VwGH vom 16.07.2003, 2002/01/0592
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des G in H, vertreten durch Winkler - Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom , Zl. III- 152.01-42/02, betreffend Verpflichtung zur erkennungsdienstlichen Behandlung und Ladung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer "gemäß § 77 Abs 2 und 3 Sicherheitspolizeigesetz, BGBl Nr 566/1991, iVm § 65 Abs 1 und 4 SPG und § 19 AVG" auf, binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides beim Bezirksgendarmeriekommando in Bregenz zu erscheinen und sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen. Laut Mitteilung der Stadtpolizei Dornbirn sei der Beschwerdeführer am wegen eines Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch angezeigt worden. Überdies schienen hinsichtlich des Beschwerdeführers laut Auskunft des Strafregisteramtes der Bundespolizeidirektion Wien drei rechtskräftige Verurteilungen durch das Landesgericht Feldkirch auf, und zwar vom wegen §§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 4 und 129 Z 1 und 2 StGB, vom wegen §§ 12, 15, 127, 129 Z 1 und § 295 StGB sowie vom wegen §§ 15, 127, 129 Z 1 und 2 und 130 StGB. Auf Grund der drei rechtskräftigen Verurteilungen sowie auf Grund des Verdachtes des Vergehens nach § 27 SMG sei es erforderlich, um in Zukunft die Begehung weiterer gefährlicher Angriffe zu vermeiden, dass sich der Beschwerdeführer einer erkennungsdienstlichen Behandlung unterziehe, damit die im Jahr 1995 ermittelten erkennungsdienstlichen Daten aktualisiert werden könnten. Die mehrfachen Verurteilungen iVm der neuerlichen Anzeige nach § 27 SMG rechtfertigten die Annahme, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft gefährliche Angriffe begehen werde; eine erkennungsdienstliche Behandlung diene der Vorbeugung neuerlicher gefährlicher Angriffe "im Sinne des § 17 Abs. 2 StBG".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß der Begründung des bekämpften Bescheides geht es im vorliegenden Fall um die Aktualisierung von 1995 ermittelten erkennungsdienstlichen Daten. Auch die Beschwerde weist darauf hin, dass bereits 1995 erkennungsdienstliche Daten des Beschwerdeführers ermittelt worden seien. Sie bringt davon ausgehend zutreffend § 70 Abs. 3 erster Satz SPG ins Spiel, wonach jede Sicherheitsbehörde ermächtigt ist, erkennungsdienstliche Daten, die sie verarbeitet hat, zu aktualisieren, wenn sie aktuellere Daten rechtmäßig ermittelt hat. Indem die genannte Bestimmung ohne eine Sonderregelung für "Aktualisierung" auf die rechtmäßige Ermittlung aktuellerer Daten abstellt, verweist sie auf die - gleichfalls keine Sonderregelung für eine "Aktualisierung" enthaltenden - §§ 65 ff. SPG. Im Ergebnis ist daher auch die vorliegende, Aktualisierungszwecken dienende erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers am Maßstab des § 65 Abs. 1 SPG zu messen.
Die belangte Behörde hat erkannt, dass sie sich an § 65 Abs. 1 SPG zu orientieren hat. Sie hat indes, wie die Wiedergabe des Wortlautes dieser Bestimmung in der Begründung des bekämpften Bescheides zeigt, eine im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides nicht mehr aktuelle Fassung - nämlich jene der Novelle BGBl. I Nr. 85/2000 - zu Grunde gelegt. Seit (vgl. § 94 Abs. 15 SPG) steht § 65 Abs. 1 SPG jedoch in der Fassung der Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 104/2002, in Kraft und lautet wie folgt:
"Erkennungsdienstliche Behandlung
§ 65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der im Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn er im Rahmen einer kriminellen Verbindung tätig wurde oder dies sonst auf Grund von Umständen in der Person des Betroffenen oder nach der Art der begangenen mit Strafe bedrohten Handlung zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint."
Die ErläutRV der Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002 (1138 BlgNR 21. GP 33) begründen die Änderung des § 65 Abs. 1 SPG folgendermaßen:
" Durch die SPG-Novelle 1999, BGBl. I Nr. 146/1999, wurde der Zweck der erkennungsdienstlichen Behandlung, nämlich die Vorbeugung einzelner gefährlicher Angriffe oder gefährlicher Angriffe, die im Rahmen einer kriminellen Verbindung begangen werden, stärker hervorgehoben. Eine erkennungsdienstliche Behandlung bei Verdacht einer Einzelstraftat ist daher nach dieser Bestimmung auf jeden Fall zulässig, wenn beim Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr oder der Gefahr der Begehung anderer gefährlicher Angriffe bestehen. Für bestimmte Deliktsbereiche ist jedoch darüber hinaus eine allgemeine (statistische) Rückfallsgefahr typisch (vgl. die EB zum Erkennungsdienst zur RV 1991, 148 BlgNR, XVIII. GP, die die Rückfallsgefahr jedoch nicht auf bestimmte Deliktsbereiche bezogen). Durch die vorgeschlagene Einfügung soll nunmehr klargestellt werden, dass nicht nur Umstände beim Betroffenen sondern auch die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig ist, eine Vorbeugungsaufgabe durch Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung begründen können. Hierbei kommen die Art des begangenen Delikts sowie konkrete Umstände bei der Tatbegehung als Maßstab für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe in Frage. Selbstverständlich ist stets auch die Verhältnismäßigkeit (vgl. die §§ 51 und 29) in die Beurteilung der Zulässigkeit der Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung einzubeziehen."
Nimmt man diese Erläuterungen wörtlich, so wäre bereits nach bisheriger Rechtslage bei Verdacht einer Einzelstraftat die Vornahme einer erkennungsdienstlichen Behandlung "auf jeden Fall zulässig", wenn beim Betroffenen konkrete Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr oder der Gefahr der Begehung anderer gefährlicher Angriffe bestehen. Das entspricht allerdings nicht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, der zufolge ausgehend vom Erfordernis, dass diese erkennungsdienstliche Behandlung "zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint" und der im § 65 Abs. 5 zweiter Satz SPG getroffenen Anordnung, wonach der Betroffene im Zusammenhang mit der erkennungsdienstlichen Behandlung darauf hinzuweisen ist, dass die erkennungsdienstliche Behandlung deshalb erfolgte, um der Begehung gefährlicher Angriffe durch sein Wissen um die Möglichkeit seiner Wiedererkennung entgegenzuwirken, ergänzend auf diese spezifische Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung zur Verhinderung weiterer gefährlicher Angriffe durch das Wissen um die Möglichkeit einer Wiedererkennung abzustellen ist (vgl. die zur Rechtslage vor der Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2002 ergangenen hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2002/01/0320, oder vom , Zl. 2001/01/0473).
Auch in der nunmehr zu beurteilenden neuen Fassung des § 65 Abs. 1 SPG kommt es - ua. - darauf an, dass die erkennungsdienstliche Behandlung "zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint". Die erwähnte Anordnung des § 65 Abs. 5 zweiter Satz SPG ihrerseits blieb unverändert aufrecht. Ungeachtet der zitierten Erläuterungen sieht der Verwaltungsgerichtshof daher keinen Anlass, von seiner bisherigen Judikatur - im eben dargestellten Sinn - abzugehen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes ist es demnach für die Zulässigkeit einer erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 65 Abs. 1 SPG weiterhin erforderlich, dass eine konkrete fallbezogene Prognose getroffen wird, wobei sich die Behörde mit den Einzelheiten des von ihr im Sinne der ersten Voraussetzung des § 65 Abs. 1 SPG angenommenen Verdachtes, mit den daraus unter Bedachtnahme auf die Persönlichkeit des Betroffenen zu ziehenden Schlüssen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass er gefährliche Angriffe begehen werde, und mit der Frage des daraus abzuleitenden Erfordernisses einer "Vorbeugung" durch eine erkennungsdienstliche Behandlung auseinander zu setzen hat (vgl. dazu das schon erwähnte Erkenntnis vom ). Im Rahmen dieser so anzustellenden Überlegungen wird es immer auch auf die Art des Deliktes, dessen der Betroffene verdächtig ist, ankommen. Das stellt der neue Wortlaut des § 65 Abs. 1 SPG ausdrücklich klar. Ob das freilich nicht schon auf Basis der bisherigen Rechtslage so gesehen werden musste, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. Jedenfalls verbietet auch die aktuelle Textierung des § 65 SPG eine rein abstrakte Betrachtungsweise, was insoweit mit den oben wiedergegebenen Erläuterungen im Einklang steht, als dort neben der Art des begangenen Delikts die konkreten Umstände bei der Tatbegehung als Maßstab für die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer gefährlicher Angriffe als Parameter genannt werden.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde nur auf die erfolgte Anzeige nach § 27 Abs. 1 SMG hingewiesen und nur die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers aus den Jahren 1995 und 1996 (ohne Angabe der konkret verhängten Strafen; sie werden erst in der Gegenschrift angeführt) festgestellt. Wie die Beschwerde richtig aufzeigt, ist im Hinblick auf die alternativen Begehungsweisen des Deliktes nach § 27 Abs. 1 SMG einerseits und auf § 16 Abs. 2 Z 3 SPG andererseits nicht einmal klargestellt, ob der Beschwerdeführer überhaupt aktuell in Verdacht steht, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben. Dass die Beantwortung dieser Frage für die anzustellende Prognose von essentieller Bedeutung ist, versteht sich von selbst. Aber auch davon abgesehen erfüllen die von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen die oben dargestellten Anforderungen an die gesetzlich gebotene Prognose nicht. Da die belangte Behörde dies nicht erkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der begehrte Zuspruch einer Einzahlungsgebühr in § 48 Abs. 1 VwGG keine Deckung findet.
Wien, am