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VwGH vom 07.10.2003, 2002/01/0550

VwGH vom 07.10.2003, 2002/01/0550

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Thoma und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des D in S, geboren 1960, vertreten durch Dr. Edwin Schubert, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 21, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 206.670/2- XI/33/99, betreffend §§ 7, 8 und 15 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der gegenständlichen Anfechtung (Spruchpunkt I.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Behauptungen zufolge ein Staatsangehöriger von Angola, reiste am in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Diesen Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid des Bundesasylamtes Berufung. In der Berufungsverhandlung vom gab er im Wesentlichen Folgendes an (VL = Verhandlungsleiter, AW = Beschwerdeführer):

"...

AW: Ich bin geflüchtet, weil ich Angst gehabt habe, dass ich

getötet werde. Mein Vater und meine Mutter wurden getötet, ich

glaubte, dass ich nun an der Reihe wäre.

...

AW: Es war Bürgerkrieg und nach den Wahlen, die die UNITA verloren hat. Es waren in meinem Gebiet große Unruhen. Jemand von der Partei, die gewonnen hat, hat meine Familie umgebracht. Das ist alles in Luanda, in der Hauptstadt passiert.

VL: In welchem Jahr war das?

AW: Gleich nach der Wahl im Oktober 1992.

VL: Wissen Sie, warum Ihre Eltern getötet wurden?

AW: Ich kenne den wahren Grund nicht. Es ist aber anzunehmen, dass sie getötet wurden, weil sie der UNITA angehörten. Es sind sehr viele gestorben, die der UNITA angehört haben.

VL: Wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt?

AW: Ich war gerade unterwegs und habe für die Partei UNITA

geworben.

VL: Nach der Wahl? Hatte das einen Sinn?

AW: Es war an und für sich keine Wahlpropaganda, sondern nur

eine Propaganda für die Partei.

VL: In welcher Weise haben Sie geworben?

AW: Ich war in Luanda unterwegs, in der Stadt. Die Propaganda bestand darin, dass Angehörige der UNITA durch die Straßen zogen und lautstark kundtaten, dass das Wahlergebnis manipuliert war.

...

VL: Können Sie mir den Vorfall, bei dem Ihre Eltern getötet wurden, detailliert schildern?

AW: Ich kann dazu nichts sagen, ich kann es mir nur so erklären, weil mein Vater die UNITA unterstützt hat.

VL: Warum konnten Sie das in Traiskirchen detailliert schildern und jetzt nicht?

AW: Wir haben sehr viel Propaganda für diese Wahlen gemacht. In Luanda waren sehr viele Leute auf der Seite der MPLA. Diese Leute der MPLA hielten auch genau Ausschau, wo sich die Leute der UNITA aufhielten. Als die UNITA verlor, waren wir sehr aufgebracht, wir haben viel geredet. Die MPLA wollte die Mitglieder der UNITA töten.

...

AW: Als ich in der Stadt war, wollte ich in das Haus meiner Eltern gehen. Als ich in dessen Nähe war, warnten mich die Leute, dass ich nicht näher hingehen sollte, denn ich würde Gefahr laufen, getötet zu werden. Ich habe das nicht geglaubt, ich sagte, ich müsse dorthin gehen, um zu sehen was los war. Als ich dann in der Nähe des Hauses war, sagten die Leute, die darum standen, dass auch ich zu der UNITA gehörte. Ich wollte flüchten. Dort war ein Mensch, der eine Pistole hatte, der schoss mir ins Bein.

...

AW: Nachdem mir ins Bein geschossen wurde, ging ich zu meinem Schwiegervater, der mir sagte, ich solle aus dem Land verschwinden. Dann ging ich nach Uige. Als ich dort ankam, wendete ich mich an einen Krankenpfleger, der mir mein Bein operierte und behandelte. Ich habe drei Jahre in Uige gelebt, das Leben dort war sehr schwer. 1995 kehrte ich wieder nach Luanda zurück.

VL: In Uige wurden Sie auch verfolgt?

AW: Nein, aber das Leben war sehr schwierig. Ich kehrte nach Luanda zurück, weil ich mir dort ein besseres Leben erhoffte.

VL: Was passierte dann in Luanda ?

AW: Im Mai 1995 war ich mit meiner Frau und meinen 2 Kindern in Luanda, ich hatte gedacht, dass sich die Situation dort gebessert hatte. Nach etwa 3 Tagen ging ich durch die Straßen. Ich sah einen Jeep mit Rauchglasscheiben, aus diesem stiegen 2 Leute aus, die mich mit einer Waffe zum Einsteigen in das Fahrzeug nötigten. ... Sie nahmen mich mit, ich wusste nicht, wohin. Ich kam in ein Haus oder eine Wohnung (Casa). Sie nahmen mir die Augenbinde ab, setzten mich auf einen Sessel und sagten mir, es wäre gut, wenn ich aus der UNITA aussteigen würde, da es mich ansonsten mein Leben kosten könnte. Daraufhin verließ derjenige, der mich in den Raum gebracht hatte, den Raum, schloss die Türe und ließ mich alleine. Die Situation war bedrohlich, ich wusste nicht, was ich von diesen Leuten halten sollte. Ich hatte ihnen zwar gesagt, dass ich die UNITA verlassen wollte, da ich glaubte, dass sich diese Situation ständig wiederholen würde. Als ich alleine war, versuchte ich mich zu befreien, es gelang mir. Ich konnte dann auch die verschlossene Türe aufbrechen und zu meinem Schwiegervater flüchten. Mein mittlerweile verstorbener Schwager gehörte der MPLA an. Mein Schwager hat gefragt, was passiert sei, er hat mir auch empfohlen, das Land zu verlassen, weil ich sonst umgebracht werden würde.

...

VL: Wieso sind Sie nicht nach Uige zurückgegangen? Sie haben selber angegeben, dass Ihnen in Uige nichts passiert ist?

AW: Weil mein Schwager mir gesagt hat, dass selbst die Reise nach Uige sehr gefährlich sein würde, ich schon bei dieser getötet werden könnte.

..."

Nach Schluss der Berufungsverhandlung veranlasste die belangte Behörde eine Untersuchung der vom Beschwerdeführer vorgelegten angolanischen Identitätskarte durch die kriminaltechnische Abteilung des Bundeskriminalamtes. Gemäß dem von dieser Abteilung erstatteten Untersuchungsbericht vom ist "das fragliche Formular ... nach dem derzeitigen Kenntnisstand authentisch", jedoch sei eine Lichtbildauswechslung vorgenommen worden.

Mit dem hier angefochtenen Spruchpunkt I. ihres Bescheides vom wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den eingangs genannten Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 7 AsylG ab. Des Weiteren stellte sie gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola nicht zulässig sei und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 15 Abs. 2 iVm § 8 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis (Spruchpunkte II. und III.)

Die belangte Behörde traf zunächst Feststellungen zur politischen und humanitären Lage in Angola. Demnach sei die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln in ganz Angola vor dem Hintergrund des anhaltenden Bürgerkrieges als sehr kritisch zu bezeichnen; zwar habe sich die asyl- und abschieberelevante Lage mit der Aufgabe des bewaffneten Kampfes durch die Rebellenorganisation UNITA nach dem Tod ihres Anführers Savimbi im Februar 2002 grundlegend geändert; eine Wiederaufnahme des bewaffneten Konflikts sei nicht mehr wahrscheinlich und damit habe das Frühjahr 2002 eine entscheidende Wende zum Positiven gebracht; ungeachtet dessen sei es aber noch zu früh, die Dauerhaftigkeit der Verbesserung der Sicherheitslage endgültig zu beurteilen; die humanitäre Notlage der ca. 4,5 Millionen Vertriebenen, die der Krieg ausgelöst habe, habe sich 2001 noch einmal drastisch verschlechtert und dürfte sich erst langsam abbauen.

Die belangte Behörde stellte weiters - gestützt auf den zuvor genannten Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes - fest, dass am Lichtbildausweis/der angolanischen Identitätskarte des Beschwerdeführers eine Lichtbildauswechslung vorgenommen worden sei. Im Hinblick darauf und mangels Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers könnten seine Identität und seine Staatsangehörigkeit nicht festgestellt werden. Durch die Vorlage des verfälschten Personalausweises sei die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im Allgemeinen und im Speziellen bezüglich seiner Identität und Staatsangehörigkeit erschüttert. Auch die behaupteten Fluchtgründe könnten nicht festgestellt werden, weil sich das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers - aus im Einzelnen näher ausgeführten Erwägungen - als gänzlich unglaubwürdig erweise. Angesichts dessen sei eine Asylgewährung - so die belangte Behörde rechtlich - ausgeschlossen. Selbst bei hypothetischer Annahme der Richtigkeit des erstatteten Vorbringens läge (jedoch) keine asylrelevante Verfolgung vor, da der Beschwerdeführer einerseits gemäß seinen Angaben bereits in Uige unbehelligt habe leben können (weshalb eine "inländische Fluchtalternative" vorliege) und andererseits die aktuelle Lage in Angola "einer Verfolgung entgegenspräche".

