VwGH vom 28.02.2006, 2002/03/0095
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Handstanger und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde des R H in G, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Wolfgang Heufler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zedlitzgasse 3/4/23, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl Senat-BL-00-096, betreffend Übertretung des Güterbeförderungsgesetzes 1995, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird hinsichtlich des Schuldspruches als unbegründet abgewiesen. Im Übrigen, also hinsichtlich des Ausspruches über die verhängte Strafe und die diesbezüglichen Kosten des Berufungsverfahrens, wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am um 9 Uhr ein nach den Kennzeichen bestimmtes Sattelkraftfahrzeug auf österreichischem Bundesgebiet im Transitverkehr "(Beladeort E-12200 Onda, Entladeort SK 90101 Pezinok)" gelenkt, und er habe (wie anlässlich der Ausreisekontrolle (Grenzkontrollstelle Berg, B 9, Ausgangsabfertigung) festgestellt habe werden können) weder ein ordnungsgemäß ausgefülltes Einheitsformular noch eine österreichische Bestätigung für die Entrichtung von Ökopunkten für die betreffende Fahrt noch ein im Kraftfahrzeug eingebautes elektronisches Gerät, das eine automatische Entwertung der Ökopunkte ermöglichen würde, mitgeführt. Dadurch habe der Beschwerdeführer § 23 Abs 1 Z 8 des Güterbeförderungsgesetzes 1995 iVm Art 1 Abs 1 und Art 2 Abs 1 der "EG-VO 3298/94 idF 1524/96" verletzt. Über den Beschwerdeführer wurde eine Geldstrafe in der Höhe von S 20.000,-- (EUR 1.453,46; Ersatzfreiheitsstrafe: 4 Tage) verhängt.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, auf Grund der unbedenklichen Sachverhaltsannahme sowie des Berufungsvorbringens sei davon auszugehen, dass es sich vorliegend um eine Transitfahrt gehandelt habe und kein Nachweis über die Entrichtung von Ökopunkten bzw kein elektronisches Gerät der genannten Art mitgeführt worden sei. Mit seinem Vorbringen habe der Beschwerdeführer nicht mangelndes Verschulden im Hinblick auf das entscheidungsgegenständliche Ungehorsamsdelikt dargetan, zumal er - gemessen an den Maßstäben eines "ordentlichen Berufskraftfahrers" - bei entsprechender Aufmerksamkeit hätte erkennen können, dass bei der Transitfahrt Ökopunkte zu entrichten gewesen wären. Nach Ausweis der vorliegenden Verwaltungsstrafakten wurde von der belangten Behörde am eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der der Beschwerdeführer nicht erschien.
1.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich nicht dagegen, dass die in Rede stehende Transitfahrt hinsichtlich eines Teils der transportierten Paletten (25 Paletten Fracht seien in Österreich abgeladen worden, 5 Paletten seien durch Österreich weitertransportiert worden) ökopunktepflichtig gewesen sei. Er bringt indes vor, es sei ihm ein entschuldbarer Rechtsirrtum bzw "rechtfertigender Notstand" zuzubilligen, weil er die Weisung seines Frachtführers habe befolgen müssen und dieser ihm die Auskunft erteilt habe, dass er für die Fahrt keine Ökopunkte benötigen würde. Der Beschwerdeführer habe seit 1998 (allerdings vergeblich) versucht, von der österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland eine bindende Rechtsauskunft zu erlangen. Durch das Nichtreagieren der österreichischen Botschaft liege "eigentlich Amtshaftung durch Unterlassung" vor. Da ein Großteil der Fracht in Österreich entladen worden sei, sei "dem rechtsunkundigen gleichwohl sorgfältig und rechtstreuen Beschwerdeführer eine neuerliche Komplikation auferlegt" worden. Dem Rechnung tragend habe er sich eingehend bei seinem Auftraggeber und Dienstherrn erkundigt, der ihm (wie schon erwähnt) versichert habe, die fragliche Fahrt sei ökopunktefrei.
Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass es gemäß der hg Rechtsprechung (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2001/03/0430) Sache des Lenkers eines Lastkraftwagens ist, sich über die Rechtslage hinsichtlich der Durchführung einer durch österreichisches Hoheitsgebiet führenden Fahrt zu informieren, wobei es nicht genügt, sich bloß auf Auskünfte seitens des Arbeitgebers zu verlassen. Der Hinweis des Beschwerdeführers auf eine ausstehende Antwort einer österreichischen Vertretungsbehörde vermag den Beschwerdeführer von dieser Verpflichtung, nicht zu befreien. Weiters ist gemäß § 6 VStG eine Tat (ua) nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt ist. Unter Notstand im Sinn dieser Bestimmung kann nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im Allgemeinen strafbare Handlung begeht. Es muss sich um eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen handeln. Wirtschaftliche Nachteile können nur dann Notstand begründen, wenn sie die Lebensmöglichkeiten selbst unmittelbar bedrohen (vgl etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2001/03/0421). Das Vorliegen einer Bedrohung der angegebenen Art lässt sich der Beschwerde aber nicht entnehmen.
2.2. Dem Einwand, dass von der belangten Behörde richtigerweise nicht der Beschwerdeführer, sondern der Frachtführer als Dienstherr "in die Pflicht" hätte genommen werden müssen, ist zu entgegnen, dass sich Art 1 Abs 1 der oben genannten Verordnung, dessen Übertretung dem Beschwerdeführer (iV mit anderen oben genannten Rechtsvorschriften) zur Last liegt, ausdrücklich an den Fahrer eines Lastkraftwagens richtet.
2.3. Ferner rügt der Beschwerdeführer, die belangte Behörde habe seinem Ersuchen um Vertagung der besagten mündlichen Verhandlung nicht entsprochen. Er sei Berufskraftfahrer und ständig unterwegs, in seiner Abwesenheit habe seine Ehefrau die Ladung zur mündlichen Verhandlung entgegengenommen und am "angesichts der faktischen beruflich bedingten Unmöglichkeit der Teilnahme des Beschwerdeführers an der Berufungsverhandlung" um eine Terminverlegung ersucht. Da die belangte Behörde dem Vertagungsersuchen nicht entsprochen habe, sei der Beschwerdeführer in seinem Recht auf rechtliches Gehör verkürzt und in seinem Verteidigungsrecht beschnitten worden.
Dieser Einwand geht fehl. Gemäß § 51e Abs 1 VStG hat der unabhängige Verwaltungssenat eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 51f Abs 2 VStG hindert dann, wenn eine Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, dies weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung des Erkenntnisses. Nach dem auch im Verwaltungsstrafverfahren (vgl § 24 VStG) anzuwendenden § 19 Abs 3 AVG hat, wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Das Vorliegen eines der im § 19 Abs 3 AVG genannten Gründe rechtfertigt das Nichterscheinen des Geladenen. Liegt ein solcher Rechtfertigungsgrund vor, kann in bezug auf die behördliche Ladung nicht von einer "ordnungsgemäßen Ladung", die gemäß § 51f Abs 2 VStG zur Durchführung der Verhandlung auch in Abwesenheit der Partei berechtigt, gesprochen werden. Das Vorliegen des geltend gemachten Rechtfertigungsgrundes ist von der Behörde von Amts wegen zu erforschen. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgesprochen, dass eine berufliche Behinderung nur dann unter den Begriff der "sonstigen begründeten Hindernisse" im Sinn des § 19 Abs 3 AVG fallen kann, wenn sie so zwingend ist, dass sie nicht etwa durch entsprechende rechtzeitige Dispositionen beseitigt werden kann (arg: "abgehalten"; vgl etwa das hg Erkenntnis vom , Zl 2001/03/0024). Wenn nach Ausweis der Verwaltungsstrafakten im Ersuchen um Vertagung der mündlichen Verhandlung vom zur Begründung ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer den Beruf eines Fernfahrers ausübe, somit selten zu Hause sei, und die Terminsetzung für die mündliche Verhandlung "sehr kurzfristig sei", wurde im Berufungsverfahren aber nicht dargetan, dass eine berufliche Behinderung des Beschwerdeführers durch entsprechende rechtzeitige Disposition nicht habe beseitigt werden können, zumal zwischen dem Tag der Verhandlung am und dem Datum des Ersuchens ein Zeitraum von noch zwölf Tagen lag. Darüber hinaus wäre es dem Beschwerdeführer im Sinne des § 10 Abs 1 AVG freigestanden, sich bei der mündlichen Verhandlung vertreten zu lassen und so sein Recht auf rechtliches Gehör auszuüben.
2.4. Dennoch liegt eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vor: In seinem Erkenntnis vom , G 181/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass die Wortfolge "und Z 7 bis 9" im zweiten Satz des § 23 Abs 2 des Güterbeförderungsgesetzes 1995, BGBl Nr 593, in der Fassung BGBl Nr 17/1998, verfassungswidrig war. Im genannten Erkenntnis, kundgemacht im Bundesgesetzblatt am unter BGBl I Nr 37, hat der Verfassungsgerichtshof ferner - gestützt auf Art. 140 Abs 7 zweiter Satz B-VG - Folgendes ausgesprochen:
"(2) Die verfassungswidrige Bestimmung ist insofern nicht mehr anzuwenden, als sie sich auf die Z. 8 bezieht."
Da der zuletzt genannte Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes die Anwendung der als verfassungswidrig festgestellten gesetzlichen Bestimmung auch im vorliegenden Beschwerdefall ausschließt (vgl hiezu das hg Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg Nr 9994/A), erweist sich der auf dem Boden dieser Bestimmung getroffene Ausspruch über die im Beschwerdefall verhängte Strafe als inhaltlich rechtswidrig.
2.5. Der angefochtene Bescheid war daher in dem im Spruch genannten Umfang gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, im Übrigen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
2.6. Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr 333.
Wien, am