VwGH vom 30.09.1994, 93/08/0124
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des E in X, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom , Zl. Vd-3986/2, betreffend Zustimmung zur Übertragung eines Leistungsanspruches nach § 65 Abs. 2 GSVG (mitbeteiligte Partei: Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien V, Wiedner Hauptstraße 84-86), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am langte bei der mitbeteiligten Partei, die seit dem Beschwerdeführer eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gewährte, eine Zessionserklärung vom zwischen dem Beschwerdeführer und einer namentlich genannten Frau ein; das Schreiben lautet wie folgt :
"ZESSIONSERKLÄRUNG
Ich, E, erkläre hiemit, daß Frau I, mir in verschiedenen Teilbeträgen zur Abwendung gegen mich laufender Exekutionen ein Darlehen von S 80.000,-- zugezählt hat. Weiters hat sie mir den seit Jänner 1990 vereinbarten Untermietzins und Verköstigungsbeitrag von insgesamt S 1.200,-- gestundet, sodaß aus diesem Rechtsgrund ein Rückstand von weiteren S 14.400,-- entsteht.
Ich erkläre hiemit, den nach den Bestimmungen des Lohnpfändungsgesetzes pfändbaren Anteil meiner Pensionsansprüche zur Abdeckung der vorangeführten Forderungen zuzüglich 4 % Zinsen p.A. an Frau I unwiderruflich abzutreten."
Auf dieser (im Akt der mitbeteiligten Partei einliegenden) Zessionserklärung findet sich der handschriftliche Vermerk, daß der Zession nicht zugestimmt werde. Der Beschwerdeführer sei hievon schriftlich zu verständigen und darauf hinzuweisen, daß er selbst die Pension "aufteilen" solle.
Mit Schriftsatz vom ersuchte I unter Anschluß der Zessionserklärung vom , ihr den abzugsfähigen Teilbetrag der Geldleistung des Beschwerdeführers zu überweisen.
Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt wies mit Schreiben vom I darauf hin, daß keine Abzüge vorgenommen werden können, und ersuchte die Einschreiterin, sich diesbezüglich direkt an den Beschwerdeführer zu wenden.
Mit Schreiben vom verständigte die mitbeteiligte Partei den Beschwerdeführer, daß aufgrund der Exekution einer namentlich genannten betreibenden Partei die Anweisung des pfändbaren Teils der Pension ab an den Vertreter der betreibenden Partei erfolgen werde. In seinem Antwortschreiben vom vertrat der Beschwerdeführer die Auffassung, daß ein Differenzbetrag zwischen dem Pensionsbezug und den Freigrenzen des Lohnpfändungsgesetzes entsprechend der rangmäßig vorangehenden Zession vom an Frau I auszubezahlen wäre. Die mitbeteiligte Partei erklärte in ihrer Antwort vom , daß sie keine Geldverteilerfunktion übernehmen könne. Da der Zession vom nicht zugestimmt wurde - so führte die mitbeteiligte Partei weiters aus - würden die pfändbaren Beträge weiterhin der betreibenden Partei überwiesen werden. Mit Schreiben vom sprach sich die mitbeteiligte Partei gegen das Ansuchen des Beschwerdeführers um nachträgliche Zustimmung zur Zession aus Wirtschaftlichkeitsgründen aus.
Über Ersuchen des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der mitbeteiligten Partei vom der Antrag auf Zustimmung zur Übertragung eines Leistungsanspruches gemäß § 65 Abs. 2 GSVG abgelehnt. Begründend führte sie aus, daß ein Interesse gemäß § 65 Abs. 2 GSVG nicht habe festgestellt werden können, weil die Übertragung lediglich der Sicherstellung von Zahlungen für Leistungen diene, die dem Beschwerdeführer bereits zugeflossen seien. Darüber hinaus sei es nicht Aufgabe der mitbeteiligten Partei, durch Zustimmung zur Abtretung des Pensionsanspruches eventuelle Gläubiger des Anspruchsberechtigten in ihrem Recht auf Durchsetzung bestehender Rechtsansprüche zu beeinträchtigen.
Der Beschwerdeführer erhob fristgerecht Einspruch und machte geltend, daß nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen die Zession einer Forderung nicht der Zustimmung des debitor cessus bedürfe. Im Beschwerdefall resultiere die Darlehensforderung der I daraus, daß sie dem Beschwerdeführer ihre Ersparnisse zur Gründung einer neuen Existenz zur Verfügung gestellt habe. Aus Kostenersparnisgründen habe sie sich mit einer Zession zur Sicherung dieser Forderung zufriedengegeben. Aus diesem Grunde sei der genannte betreibende Gläubiger mit uralten Forderungen zum Zuge gekommen, obwohl die abschöpfbaren Beträge nicht einmal die Zinsen deckten und die Forderung dieses Gläubigers bereits intern wertberichtigt sei. Dies zeige, daß die Anwendung des § 65 GSVG hier zu höchst unbilligen Ergebnissen führe. Es könne nicht Aufgabe des Sozialversicherungsträgers sein, sich eine Entscheidung darüber anzumaßen, welcher von mehreren Gläubigern zum Zuge komme.
