VwGH vom 24.06.2003, 2002/01/0081
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde 1. des D und
2. des D, beide in B, beide vertreten durch Mag. Gabriele Pfandlsteiner, Rechtsanwältin in 6900 Bregenz, St. Annastraße 1/III, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom , Zl. Ia 370- 272/2001, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom beantragte der Erstbeschwerdeführer die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und die Erstreckung der Verleihung auf seinen am in Innsbruck geborenen Sohn, den Zweitbeschwerdeführer. In dem für die Antragstellung verwendeten amtlichen Vordruck hielt er in der Rubrik "Aufenthaltszeiten (Hauptwohnsitze) im Ausland und in Österreich" Folgendes fest:
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"INNSBRUCK | 1989 - 96 |
VÖLS | |
BREGENZ | 1996 - laufend" |
Vor der Bezirkshauptmannschaft Bregenz gab der Erstbeschwerdeführer aus Anlass einer niederschriftlichen Einvernahme am zu seinen Aufenthaltszeiten und Aufenthaltsorten in Österreich an, er lebe schon "seit 1988 oder 1987" in Österreich. Unter Bezugnahme auf im Verwaltungsakt erliegende Meldebestätigungen heißt es in der Niederschrift weiter:
" bis in Innsbruck, ... str. 19
In dieser Zeit habe ich bei meiner Freundin in Polen gelebt. bis in Innsbruck, ... str. 19 seit in Bregenz - siehe Meldebestätigung."
Mit Bescheid vom wies die belangte Behörde den Verleihungsantrag gemäß §§ 10, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) und den Antrag auf Erstreckung der Verleihung gemäß §§ 17 und 18 leg. cit. ab. Sie führte zunächst aus, dass der am in Jugoslawien geborene Erstbeschwerdeführer seit ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich habe. Anschließend daran stellte sie fest, er habe (vorher) drei Jahre die Volksschule in Jugoslawien und zwei Jahre die Hauptschule in Österreich besucht, vom bis zum den Hauptwohnsitz in Innsbruck, ... str. 19, gehabt und dann vom bis zum bei einer Freundin in Polen gelebt. Seit dem sei der Erstbeschwerdeführer - nach vorangegangenen Beschäftigungen bei diversen Unternehmen - bei einer näher genannten GesmbH. als Verpacker beschäftigt. Eine Verständigung mit ihm in deutscher Sprache sei ungeachtet eines hörbaren Akzents sehr gut möglich, er sei jedoch nicht in der Lage, eine schriftliche Ausarbeitung in deutscher Sprache zu verfassen oder einen deutschen Text (schriftlich) wiederzugeben.
Die belangte Behörde stellte weiters fest, dass der Erstbeschwerdeführer bis zum über eine befristete "Aufenthaltsgenehmigung" verfüge und dass er mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 100 Tagessätzen verurteilt worden sei. Dieser Verurteilung habe zu Grunde gelegen, dass er am einen gefälschten polnischen Führerschein bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck vorgelegt hätte, um diesen auf einen österreichischen Führerschein umschreiben zu lassen. In einem weiteren Strafverfahren gegen den Erstbeschwerdeführer auf Grund einer am erstatteten Anzeige wegen des Verdachtes der gefährlichen Drohung sei - so die belangte Behörde weiter - gemäß § 6 Jugendgerichtsgesetz von einer Strafverfolgung abgesehen worden. Schließlich sei der Erstbeschwerdeführer wegen mehrerer am begangener Verkehrsdelikte sowie wegen einer Übertretung nach § 107 Abs. 1 Z 4 iVm § 31 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 (weil er sich im Zeitraum vom bis nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe) verwaltungsbehördlich bestraft worden.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass angesichts des wohl sechs aber noch nicht zehn Jahre währenden ununterbrochenen Hauptwohnsitzes des Erstbeschwerdeführers in Österreich eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nur bei Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes in Betracht komme. Ein solcher, insbesondere eine nachhaltige persönliche und berufliche Integration gemäß § 10 Abs. 5 Z 3 StbG, liege jedoch - aus näher dargestellten Gründen - nicht vor. Ungeachtet dessen komme auch eine Ermessensübung im Sinn des § 11 StbG zu Gunsten des Erstbeschwerdeführers nicht in Betracht. Er halte sich seit dem ohne Unterbrechung im Bundesgebiet auf und habe hier einen Teil der Schulausbildung absolviert; er sei seit dem als Verpacker beschäftigt; sein Sohn sei in Österreich geboren; er habe sich somit weitgehend an die österreichischen Verhältnisse angepasst. Dem