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VwGH vom 03.09.1997, 96/01/1207

VwGH vom 03.09.1997, 96/01/1207

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des D in I, vertreten durch Dr. M und Dr. L, Rechtsanwälte in I, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom , Zl. Ia-10.888/17-1996, betreffend Widerruf der Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte mit Schreiben vom die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Er lebe seit Oktober 1973 in Österreich, habe sich an die hiesigen Verhältnisse sehr gut angepaßt, und der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bestehe in Österreich. Im folgenden Ermittlungsverfahren kam hervor, daß der Beschwerdeführer wie folgt straffällig geworden war:

Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung durch Mißachtung einer Vorrangregel am , bestraft mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes I gemäß § 88 Abs. 1 StGB mit Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu S 100,--, das sind insgesamt S 4.000,--, im Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren;

Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h am (gemessene Fahrgeschwindigkeit 69 km/h), Verhängung einer Geldstrafe von S 300,--, im Nichteinbringungsfall einer Ersatzarreststrafe in der Dauer von 15 Stunden mit rechtskräftig gewordener Strafverfügung der Bundespolizeidirektion I vom ;

Befahren eines für Fahrzeuge des Kraftfahrlinienverkehrs vorbehaltenen Fahrstreifens am , bestraft mit einer Geldstrafe von S 500,--, im Fall der Uneinbringlichkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Stunden mit rechtskräftiger Strafverfügung der Bundespolizeidirektion I vom ;

Überschreitung der durch Straßenverkehrszeichen verordneten Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h um 40 km/h am (Radarmessung), Verhängung einer Geldstrafe von S 2.000,--, im Fall der Uneinbringlichkeit einer Ersatzarreststrafe von zwei Tagen durch rechtskräftige Strafverfügung der Bundespolizeidirektion I vom .

Die Tiroler Landesregierung sicherte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom gemäß § 20 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) die Verleihung der Staatsbürgerschaft zunächst für den Fall zu, daß er binnen zwei Jahren aus dem Verband seines bisherigen Heimatstaates ausscheide. Die Zusicherung werde widerrufen, falls auch nur eine Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht mehr gegeben sei. Die Zusicherung der Verleihung sei auszusprechen, um der antragstellenden Partei das Ausscheiden aus dem bisherigen Heimatstaat zu ermöglichen oder zu erleichtern. In der Folge brachte der Beschwerdeführer eine am ausgestellte Bestätigung der Türkischen Republik des Inhaltes bei, daß er die Genehmigung erhalten habe, aus dem türkischen Staatsverband auszuscheiden, um die österreichische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Nach Erhalt der Bestätigung über den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft werde dem Beschwerdeführer eine Bestätigung über die Entlassung aus dem türkischen Staatsverband ausgehändigt.

Die belangte Behörde führte daraufhin ein Ermittlungsverfahren durch, ob im Verhalten oder in den Verhältnissen des Antragstellers Veränderungen eingetreten seien, die einer Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft entgegenstünden. Hiebei teilte die Bundespolizeidirektion I mit, daß der Beschwerdeführer wegen weiterer Verkehrsübertretungen wie folgt bestraft worden sei:

Nichteinschalten der vorschriftsmäßigen Fahrzeugbeleuchtung trotz Dämmerung am , Verhängung einer Geldstrafe von S 400,--, im Falle der Uneinbringlichkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Stunden, mit rechtskräftiger Strafverfügung der Bundespolizeidirektion I vom ;

Mißachtung des Vorschriftszeichens "Vorgeschriebene Fahrtrichtung nach rechts" am , Verhängung einer Geldstrafe von S 300,--, im Fall der Uneinbringlichkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 15 Stunden;

Überfahren einer Sperrlinie am , Verhängung einer Geldstrafe von S 500,--, im Fall der Uneinbringlichkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 25 Stunden, die letzten beiden Bestrafungen mit rechtskräftiger Strafverfügung der Bundespolizeidirektion I vom .

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom teilte die belangte Behörde dem

- mittlerweile anwaltlich vertretenen - Beschwerdeführer als "negative Vorkommnisse" die obgenannten strafbaren Handlungen und deren Bestrafung mit und schloß das Schreiben damit ab, daß vorgesehen sei, den Antrag des Beschwerdeführers mangels der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG abzuweisen.

Der Beschwerdeführer nahm durch seinen ausgewiesenen Rechtsanwalt hiezu wie folgt Stellung:

"Der Antragsteller lebt nunmehr seit 26 Jahren in Österreich. Wie auch aus dem Akt hervorgeht, hat der Antragsteller während seines langjährigen Aufenthaltes in Österreich eine leichte Körperverletzung (Verkehrsunfall) und einige geringfügige Verwaltungsübertretungen begangen. Obwohl diese Verwaltungsübertretungen bereits vor dem begangen wurden, wurde dem Antragsteller die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft erteilt.

Die vor diesem Datum begangenen Übertretungen können daher bei der Entscheidung über die endgültige Verleihung der Staatsbürgerschaft nicht mehr berücksichtigt werden. Nach Erlassung des Zusicherungsbescheids hat der Antragsteller zwei Verwaltungsübertretungen begangen. Diese können aber angesichts der Dauer seines Aufenthaltes in Österreich nicht den Schluß rechtfertigen, daß der Antragsteller sich nicht wohl verhalten werde, und auch nicht die Annahme, daß der Antragsteller möglicherweise auch in Zukunft das in Österreich geltende Recht zur Abwehr von Gefahren, für das Leben und die Sicherheit, nicht beachten werde."

Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid, mit welchem sie gemäß § 20 Abs. 2 StbG die Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft widerrief. Sie begründete diesen Bescheid nach Wiedergabe sämtlicher gegen den Beschwerdeführer verhängten Strafen damit, daß dem Verlangen des Gesuchswerbers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft im Hinblick auf die nach Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft zusätzlich hinzugekommenen Bestrafungen das Einbürgerungshindernis des § 10 Abs. 1 Z. 6 StBG entgegenstehe. Im Zusicherungsbescheid sei darauf hingewiesen worden, daß "die Zusicherung in der Auffassung erteilt" worden sei, daß später keine negativen Vorkommnisse anfallen würden; da dies nicht der Fall gewesen sei, seien bei der gegenständlichen Entscheidung sämtliche Vorkommnisse heranzuziehen. Dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, "gewisse verkehrsrechtliche Bestimmungen seines Gastlandes zu beachten".

In der dagegen erhobenen Beschwerde führt der Beschwerdeführer zu den Bestrafungen vor Zusicherung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft aus, daß sich der rechtlich nicht vertretene Beschwerdeführer aller Verteidigungsmöglichkeiten nicht zuletzt deshalb begeben habe, weil er nicht in Konflikt zu den österreichischen Behörden habe treten wollen. Er habe "auch überschießende Strafmaßnahmen in der Auffassung geduldet, ja nicht dem Gesetz (den Behörden) zu widersprechen". Zum Nichteinschalten des Abblendlichtes am bringt der Beschwerdeführer vor, daß er das Abblendlicht noch vor Einsetzen der Dämmerung eingeschaltet habe. "Ob dies im Sinne des § 99 Abs. 5 KFG rechtzeitig erfolgte oder nicht, ist sicherlich eine Ermessensfrage. Diese wäre in einem Strafverfahren, auf das der Beschwerdeführer verzichtet hat, sicherlich zu überprüfen gewesen". Zu den Übertretungen vom führt der Beschwerdeführer aus, daß diese Verkehrsbeschränkung im Zuge der Verkehrsberuhigung der I Innenstadt "erst kurz zuvor erlassen" und zu dieser Zeit von vielen Verkehrsteilnehmern übertreten worden sei. Das Abbiegeverbot und die überfahrene Sperrlinie hätten nicht der Entschärfung einer besonders gefährlichen Kreuzung gedient. Es sei auch zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber für solche Übertretungen das Institut der Anonymverfügung "errichtet" habe, welches im gegenständlichen Fall anzuwenden gewesen wäre, wodurch der Beschwerdeführer nicht aktenkundig geworden wäre.

In rechtlicher Hinsicht bringt der Beschwerdeführer vor, die belangte Behörde habe es unterlassen, die von ihr "im Rahmen des gemäß § 11 StbG auszuübenden freien Ermessen getroffene Entscheidung so zu begründen, daß eine Überprüfung, ob sie von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, möglich" sei. Angesichts des langjährigen Voraufenthaltes könne nicht ohne weiteres von einem Überwiegen der von der belangten Behörde aufgezeigten, gegen den Beschwerdeführer sprechenden, Umstände gesprochen werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 2 StbG ist die Zusicherung der Verleihung der Staatsbürgerschaft zu widerrufen, wenn der Fremde auch nur eine der für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 zweiter Fall StbG darf die Staatsbürgerschaft einem Fremden nur dann verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet.

Bei der gemäß der angeführten Gesetzesstelle vorzunehmenden Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches durch das sich aus den von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt ist, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, der Beschwerdeführer werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit erlassene Vorschriften mißachten (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/01/0694). Dies ist auch bei Verstößen gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, der Fall (vgl. z.B. das hg. Erkenntis vom , Zl. 95/01/0376, und das obzitierte Erkenntnis vom ).

Den Ausführungen des Beschwerdeführers betreffend die Sachverhalte, die zu seinen rechtskräftigen Bestrafungen führten, steht angesichts der im Verwaltungsverfahren erfolgten Verständigung über das Ergebnis der Beweisaufnahme und der vom Beschwerdeführer genützten Gelegenheit zur Stellungnahme jedenfalls das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG entgegen. Die belangte Behörde durfte mangels eines im Verwaltungsverfahren die zugrundeliegenden Tatbegehungen bekämpfenden Vorbringens jedenfalls auch aufgrund der rechtskräftigen Strafverfügungen die Begehung der zugrundeliegenden strafbaren Handlungen annehmen und darauf die gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG zu ziehende Prognose aufbauen.

Die belangte Behörde hatte zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer nach offenbarem langjährigem Wohlverhalten seit dem (fahrlässige Körperverletzung einer anderen Verkehrsteilnehmerin unter Mißachtung einer Vorrangregel) in relativ kurzer Zeit mehrfach verkehrsauffällig geworden ist. Hiebei sind insbesondere die Geschwindigkeitsübertretungen (vor allem jene der Überschreitung der zulässigen Fahrgeschwindigkeit um das Doppelte) und die letztbegangenen Übertretungen der Mißachtung der vorgeschriebenen Fahrtrichtung und des Überfahrens einer Sperrlinie Verstöße gegen Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen. Gerade die Häufung der strafbaren Handlungen in der letzten Phase des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich rechtfertigen den Schluß der belangten Behörde, der Beschwerdeführer werde nach seinem bisherigen Verhalten nicht die Gewähr (d.h. Bürgschaft, Sicherheit; siehe Duden, Wörterbuch der österreichischen Sprache) dafür bieten, daß er in Hinkunft keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bilde, weil er in Zukunft Schutznormen, die der Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs dienen, nicht mehr mißachten werde.

Der Beschwerdeführer läßt außer acht, daß die Ermessensübung erst dann einsetzen kann, wenn alle Verleihungsvoraussetzungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 1 bis 8 gegeben sind.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.