VwGH vom 11.05.1998, 98/10/0040
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Mizner und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Binder-Krieglstein, über die Beschwerde des J in Altmünster, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Lahnsteiner, Rechtsanwalt in Ebensee, Schulgasse 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom , Zl. KUVS-K1-1132-1134/23/96, betreffend Übertretung des Kärntner Naturschutzgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Kärnten hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde dem Beschwerdeführer folgendes zur Last gelegt:
"Der Beschuldigte hat die Firma I.-GesmbH in B. am als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Fa. J.-GesmbH beauftragt, am Grundstück Nr. 1972, KG K., auf einer Fläche von ca. 21.000 m2 Abgrabungen und Anschüttungen durchzuführen. Bei der Durchführung dieser Arbeiten in der Zeit zwischen und wurde das Niveau dieser Fläche, die in der freien Landschaft liegt und auf der vor allem im Randbereich des Trockenbiotopes Schilfzonen bestanden haben und welche auch den Lebensraum für zahlreiche bedrohte Tier- und Pflanzenarten gebildet hat, überwiegend um mehr als einen Meter verändert, obwohl
1) für diese Anschüttungen auf einer Fläche von mehr als 1.000 m2 mit Niveauveränderungen von überwiegend mehr als einem Meter oder für ähnlich weitreichende Geländeveränderungen trotz Bewilligungspflicht keine Bewilligung vorlag,
2) Anschüttungen, Entwässerungen, Grabungen und sonstige den Lebensraum von Tieren und Pflanzen in diesen Schilfgebieten nachhaltig gefährende Maßnahmen verboten sind und wodurch ferner
3) der Lebensraum vollkommen geschützter Tiere, wozu mit wenigen Ausnahmen alle einheimischen und durchziehenden nicht jagdbaren freilebenden Vogelarten wie u.a. die do. einnistenden Kibitze, Sumpfohreulen, Wasserrallen usw. trotz Verbot hiezu beunruhigt, zerstört oder verändert wurden.
Er hat somit den Verantwortlichen der beauftragten Firma vorsätzlich zur Begehung von Verwaltungsübertretungen veranlaßt bzw. deren Begehung vorsätzlich erleichtert."
Der Beschwerdeführer habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach
1) § 7 VStG in bezug auf § 67 Abs. 1 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 lit. b des Kärntner Naturschutzgesetzes, LGBl. Nr. 54/1986 (KNSchG),
2) § 7 VStG in bezug auf § 67 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 KNSchG und
3) § 7 VStG in bezug auf § 67 Abs. 1 in Verbindung mit § 19 KNSchG und § 1 Abs. 4 und § 6 der Tierartenschutzverordnung, LGBl. Nr. 3/1989, begangen.
Über den Beschwerdeführer wurden hinsichtlich der in den Spruchteilen 1 und 2 angeführten Übertretungen Geldstrafen von jeweils S 20.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe je 5 Tage), wegen der in Spruchteil 3 genannten Verwaltungsübertretung eine Geldstrafe von S 10.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage) verhängt.
In der Begründung heißt es - soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren von Bedeutung - der Beschwerdeführer sei wegen der von ihm veranlaßten Maßnahmen vom Landesgericht Klagenfurt wegen des Vergehens nach § 182 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen a S 500,-- verurteilt worden. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig. Dem Antrag des Beschwerdeführers, das anhängige Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 30 VStG auszusetzen, sei nicht zu folgen gewesen, da nach Auffassung der belangten Behörde die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten jedenfalls verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden seien, weil sie nicht dem Tatbild des § 182 Abs. 2 StGB entsprächen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, die Tat, für die er verwaltungsstrafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden sei, bilde den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung. Die belangte Behörde hätte daher nach § 30 Abs. 2 VStG das Verwaltungsstrafverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes aussetzen müssen. Die Auffassung der belangten Behörde, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat sei verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden, weil sie nicht dem Tatbild des § 182 Abs. 2 StGB entspreche, treffe nicht zu. Wie sich aus der schriftlichen Ausfertigung des Urteiles des Landesgerichtes Klagenfurt vom ergebe, sei der Beschwerdeführer deshalb schuldig erkannt worden, weil er vorsätzlich gegen jene Bestimmungen des KNSchG verstoßen habe, deren Übertretung ihm nun auch von der Verwaltungsstrafbehörde angelastet werde. Der angefochtene Bescheid weise außerdem eine Reihe von Mängeln auf.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, wobei sie auch noch die Auffassung vertritt, ein Aussetzen des Verwaltungsstrafverfahrens wäre auch deswegen nicht möglich gewesen, weil nach § 51 Abs. 7 VStG eine Berufungsentscheidung innerhalb von 15 Monaten ab Einlangen der Berufung zu ergehen habe, widrigenfalls der erstinstanzliche Bescheid als aufgehoben gelte und das Verfahren einzustellen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Dem Beschwerdeführer wurden im angefochtenen Bescheid Verwaltungsübertretungen nach § 7 VStG in bezug auf die §§ 5 Abs. 1 lit. b, 8 und 19 KNSchG (bezüglich der letztgenannten Bestimmung in Verbindung mit § 1 Abs. 4 und § 6 der Tierartenschutzverordnung, LGBl. Nr. 3/1989) zur Last gelegt.
