zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 15.12.1995, 93/11/0276

VwGH vom 15.12.1995, 93/11/0276

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des Dr. R in G, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom , Zl. 5-212 O 40/13-93, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in Ansehung der Straf- und Kostenaussprüche wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 13.010,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als zur Vertretung nach außen Berufener des Vereines Österreichisches Rotes Kreuz, Landesverband Steiermark, zu verantworten, daß sechs näher bezeichnete Arbeitnehmer (Kraftfahrer) dieses Vereines zu im einzelnen bezeichneten Zeiten im Februar 1990 in näher umschriebenem Umfang die zulässige tägliche Einsatzzeit von 12 Stunden überschritten hätten und daß einem dieser Arbeitnehmer nach Beendigung der Tagesarbeitszeit am keine ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden gewährt worden sei. Über den Beschwerdeführer wurden deshalb wegen sechs Übertretungen des § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz drei Geldstrafen von je S 2.000,-- und drei Geldstrafen von je S 4.000,-- und wegen einer Übertretung des § 12 Abs. 1 leg. cit. eine Geldstrafe von S 1.000,-- verhängt.

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, zur Einsatzzeit zählten die Arbeitszeit, also insbesondere die Lenkzeiten und Zeiten sonstiger Arbeitsleistungen, die Ruhepausen und die Lenkpausen. Festzuhalten sei, daß dem Beschwerdeführer die Überschreitung der Einsatzzeit und nicht der zulässigen Arbeitszeit vorgeworfen werde. Die sich aus § 16 Arbeitszeitgesetz ergebende Begrenzung der Einsatzzeit gelte unabhängig davon, welches Ausmaß an Arbeitszeit innerhalb dieser Einsatzzeit angefallen sei. Es sei daher unerheblich, wieviele Ausfahrten die betreffenden Arbeitnehmer durchzuführen gehabt hätten. Auch wenn in den Einsatzzeiten in hohem Maße Arbeitsbereitschaft gelegen sei, bewirke dies noch keine Verlängerung der zulässigen Einsatzzeit.

Es sei demnach nur zu klären, ob in den vom Beschwerdeführer behaupteten Fällen (G am 5., 6. und jeweils zwischen 06.00 und 07.00 Uhr, H, Nachtdienst vom 16. auf den von 18.00 bis 07.00 Uhr) tatsächlich bloße Rufbereitschaft vorgelegen sei. Diese unterscheide sich von der zur Arbeitszeit zählenden Arbeitsbereitschaft, die durch die Pflicht zur Anwesenheit an dem vom Arbeitgeber bestimmten Aufenthaltsort (in der Regel der Betrieb) und die Pflicht, sich zur jederzeitigen Arbeitsaufnahme bereitzuhalten, gekennzeichnet sei, im wesentlichen dadurch, daß der Arbeitnehmer den Ort des Bereitseins selbst wählen könne und den Arbeitgeber von seinem jeweiligen Aufenthaltsort bloß zu verständigen habe, um für diesen erreichbar zu sein. Da ihm ein Aufenthalt im privaten Bereich offenstehe, könne er über die Verwendung der von der Bereitschaft erfaßten Zeit im großen und ganzen auch selbst befinden. Bei der Rufbereitschaft handle es sich im Gegensatz zu der an der Arbeitsstätte abzuleistenden Arbeitsbereitschaft nicht um Arbeitszeit. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien handle es sich auf Grund der Ermittlungsergebnisse in den vom Beschwerdeführer genannten Fällen der Arbeitnehmer G und H um Rufbereitschaft, sodaß an diesen Tagen keine Überschreitung der zulässigen Einsatzzeit vorliege. Soweit sich der Beschwerdeführer in seiner Eingabe auf § 20 Abs. 1 lit. a Arbeitszeitgesetz berufe, sei ihm zu erwidern, daß zwar die Durchführung der einzelnen Einsätze der Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leben und Gesundheit von Menschen gedient haben mögen, doch könne die genannte Gesetzesstelle nur in konkreten außergewöhnlichen Einzelfällen Anwendung finden.

In der Begründung für die Strafbemessung führte die belangte Behörde unter anderem aus, als straferschwerend sei zu werten, daß der Beschwerdeführer mehrere strafbare Handlungen derselben Art während relativ kurzer Zeit begangen habe.