In ihrer Stellungnahme wies die mitbeteiligte Partei darauf hin, daß sie im Sinne des § 65 Abs. 2 GSVG zu prüfen habe, ob objektivierte schutzwürdige Interessen des Anspruchsberechtigten vorliegen. Sie habe weiters zu berücksichtigen, auf welche andere Weise der mit der Zession verfolgte wirtschaftliche Zweck hätte erzielt werden können. Eine solche Bedachtnahme habe ergeben, daß die durch den Abtretungsvertrag verfolgten Zwecke, nämlich die Entlastung der Darlehensverbindlichkeiten sowie die Abstattung der Mietrückstände, auch durch Bezahlung von den laufenden Pensionsbezügen hätte erreicht werden können. In der bloßen Entlastung einer offenen Darlehensverbindlichkeit sowie von Mietrückständen könne kein Zufließen des wirtschaftlichen Gegenwertes der Versicherungsleistung erblickt werden. Es sei zu erkennen gewesen, daß durch die Zustimmung zur Zession die drohende und inzwischen begonnene Exekutionsführung durch andere Gläubiger abgewehrt hätte werden sollen. Ab seien durch die Änderung der Exekutionsordnung keine pfändbaren Bezüge mehr vorhanden.
In der Gegenäußerung schränkte der Beschwerdeführer die Zession auf die Bezüge Oktober 1991 bis einschließlich Februar 1992 ein. Er machte geltend, daß er die Ansprüche der I anerkannt und sie auf seinen Pensionsbezug hingewiesen gehabt habe. Diese hätte gegen ihn einen Titel und die gerichtliche Pfändung und Überweisung erwirken können. I hätte einen erheblichen Informationsvorsprung von mehreren Monaten gegenüber den anderen betreibenden Gläubigern gehabt. Der Beschwerdeführer brachte weiters vor, daß die mitbeteiligte Partei in völlig willkürlicher Weise die ihm kostenmäßig wesentlich zugute kommende Lösung der Zession sabotiert hätte und einen anderen Gläubiger zum Zug hätte kommen lassen. I habe ihre privaten Ersparnisse dem Beschwerdeführer zur Ermöglichung eines wirtschaftlichen Neubeginnes nach einem Konkurs zur Verfügung gestellt und ihm auch Unterkunft gewährt. Es stünde daher in seinem schutzwürdigen Interesse, daß ihr der Informationsvorsprung, den sie ansonsten durch eine Gehaltspfändung geltend gemacht hätte, zugute komme. Das Argument der mitbeteiligten Partei, daß die Abstattung der Darlehensverbindlichkeit aus den laufenden Pensionsbezügen hätte erreicht werden können, sei nicht zutreffend, weil der Beschwerdeführer damit habe rechnen müssen, daß nach Scheitern des Versuches eines wirtschaftlichen Neubeginnes die alten Gläubiger exekutiv gegen ihn vorgehen würden und er dann nicht mehr in der Lage sein würde, aus den laufenden Pensionsbezügen die Zahlungen zu leisten.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge und bestätigte den bekämpften Bescheid. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, daß das eigentliche Interesse des Beschwerdeführers an der Zustimmung zur Zession in der Abwehr seiner Privatgläubiger gelegen sei, weil die Gefahr bestehe, daß die pfändbaren Teile der Pensionsbezüge nicht dem Anspruchsberechtigten, sondern irgendwelchen Gläubigern zugute kämen. Dieses Interesse sei nicht schutzwürdig im Sinne des § 65 Abs. 2 GSVG. Der Beschwerdeführer habe die Person, die ihm einen Neuanfang nach seinem Konkurs ermöglichen wollte, besonders schützen und ihr nach diesem mißlungenen Versuch zumindest einen Teil ihrer Ersparnisse, die sie ihm zur Verfügung gestellt hatte, zurückzahlen wollen. Dies sei jedoch mit den Grundsätzen der Exekutionsordnung nicht in Einklang zu bringen. In der bloßen Entlastung einer offenen Darlehensverbindlichkeit sowie des ausständigen Untermietzinses und Verköstigungsbeitrages könne auch kein Zufließen des wirtschaftlichen Gegenwertes der Versicherungsleistung erblickt werden. Der Beschwerdeführer habe indirekt als eigentliches Interesse an der Zustimmung der Zession die Abwehr der drohenden und inzwischen begonnenen Exekutionsführung durch andere Gläubiger angeführt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit seinem Beschluß vom , Zl. B 806/92-7, ab und trat sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof ab.
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren machte der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Die mitbeteiligte Partei nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 65 Abs. 2 GSVG kann der Anspruchsberechtigte mit Zustimmung des Versicherungsträgers seine Ansprüche auf Geldleistungen auch in anderen als den in Abs. 1 angeführten Fällen ganz oder teilweise rechtswirksam übertragen; der Versicherungsträger darf die Zustimmung nur erteilen, wenn die Übertragung im Interesse des Anspruchsberechtigten oder seiner nahen Angehörigen gelegen ist.
Der Genehmigung der Zession setzt nach § 65 Abs. 2 GSVG die in rechtlicher Gebundenheit vorzunehmende Beurteilung voraus, daß die Übertragung im Interesse des Anspruchsberechtigten oder seiner nahen Angehörigen gelegen ist. Dieses Interesse kann begrifflich nicht mit jenem gleich sein, das der Zedent als Vertragspartner des Zessionsars an der Rechtswirksamkeit des privatautonom zustande gekommenen Vertragsinhaltes hat, sondern setzt ein objektiviertes, von der Behörde festzustellendes Interesse voraus, das in einer Verbesserung der rechtlichen Lage des Geldleistungsberechtigten gelegen ist und ihn keinem Risiko dabei aussetzt, daß ihm der wirtschaftliche Gegenwert der Versicherungsleistung tatsächlich zufließt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 84/08/0167, vom , Zl. 86/08/0230 und vom , Zl. 89/08/0293).
Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes wiederholt der Beschwerdeführer im wesentlichen seinen im Verwaltungsverfahren eingenommenen Standpunkt, er und I - seine Lebensgefährtin - hätten nicht nur ein menschlich verständliches Interesse daran, daß diese mit ihren Forderungen vorrangig zum Zug kommen möge, weil sie dem Beschwerdeführer ihre Ersparnisse für einen wirtschaftlichen Neubeginn nach einem Konkurs zur Verfügung gestellt habe, sondern hätte I vor allen anderen Gläubigern des Beschwerdeführers einen entscheidenden Informationsvorsprung gehabt, der es ihr ermöglicht hätte, für ihre Forderungen in kürzester Zeit einen Titel zu schaffen und die Pensionsbezüge des Beschwerdeführers exekutiv in Anspruch zu nehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hält an seiner im Erkenntnis vom , Zl. 86/08/0230, ausgedrückten Auffassung fest, daß das in der Abwehr seiner Privatgläubiger gelegene Interesse (behauptete Gefahr, daß die - pfändbaren Teile der - Pensionsbezüge nicht dem Anspruchsberechtigten oder seinen nahen Angehörigen, sondern irgendwelchen Gläubigern des Anspruchsberechtigten zugute kämen) des Anspruchsberechtigten an der Zustimmung zur Zession kein nach § 65 Abs. 2 GSVG schutzwürdiges und daher einer Zustimmung zugängliches Interesse des Anspruchsberechtigten darstellt. Der Beschwerdeführer kann kein objektiviertes Interesse im Sinne der oben genannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes aufzeigen, weil in der bloßen Entlastung von einer offenen Darlehensverbindlichkeit kein Zufließen des wirtschaftlichen Gegenwertes der Versicherungsleistung erblickt werden kann.
Der Hinweis des Beschwerdeführers, daß mit der Zession die nicht unerheblichen Prozeß- und Exekutionskosten samt den damit verbundenen Unannehmlichkeiten vermieden worden seien, betrifft lediglich das - im Zusammenhang unbeachtliche - Motiv des Beschwerdeführers für die Forderungsabtretung.
Ist ein objektiviertes Interesse des Anspruchsberechtigten im bezeichneten Sinn zu verneinen, so ist das Interesse eines nahen Angehörigen an der Zustimmung zur Zession unbeachtlich, weil im Fall einer Konkurrenz der Interessen des Anspruchsberechtigten mit denjenigen seiner nahen Angehörigen die Interessen des Anspruchsberechtigten vorgehen (vgl. auch hiezu die bereits zitierten hg. Erkenntnisse). Da somit kein objektiviertes Interesse des Beschwerdeführer im Sinne der oben zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, kann es dahingestellt bleiben, ob die - erstmals in der Beschwerde als solche bezeichnete - Lebensgefährtin des Beschwerdeführers als "nahe Angehörige" im Sinne des § 65 Abs. 2 GSVG gewertet werden kann.
Die in der Beschwerde behauptete Interessenslage des Beschwerdeführers stimmt inhaltlich mit seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren überein. Der Beschwerdeführer vermag mit seiner Verfahrensrüge, ein Ermittlungsverfahren habe überhaupt nicht stattgefunden, keinen wesentlichen Verfahrensmangel aufzeigen, weil er nicht konkret vorbringt, zu welchen - weiteren - Feststellungen die belangte Behörde bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensmangels gelangt wäre.
Der Beschwerdeführer hält seine (in der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde dargelegten) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 65 Abs. 2 GSVG aufrecht. Der Verfassungsgerichtshof hat aufgrund dieser Ausführungen kein Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet. Weitere Argumente hat der Beschwerdeführer in dem an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Schriftsatz nicht vorgebracht. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch aufgrund des im Ablehnungsbeschluß des Verfassungsgerichtshofes angesprochenen besonderen Schutzzweckes des § 65 Abs. 2 GSVG gegen die Anwendung dieser Gesetzesbestimmung aus dem Grund der Verfassungwidrigkeit keine Bedenken und sieht sich daher nicht veranlaßt, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren zu beantragen.
Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.