Nach § 5 Abs. 1 lit. b KNSchG bedürfen in der freien Landschaft, das ist der Bereich außerhalb von geschlossenen Siedlungen und der zum Siedlungsbereich gehörigen besonders gestalteten Flächen, wie Vorgärten, Haus- und Obstgärten, Abgrabungen und Anschüttungen auf einer Fläche von mehr als 1.000 m2, wenn das Niveau überwiegend mehr als einen Meter verändert wird und ähnlich weitreichende Geländeveränderungen einer Bewilligung.
Nach § 8 KNSchG ist in Moor- und Sumpfflächen-, Schilf- und Röhrichtbeständen sowie in Au- und Bruchwäldern die Vornahme von Anschüttungen, Entwässerungen, Grabungen und sonstigen den Lebensraum von Tieren und Pflanzen in diesem Bereich nachhaltig gefährdenden Maßnahmen verboten.
Nach § 19 Abs. 3 KNSchG ist das Entfernen, Beschädigen oder Zerstören von Brutstätten vollkommen geschützter Tiere verboten. In der freien Landschaft ist das Beunruhigen, Zerstören oder Verändern des Lebensraumes (z.B. Nistplatzes, Einstandes) vollkommen geschützter Tiere verboten.
Der Wortlaut des § 1 Abs. 4 der Tierartenschutzverordnung ist ident mit § 19 Abs. 3 KNSchG. § 6 der Tierartenschutzverordnung verweist bezüglich der Bestrafung von Übertretungen der Verordnung auf § 67 KNSchG.
Unter Strafe gestellt werden Verstöße gegen die §§ 5, 8 und 19 Abs. 4 KNSchG durch § 67 leg. cit. Nach § 67 Abs. 1 KNSchG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer (u.a.) den Bestimmungen der § 5 Abs. 1, 8 und 19 Abs. 3 zuwiderhandelt, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet.
Die Subsidiäritätsklausel des § 67 Abs. 1 KNSchG, derzufolge eine Verwaltungsübertretung nur vorliegt, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, stellt nicht auf eine Identität der Tatbestände jener Normen ab, die für eine Ahndung der Tat durch die Verwaltungsstrafbehörde auf der einen und das Gericht auf der anderen Seite in Betracht kommen. Entscheidend ist vielmehr, wie der Verwaltungsgerichtshof zu den dem § 67 Abs. 1 KNSchG vergleichbaren Subsidiäritätsklauseln des § 99 Abs. 6 lit. c StVO und des § 134 Abs. 2 Z. 2 KFG ausgesprochen hat, ob das den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung erfüllende Verhalten auch ein wesentliches Sachverhaltselement des Tatbestandes einer gerichtlich strafbaren Handlung bilden könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 81/02/0387, und die dort angeführte Vorjudikatur; vgl. weiters das hg. Erkenntnis vom , 82/03/0253, wo darauf abgestellt wird, ob ein den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung verwirklichendes Verhalten einen wesentlichen Umstand für einen gerichtlichen Tatbestand darstellt). § 67 Abs. 1 KNSchG stellt auf die "Tat" ab, worunter im vorliegenden Zusammenhang jenes menschliche Verhalten zu verstehen ist, welches sowohl den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung verwirklicht als auch den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Handlung bildet. Nicht erforderlich ist dabei, daß alle Aspekte dieses Verhaltens sowohl unter dem Gesichtspunkt des Verwaltungsstrafrechts als auch unter jenem der gerichtlich strafbaren Handlung relevant sind. Die Subsidiäritätsklausel greift vielmehr auch dann, wenn der Tatbestand der gerichtlich strafbaren Handlung nicht allein durch die verwaltungsstrafrechtlich relevanten Elemente des die Tat bildenden Verhaltens verwirklicht wird, sondern erst durch das Hinzutreten weiterer Sachverhaltselemente. So ist der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zur Subsidiäritätsklausel des § 99 Abs. 6 lit. c StVO davon ausgegangen, daß eine gegen § 20 StVO verstoßende Geschwindigkeitsüberschreitung dann nicht verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden ist, wenn Sachverhaltselemente wie die Gefährdung oder Verletzung von Menschen hinzukommen, die dazu führen, daß die Geschwindigkeitsüberschreitung in Verbindung mit diesen anderen Sachverhaltselementen den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 82/03/0253, vom , 81/02/0387, u.a.).