In der vorliegenden Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt aus diesem Grund die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe die Überschreitung der Einsatzzeit in den im Spruch ihres Bescheides genannten Fällen als erwiesen angenommen, ohne jedoch wesentliche Beweisanträge zu erledigen. Mit Eingabe vom sei vorgebracht worden, daß die in der Anzeige des Arbeitsinspektorates genannten Einsatzzeiten auch Zeiten bloßer Rufbereitschaft umfaßt hätten, sich Dienstnehmer in ihrer Privatwohnung im Dienststellengebäude hätten aufhalten dürfen und die Zeit beliebig hätten nützen können. Mit Eingabe vom habe er vorgebracht, daß die Arbeitnehmer (innerhalb der Diensteinteilungszeiten und außerhalb von Einsätzen) weder an der Arbeitsstätte selbst noch in deren unmittelbaren Nähe hätten anwesend sein müssen, daß sie ihren Aufenthaltsort selbst hätten wählen können und den Arbeitgeber nur davon hätten unterrichten müssen, wo sie (telefonisch oder per Funk) im Einsatzfall erreichbar seien.

Mit Eingabe vom habe er schließlich vorgebracht, der Nachtdienst eines Fahrers bestehe in Wahrheit aus einer Rufbereitschaft, bei der der jeweilige Fahrer aus seinem Privatbereich telefonisch oder mittels Funk abgerufen werde.

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Die belangte Behörde hat - ausgehend von der im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten umfangreichen Stellungnahme des oben genannten Vereines vom mit angeschlossener Tabelle - in all jenen Fällen, in denen Rufbereitschaft behauptet worden war, das Verfahren eingestellt. Was jene Fahrer betrifft, die in den Ortsstellengebäuden keine Wohnung besitzen - das sind die im Spruch unter Punkt A 2., 3. und 4. genannten Arbeitnehmer -, hatte die belangte Behörde mangels konkreter Behauptungen des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren keinen Grund, über die in der genannten Stellungnahme vom hinausgehenden Zeiten das Vorliegen von Rufbereitschaft anzunehmen.

Hinsichtlich jener Fahrer, die eine Wohnung im jeweiligen Ortsstellengebäude haben - das sind die im Spruch unter Punkt A 1., 5. und 6. genannten Arbeitnehmer -, wird in der genannten Stellungnahme des Vereines vom behauptet, sie könnten sich während der Diensteinteilungszeit in ihrer Wohnung aufhalten, dort einer beliebigen Beschäftigung nachgehen, sich auf der das Dienststellengebäude allenfalls umgebenden Grundfläche aufhalten und dort Sport betreiben.

Mit diesem Vorbringen hat der Beschwerdeführer keine Umstände behauptet, die - ihre Richtigkeit vorausgesetzt - die Annahme gerechtfertigt hätten, bei den Zeiten, die nicht Fahrzeiten seien, habe es sich um Zeiten bloßer Rufbereitschaft und nicht um Zeiten der Arbeitsbereitschaft, die zur Arbeitszeit zählen, gehandelt. Mit der Abgrenzung der zur Arbeitszeit zählenden Arbeitsbereitschaft von der nicht dazu zählenden Rufbereitschaft hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Slg. Nr. 13.540/A, eingehend befaßt. Danach liegt ein entscheidendes Kriterium für das Vorliegen bloßer Rufbereitschaft darin, daß der Arbeitnehmer für die Bereitschaftszeit den Ort seines Aufenthaltes frei bestimmen darf, während sich bei der Arbeitsbereitschaft der Arbeitnehmer an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalten und sich zur jederzeitigen Arbeitsaufnahme bereithalten muß. Wenn sich - wie im vorliegenden Fall - die Arbeitnehmer aber (nur) in der im Ortsstellengebäude gelegenen Wohnung (oder auf der umgebenden Grundfläche) aufhalten durften, konnten sie ihren Aufenthaltsort nicht frei bestimmen, sodaß ein wesentliches Kriterium für das Vorliegen bloßer Rufbereitschaft fehlt. Dazu kommt, daß sie sich für ihren jederzeit möglichen Einsatz bereithalten mußten; ihre rasche Verfügbarkeit ist für das Funktionieren eines Rettungsdienstes von wesentlicher Bedeutung, woraus sich wiederum gewisse Einschränkungen für ihr Verhalten während der Bereitschaftszeit ergeben, die ebenfalls gegen das Vorliegen bloßer Rufbereitschaft sprechen.