stünde jedoch gegenüber, dass der Erstbeschwerdeführer ein Urkundendelikt, eine gefährliche Drohung sowie mehrere Verwaltungsübertretungen begangen habe. Gerade das vorsätzliche Vorlegen einer gefälschten ausländischen Urkunde zur Erlangung einer österreichischen Lenkerberechtigung zeige die negative Einstellung des Erstbeschwerdeführers. Unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Wohles und der öffentlichen Interessen wiege dieses Verhalten schwerer als seine bestehende Eingliederung. Eine Verleihung der Staatsbürgerschaft nach § 10 StbG - andere Verleihungstatbestände kämen von vornherein nicht in Betracht - scheide daher aus. Damit sei auch der Antrag auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft auf den Zweitbeschwerdeführer abzuweisen gewesen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde ging maßgeblich davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer vom bis zum seinen Hauptwohnsitz in Österreich gehabt habe und dass dieser Hauptwohnsitz nach einer knapp einmonatigen Unterbrechung am neu begründet worden sei. Dieser Beurteilung liegt erkennbar die Feststellung zu Grunde, dass der Erstbeschwerdeführer vom bis zum bei einer Freundin in Polen gelebt habe. Diese Feststellung ist indes - wie die Beschwerde im Ergebnis richtig aufzeigt - nicht geeignet, die Annahme, der Erstbeschwerdeführer habe seinen Hauptwohnsitz in Österreich am aufgegeben und erst wieder am begründet, zu tragen.
Art. 6 Abs. 3 B-VG normiert, dass der Hauptwohnsitz einer Person dort begründet ist, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, hier den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen. Gemäß § 1 Abs. 7 des Meldegesetzes 1991 (MeldeG) ist der Hauptwohnsitz eines Menschen an jener Unterkunft begründet, an der er sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, diese zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. Diese beiden Hauptwohnsitzdefinitionen gehen zwar auf miteinander in Zusammenhang stehende Gesetzesbeschlüsse zurück ( das Bundesverfassungsgesetz vom , BGBl. Nr. 504, einerseits bzw. das Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. Nr. 505/1994, andererseits), sie decken sich jedoch nicht völlig. Während § 1 Abs. 7 MeldeG eine "Unterkunft" voraussetzt, enthält Art. 6 Abs. 3 B-VG diese Einschränkung nicht und sieht die Begründung eines Hauptwohnsitzes überall "dort" vor, wo der faktische Lebensmittelpunkt besteht. Da man annehmen muss, dass mit dieser abweichenden Formulierung auch eine inhaltliche Divergenz verbunden ist (Thienel, Meldung und Hauptwohnsitz, JRP 1999, 127; die Frage offen lassend Schick/Wiederin, Landesbürgerschaft, Gemeindemitgliedschaft und Bundesverfassung - Überlegungen zum Wohnsitzbegriff des B-VG, ÖJZ 1998, FN 17; vgl. nunmehr auch die ErläutRV zu BGBl. I Nr. 28/2001 betreffend einen neu geschaffenen § 19a MeldeG, 424 BlgNR 21. GP 25), stellt sich die Frage, welcher Hauptwohnsitzbegriff dem StbG zu Grunde liegt. Angesichts dessen, dass das im Wesentlichen am in Kraft getretene Hauptwohnsitzgesetz neben der erwähnten Definition des Hauptwohnsitzes im MeldeG unter einem auch - mit Art. VII Z 2 - den Begriff des Hauptwohnsitzes in das StbG (anstelle des bis zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen "ordentlichen Wohnsitzes") einführte, läge der Schluss nahe, dass der Hauptwohnsitzbegriff des StbG jenem des MeldeG entspricht, sodass es zur Erfüllung der staatsbürgerschaftsrechtlichen "Wohnsitzfristen" jeweils auch einer aufrechten "Unterkunft" (iS des § 1 Abs. 1 MeldeG) bedürfte. Wie Thienel (aaO., 136 f.; insbesondere FN 50) vor allem mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte der einschlägigen Bestimmungen - während in der Regierungsvorlage zum Hauptwohnsitzgesetz (1334 BlgNR 18. GP) die insbesondere auf wahlrechtliche Gesetze Bezug nehmenden Artikel II bis VI hinsichtlich des Begriffs "Hauptwohnsitz" jeweils einen Verweis auf § 1 Abs. 7 MeldeG vorsahen, wurde dieser Verweis durch den Ausschuss als "entbehrlich" beseitigt, "da nunmehr die Definition des Hauptwohnsitzes in das B-VG Aufnahme gefunden hat" - jedoch überzeugend dargelegt hat, kommt dem engeren Hauptwohnsitzbegriff des MeldeG hingegen nur für das Melderecht Bedeutung zu, weshalb dem Ausdruck "Hauptwohnsitz" im Besonderen im Rahmen des Staatsbürgerschaftsrechtes das sich aus dem B-VG ergebende Verständnis zugrunde gelegt werden muss.
Dass der einmal an einem Ort begründete Hauptwohnsitz nicht durch jegliche Abwesenheit von diesem Ort wieder verloren geht, versteht sich von selbst. In diesem Sinn halten die insoweit auch für den Hauptwohnsitzbegriff des B-VG aussagekräftigen ErläutRV zum Hauptwohnsitzgesetz (1334 BlgNR 18. GP 13) fest, dass ein bestehender Hauptwohnsitz diese Qualifikation nicht bloß auf Grund einer vorübergehenden Tätigkeit des Betroffenen anderswo, etwa im Ausland, verliert, sofern der "Mittelpunktcharakter" des Hauptwohnsitzes erhalten bleibt. Aber auch eine "Abmeldung" bei der Meldebehörde führt nicht - ungeachtet ihres Indizcharakters - jedenfalls dazu, dass ein bestehender Hauptwohnsitz erlischt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/01/0030, oder das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 15.016).
Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass sich die belangte Behörde jedenfalls angesichts des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers, er lebe schon "seit 1988 oder 1987 in Österreich", näher mit seinen Lebensverhältnissen im fraglichen Zeitraum (April/Mai 1995) hätte beschäftigen müssen. Dies umso mehr, als er nach seinem knapp einmonatigen Aufenthalt in Polen gemäß der Aktenlage an seine alte Adresse in Innsbruck zurückkehrte und sich überdies offenkundig nicht durchgehend in Polen befand, sondern zwischenzeitig abermals in Innsbruck (zumindest am , vgl. die Feststellungen über die der Verurteilung nach § 223 Abs. 2 StGB zugrundeliegenden Tat) aufhältig war. Angesichts dieser Umstände hätte die belangte Behörde keinesfalls allein auf Grund dessen, dass der Erstbeschwerdeführer gemäß seinen eigenen Angaben während des fraglichen, sehr kurzen Zeitraums bei einer Freundin in Polen lebte und sich an seiner Adresse in Innsbruck polizeilich abgemeldet hatte, ohne weitere Ermittlungen von einer Aufgabe des Lebensmittelpunktes in Innsbruck ausgehen dürfen.
Legt man hypothetisch zu Grunde, dass der einmonatige Aufenthalt des Erstbeschwerdeführers in Polen keine Unterbrechung seines österreichischen Hauptwohnsitzes bewirkte, so käme es entscheidend darauf an, seit wann dieser Hauptwohnsitz bestand. Die belangte Behörde hat diesbezüglich nur für den Zeitraum ab eine Feststellung getroffen, sie enthielt sich aber einer Äußerung für den Zeitraum davor. Der weiteren Feststellung über den zweijährigen Hauptschulbesuch in Österreich lässt sich indes im Einklang mit den Behauptungen des Erstbeschwerdeführers entnehmen, dass er sich schon vor dem Jänner 1993 in Österreich aufgehalten und hier (möglicherweise) auch seinen - für die Zeit vor dem maßgeblichen (vgl. Art. VII Z 3 Hauptwohnsitzgesetz) - ordentlichen Wohnsitz begründet hatte. Stellte man insoweit auf die schon mehrfach erwähnte Behauptung, der Erstbeschwerdeführer lebe schon seit 1987/1988 in Österreich, ab, so ergäbe sich eine Wohnsitzfrist von (deutlich) mehr als zehn Jahren. Gegebenenfalls wäre der Verleihungsantrag des Erstbeschwerdeführers daher unter dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 1 StbG zu prüfen gewesen, weshalb seine Einbürgerung nicht das Vorliegen eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes nach § 10 Abs. 4 Z 1 leg. cit. erfordert hätte. Zwar ging die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung auch davon aus, dass sie ungeachtet des von ihr angenommenen Nichtvorliegens eines besonders berücksichtigungswürdigen Grundes jedenfalls im Grunde des § 11 StbG keine Ermessensentscheidung zu Gunsten des Erstbeschwerdeführers treffen könne, doch beruht dies maßgeblich auf der Annahme, er habe erst seit ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich. Da sohin im Hinblick auf das Vorgesagte auch die Ermessensübung insoweit auf einer nicht ausreichend tragfähigen Grundlage beruht, ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG aufzuheben war.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am