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VwGH vom 29.03.2000, 98/08/0203

VwGH vom 29.03.2000, 98/08/0203

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

98/08/0215 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde der A, vertreten durch Dr. H und Dr. P, Rechtsanwälte in I, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Salzburg vom , Zl. LGSSBG/5/1218/1997, VNR.: 6542 , betreffend Anspruch auf Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes gemäß § 7 AlVG mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt keine Folge gegeben. In der Begründung wurde nach auszugsweiser Wiedergabe des § 7 AlVG ausgeführt, die Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführerin sei nur für den "privaten Aufenthalt" ausgestellt worden.

Mit Schreiben vom an diese regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice gab die Beschwerdeführerin bekannt, dass sie den Antrag auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes damit begründet habe, dass sie in den letzten Jahren insgesamt mehr als 52 Wochen gearbeitet habe und daher die Anwartschaft erfülle. Sie sei auch zum Aufenthalt in Österreich berechtigt. Die ihr erteilte Aufenthaltsbewilligung werde gleichzeitig vorgelegt. Darüber hinaus sei sie als türkische Staatsangehörige, die bereits mehr als vier Jahre in Österreich lebe, auf Grund des "Assoziationsabkommen" Österreichern gleichzustellen.

Gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Darin macht sie im Wesentlichen geltend, § 7 AlVG sei verfassungswidrig. Wer "Arbeitslosengeld" einzahle, habe auch bei allgemeinen Voraussetzungen Anspruch auf Auszahlung eines solchen. Es sei unbestritten, dass die Beschwerdeführerin sich legal auf Grund der Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in Österreich aufhalte und daher die Voraussetzungen auch des § 7 Abs. 4 AlVG erfülle.

Die belangte Behörde gab dieser Berufung mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. In der Begründung führte sie nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens und auszugsweiser Wiedergabe des § 7 AlVG aus, die regionale Geschäftsstelle habe durch Einsicht in den Reisepass der Beschwerdeführerin festgestellt, dass sie eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "privater Aufenthalt" besitze. Dabei handle es sich nicht um eine der im § 7 Abs. 4 Z. 1 bis 3 taxativ genannten Aufenthaltsbewilligungen. Mit der von der Beschwerdeführerin in Kopie vorgelegten Aufenthaltsbewilligung dürfe sie nach den Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes keine Beschäftigung aufnehmen.

Die regionalen Geschäftsstelle habe darüber hinaus einen möglichen Anspruch auf Arbeitserlaubnis bzw. einen Befreiungsschein geprüft. Es seien sämtliche Beschäftigungen der Beschwerdeführerin in Österreich herangezogen worden und zwar vom bis in der Dauer von 119 Tagen, vom bis in der Dauer von 120 Tagen und vom bis in der Dauer von 121 Tagen. Für einen Anspruch auf Befreiungsschein hätte die Beschwerdeführerin während der letzten acht Jahre mindestens fünf Jahre im Bundesgebiet erlaubt beschäftigt sein müssen.

Der Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis setze in den letzten 14 Monaten insgesamt 52 Wochen, das seien 364 Tage, erlaubter Beschäftigung voraus. Die Beschwerdeführerin habe jedoch nur 360 Tage gearbeitet.

Die Beschwerdeführerin erfülle daher auch nicht die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 Z. 6 AlVG, wonach Ausländer, die eine Arbeitserlaubnis bzw. einen Befreiungsschein besitzen, Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.

Auch die Bestimmungen des Assoziationsabkommens zwischen der EWG und der Türkei kämen nicht zum Tragen, weil die Beschwerdeführerin die nach Art. 6 Abs. 1 letzter Satz erforderlichen vier Jahre ordnungsgemäßer Beschäftigung im Mitgliedstaat nicht erfülle. Auch Art. 7 des genannten Abkommens treffe nicht zu. Nach dieser Bestimmung hätten nur Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Voraussetzung sei, dass die Familienangehörigkeit innerhalb der genannten Zeit durchgehend bestanden habe. Durch die Scheidung von dem Ehegatten, von welchem als Bezugsperson das Recht abgeleitet werde, falle auch der freie Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates weg. Im Akt liege eine Kopie eines Scheidungsurteiles, wonach die Beschwerdeführerin seit dem von ihrem Gatten geschieden sei. Da die Beschwerdeführerin sich erst seit 1994 durchgehend in Österreich aufhalte (erste Aufenthaltserlaubnis im Reisepass ab ) habe sie weder die Voraussetzungen nach dem Art. 6 noch die nach dem Art. 7 des Assoziationsabkommens EWG-Türkei erfüllt.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte deren Behandlung ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom , B 1345/97).

Vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht, Arbeitslosengeld im beantragten Zeitraum zu erhalten, verletzt. Sie beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Die Beschwerdeführerin replizierte auf die Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall steht in Streit, ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld ab dadurch erfüllt, dass sie eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck "privater Aufenthalt" besitzt, nicht aber eine der im § 7 Abs. 4 AlVG in der Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201/1996, aufgezählten Aufenthaltsberechtigungen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon wiederholt ausgesprochen, dass im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte des § 7 AlVG i.d.F. des Strukturanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 201/1996, davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber mögliche andere als die dort aufgezählten Aufenthaltstitel nicht bedacht hat (vgl. die Erkenntnisse vom , 98/08/0033, vom , 98/08/0130, und vom , 96/08/0314). Im letztzitierten Erkenntnis vom , 96/08/0314, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung dargelegt, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Gaygusuz gegen Österreich, JBL 1997, 364 = ÖJZ 1996/37) und des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis vom , G 363-365/97 u.a.), wonach die Notstandshilfe als (teilweise) beitragsfinanzierte Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung den Eigentumsschutz des - in Österreich im Verfassungsrang stehenden - Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK genießt, auf das Arbeitslosengeld (argumentum a minori ad majus) zu übertragen ist und u.a. zur Konsequenz hat, dass der Gesetzgeber diese Rechte nach Art. 14 EMRK ohne Benachteiligung die im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist, zu gewährleisten hat.

Diese hindert - wie der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis weiter betonte - freilich weder die Vollziehung gesetzlich vorgesehener fremdenpolizeilicher Maßnahmen, noch bestehen an sich Zweifel daran, dass das Arbeitslosenversicherungsrecht an sich am Fremdenrecht anknüpfen darf, insoweit dies in sachlicher Weise geschieht.

Wer eine Beschäftigung aufnehmen "kann und darf", ist in § 7 Abs. 3 Z. 1 und 2 AlVG in der genannten Fassung des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, mit zwei Voraussetzungen näher definiert, nämlich mit dem "Bereithalten" zur Aufnahme einer solchen Beschäftigung, die den in dieser Bestimmung näher bezeichneten Kriterien entspricht, einerseits, und der Erlaubnis, sich im Inland dazu aufhalten zu dürfen, andererseits.

Es ist daher zwar nicht verfassungswidrig, wenn das Gesetz nun denjenigen Arbeitslosen, der sich im Ausland aufhält, mit jenem, der sich zwar tatsächlich im Inland aufhält, dies aber rechtlich nicht darf, der sich also - entgegen seinen Verpflichtungen - nicht in seinen Heimatstaat zurückbegibt, gleichstellt, sofern es nach dem Gesetz zulässig ist, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu setzen und zu vollstrecken, d.h. den Ausländer gegebenenfalls zwangsweise außer Landes zu schaffen.

In jenen Fällen jedoch, in denen sich ein Ausländer zwar einerseits formell nicht im Inland aufhalten darf, andererseits aber auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht gesetzt werden dürfen, trifft diese Argumentation nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof kam daher in dem erwähnten Erkenntnis vom , 96/08/0314, zu dem Ergebnis, dass nur unter der genannten Voraussetzung der Durchsetzbarkeit des "Auslandsaufenthaltes" keine im Sinne der Entscheidung des EGMR vom (Gaygusuz gegen Österreich) unsachliche Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit, sondern eine sachliche Anknüpfung am zulässigen Inlandsaufenthalt als einer unmittelbaren Bedingung für die Möglichkeit einer Vermittlung auf dem inländischen Arbeitsmarkt vorliege. Nur unter diesen Umständen verstieße der Ausschluss von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung weder gegen Art. 6 EMRK noch gegen Art. 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, jeweils i.V.m. Art. 14 EMRK bzw. das BVG zur Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung.

Diese Verfassungsrechtslage verbietet umso mehr den Ausschluss von der Gewährung von Arbeitslosengeld in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Arbeitslose sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung war. Auch aus dem Blickwinkel des vorliegenden Falles besteht somit kein Hindernis, eine sogar verfassungsrechtlich gebotene Ergänzung des § 7 Abs. 4 AlVG in der genannten Fassung dahingehend vorzunehmen, dass - vor dem Hintergrund der Zwecke der Arbeitslosenversicherung und der verfassungsrechtlichen Schranken, unter denen ihre beitragsfinanzierten Geldleistungen gesetzlich eingeschränkt oder aufgehoben werden dürfen - der Status eines Arbeitslosen, der über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt und sich erlaubterweise im Inland aufhält, jenem auf Grund eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 7 Abs. 4 AlVG (nämlich: im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verfügbarkeit) gleichzuhalten (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom , 97/08/0506, und vom , 98/08/0371, und vom , 99/03/0142). Abgesehen von den vorstehenden Erwägungen ist noch darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin als türkische Staatsangehörige das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom , über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und deren Familienangehörige, für sich in Anspruch nehmen kann (zur unmittelbaren Wirkung und Anwendbarkeit dieser Bestimmung vgl. nunmehr (Sürül), Rn. 57ff).

Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Der Schriftsatzaufwand nach § 48 Abs. 1 Z. 2 VwGG erfasst den gesamten Aufwand, der mit der Einbringung der Beschwerde verbunden war. Der Aufwand, der durch weitere Schriftsätze entsteht, ist daher nicht zu ersetzen.

Wien, am

Fundstelle(n):
QAAAE-45585