der Aufhebung durch die Novelle BGBl. I Nr. 103/2001 hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
"Sondernotstandshilfe für Mütter oder Väter
§ 39. (1) Mütter oder Väter haben Anspruch auf Sondernotstandshilfe für die Dauer von 52 Wochen, längstens jedoch bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wenn
1. der Anspruch auf Karenzgeld nach dem Karenzgeldgesetz, BGBl. I Nr. 47/1997, erschöpft ist;
2. sie wegen Betreuung ihres Kindes, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzgeldes war, keine Beschäftigung annehmen können, weil für dieses Kind keine Unterbringungsmöglichkeit besteht, und
3. mit Ausnahme der Arbeitswilligkeit und der Arbeitsbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 Z 1 die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung der Notstandshilfe erfüllt sind.
...
(6) Dem Antrag auf Gewährung der Sondernotstandshilfe ist eine Bescheinigung der Hauptwohnsitzgemeinde über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit für das Kind beizulegen. Die Hauptwohnsitzgemeinde ist im Hinblick auf den gemäß § 2 Abs. 2 des Finanzausgleichsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 30, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 853/1995, zu leistenden Kostenersatz an das Arbeitsmarktservice verpflichtet, eine solche Bescheinigung auszustellen. Sie ist dabei an die Sondernotstandshilfeverordnung, BGBl. Nr. 361/1995, in der jeweils geltenden Fassung gebunden. Die Gewährung der Sondernotstandshilfe durch die regionale Geschäftsstelle ist bei Vorliegen einer solchen Bescheinigung über das Vorhandensein einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit nicht zulässig. Im Berufungsverfahren ist bei Berufungseinwendungen betreffend die Unterbringungsmöglichkeit eine Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde einzuholen und in freier Beweiswürdigung zu entscheiden."
§ 1 der Sondernotstandshilfeverordnung in der Fassung
BGBl. II Nr. 90/1998 lautet wie folgt:
"Unterbringungsmöglichkeit für das Kind
§ 1. (1) Als geeignete Unterbringungsmöglichkeit gilt jedenfalls eine Einrichtung, die nach den jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften (z.B. Kindergartengesetz, Kindertagesheimgesetz, Jugendwohlfahrtsgesetz u. dgl.) für Kinder zwischen dem 19. und dem 36. Lebensmonat entweder vom Land oder der Gemeinde selbst oder von Rechtsträgern geführt wird, denen sich das Land oder die Gemeinde zur Erreichung dieser Ziele bedient. Eine private Einrichtung (wie Privatkindergarten, Pfarrkindergarten, Kindergruppe u. dgl.) ist einer solchen Einrichtung gleichzuhalten.
(2) Weiters müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
a) die Öffnungszeiten müssen den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitszeiten einschließlich der Zeit, die für die Hinbringung bzw. Abholung des Kindes erforderlich ist, angepaßt sein,
b) der Betreuungsort muß mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderweitig zur Verfügung stehenden Beförderungsmitteln (zB Kindergartentransporte, familieneigener PKW oder Abholung und Rückbringung durch die Tagesmutter/vater, wenn diese eine entsprechende Haftpflichtversicherung abgeschlossen haben) oder zu Fuß erreichbar sein, wenn der kürzeste Fußweg zwischen der Wohnung und dem Betreuungsort in einer Richtung unter Ausschluß der mit Verkehrsmitteln zurückgelegten Wegstrecke nicht mehr als 30 Gehminuten dauert, wobei jedoch die aufzuwendende Zeit (Fahrzeit und Gehzeit) vom Wohnort zum Betreuungsort in einer Richtung 60 Minuten nicht überschreiten darf,
c) das Entgelt für die Unterbringung muß angemessen sein, das bedeutet, daß es nicht wesentlich, dh. nicht mehr als 25 vH, über den durchschnittlichen Kosten anderer vergleichbarer Einrichtungen liegen darf. Als vergleichbare Einrichtung in diesem Sinne gelten auch Tagesmütter/väter.
(3) Tagesmütter/väter gelten nur insoweit als geeignete Unterbringungsmöglichkeit, als für sie bzw. für die Einrichtung, die die Tagesmütterbetreuung organisiert, eine Bewilligung nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften vorliegt.