Den Ausspruch nach § 8 AsylG (Spruchpunkt II. ihres Bescheides) begründete die belangte Behörde damit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach siebenjährigem Aufenthalt im Ausland von der extremen Gefahrenlage auf Grund der weiterhin schlechten Versorgungslage in Angola, die sich durch die aktuelle Hungersnot im südlichen Afrika noch massiv verschlimmern dürfte, besonders betroffen wäre, auch unter Berücksichtigung seiner Sorgepflichten für seine Frau und seine drei minderjährigen Kinder.

Über die gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - über die gegen die Spruchpunkte II. und III. zur hg. Zl. 2002/01/0430 erhobene Amtsbeschwerde wird gesondert erkannt - erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt zutreffend, dass ihm zum Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes vom kein Gehör eingeräumt worden ist. Gestützt auf diesen Untersuchungsbericht legte die belangte Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde, dass am Lichtbildausweis/der angolanischen Identitätskarte des Beschwerdeführers eine Lichtbildauswechslung vorgenommen worden sei. Sie gelangte, im Wesentlichen von dieser Lichtbildauswechslung ausgehend, weiter zu dem Ergebnis, dass die Identität und die Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden könnten, weil durch die Vorlage des verfälschten Personalausweises die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im Allgemeinen und speziell bezüglich seiner Identität und Staatsangehörigkeit erschüttert worden sei. Unter ergänzender Bezugnahme auf die Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde im Rahmen ihrer beweiswürdigenden Erwägungen überdies (ua.) aus, es sei anzunehmen, dass der Beschwerdeführer gar nicht aus Angola stamme, da sein Portugiesisch nur sehr schlecht sei; es sei durchaus denkbar, dass er aus einem französischsprachigen Land stamme; dies würde auch die Vorlage eines verfälschten Dokumentes erklären.

Der Beschwerdeführer hält den wiedergegebenen Überlegungen der belangten Behörde entgegen, dass er bei Vernehmung zum Faktum "verfälschter Lichtbildausweis" zu seiner Identität hätte Stellung nehmen und zur Untermauerung seiner Glaubwürdigkeit im Einzelnen näher angeführte, seine Identität bezeugende Urkunden hätte vorlegen können. Außerdem übergehe die belangte Behörde, dass sich auf dem fraglichen Personalausweis auch ein Fingerabdruck befinde, sodass "durch Überprüfung meines Fingerabdruckes die Richtigkeit des Personalausweises jedenfalls bewiesen" hätte werden können.

Mit diesen Ausführungen legt der Beschwerdeführer die Relevanz des vorliegenden Verfahrensmangels dar, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Bedachtnahme auf die angesprochenen Umstände zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Wohl hat sie ihre Beweiswürdigung insgesamt auch auf diverse Ungereimtheiten in den Aussagen des Beschwerdeführers vor den Asylbehörden gestützt, es ist aber nicht ersichtlich, dass allein diese Ungereimtheiten - unterstellt man geklärte Identität des Beschwerdeführers und seine angolanische Staatsangehörigkeit - die Beurteilung, der Beschwerdeführer sei zur Gänze unglaubwürdig, getragen hätten.

Nach dem Gesagten ist das Schicksal der bekämpften Asylentscheidung von der behördlichen Eventualbegründung abhängig, wonach bei hypothetischer Annahme der Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers einerseits in Uige, wo er unbehelligt habe leben können, eine "inländische Fluchtalternative" vorliegen würde und andererseits "die aktuelle Lage in Angola einer Verfolgung entgegenspräche". Diesen Erwägungen ist indes schon im Ansatz entgegenzuhalten, dass die belangte Behörde unter Spruchpunkt II. ihres Bescheides gestützt auf die "extreme Gefahrenlage" in Angola eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in diesen Staat gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG für nicht zulässig erachtete. Damit sind die Annahmen, es liege eine "inländische Fluchtalternative" vor bzw. es sei eine relevante Lageänderung (im Sinn des Art. 1 Abschnitt C Z 5 der FlKonv) eingetreten, nicht in Einklang zu bringen (vgl. zum Einen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/20/0111, zum Anderen etwa UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Artikels 1 C (5) und (6) des Abkommens von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, Pkt. 15), weshalb die Asylentscheidung auch von da her keinen Bestand haben kann und der bekämpfte Spruchpunkt I. des Bescheides vom wegen der insoweit prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer steht neben dem Pauschbetrag für den Schriftsatzaufwand nicht zu. Wien, am