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VwGH vom 31.07.1998, 96/02/0348

VwGH vom 31.07.1998, 96/02/0348

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales (nunmehr Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales), gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-280220/9/Gu/Km, betreffend Übertretung des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 (mitbeteiligte Partei: A in Altmünster, vertreten durch Dr. Erasmus Schneditz-Bolfras, Dr. Wilfried Mayer, Dr. Michael Schneditz-Bolfras und Dr. Fritz Vierthaler, Rechtsanwälte in Gmunden, Marktplatz 16), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Gmunden (kurz: BH) vom wurde der Mitbeteiligte des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens für schuldig befunden, er habe am um ca. 11.00 Uhr "durch Ausübung massiver Bedrohung" eine weitere Besichtigung seiner Betriebsanlage an einem näher genannten Ort durch den (näher genannten) Arbeitsinspektor verhindert und dadurch eine Verwaltungsübertretung gemäß § 4 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993, BGBl. Nr. 27, in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Z. 5 lit. b leg. cit. begangen. Es wurde über den Mitbeteiligten eine Geldstrafe in Höhe von S 15.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Tagen) verhängt. In der Begründung führte die BH u.a. aus, es sei nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens für die Behörde als erwiesen anzusehen und vom Mitbeteiligten auch nicht bestritten worden, daß dieser den Arbeitsinspektor bei der Durchführung der Besichtigung des Betriebes des Mitbeteiligten "behindert" habe. Es liege daher "eindeutig eine Übertretung des § 24 Abs. 1 Z. 5 lit. b Arbeitsinspektionsgesetz" vor.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung und führte darin u.a. aus, er habe sich im Zeitpunkt der Kontrolle durch den Arbeitsinspektor "in einem sehr schlechten Gesundheitszustand" befunden. Er habe an der "Besichtigung" teilweise nur im Rollstuhl fahrend teilnehmen können und sich ansonsten auf Krücken fortbewegt. Er sei auch aufgrund des damaligen Gesundheitszustandes "nervlich extrem angespannt" gewesen. Die "Besichtigung des Betriebes" sei im wesentlichen positiv verlaufen. Da offensichtlich keine anderen Beanstandungen vorgefunden worden seien, habe sich schließlich der Arbeitsinspektor darüber beschwert, daß bei dem Betriebs-WC kein Heizkörper angebracht sei. Der Beschwerdeführer habe die Kritik bzw. Beanstandung des Arbeitsinspektors zum damaligen Zeitpunkt "als reine Provokation" aufgefaßt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom hob die belangte Behörde das Straferkenntnis vom auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Mitbeteiligten gemäß § 45 Abs. 1 Z. 1 zweiter Sachverhalt VStG ein. In der Begründung führte die belangte Behörde unter Verweis auf § 51e Abs. 1 VStG aus, daß eine mündliche Verhandlung dann entbehrlich sei, wenn bereits aus der Aktenlage ersichtlich sei, daß der angefochtene Bescheid aufzuheben sei. Dem Verwaltungsverfahren liege die Anzeige eines näher genannten Arbeitsinspektors vom zugrunde, wonach "in glaubwürdiger und nachvollziehbarer Weise" dargetan werde, daß der näher genannte Arbeitsinspektor am um ca. 11.00 Uhr den Betrieb des Mitbeteiligten, einen Landmaschinenhandel und eine Reparaturwerkstätte, an einer näher genannten Anschrift habe kontrollieren wollen, sich beim Mitbeteiligten angemeldet und mit ihm die schriftliche Aufforderung des Arbeitsinspektorates vom besprochen habe. Beim Punkt Sanierung einer nicht entsprechenden Abortanlage habe der Mitbeteiligte mehrfach geschrien:

"Was ist mit dem Klo?!". Der Arbeitsinspektor habe daraufhin seinen Standpunkt erläutern wollen, worauf der Mitbeteiligte erneut zu schreien begonnen habe: "Schleich di außi da, bevor i da den Stecka umihau!" Daraufhin habe der Arbeitsinspektor den Mitbeteiligten darauf aufmerksam gemacht, daß die Vereitelung einer Amtshandlung Konsequenzen nach sich ziehe. Daraufhin habe der Mitbeteiligte erwidert: "Das macht gar nix, i hab scho oamal so an Trottl außighaut!", wobei der Mitbeteiligte damit einen näher genannten Beamten des Arbeitsinspektorates gemeint habe, der im Jahre 1979 die damalige Kontrolle habe abbrechen müssen.

Da sich der Mitbeteiligte "weiter drohend" gebärdet habe, sei dem Arbeitsinspektor "nichts anderes" übriggeblieben, als die Amtshandlung abzubrechen und den Betrieb "auf schnellstem Weg zu verlassen". Laut Anzeige habe der Mitbeteiligten "durch Ausübung massiver Bedrohung" eine weitere Besichtigung des Betriebes durch den Arbeitsinspektor verhindert.

