VwGH vom 30.06.1998, 98/08/0129
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde des GZ in W, vertreten durch Dr. Heide Schubert, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 5/9, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom , Zl. LGS-W Abt. 12/1218/56/1997, betreffend Widerruf und Rückforderung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid hat die belangte Behörde die vom Beschwerdeführer bezogene Notstandshilfe für den Zeitraum vom bis widerrufen und in der Höhe von S 135.443,-- rückgefordert.
Dieser Bescheid wird im wesentlichen damit begründet, daß der Bundesminister für Gesundheit, Arbeit und Soziales mit Bescheid vom festgestellt habe, daß der Beschwerdeführer ab bei dem näher bezeichneten Dienstgeber arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, in der im wesentlichen bestritten wird, daß der Beschwerdeführer bei diesem Dienstgeber in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis in einem den Anspruch auf Notstandshilfe ausschließenden Ausmaß gestanden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Mit Bescheid vom hat der Bundesminister für Arbeit und Soziales festgestellt, daß der Beschwerdeführer ab dem aufgrund seiner Tätigkeit für einen näher bezeichneten Dienstgeber der Versicherungspflicht nach dem ASVG und dem AlVG unterlegen sei. Gegen diesen Bescheid ist beim Verwaltungsgerichtshof die zu Zl. 97/08/0395 protokollierte Beschwerde der auch hier beschwerdeführenden Partei bzw. zu Zl. 97/08/0402 die Beschwerde des Dienstgebers anhängig. Über beide Beschwerden wurde bisher noch nicht entschieden.
Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat; insbesondere ist gemäß § 12 Abs. 3 lit. a AlVG nicht arbeitslos, wer in einem Dienstverhältnis steht.
Gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG gilt jedoch u.a. als arbeitslos, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, das die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge nicht übersteigt.
Gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG sind für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert (arbeitslosenversichert) Dienstnehmer, die bei einem oder mehreren Dienstgebern beschäftigt sind und (unter anderem) in der Krankenversicherung aufgrund gesetzlicher Vorschriften pflichtversichert sind.
Gemäß § 1 Abs. 4 AlVG ist bei Beurteilung der Frage, ob eine Beschäftigung als geringfügig gilt, § 5 Abs. 2 ASVG sinngemäß anzuwenden.
Ungeachtet dessen, daß § 12 Abs. 3 lit. a AlVG nicht auf das Bestehen der Vollversicherungspflicht, sondern auf das Bestehen eines Dienstverhältnisses abstellt, ist zufolge der Bestimmung des § 12 Abs. 6 lit. a AlVG der Begriff des nicht geringfügig entlohnten Dienstverhältnisses, der sich aus den genannten Bestimmungen des § 12 AlVG in ihrem Zusammenhang ergibt, ident mit dem des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG, an welches § 1 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Abs. 4 AlVG für die Arbeitslosenversicherungspflicht anknüpft (vgl. das Erkenntnis vom , Slg. Nr. 13308/A, S. 901 f, unter Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zl. 87/08/0050).
Aufgrund der Anknüpfung des § 12 Abs. 3 lit. a AlVG an das Dienstverhältnis (das ist ein die Vollversicherungspflicht begründendes Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG) ist es rechtlich ausgeschlossen, daß für einen bestimmten Zeitraum sowohl das Vorliegen einer solchen Versicherungspflicht, gleichzeitig aber auch das Vorliegen von Arbeitslosigkeit bejaht werden kann (in diesem Sinne vgl. auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Slg. Nr. 11600/A, S. 575), zumal die maßgebenden Kriterien einer entsprechend entlohnten abhängigen Beschäftigung in beiden Fällen ident sind. Dies gilt auch für die Frage des aus einer solchen Beschäftigung zustehenden Entgelts, welches in den Fällen, in denen ein Beschäftigungsverhältnis nach § 4 Abs. 2 ASVG vorliegt, im Sinne des § 49 ASVG zu verstehen ist (vgl. neuerlich das zitierte Erkenntnis vom , Zl. 87/08/0050). Es steht daher zwar nicht jeder, der wegen einer Beschäftigung (aus welcher er entsprechende Einkünfte in Geld- oder Güterform bezieht - vgl. die Erkenntnisse vom , Zl. 85/08/0010 und vom , Zl. 86/08/0084) nicht arbeitslos ist, schon deshalb in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis; wer in einem nicht geringfügig entlohnten vollversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig ist, kann aber schon aus diesem Grunde nicht arbeitslos sein.
