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VwGH 25.08.1998, 98/11/0110

VwGH 25.08.1998, 98/11/0110

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;
KDV 1967 §31 Abs1;
KFG 1967 §69 Abs1 litb;
RS 1
Bei der Befristung der Lenkerberechtigung sind im Sachverständigengutachten entsprechende Ausführungen über die von einer Krankheit ausgehenden Auswirkungen auf das Verhalten der Person im Straßenverkehr, sowie darüber, welche Entwicklung der festgestellte Zustand in Hinsicht auf die verkehrsrelevanten Auswirkungen nehmen kann, erforderlich, sofern dies nicht ohnehin schon auf Grund der Art der Krankheit, Behinderung oder Störung auf der Hand liegt.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie VwGH E 1990/06/12 89/11/0279 1
Normen
AVG §52;
KDV 1967 §31;
KFG 1967 §75 Abs2;
VwGG §41 Abs1;
RS 2
Nach § 31 zweiter Satz KDV bildet die fachärztliche Untersuchung von Personen mit vermuteten psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen, die die geistige Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen einschränken oder ausschließen könnten, mit der Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten durch eine verkehrspsychologische Untersuchungsstelle insofern eine Einheit, als der Facharzt bei seiner Befunderstellung das Ergebnis der Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten zu verwerten hat, weswegen sich eine unterschiedliche rechtliche Betrachtung des angefochtenen Bescheides und eine unterschiedliche Behandlung der Beschwerde in Ansehung von psychiatrischem und verkehrspsychologischem Befund verbietet.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie VwGH E 1997/02/18 96/11/0304 1
Normen
AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §75 Abs2;
RS 3
Nur das Vorliegen des Mangels der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit, nicht aber dessen Ursachen sind von Belang (Hinweis E , 89/11/0107). Deshalb ist ein vom Lenker vorgelegtes fachärztliches Gutachten, das sich nicht mit der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit befaßt, kein Anlaß für die Einholung eines weiteren Gutachtens, obwohl demnach nicht von dem im amtsärztlichen Gutachten festgestellten Zustandsbild ausgegangen werden könnte.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie VwGH E 1991/04/30 90/11/0169 5
Normen
GebG 1957 §14 TP6 Abs5 Z1 idF 1997/I/088;
VwGG §24 Abs3 idF 1997/I/088;
VwGG §48 Abs1 Z1;
RS 4
Da für den Ergänzungsschriftsatz bereits eine Gebühr nach § 24 Abs 3 VwGG idF BGBl 1997/088 zu entrichten war, entfiel insoweit die Eingabengebühr (§ 14 TP 6 Abs 5 Z 1 GebG idF 1997/088).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie VwGH E 1998/03/26 97/11/0313 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Enzlberger, über die Beschwerde des A in Knechtelsdorf/Kopfing, vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, Steegenstraße 3, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom , Zl. VerkR-392.749/8-1998/Au, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit ausgesprochen, daß ihm vor Wiedererlangung der geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.

In seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend; er beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde stellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die bekämpfte Entziehungsmaßnahme beruht auf der Annahme, dem Beschwerdeführer mangle die erforderliche gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Die belangte Behörde stützte sich hiebei auf das Gutachten einer medizinischen Amtssachverständigen vom , ergänzt durch die Stellungnahmen vom und vom . Danach bestehe beim Beschwerdeführer eine psychische Störung aus dem Formenkreis der paranoiden Psychose, die durch Wahninhalte (insbesondere Vergiftungs- und Beeinflussungserlebnisse durch Medikamente) gekennzeichnet sei; diesbezüglich sei keinerlei Realitätsbezug und Korrigierbarkeit gegeben. Durch die unbehandelte psychische Störung seien Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Denken beeinträchtigt und auch die kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen sowie die fahrrelevanten Persönlichkeitsmerkmale in eignungsausschließendem Ausmaß herabgesetzt. Insoweit berief sich die Amtssachverständige auf einen verkehrspsychologischen Befund vom .

Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen von Wahnvorstellungen hinsichtlich der behaupteten Verabreichung von Lithium anläßlich einer Untersuchung in einem Krankenhaus. Bei einer nachfolgenden Untersuchung sei tatsächlich ein erhöhter Lithiumwert im Blut festgestellt worden. Die belangte Behörde habe allerdings insoweit keinerlei Beweise aufgenommen. In der Sache selbst habe die belangte Behörde zu Unrecht das Fehlen der nötigen Gesundheit zum Lenken von Kraftfahrzeugen angenommen. § 30 Abs. 1 KDV 1967 verlange nicht das völlige Freisein von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen.