(4) Die im Haushalt bzw. am Wohnsitz lebenden Eltern und Großeltern der/des Antragstellerin/Antragstellers können nicht zwingend für die Betreuung herangezogen werden."
In der Beschwerde wird vorgebracht, die belangte Behörde hätte nicht ermittelt, ob die Zeiten, zu denen die Tagesmutter bereit sei, die Kinder zu übernehmen, den auf dem Arbeitsmarkt üblichen Arbeitzeiten angepasst gewesen und ob das Entgelt, das die betroffene Tagesmutter für die Unterbringung verlangen würde, angemessen gewesen sei. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin habe es die belangte Behörde weiters unterlassen, ihr die relevante Frage zu stellen, zu welchen Zeiten ihr das Auto der Familie zur Verfügung stehe. Da der Wohnort der Beschwerdeführerin mit einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht erreichbar und der belangten Behörde aus dem Akt bekannt gewesen sei, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin arbeite, sei nach allgemeiner Lebenserfahrung klar erkennbar, dass auch der Ehemann der Beschwerdeführerin das Auto für die Fahrt zur Arbeit benötige und der Beschwerdeführerin das Fahrzeug daher nicht täglich zur Verfügung stehe. In der Beschwerde wird weiters vorgebracht, dass die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck nur telefonisch zur Kenntnis gebracht habe. Damit seien die Grundsätze des Parteiengehörs nicht gewahrt worden.
Diese Darlegungen führen die Beschwerde zum Erfolg. Dem angefochtenen Bescheid ist ein umfangreiches Ermittlungsverfahren vorangegangen, in dem neben Aussagen der Beschwerdeführerin auch Stellungnahmen der Gemeinde P und der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck eingeholt wurden. Zwar hat die belangte Behörde sodann in einem Aktenvermerk vom Folgendes festgehalten:
"tel. Rü m. Fr. W.: SV+Re zur Kenntnis gebracht. Keine Änderung SV.". Damit ist aber nicht nachvollziehbar dargelegt, welche konkreten Sachverhaltselemente, die im Hinblick auf § 1 der Sondernotstandshilfeverordnung von Relevanz sind, der Beschwerdeführerin vorgehalten wurden.
Darüber hinaus geht aus dem Aktenvermerk nicht hervor, dass der Beschwerdeführerin die Möglichkeit zur Stellungnahme zu allen von der Behörde ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltselementen und die Gelegenheit zu allenfalls ergänzenden Tatsachenbehauptungen eingeräumt wurde, wie dies § 45 Abs. 3 AVG vorsieht (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, auf Seite 689 unter E 290 wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Zwar kann Parteiengehör telefonisch gewährt werden (vgl. die hg. Rechtsprechung bei Walter/Thienel, a.a.O., Seite 716, E 467), doch erfordert auch dies die Gestaltung des Vorganges in einer Weise, die der Partei jeweils nicht nur seine Bedeutung zum Bewusstsein bringt, sondern ihr auch die Möglichkeit zur Überlegung und entsprechenden Formulierung ihrer Stellungnahme bietet (vgl. die hg. Rechtsprechung bei Walter/Thienel, a.a.O., Seite 713, E 453).
Abgesehen davon kann der Beschwerdeführerin bei dem ersten Telefonat noch nicht der gesamte entscheidungsrelevante Sachverhalt vorgehalten worden sein, da erst das weitere Telefonat die für die Beschwerdeführerin bestehende Möglichkeit, über den PKW der Familie zu verfügen, betraf. Unter anderem mit dieser Verfügungsmöglichkeit hat die belangte Behörde sodann ihren Bescheid tragend begründet. Auch bei diesem (zweiten) Telefonat wurde aber nach der Aktenlage der Beschwerdeführerin von der Behörde keine Gelegenheit zu einer Stellungnahme im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG gegeben, bei der sich die Beschwerdeführerin zur Verfügung über den PKW im Zusammenhang mit den sonstigen Ermittlungsergebnissen hätte äußern können.
Der somit vorliegende Verfahrensmangel ist auch von Relevanz, da die belangte Behörde bei entsprechender Gewährung von Parteiengehör zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren erfolgte gemäß § 3 Abs. 2 Z 2 Euro-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.
Wien, am