Im Schriftsatz vom nahm der Beschwerdeführer zu zwei Fällen Stellung, die in der genannten Stellungnahme des Vereines vom als Rufbereitschaft bezeichnet worden waren und die nicht mehr Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens sind, weil die belangte Behörde diese Fälle ohnedies als Rufbereitschaft qualifiziert hat. Die in diesem Schriftsatz enthaltenen ergänzenden Beweisanträge enthalten keine konkreten Beweisthemen, welche Zeiten (bei welchen Arbeitnehmern und aus welchen Gründen) als Rufbereitschaft zu werten sein sollen, sodaß infolge Fehlens eines konkreten Beweisthemas im Unterbleiben der beantragten Zeugenvernehmungen kein Verfahrensmangel gelegen ist. Die in diesem Zusammenhang aufgestellten Behauptungen über die Fahrzeiten und die Zeiten für Fahrzeugreinigung und -pflege und dgl. sowie den Anteil der Notfallseinsätze und der nicht unter Zeitdruck stehenden Einsätze sind für die hier zu beantwortende Frage, ob es sich bei den Bereitschaftszeiten um Zeiten der Arbeitsbereitschaft oder der Rufbereitschaft handelt, unerheblich.

Im Schriftsatz vom äußerte sich der Beschwerdeführer zu der Aussage eines Zeugen betreffend eine Übertretung, hinsichtlich welcher die belangte Behörde das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt hat. Die in diesem Schriftsatz enthaltene Behauptung, der Nachtdienst eines Fahrers bestehe in Wahrheit aus Rufbereitschaft, ist aus den oben genannten Erwägungen unzutreffend, da sich der Fahrer nur im Ortsstellengebäude (oder auf der umgebenden Grundfläche) aufhalten durfte und sich zum jederzeitigen Einsatz bereithalten mußte.

Die im Spruch unter Punkt A 3. und 4. genannten Fahrer waren vom , 07.00 Uhr bis , 03.00 Uhr im Einsatz. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsstrafverfahren handelte es sich bei dieser Fahrt um die Überstellung eines Patienten nach einem näher bezeichneten Ort in der Bundesrepublik Deutschland.

In der vorliegenden Beschwerde wirft der Beschwerdeführer der belangten Behörde vor, sie habe nicht geprüft, in welchem Ausmaß die an sich unstrittige Einsatzzeit im Ausland verbracht worden sei. Der Geltungsbereich von Arbeitnehmerschutzvorschriften sei auf das Gebiet der Republik Österreich beschränkt, sodaß nur die in Österreich verbrachte Einsatzzeit maßgebend sei.

Diesen Ausführungen ist die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach als Ort der Übertretung von Arbeitszeitvorschriften jener Ort anzusehen ist, an dem die gesetzliche Vorsorgehandlung unterlassen wurde. Dies ist im Beschwerdefall der im Inland gelegene Sitz der Führung des eingangs genannten Vereines, sodaß die Übertretung auch dann im Inland begangen wurde, wenn ein Teil der Einsatzzeit auf eine Fahrt im Ausland entfallen ist (siehe dazu unter anderem die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 90/19/0413, vom , Zl. 91/19/0118, und vom , Zl. 93/18/0212).

Zu dem im Spruch des angefochtenen Bescheides unter Punkt B 1. enthaltenen Schuldspruch betreffend die Übertretung des § 12 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz enthält die Beschwerde keine Ausführungen. Der Verwaltungsgerichtshof vermag in diesem Zusammenhang keine Rechtswidrigkeit zu erkennen.

Im Rahmen der Strafbemessung hat die belangte Behörde als Erschwerungsgrund gewertet, daß der Beschwerdeführer mehrere strafbare Handlungen derselben Art während relativ kurzer Zeit begangen hat. Dies ist rechtlich verfehlt. Der Erschwerungsgrund mehrerer strafbarer Handlungen derselben oder verschiedener Art (§ 33 Z. 1 StGB) kommt im Bereich des Verwaltungsstrafrechts nicht in Betracht, weil hier gemäß § 22 VStG das Kumulationsprinzip gilt. Unter Berücksichtigung dieser Eigenart des Verwaltungsstrafrechts ist § 33 Z. 1 StGB hier nicht im Sinne des § 19 Abs. 2 dritter Satz VStG anwendbar (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/19/0150, und vom , Zl. 91/19/0169). In Anbetracht der von der belangten Behörde genannten Milderungsgründe und des richtigerweise anzunehmenden Fehlens von Erschwerungsgründen wird die belangte Behörde mit wesentlich geringeren Strafen als im angefochtenen Bescheid ausgesprochen das Auslangen finden können.

Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Ausspruch über die Strafen und den Ersatz der damit verbundenen Verfahrenskosten gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Im übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren betreffend Umsatzsteuer für den Schriftsatzaufwand war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer in den in der zitierten Verordnung genannten Pauschalbeträgen bereits enthalten ist. An Stempelgebührenersatz konnten nur S 510,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 150,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden.