VwGH vom 25.09.1990, 90/04/0040
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Griesmacher und Dr. Gruber als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Dr. Puntigam, über die Beschwerde des N in X, vertreten durch Dr. Y, Rechtsanwalt, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 63-H 3/89/Str, betreffend Übertretung der Gewerbeordnung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.650,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien - Magistratisches Bezirksamt für den 11. Bezirk - vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, als gewerberechtlicher Geschäftsführer der V Warenhandels AG in Wien 11., Z-Straße 35, beim Betrieb dieser Anlage am folgende mit rechtskräftigem Bescheid vorgeschriebene Auflagen nicht eingehalten zu haben:
"Bescheid vom , Zl. MBA 11-Ba 11.447/1/85:
Pkt. 40: wurde insofern nicht erfüllt, als vor dem Notausgang in der W-Straße (Situation wie im Genehmigungsplan zu o. cit. Bescheid) ein Kostprobenstand der Fa. B aufgestellt wurde, sodaß ein Benützen des Notausganges unmöglich war. Weiters wurde der Notausgang in der Z-Straße bis zur Hälfte mit Holzkohlensäcken verlagert vorgefunden."
Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 367 Z. 26 GewO 1973 in Verbindung mit § 39 GewO 1973 begangen und es werde hiefür über ihn gemäß § 367 Einleitungssatz GewO 1973 eine Geldstrafe von S 5.000,-- (Ersatzarreststrafe fünf Tage) verhängt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Beschwerdeführer sei mittels Beschuldigten-Ladungsbescheides Gelegenheit geboten worden, von dem ihm zur Last gelegten strafbaren Verhalten Kenntnis und hiezu Stellung zu nehmen. Da der Beschwerdeführer ohne Angabe eines Grundes davon keinen Gebrauch gemacht habe - die Zustellung der Ladung sei ausgewiesen -, sei das Verfahren, wie in der Ladung angedroht, ohne seine Anhörung durchgeführt und die ihm zur Last gelegte Übertretung auf Grund der Feststellung des anzeigenden Organes (Arbeitsinspektorat für den 2. Aufsichtsbezirk) als erwiesen anzusehen gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung (zur Post gegeben am ), die nach der Eingangsstampiglie der Erstbehörde am bei ihr einlangte.
Über diese Berufung erkannte der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom - dem Beschwerdeführer zugestellt am - dahin, daß das erstbehördliche Straferkentnnis gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwiesen werde. Zur Begründung wurde ausgeführt, in der Berufung werde vorgebracht, daß nicht ein Kostprobenstand, sondern nur einige Kisten Bier, die im Rahmen einer Aktion angeboten worden seien, auf Grund einer plötzlich aufgetretenen Notwendigkeit unverzüglich vom ursprünglichen Standort an den in der Anzeige beanstandeten Standort hätten verbracht werden müssen. Gleiches habe für die kurzfristige Lagerung von Holzkohlensäcken gegolten, und man habe sich damals in einem Notstand befunden. Es sei keine Behinderung eines Notausganges vorgelegen, da noch ausreichende Flächen genügender Breite als Notausgang zur Verfügung gestanden seien. Hiezu sei auszuführen, die Verstellung der Notausgänge in die W-Straße und in die Z-Straße sei durch den schlüssigen, widerspruchsfreien und unter Wahrheitsverpflichtung des Dienstgelöbnisses erstatteten Erhebungsbericht eines Organes des Arbeitsinspektorates für den
2. Aufsichtsbezirk zweifelsfrei erwiesen. Die Gründe für die Lagerung von Bier bzw. von Holzkohlensäcken vor den Notausgängen seien in diesem Zusammenhang unerheblich und es könne sich der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall auch nicht auf das Vorliegen eines Notstandes gemäß § 6 VStG 1950 berufen, weil dieser Schuldausschließungsgrund selbst bei Annahme einer wirtschaftlichen Schädigung nicht vorliege. Auch der eingewendeten kurzen Dauer der Lagerung vor den Notausgängen und der behaupteten noch ausreichenden Durchgangsbreite der Notausgänge komme keine rechtliche Relevanz zu, da jegliche Verstellung von Notausgängen verboten sei. Es wäre vielmehr Sache des Beschwerdeführers gewesen, den Anzeigesachverhalt durch einen Entlastungsbeweis in objektiver Hinsicht zu entkräften. Auch das Vorbringen, wonach in der Person des Leiters der Filiale in Wien 11., Z-Straße 35, ein für die Einhaltung der in Rede stehenden Auflage verantwortlicher Beauftragter im Sinne des § 9 Abs. 2 zweiter Satz VStG 1950 bestellt worden sei, vermöge den Beschwerdeführer nicht von seiner verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit als gewerberechtlicher Filialgeschäftsführer der Betriebsinhaberin zu entlasten. Dies deshalb, da zufolge § 9 Abs. 1 VStG 1950 eine Bestellung von verantwortlichen Beauftragten durch die zur Vertretung nach außen berufenen Organe einer juristischen Person nur insoweit zulässig sei, als die (materiellen) Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmten. Auf Grund der Subsidiarität der Bestimmung des § 9 Abs. 1 und 2 VStG 1950 gegenüber den materiellen Normen der §§ 47 und 370 Abs. 4 GewO 1973 über die verwaltungsstrafrechtliche Haftung des bestellten gewerberechtlichen Geschäftsführers für die Einhaltung von Verpflichtungen, die sich aus gewerberechtlichen Vorschriften für die Gewerbeausübung ergäben, sei der Beschwerdeführer von der Erstbehörde zu Recht zur Verantwortung gezogen worden. Eine subjektive Vorwerfbarkeit des dem Beschwerdeführer angelasteten strafbaren Verhaltens liege nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann nicht vor, wenn geeignete und noch zumutbare Kontrollmaßnahmen ergriffen worden seien, um die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften sicherzustellen. Sofern es nämlich der Betriebsumfang eines Unternehmens nicht mehr zulasse, daß sich ein gewerberechtlicher Geschäftsführer sämtlicher Belange und Aufgaben selbst persönlich annehme und offenbar auch nicht mehr sämtlichen Überwachungsaufgaben nachkommen könne, um die Einhaltung der beim Betrieb der gewerblichen Anlage zu beachtenden Vorschriften sicherzustellen, müsse er zumindest angemessene Kontrolleinrichtungen schaffen, von denen er mit gutem Grund annehmen könne, daß sie unter den voraussehbaren Verhältnissen Verwaltungsübertretungen wirksam verhindern würden. Die bloße Erteilung von Weisungen an Untergebene, beim Betrieb der gewerblichen Anlage die Bescheidauflagen einzuhalten, bilde für sich allein keinen Schuldausschließungsgrund. Unter Bedachtnahme auf das vom Beschwerdeführer vorgebrachte Kontrollsystem, in dem er auf mittlerer Ebene als Filialinspektor die ihm unterstellten Filialen nach einem vorgegebenen Schema periodisch überprüfe und die Beseitigung etwaiger wahrgenommener Mängel durch den jeweiligen Filialleiter veranlasse, seien die hiefür maßgebenden Fakten, nämlich in welcher Weise der Filialleiter mit den beim Geschäftsbetrieb zu beachtenden Bescheidauflagen vertraut gemacht worden sei, in welcher Art und Weise und wie häufig die Einhaltung der Bescheidauflagen besonders bezüglich der Notausgänge vom Filialleiter und vom Beschwerdeführer kontrolliert worden seien, in welcher Art und Weise und wie häufig seitens des Filialleiters gegenüber dem Beschwerdeführer als Filialinspektor über etwaige vorgefundene Mängel berichtet worden sei, welche Maßnahmen vom Beschwerdeführer und vom Filialleiter zur Mängelbehebung gesetzt worden seien und in welcher Art und Weise und wie häufig der Beschwerdeführer persönlich stichprobenartig Filialen bezüglich der Einhaltung von Bescheidauflagen kontrolliert habe, durch Einvernahme des Beschwerdeführers als Partei und des Leiters der Filiale in Wien 11., Z-Straße 35, als Zeugen, sowie durch Einsichtnahme in schriftliche Dienstanweisungen und sonstige Überprüfungsunterlagen zu klären. Da somit auf Grund der Berufungsausführungen zur Verschuldensfrage umfangreiche ergänzende Beweisaufnahmen erforderlich seien und es unerläßlich erscheine, ihr Ergebnis in einer mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer zu erörtern, habe sich die Behörde bestimmt gesehen, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und allfälligen Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurückzuverwiesen. Die vom Beschwerdeführer beantragte Einräumung einer Frist zur Ergänzung seiner Berufungsausführungen habe insofern unterbleiben können, als der Beschwerdeführer im Rahmen der neuerlichen Verhandlung der Strafsache durch die Erstinstanz ausreichend Gelegenheit zur Mitwirkung an der Sachverhaltsfeststellung in objektiver und subjektiver Hinsicht habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Seinem Vorbringen zufolge erachtet sich der Beschwerdeführer u.a. in dem Recht auf Durchführung eines gesetzmäßigen Strafverfahrens verletzt. Er bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit, einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie einer Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde - neben der Erstattung eines materiellen Vorbringens betreffend den gegen ihn erhobenen Strafvorwurf - vor, er habe die Berufung gegen das erstbehördliche Straferkenntnis am eingebracht. Der angefochtene Bescheid sei seinem Rechtsvertreter am zugestellt worden. Gemäß § 51 Abs. 5 VStG 1950 gelte der angefochtene Bescheid als aufgehoben und es sei das Verfahren einzustellen, wenn die Berufungsentscheidung nicht innerhalb eines Jahres ab Einbringung der Berufung erlassen werde. Erlassen sei der Berufungsbescheid mit dem Tag seiner Zustellung an den Empfänger. Diese