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VwGH vom 01.06.1999, 98/08/0422

VwGH vom 01.06.1999, 98/08/0422

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des D in S, vertreten durch Dr. Gerhard Zenz, Rechtsanwalt in 5310 Mondsee, Rainerstraße 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom , Zl. 3/01-7/13387/5-1998, betreffend Befreiung von der Rezeptgebühr gemäß § 136 ASVG (mitbeteiligte Partei: Salzburger Gebietskrankenkasse, 5024 Salzburg, Faberstraße 19-23), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom auf Befreiung von der Rezeptgebühr für sich und seine bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse mitversicherten Familienangehörigen abgewiesen. Nach Zitierung der Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger für die Befreiung von der Rezeptgebühr vom berechnete die belangte Behörde die für die Zuerkennung der Befreiung von der Rezeptgebühr maßgebliche Einkommensgrenze mit S 14.807,--, ermittelte jedoch ein monatliches Nettoeinkommen des Beschwerdeführers in der Höhe von S 28.520,--. Dieses Einkommen gewann die belangte Behörde - nach der Begründung des angefochtenen Bescheides - aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Einkommensteuerbescheid des Jahres 1996. Der dort ausgewiesene steuerliche Gewinn in der Höhe von S 124.826,11 sei - so die belangte Behörde in der weiteren Begründung des angefochtenen Bescheides - um Investitionsfreibeträge in der Höhe von S 30.320,-- und um Abschreibung für Abnutzung (AfA) in der Höhe von S 187.094,-- zu erhöhen und das daraus errechnete Jahresnettoeinkommen von S 342.240,11 durch 12 zu teilen, woraus sich der zuvor genannte Betrag des Nettoeinkommens des Beschwerdeführers ergebe. Zur rechtlichen Begründung berief sich die belangte Behörde auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichtes Wien zur Einkommensermittlung im Ausgleichszulagenrecht (Hinweis auf eine Entscheidung vom , SSV XIX/86). Eine gesonderte Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer behaupteten "Tilgungen im Jahre 1996" in der Höhe von S 227.796,-- als gewinnmindernd lehnte die belangte Behörde mit näherer Begründung ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Berechnungsweise der belangten Behörde im Wesentlichen nicht bestreitet, jedoch die Auffassung vertritt, dass "abzüglich Kredittilgungen im Jahre 1996" von S 227.796,-- sich ein monatliches Nettoeinkommen S 9.537,-- ergebe, welches sohin unter der Einkommensgrenze von S 14.807,-- liege.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bei Einleitung des Vorverfahrens die belangte Behörde aufgefordert, insbesondere zu der Frage Stellung zu nehmen, aus welchem Grunde sie das Einkommen des Jahres 1996 für eine Befreiung von der Rezeptgebühr, die am beantragt worden sei, für maßgebend erachtet habe. Es scheine vielmehr im Falle des § 4 Abs. 1 Z. 2 der Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger in Verbindung mit § 8 der Richtlinie auf das Einkommen im Zeitraum ab der Antragstellung anzukommen.