Die belangte Behörde verwies in der Folge auf die subsidiäre Geltung des § 24 Abs. 1 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 ("..., sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, ...") sowie insbesondere auf die §§ 269 Abs. 1 und 105 Abs. 1 StGB. Die Betriebskontrollen durch Arbeitsinspektoren insbesondere auf Einhaltung der vom Arbeitsinspektorat erlassenen Aufträge würden hoheitliches Handeln (vgl. § 3 Abs. 1 erster Satz Arbeitsinspektionsgesetz 1993 in Verbindung mit § 269 Abs. 3 StGB) darstellen. Die belangte Behörde sei zur Überzeugung gekommen, daß die vom Mitbeteiligten gesetzte Verhaltensweise den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bilde, weshalb die Subsidiaritätsklausel des § 24 Abs. 1 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 greife und daher für das Vorliegen einer Verwaltungsübertretung kein Raum mehr bleibe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 13 Arbeitsinspektionsgesetz 1993 gestützte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

Die beschwerdeführende Partei bringt u.a. vor, die belangte Behörde vertrete ohne jegliche Begründung die Auffassung, daß die Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung verwirkliche, nämlich jenen der Nötigung (§ 105 Abs. 1 StGB) oder jenen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt (§ 269 Abs. 1 StGB).

Die Anwendung von Gewalt durch den Mitbeteiligten im Sinne von überlegener physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstandes, die sich unmittelbar oder mittelbar gegen eine Person richtet und darauf abzielt, das Opfer zu einem willkürlichen Verhalten zu bestimmen, lasse sich nach Ansicht des beschwerdeführenden Bundesministers dem Sachverhalt keinesfalls entnehmen. Es könne aber auch keine gefährliche Drohung im Sinne des § 74 Z. 5 StGB in der Äußerung des Beschuldigten erkannt werden. Insbesondere entspreche eine Drohung den Begriffsmerkmalen des § 74 Z. 5 StGB, wenn damit eine zumindest den Voraussetzungen des § 83 StGB genügende Körperbeschädigung in Aussicht gestellt werde. Die Androhung von Schlägen oder Mißhandlungen ohne Körperverletzungsfolgen sei keine gefährliche Drohung, sondern könne allenfalls eine Beleidigung nach § 115 StGB (insbesondere unter den dort näher genannten Voraussetzungen) darstellen. Für die Annahme einer Drohung mit einer Verletzung an der Ehre, an der Freiheit oder am Vermögen im Sinne des § 74 Z. 5 StGB biete der Sachverhalt keine Anhaltspunkte. Ferner müsse eine gefährliche Drohung nach § 74 Z. 5 StGB (objektiv) geeignet sein, dem Bedrohten begründete Besorgnisse einzuflößen. Feststellungen dahin, daß die Äußerung des Mitbeteiligten dem Arbeitsinspektionsorgan den Eindruck einer bevorstehenden Körperverletzung habe vermitteln sollen oder können, seien von der belangten Behörde nicht getroffen worden. Sowohl im Hinblick auf das angedrohte Übel als auch auf die in der Begründung des angefochtenen Bescheides dargestellte Konstitution des Beschuldigten habe eine solche Feststellung nicht getroffen werden können.

Es sei aber auch hinsichtlich des subjektiven Tatbildes keine Tatbestandsmäßigkeit gegeben, weil sich den Tatsachenfeststellungen in keiner Weise entnehmen lasse, daß der Vorsatz des Mitbeteiligten darauf gerichtet gewesen sei, den Arbeitsinspektor im Sinne des § 83 StGB am Körper zu verletzen.

Die belangte Behörde sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Tat eine gerichtlich strafbare Handlung und deshalb keine Verwaltungsübertretung bilde. Der angefochtene Bescheid sei infolge unrichtiger Anwendung der Rechtsvorschriften inhaltlich rechtswidrig.

In eventu werde vorgebracht, daß sich die belangte Behörde bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes mit der entscheidungswesentlichen Frage, ob die Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bilde, nicht ausreichend auseinandergesetzt oder es verabsäumt habe, ihre hiebei getroffenen Erwägungen gemäß § 60 AVG in der Begründung des angefochtenen Bescheides in einer Weise festzuhalten, daß die aus dem Spruch ersichtliche Entscheidung nachvollziehbar sei. Es liege daher ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

Mit der zuletzt vorgebrachten Rüge zeigt der beschwerdeführende Bundesminister die Wesentlichkeit des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels auf, zumal der von der belangten Behörde aus den Verwaltungsakten festgestellte Sachverhalt - ohne ergänzende Ermittlungen - nicht erkennen läßt, ob tatsächlich eine - von der belangten Behörde nicht näher begründete - Tat, die den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, vorlag. Insbesondere läßt sich aus der Verwendung des Begriffes "massive Bedrohung" in der Anzeige des Arbeitsinspektors im Zusammenhalt mit dem geschilderten sonstigen Verhalten des Mitbeteiligten noch nicht ableiten, daß etwa eine gefährliche Drohung im Sinne des § 74 Z. 5 etwa i.V.m. § 105 Abs. 1 oder § 269 Abs. 1 StGB tatsächlich vorlag. Überdies liegt auch der vom beschwerdeführenden Bundesminister geltend gemachte Begründungsmangel des angefochtenen Bescheides vor.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß aus den vorgelegten Verwaltungsakten nicht hervorgeht, daß die belangte Behörde etwa in die Verfahrensakten des nach Behauptung des Mitbeteiligten (siehe die diesbezüglichen Ausführungen in der erstatteten Gegenschrift) beim Landesgericht Wels in derselben Angelegenheit durchgeführten Strafverfahrens Einsicht genommen hätte, um eine allfällige Doppelbestrafung des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK ausschließen zu können (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom , Nr. 33/1994/480/562 im Fall Gradinger gegen Österreich, ÖJZ 1995, S. 954 ff, und ZVR 1996, S. 12 ff).

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war dieser wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Wien, am