Gemäß § 30 Abs. 1 Z. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften unter anderem ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist. Gemäß § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967 müssen darüber hinaus die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sein. Gemäß § 31 der zitierten Verordnung gelten als ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen im Sinne des § 30 Abs. 1 Z. 1 Personen, bei denen weder Erscheinungsformen von solchen Krankheiten oder Behinderungen, noch schwere geistige und seelische Störungen vorliegen, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten lassen. Wenn sich aus der Vorgeschichte oder bei der Untersuchung der Verdacht eines krankhaften Zustandes ergibt, der die geistige Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges einschränken oder ausschließen würde, ist eine Untersuchung durch einen entsprechenden Facharzt, die eine Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit einzubeziehen hat, anzuordnen.

Krankheiten, Behinderungen und Störungen im Sinne der §§ 30 Abs. 1 Z. 1 und 31 KDV sind für eine Entziehung oder Einschränkung der Lenkerberechtigung im Sinne des § 73 Abs. 1 KFG 1967 nur insoweit von Belang, als sie eine "Beeinträchtigung des Fahrverhaltens" (wegen fehlender oder zumindest eingeschränkter Fähigkeiten zum sicheren Beherrschen der Kraftfahrzeuge und zur Einhaltung der für ihr Lenken geltenden Vorschriften) und damit eine Gefährdung der Verkehrssicherheit erwarten lassen. Dies erfordert im Sachverständigengutachten entsprechende Ausführungen über die von einer Krankheit, einer Behinderung oder einer Störung ausgehenden Auswirkungen auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr, sofern dies - was hier nicht der Fall ist - nicht ohnedies schon auf Grund der Art der Krankheit, Behinderung oder Störung auf der Hand liegt (siehe die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 89/11/0279, und vom , Zl. 90/11/0087).

Was die Annahme einer eignungsausschließenden psychischen Störung im Sinne des § 31 KDV 1967 (paranoide Psychose) anlangt, so setzt diese Annahme nach der genannten Bestimmung eine fachärztliche Untersuchung und Befunderstellung - unter Berücksichtigung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit - voraus. Sofern der Facharzt diese nicht selbst überprüft, hat er bei seiner Befunderstellung das Ergebnis einer anderweitig vorgenommenen Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigeit zu verwerten. Insofern bilden die fachärztliche Untersuchung und die Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit durch eine verkehrspsychologische Untersuchungsstelle eine Einheit (vgl. den hg. Beschluß vom , Zl. 96/11/0304).

Diesem Erfordernis wurde hier insofern nicht entsprochen, als der (von der Amtssachverständigen verwertete) Befund einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom lange vor der Prüfung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers (der verkehrspsychologische Befund stammt vom ) und damit ohne Berücksichtigung seiner Ergebnisse erstellt wurde. Dazu kommt, daß der fachärztliche Befund keinerlei Aussagen darüber enthält, ob sich die psychische Störung des Beschwerdeführers im wesentlichen auf sein Verhältnis zu Ärzten beschränkt oder ob sie auch andere Bereiche beeinträchtigt, insbesondere jenen seines Verhaltens im Straßenverkehr. Der besagte Befund beschreibt den beim Beschwerdeführer erhobenen psychischen Status wie folgt: "Pat. ist bewußtseinsklar, orientiert, jedoch sprunghaft, die Stimmung gedrückt, wirkt niedergeschlagen, unruhig, fahrig, ist fertig, der Gedankenfluß ist sprunghaft und es gibt deutliche Hinweise auf Bedeutungserlebnisse bzw. Interpretationserlebnisse bis hin zur paranoiden Entwicklung." Die abschließende Beurteilung lautet:

"Dringender Verdacht auf eine paranoide Entwicklung bei überhaupt bestehendem Stimmungstief." Der fachärztliche Befund vom bildet demnach keine taugliche Grundlage für die Annahme, beim Beschwerdeführer sei eine seine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließende psychische Störung im Sinne des § 31 KDV 1967 gegeben.

Der aufgezeigte Mangel hätte nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Folge, wenn zumindest die Annahme mängelfrei wäre, es fehle dem Beschwerdeführer die erforderliche kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 zweiter Satz KDV 1967. Insoweit kommt es nämlich nicht auf die Ursache für diesen Mangel (der nach Meinung der medizinischen Amtssachverständigen durch die besagte psychische Störung des Beschwerdeführers verursacht ist), sondern allein auf die Tatsache seines Bestehens an (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 89/11/0107, und vom , Zl. 90/11/0169). Aber auch diese Annahme kann sich nicht auf ausreichende Ermittlungsergebnisse stützen. Im verkehrspsychologischen Befund vom wird die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers als "erheblich reduziert" bezeichnet. Der Beschwerdeführer habe Mängel im Bereich der Aufmerksamkeitsbelastung, der Streßresistenz und Reaktionssicherheit geboten; die Konzentrationsleistung und die reaktive Belastbarkeit seien insgesamt reduziert. Diese Beurteilungen sind mangels Angabe der bei den einzelnen Tests erzielten Ergebnisse (mit Ausnahme jener am Determinationsgerät) und der den besagten Beurteilungen jeweils zugrunde gelegten, nach dem Erkenntnisstand der Verkehrspsychologie maßgebenden Grenzwerte nicht nachvollziehbar. Damit ist insbesondere nicht erkennbar, ob der jeweilige Grenzwert erreicht oder verfehlt wurde (und in welchem Ausmaß). Zur aufgezeigten Unschlüssigkeit des verkehrspsychologischen Befundes (und damit des ärztlichen Gutachtens) in diesem Punkt kommt, daß die Annahme der medizinischen Amtssachverständigen betreffend maßgebliche Störungen "im Bereich Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Denken" zumindest teilweise im Widerspruch zum verkehrspsychologischen und zum fachärztlichen Befund steht. Im erstgenannten Befund lautet das Ergebnis der Intelligenzprüfung: "Gut durchschnittliche Intelligenz", "Durchschnittliches Denk- und Auffassungsvermögen", "Durchschnittliche Gedächtnis- und Merkfähigkeitsstörung". Im fachärztlichen Befund vom findet sich die (von der medizinischen Amtssachverständigen durchgehend außer acht gelassene) Beurteilung, der Beschwerdeführer sei "bewußtseinsklar und orientiert". Es hätte daher zumindest einer Begründung dafür bedurft, weshalb die medizinische Amtssachverständige dessenungeachtet auf eine relevante Beeinträchtigung auch des Gedächtnisses und Denkens des Beschwerdeführers schließen zu können glaubte.

Soweit die medizinische Amtssachverständige in der "Ergänzenden Stellungnahme" vom davon spricht, daß auch "die fahrrelevanten Persönlichkeitsmerkmale in eignungsausschließendem Ausmaß herabgesetzt" seien, ist mangels näherer Ausführungen nicht ersichtlich, welche "Persönlichkeitsmerkmale" damit konkret gemeint sind. Sollte sich diese Aussage auf die Ausführungen des verkehrspsychologischen Befundes zur Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers beziehen, ist festzuhalten, daß dort in diesem Zusammenhang von eignungsausschließenden Mängeln nicht die Rede ist. Es heißt darin lediglich, daß von der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers her derzeit keine Kompensationsmöglichkeiten für die diagnostizierten Leistungsmängel bestünden.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betreffend Stempelgebührenersatz beruht darauf, daß nunmehr für Verwaltungsgerichtshofbeschwerden gemäß § 24 Abs. 3 VwGG (idF BGBl. I Nr. 88/1997) eine Gebühr von S 2.500,-- zu entrichten ist. Damit sind solche Beschwerden von der Gebührenpflicht nach dem GebührenG ausgenommen (§ 14 TP 6 Abs. 5 Z. 1 GebG idF BGBl. I Nr. 88/1997) und unterliegen Beilagen, da sie nicht einer (nach diesem Gesetz) gebührenpflichtigen Eingabe beigelegt werden, nicht der Gebührenpflicht (§ 14 TP 5 Abs. 1 GebG).

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Normen
AVG §52;
GebG 1957 §14 TP6 Abs5 Z1 idF 1997/I/088;
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §31 Abs1;
KDV 1967 §31;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §69 Abs1 litb;
KFG 1967 §75 Abs2;
VwGG §24 Abs3 idF 1997/I/088;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §48 Abs1 Z1;
Schlagworte
Gutachten Beweiswürdigung der Behörde widersprechende Privatgutachten
Gutachten Ergänzung
Gutachten rechtliche Beurteilung
Sachverhalt Sachverständiger Gutachten
Sachverständiger Arzt
Stempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des
Verwaltungsgerichtshofes Diverses
ECLI
ECLI:AT:VWGH:1998:1998110110.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
QAAAE-47341