VwGH vom 31.01.2001, 98/09/0079
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch die Rechtsanwälte Gruner & Pohle in 1070 Wien, Kirchengasse 19/11, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. 10/13115/828 715, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach § 15 Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die beschwerdeführende Partei hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stellte beim Arbeitsmarktservice Persönliche Dienste-Gastgewerbe Wien am mit dem amtlich aufgelegten Formular den Antrag auf "Ausstellung eines Befreiungsscheines gem. § 15 Abs. 1 Ziffer 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes".
Mit Bescheid vom lehnte das Arbeitsmarkservice Persönliche Dienste-Gastgewerbe Wien "den von Ihnen als Ausländer eingebrachten Antrag vom auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBL. Nr. 502/1993, in der geltenden Fassung" ab.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Sie brachte darin vor, die Behörde habe ihr Vorbringen in den Stellungnahmen vom und zum Assoziierungsabkommen vollständig ignoriert (das weitere Berufungsvorbringen betrifft den Beschluss des Assoziationsrates ARB Nr. 1/80).
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid des Arbeitsmarktservice Persönliche-Dienste Wien vom bestätigt.
Diese Entscheidung wurde von der belangten Behörde im Wesentlichen damit begründet, die Beschwerdeführerin sei im maßgeblichen Beurteilungszeitraum insgesamt nur 3 Jahre 3 Monate und 6 Tage im Sinne des § 2 Abs. 2 AuslBG beschäftigt gewesen und erfülle daher das für die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG notwendige Erfordernis einer Beschäftigungsdauer von 5 Jahren nicht. Zum Berufungsvorbringen verwies die belangte Behörde unter anderem darauf, dass ausschließlich die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG Gegenstand des Verfahrens gewesen sei und daher die Berufungsbehörde bezüglich des Assoziationsabkommens keine Entscheidung treffen dürfe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf "freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt, Ausstellung einer Urkunde, die meinen freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt deklarativ bestätigt und rechtsrichtige Anwendung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes und des Beschlusses Nummer 1/80 des Assoziationsrates vom " verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat Senat erwogen:
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall immer in der Sache selbst zu entscheiden.
"Sache" des Berufungsverfahrens ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat. Die den Entscheidungsspielraum der Berufungsbehörde begrenzende "Sache" im Sinn des § 66 Abs. 4 AVG ist nicht jene, welche in erster Instanz in Verhandlung war, sondern die durch den Spruch des erstinstanzlichen Bescheides begrenzt ist (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage 1998, Seite 1265, E 111 f wiedergegebene hg. Judikatur).
Wie die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides zutreffend dargelegt hat, wurde im erstinstanzlichen Bescheid ausschließlich über den Antrag vom auf der Anspruchsgrundlage des § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG abgesprochen (ein Abspruch über andere Anträge oder aufgrund anderer Anspruchsgrundlagen insbesondere über die Voraussetzungen nach Art. 6 oder Art. 7 des ARB Nr. 1/80 durch die Behörde erster Instanz ist nicht erfolgt). § 66 Abs. 4 AVG bietet keine Grundlage dafür, unter Umgehung der ersten Instanz aus Anlass einer Berufung in der Berufungsentscheidung über Anträge abzusprechen, die in erster Instanz unerledigt geblieben waren. Hätte die belangte Behörde im Spruch des angefochtenen Bescheid über die Voraussetzungen nach Art. 6 oder 7 des ARB Nr. 1/80 tatsächlich abgesprochen, was aber nicht geschehen ist, dann wäre der angefochtene Bescheid in diesem Umfang wegen der Überschreitung der "Sache" des Berufungsverfahrens inhaltlich rechtswidrig gewesen (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 97/09/0248, und vom , Zl. 97/09/0273).
Die Beschwerdeführerin legt in ihrer Beschwerde näher dar, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde das Assoziierungsabkommen bzw. den Beschluss des Assoziationsrates ARB Nr. 1/80 hätte anwenden und auf dieser Anspruchsgrundlage zu einer anderen Entscheidung bzw. zur Ausstellung des begehrten Befreiungsscheines hätte gelangen müssen. Sie behauptet aber nicht, dass die von der belangten Behörde bestätigte Ablehnung ihres Antrages vom , nämlich ihr auf der Anspruchsgrundlage des § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG einen Befreiungsschein auszustellen, rechtswidrig sei.
Davon ausgehend zeigt die Beschwerdeführerin aber keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Insoweit sie meint, die belangte Behörde hätte sich mit den Voraussetzungen gemäß Art. 7 des ARB Nr. 1/80 auseinanderzusetzen gehabt, lässt sie dabei nämlich außer acht, dass nach dem Abspruch des erstinstanzlichen Bescheides "Sache" des Berufungsverfahrens im Sinn des § 66 Abs. 4 AVG (in Verbindung mit Art. II Abs. 2 lit. D. Z 41 EGVG) ausschließlich ihr auf der Anspruchsgrundlage des § 15 Abs. 1 Z 1 AuslBG gestellter Antrag vom war. Dass die Beschwerdeführerin - neben ihrem vorliegend behandelten Antrag vom - auch auf andere Anspruchsgrundlagen gestützte Begehren auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gestellt hat und die Behörde erster Instanz darüber nicht entschieden hat bzw. die belangte Behörde das Berufungsverfahren nicht in dieser Hinsicht "erweiterte", stellt keine zur Aufhebung des - ausschließlich den Antrag vom und die Rechtsgrundlage des § 15 AuslBG betreffenden - angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit dar, weil die belangte Behörde in der "Sache" im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG entschieden hat.
Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit § 41 AMSG und der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am