Die belangte Behörde legte ihre Verwaltungsakten (nicht jedoch jene der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse) vor und erstattete - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Auf die vom Verwaltungsgerichtshof gestellte Frage merkt die belangte Behörde an, dass der "neueste Einkommensteuerbescheid des Beschwerdeführers sich auf das Jahr 1996" bezogen hätte. Bei Gewerbetreibenden und Freiberuflern könne das genaue Einkommen erst nach Abgabe der Steuererklärungen, in der Regel daher erst mit einer eineinhalb bis zweijährigen Verzögerung ermittelt werden. Behörden und Sozialversicherungsanstalten würden daher einkommensabhängige Abgaben, Vorschreibungen und Leistungen nach dem letzten gültigen Einkommensteuerbescheid bemessen. Sollte sich nach Vorliegen des Einkommensteuerbescheides für 1998 eine andere Situation ergeben, so habe die Behörde mit Wiederaufnahme des Verfahrens vorzugehen. Die Behörde hätte nur dann aufgrund neuerer Unterlagen des Beschwerdeführers dessen Einkommen berechnen können, wenn der Beschwerdeführer derartige schlüssige Unterlagen für das Jahr 1998 vorgelegt hätte, wozu er im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren auch verpflichtet gewesen wäre. Es sei der belangten Behörde daher als vertretbar erschienen, auf der Grundlage der Zahlen aus 1996 eine - wenn auch vorläufige - Entscheidung zu treffen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 136 Abs. 3 ASVG ist für den Bezug eines jeden Heilmittels auf Rechnung des Versicherungsträgers, soweit im Folgenden nichts anders bestimmt wird, eine näher bezeichnete Rezeptgebühr zu zahlen. Gemäß § 136 Abs. 5 ASVG hat der Versicherungsträger bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten nach Maßgabe der vom Hauptverband hiezu erlassenen Richtlinien von der Einhebung der Rezeptgebühr abzusehen.

Gemäß § 31 Abs. 2 Z. 3 ASVG obliegt dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger die Erstellung von Richtlinien zur Förderung oder Sicherstellung der gesamtwirtschaftlichen Tragfähigkeit, der Zweckmäßigkeit und der Einheitlichkeit der Vollzugspraxis der Sozialversicherungsträger.

Gemäß § 31 Abs. 5 Z. 16 ASVG hat der Hauptverband der Sozialversicherungsträger Richtlinien im Sinne des Abs. 2 Z. 3 unter anderem für die Befreiung der Rezeptgebühr sowie für die Befreiung von der Krankenscheingebühr bei Vorliegen einer besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit des Versicherten aufzustellen; in diesen Richtlinien ist nach der genannten Gesetzesbestimmung der für die Befreiung in Betracht kommende Personenkreis nach allgemeinen Gruppenmerkmalen zu umschreiben; darüber hinaus ist eine Befreiungsmöglichkeit im Einzelfall in Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten sowie der Art und Dauer der Erkrankung vorzusehen.

Die aufgrund dieser Ermächtigung erlassenen Richtlinien für die Befreiung von der Rezeptgebühr gemäß § 31 Abs. 5 Z. 16 ASVG (kundgemacht in der Sozialen Sicherheit, Amtliche Verlautbarung Nr. 114/1996, Seite 1065 ff) sehen vor (§ 4 Abs. 1 Z. 2), dass auf Antrag eine Befreiung von der Rezeptgebühr wegen besonderer sozialer Schutzbedürftigkeit zu bewilligen ist, wenn das Einkommen eines Versicherten, der weder eine Pension aus der Pensionsversicherung noch einen Ruhe- oder Versorgungsgenuss bezieht, den nach § 293 Abs. 1 lit. a ASVG (§ 150 Abs. 1 lit. a GSVG,§ 141 Abs. 1 lit. a BSVG) in Betracht kommenden Richtsatz nicht übersteigt; bei Versicherten nach dem B-KUVG sind hiebei die entsprechenden Richtsätze der Ergänzungszulagenverordnung nach § 26 Abs. 5 Pensionsgesetz maßgeblich.

Gemäß § 4 Abs. 4 dieser Richtlinien gilt als Einkommen das Nettoeinkommen nach Maßgabe des § 292 ASVG, ausgenommen gemäß § 292 Abs. 8 ASVG (bzw. der Parallelbestimmungen des GSVG und des BSVG), anzurechnende Beträge. Hiebei sind Unterhaltsansprüche in der Höhe des gebührenden oder des höheren tatsächlich geleisteten) Unterhaltes zu berücksichtigen.

Gemäß § 8 dieser Richtlinien beginnt die Befreiung von der Rezeptgebühr ab dem Zeitpunkt der Erfüllung der Voraussetzungen, in den Fällen des § 4 Abs. 1 Z. 2 und 3 sowie Abs. 2 und des § 5 jedoch frühestens ab dem Zeitpunkt des Einlangens des Antrages beim Krankenversicherungsträger. Sie gilt sowohl für den Versicherten selbst als auch für die Angehörigen, für die ein Leistungsanspruch besteht.

Gemäß § 13 Abs. 1 RL traten die Richtlinien mit in Kraft.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde kann weder aus dem Gesetz, noch aus den genannten Richtlinien entnommen werden, dass andere Einkommensverhältnisse als jene während der Zeiträume, für welche die Befreiung von der Rezeptgebühr beantragt wird, für die Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen maßgebend wären. In den Fällen des § 4 Abs. 1 Z. 2 RL (also auch im vorliegenden Fall) sind dies somit die Einkommensverhältnisse ab dem Zeitpunkt der Antragstellung.

Die belangte Behörde hätte daher die Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers ab festzustellen gehabt und nicht jene des Jahres 1996.

Entgegen der in der Gegenschrift vertretenen Auffassung der belangten Behörde vermag der Verwaltungsgerichtshof aus den genannten Bestimmungen auch nicht zu erkennen, dass der Einkommensteuerbescheid der einzig maßgebende Nachweis für die Einkommensverhältnisse von selbständig Erwerbstätigen sein könnte. Die belangte Behörde ist im Recht, dass es Sache des Beschwerdeführers ist, im Verfahren alle Umstände darzulegen und nachzuweisen, aus denen der Beschwerdeführer ableitet, dass sein monatliches Nettoeinkommen den für ihn maßgebenden Richtsatz (dessen Höhe er in seiner Beschwerde nicht bestreitet) nicht übersteigt. Die belangte Behörde hätte den Beschwerdeführer freilich dazu aufzufordern und - sollten die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen als zur Beurteilung nicht ausreichend angesehen werden - dies mit dem Beschwerdeführer zu erörtern gehabt.

Die von der belangten Behörde behauptete Praxis, in Fällen von selbständig Erwerbstätigen stets den zuletzt vorliegenden Einkommensteuerbescheid für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse heranzuziehen, obgleich dieser über das für die Beurteilung der aktuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit allein maßgebende laufende Einkommen nichts aussagt, ja in der Regel bei selbständig Erwerbstätigen nicht einmal Indizwirkung haben wird, ist weder im Gesetz noch in der Richtlinie gedeckt, ganz abgesehen davon, ob eine solche Regelung - bestünde sie - vor dem Gleichheitssatz Bestand haben könnte.

Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Im Übrigen teilt der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen die Auffassung der belangten Behörde hinsichtlich der Ermittlung des maßgeblichen Einkommens:

Gemäß § 4 Abs. 4 der RL gilt als Einkommen das Nettoeinkommen nach Maßgabe des § 292 ASVG, ausgenommen gemäß § 292 Abs. 8 ASVG (bzw. der jeweiligen Parellelbestimmungen in den anderen Sozialversicherungsgesetzen). Damit knüpfen die RL am Ausgleichszulagenrecht an, wogegen der Verwaltungsgerichtshof angesichts des § 136 Abs. 5 ASVG (arg."besondere soziale Schutzbedürftigkeit des Versicherten") im Grundsatz keine Bedenken hegt.

Gemäß § 292 Abs. 3 erster Satz ASVG ist das Nettoeinkommen, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge. Damit knüpft das Gesetz zwar nicht im Wege einer ausdrücklichen Verweisung, aber dem Wortlaut nach am Begriff der Einkünfte des § 2 Abs. 2 EStG 1988 an. Dies ergibt sich nicht nur aus der Formulierung, sondern auch aus der Überlegung, dass nur im Wege einer solchen Anknüpfung auch die Definition der Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 4 EStG, als der "Gewinn (§§ 4 - 14)" bzw. der "Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten", herangezogen werden kann und damit erst auch eine Berücksichtigung der im Einkommensteuerrecht vorgesehenen gewinnmindernden Ausgaben ermöglicht wird (vgl. zur vergleichbaren Verweisung des § 76a ASVG die hg. Erkenntnisse vom , 89/08/0214, und vom , 95/08/0275, 0276). Daraus ergibt sich aber auch, dass das Nettoeinkommen iS des § 292 Abs. 3 erster Satz ASVG einen anderen Umfang hat als der (von den Einkünften zu unterscheidende) Einkommensbegriff des § 2 Abs. 2 EStG: insbesondere die Sonderausgaben (einschließlich der Verlustabzüge für vergangene Jahre iS des § 18 Abs. 6 EStG), außergewöhnlichen Belastungen und Freibeträge nach §§ 104 und 105 EStG sind gemäß § 292 ASVG nicht (einkommensmindernd) zu berücksichtigen, sondern lediglich die gesetzlich geregelten Abzüge (zB Steuern, Sozialversicherungsbeiträge). Ebenso teilt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung des OGH (vgl. U , 10 Ob S 245/90, ebenso , 10 Ob S 300/90), dass steuerliche Abschreibungen, die nur aus wirtschaftspolitischen Gründen vorgesehen sind, im hier maßgebenden Zusammenhang ebenso wenig berücksichtigt werden können wie zB Einkünfte, die wegen der Bildung von Investitionsfreibeträgen steuerfrei bleiben (Investitionsrücklagen, Investitionsfreibeträge, Investitionsanreize in Form vorzeitiger Abschreibungsmöglichkeiten uä).

Was die (normale) Abschreibung für Abnutzung (AfA) betrifft, so weicht die belangte Behörde dadurch, dass sie diese nicht als einkommensmindernd anerkennt, vom steuerlichen Gewinnbegriff (und damit von dem vom Verordnungsgeber in § 4 Abs. 4 RL iVm § 292 Abs. 3 ASVG ersichtlich gewählten System) ab, ohne dass dies ausdrücklich in der RL zugelassen würde. Auch kann nicht generell gesagt werden, dass der AfA keine tatsächliche Ausgabe gegenübersteht, wenngleich dadurch Ausgaben, die in einem Wirtschaftsjahr getätigt worden sind, auf mehrere Wirtschaftsjahre verteilt werden: Die Berücksichtigung der AfA führt im Jahr der tatsächlichen Ausgabe zu einer Benachteiligung des Betroffenenen, welcher in allen anderen Jahren, in denen der AfA keine tatsächlichen Ausgaben mehr gegenüberstehen, eine entsprechende Begünstigung gegenübersteht, wobei sich Verschiebungen dann ergeben, wenn - wie offenbar hier - ein Anlagegut im Kreditwege finanziert wurde und dafür die zur Tilgung erforderlichen Zahlungen ebenfalls auf mehrere Jahre verteilt aufgebracht werden müssen. Es kann daher nicht die Rede davon sein, dass die AfA eine aus wirtschaftspolitischen Gründen eingeräumte Steuerbegünstigung im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung wäre. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine ausdrückliche Anordnung der Nichtberücksichtigung der AfA in der RL von der gesetzlichen Ermächtigung, insbesondere auch unter Berücksichtigung des § 136 Abs. 5 ASVG, gedeckt und - bejahte man dies - sachlich und damit vor dem Gleichheitssatz unbedenklich wäre. Das Fehlen einer solchen Anordnung schließt es jedenfalls aus, eine bei Ermittlung der steuerpflichtigen Einkünfte zugelassene, einer tatsächlichen Betriebsausgabe entsprechende steuerliche Abschreibung bei der Ermittlung des Nettoeinkommens im Sinne des § 292 Abs. 3 ASVG nicht einkommensmindernd zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das auf Ersatz der Beschwerdegebühr gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Gebührenfreiheit des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens abzuweisen (§ 110 ASVG).

Wien, am