Frist sei im gegenständlichen Fall aber um einen Tag überschritten worden, sodaß die Behörde richtigerweise das Verfahren einzustellen gehabt hätte. Des weiteren werde als Tatort Wien 11., Z-Straße 35, angeführt. Wie er jedoch in der Berufung ausgeführt habe, sei er in der mittleren Kontrollebene des Filialnetzes tätig und für mehrere - darunter auch die verfahrensgegenständliche - Filiale zuständig. Er übe seine Tätigkeit vom Standort der Zentrale in X aus, sodaß als Tatort richtigerweise X in Betracht gekommen wäre. Die Behörde erster Instanz sei daher örtlich unzuständig. Abgesehen davon habe die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 1 AVG 1950 grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden. Sie dürfe nur in jenen Fällen kassatorisch vorgehen, in denen die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine. Unter mündlicher Verhandlung sei dabei ein kontradiktorisches Vorgehen zu verstehen. Dies erscheine im gegenständlichen Fall jedoch zweifellos nicht erforderlich. Die Einvernahme der Zeugin C bzw. die Vorlage der "§ 9-Erklärung" wären ausreichend gewesen. Diese Sammlung des Beweisstoffes hätte die Berufungsbehörde auch ohne kontradiktorische Verhandlung durchführen können.
Was zunächst die geltend gemachte örtliche Unzuständigkeit der Erstbehörde anlangt, so ist - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , Zl. 89/04/0249, unter Bezugnahme auf die dort angeführte weitere hg. Rechtsprechung dargetan hat - darauf hinzuweisen, daß dadurch, daß § 367 Z. 26 GewO 1973 auf die in den Betriebsanlagengenehmigungsbescheiden vorgeschriebenen Auflagen und Aufträge verweist, das jeweilige, in einem solchen Bescheid enthaltene Gebot oder Verbot Teil des Straftatbestandes wird. Ausgehend davon kann aber in Ansehung des hier in Betracht zu ziehenden Straftatbestandes, der auf beim Betrieb der Anlagen einzuhaltende Auflagen abgestellt ist, entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht angenommen werden, daß die in Rede stehende Verwaltungsübertretung - bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen - nicht am Standort der Betriebsanlage begangen worden sei, weshalb auch kein Hinweis auf eine andere gemäß § 27 Abs. 1 VStG 1950 zuständige örtliche Behörde als die im vorliegenden Verfahren in dieser Funktion eingeschrittene besteht.
Was weiters die unter Berufung auf § 51 Abs. 5 VStG 1950 erstattete Beschwerdeeinwendung anlangt, so ist darauf hinzuweisen, daß unter Einbringung einer Berufung im Sinne dieser Gesetzesstelle deren Einlangen bei der Behörde erster Instanz zu verstehen ist (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkentnnis vom , Zl. 89/04/0045, und die dort zitierte weitere hg. Rechtsprechung). Aus dieser Rechtslage folgt aber, daß der angefochtene Bescheid, da nach der Aktenlage die am zur Post gegebene Berufung des Beschwerdeführers am bei der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz einlangte - ein diesem letztangeführten Umstand entgegenstehendes Vorbringen wird auch in der Beschwerde nicht erstattet -, noch innerhalb der Jahresfrist des § 51 Abs. 5 VStG 1950 durch Zustellung am erlassen wurde.
Der Beschwerde kommt aber im übrigen Berechtigung zu:
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG 1950 kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen. Nach Abs. 3 kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Nach Abs. 4 hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.
Danach berechtigt aber die Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG 1950 bei Vorliegen bloßer Begründungsmängel des erstbehördlichen Bescheides allein die Berufungsbehörde noch nicht, eine kassatorische Entscheidung im Sinne dieser Gesetzesstelle zu fällen. Daß aber in Ansehung des erstbehördlichen Ausspruches die Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch die Erstbehörde unter Abstandnahme von einer allfälligen, durch die Berufungsbehörde in diesem Zusammenhang im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG 1950 vorzunehmenden Beweisergänzung unvermeidlich wäre, läßt sich - ebenso wie auch der Mangel der Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG 1950 - aus der diesbezüglichen Begründung des angefochtenen Bescheides nicht entnehmen (vgl. hiezu auch die entsprechenden Darlegungen im vorangeführten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 89/04/0249).
Die belangte Behörde belastete daher den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß es einer weiteren Erörterung des hiemit nicht im Zusammenhang stehenden Beschwerdevorbringens bedurfte. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im Hinblick auf § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 206/1989.