Die belangte Behörde durfte sich aber nur dann - ohne eigene Ermittlungstätigkeit - ausschließlich auf den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales stützen, wenn insoweit eine Bindung an diesen Bescheid bestanden hat, welche sich nur aus § 38 AVG ergeben könnte; dies wieder hängt davon ab, ob der Bescheid über die Versicherungspflicht des Beschwerdeführers zu den von der belangten Behörde zu beurteilenden Rechtsfragen im Verhältnis der Hauptfrage zu (einer oder mehreren) Vorfragen steht. Dies ist aber hier aus folgenden Gründen zu bejahen:
Bescheide haben gemäß § 59 Abs. 1 AVG "die in Verhandlung stehende Angelegenheit" und zwar in der Regel zur Gänze zu erledigen. Angesichts der verschiedenen Arten von Beschäftigungen, welche unter ganz unterschiedlichen Voraussetzungen die Versicherungspflicht nach dem ASVG auslösen können, teils an selbständige Erwerbstätigkeiten, teils an andere Beschäftigungsverhältnisse anknüpfen und entweder die Versicherungspflicht in allen in Betracht kommenden Sparten oder nur in Teilbereichen auslösen, muß ein Bescheid, der über die Versicherungspflicht nach § 4 ASVG abspricht, gemäß § 59 Abs. 1 AVG im Spruch die jeweilige Rechtssache auf eine solche Weise erledigen, daß sich das den Gegenstand des Verfahrens bildende Versicherungsverhältnis von anderen Versicherungsverhältnissen unterscheidet und davon abgegrenzt werden kann; andernfalls fehlte es ihm an der erforderlichen Bestimmtheit. Dies bedeutet in Fällen des § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG, daß im Spruch eines solchen Bescheides (in Entscheidung der Hauptfrage gegebenenfalls) auszusprechen ist, daß für einen bestimmten Zeitraum (oder ab einem bestimmten Zeitpunkt) ein (voll- bzw. auch arbeitslosen-)versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis einer natürlichen Person zu einer anderen (natürlichen oder juristischen) Person bzw. Personengesellschaft (oder zu solchen Personen bzw. Personengesellschaften) als Dienstgeber im Sinne des § 35 Abs. 1 ASVG (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom , Slg. Nr. 12325/A) besteht.
In diesem Sinne ist daher die Hauptsache eines über die Versicherungspflicht absprechenden Bescheides vor dem Hintergrund seiner möglichen Bindungswirkung auch zu deuten. Ein in Rechtskraft erwachsener Bescheid ist nämlich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes "nach seinem äußeren Erscheinungsbild", dh objektiv auszulegen und nicht im Sinne der subjektiven Absichten des Bescheidverfassers. Der objektiven Auslegung eines Bescheides (im Sinne der Ermittlung des Sinngehaltes dessen, worüber abgesprochen wurde) sind die gesetzlichen Vorschriften, in deren Anwendung der Bescheid ergangen ist, als Deutungsschema zugrundezulegen. Dem Bescheid darf, soweit nicht sein eindeutiger Spruchinhalt dazu zwingt, kein rechtswidriger Inhalt unterstellt werden (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 59 AVG unter E 30 - E 41 referierte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung; ebenso Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes6, Rz 414). Ein über die Versicherungspflicht absprechender Bescheid ist daher - soweit dies sein Wortlaut zuläßt - in gesetzeskonformer Weise im Sinne der an einen solchen Bescheid vor seinem rechtlichen Hintergrund zu stellenden Anforderungen des § 59 Abs. 1 AVG zu deuten.
Im Beschwerdefall hat der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit Bescheid vom (wie aufgrund der gegen diesen Bescheid gerichteten, zu
Zl. 97/08/0395 und 0402 protokollierten Beschwerden des Beschwerdeführers und des Dienstgebers notorisch ist) in Abänderung des Einspruchsbescheides des Landeshauptmannes von Wien festgestellt, daß der Beschwerdeführer "ab dem aufgrund seiner Tätigkeit für ... (den Dienstgeber) ... der Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG unterliegt". Zeitraumbezogene Absprüche ohne Endzeitpunkt wirken nach der Rechtsprechung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des (letztinstanzlichen) Bescheides, darüberhinaus bis zu einer Änderung der Sach- und/oder Rechtslage (vgl. ua zur Versicherungspflicht das Erkenntnis vom , Zl. 92/08/0124); im Beschwerdefall steht die Versicherungspflicht des Beschwerdeführers als Dienstnehmer im Sinne des § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG für den Zeitraum vom bis zur Erlassung des Bescheides des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom , somit auch für den im vorliegenden Verfahren strittigen Zeitraum vom bis , fest.
Die belangte Behörde hatte daher bei Vorliegen eines solchen, die Versicherungspflicht feststellenden - und im Sinne des Vorgesagten zu deutenden - Bescheides ohne eigene Ermittlungen diese Hauptfragenentscheidung der bei Beurteilung der Frage der Arbeitslosigkeit erforderlichen Lösung der Vorfragen, ob gemäß § 12 Abs. 3 lit. a AlVG ein Dienstverhältnis (im Sinne eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 4 Abs. 2 ASVG) vorlag bzw. gemäß § 12 Abs. 6 lit. a AlVG Anspruch auf ein die Geringfügigkeitsgrenze nicht übersteigendes Entgelt (im Sinne des § 49 ASVG - vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 87/08/0050) bestanden hat, zugrundezulegen und daher das Vorliegen von Arbeitslosigkeit für den gleichen Zeitraum schon deshalb zu verneinen.
Eine nachträgliche Aufhebung des Bescheides über die Versicherungspflicht und deren in weiterer Folge allenfalls ausgesprochene Verneinung wäre - aufgrund der aufgezeigten Verknüpfung der Vorfrage mit der Hauptfrage der Versicherungspflicht - im Wege eines Wiederaufnahmsantrages im Grunde des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG geltend zu machen.
Die dem gesamten Beschwerdevorbringen der Sache nach zugrundeliegende Rüge, die belangte Behörde habe nicht durch eigene Ermittlungen den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festgestellt, ist daher schon im Ansatz nicht berechtigt.
Da auch den für die Rechtmäßigkeit der Rückforderung maßgebenden Feststellungen der belangten Behörde in der Beschwerde der Sache nach nicht entgegengetreten wird, ist somit bereits der vorliegenden Beschwerde zu entnehmen, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt.
Die Beschwerde war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.