Nicht erforderlich ist bei Vorliegen einer ausdrücklichen Subsidiaritätsklausel auch, daß verdrängendes und verdrängtes Delikt die gleiche Angriffsrichtung haben (vgl. Pallin, in:
Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Vorbemerkung zu § 28, Rz 6).
Im Beschwerdefall stellt sich die Frage, ob die im angefochtenen Bescheid umschriebene Tat des Beschwerdeführers den Tatbestand des § 182 Abs. 2 StGB bilden könnte.
Nach § 182 Abs. 2 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, wer entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag auf andere als die im § 180 bezeichnete Weise eine Gefahr für den Tier- oder Pflanzenbestand in einem größeren Gebiet herbeiführt.
§ 180 StGB erfaßt Beeinträchtigungen der Umwelt durch Verunreinigung oder sonstige Beeinträchtigung eines Gewässers sowie durch Verunreinigung von Boden oder Luft.
§ 182 Abs. 2 bezieht sich demnach auf die Herbeiführung einer Gefahr für den Tier- oder Pflanzenbestand in einem größeren Gebiet, die nicht durch Verunreinigung (oder sonstige Beeinträchtigung) eines Gewässers, des Bodens oder der Luft herbeigeführt wird.
Abgrabungen und Anschüttungen auf einer Fläche von mehr als 21.000 m2 mit Niveauveränderungen von überwiegend mehr als einem Meter, die teilweise in einem Schilfbestand stattfanden und durch die der Lebensraum vollkommen geschützter Tiere beunruhigt, zerstört und verändert wurde und die entgegen einer Rechtsvorschrift, nämlich den Bestimmungen der §§ 5 Abs. 1 lit. b, 8 und 19 Abs. 3 KNSchG, vorgenommen wurden, können den Tatbestand des § 182 Abs. 2 StGB verwirklichen. Ob sie es tatsächlich tun, hängt von Umständen des Einzelfalles ab, die aus dem Akt nicht ersichtlich sind.
Ist eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat nach § 30 Abs. 2 VStG die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.
Die - wenngleich nicht rechtskräftige - Verurteilung des Beschwerdeführers in I. Instanz nach § 182 Abs. 2 StGB bildete jedenfalls einen Anhaltspunkt für die Strafbarkeit seines Verhaltens in bezug auf § 182 Abs. 2 StGB, der Anlaß zu Zweifeln im Sinne des § 30 Abs. 2 VStG gab.
Wenn die belangte Behörde bei Vorliegen einer Tat, die allenfalls vom Gericht zu ahnden wäre, das Strafverfahren nicht gemäß § 30 Abs. 2 VStG ausgesetzt hat, wurden Verfahrensvorschriften verletzt, die zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften führen (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens5, 907, angeführte Rechtsprechung). § 51 Abs. 7 VStG berechtigt die Behörde nicht, § 30 Abs. 2 VStG außer acht zu lassen.
Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war. Da derzeit noch gar nicht feststeht, ob die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat überhaupt verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden ist, war von einer Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf allfällige weitere Mängel Abstand zu nehmen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994.