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VwGH vom 29.01.2004, 2001/20/0425

VwGH vom 29.01.2004, 2001/20/0425

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des TW alias Z in G, geboren 1966, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 222.316/0-IV/10/01, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein chinesischer Staatsangehöriger, beantragte am Asyl und wurde vom Bundesasylamt am zu seinem Asylantrag einvernommen. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG ab. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer, der bei seiner Einvernahme angegeben hatte, bei einem Bekannten namens X.C. wohnhaft zu sein, am unter der Anschrift "c/o X.C., M.-Straße 185A, 8010 Graz" durch Hinterlegung zugestellt. Laut dem im vorgelegten Verwaltungsakt erliegenden Rückschein wurden die Ankündigung gemäß § 21 Abs. 2 ZustellG und die Verständigung von der erfolgten Hinterlegung "in den Briefeinwurf eingelegt". Die Sendung wurde nach Ende der Abholfrist vom Zustellpostamt mit dem Vermerk "nicht behoben" an das Bundesasylamt zurückgesandt.

Mit Schriftsatz vom beantragte der - nun anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid vom . Zugleich führte er die Berufung aus. Er begründete den Wiedereinsetzungsantrag damit, dass er bei X.C. gewohnt, selbst aber keinen Zugang zum "Postkasten" gehabt habe. Er habe seinem Unterkunftgeber nach seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt mitgeteilt, dass er ihm die Zustellung eines Schriftstückes des Bundesasylamtes umgehend bekannt geben müsse, damit die Berufungsfrist gewahrt werden könne. X.C. habe den Beschwerdeführer jedoch nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass die Anzeige von der Hinterlegung des erstinstanzlichen Bescheids "in seinem Postkasten deponiert wurde". Erst durch eine Akteneinsicht seines Rechtsvertreters, dem er am Vollmacht erteilt habe, sei am bekannt geworden, dass der erstinstanzliche Bescheid bereits zugestellt worden sei. Zur Bescheinigung seines Vorbringens beantragte der Beschwerdeführer die Einvernahme des X.C. und seine Einvernahme.

Das Bundesasylamt wies den Wiedereinsetzungsantrag, ohne die beantragten Einvernahmen durchzuführen, mit Bescheid vom ab. Es ging dabei davon aus, dass eine Verständigung über die Hinterlegung des Bescheides am im "Hausbriefkasten" des X.C. hinterlassen worden sei. Dem Beschwerdeführer sei die bevorstehende Zustellung des Asylbescheides bekannt gewesen, zumal er seinen Unterkunftgeber auch darauf hingewiesen habe. Es sei ihm daher zumutbar gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass die Zustellung tatsächlich möglich sei oder er jedenfalls von der Hinterlegung rechtzeitig Kenntnis erlange. Die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Wiedereinsetzung lägen daher nicht vor.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er im Wesentlichen sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag wiederholte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde "den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 71 AVG 1991, BGBl. Nr. 51/1991, idgF ab". Sie ging bei ihrer Entscheidung davon aus, dass der Beschwerdeführer seinen Vermieter aufgefordert habe, Poststücke an ihn weiterzuleiten; der Beschwerdeführer habe jedoch nicht vorgebracht, ob er darüber hinaus weitere "Vorsichts- oder Kontrollmaßnahmen" getroffen habe und ob "derartige Fehlleistungen seines Vermieters mehrfach oder nur in diesem Fall erfolgt" seien, obwohl dem Beschwerdeführer "nach eigenem Vorbringen und aufgrund mehrerer Zustellvorgänge in anderen Akten" (betreffend fremdenpolizeiliche Verfahren) "nicht unvorhersehbar sein konnte, dass es zu Zustellschwierigkeiten kommen könnte". Indem der Beschwerdeführer es bei einer "einmaligen Bekanntgabe an den Vermieter bewenden" ließ und keine anderen Maßnahmen ("periodische Kontrolle, gemeinsame Entleerung des Briefkastens oder Besprechung allfälliger Hinterlegungsvorgänge mit dem Vermieter", periodische Nachfrage bei der Post bzw. Eröffnung eines Postfaches) ergriffen habe, habe er nicht das "zumutbare Ausmaß an Aufmerksamkeit und Mühe, um das später eingetretene Ereignis abzuwenden", aufgewendet. Es fehle daher an einem unabwendbaren und unvorhersehbaren Ereignis, sodass der Berufung der Erfolg zu versagen und mit Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages vorzugehen gewesen sei.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer den Wiedereinsetzungsauftrag auf seine Unkenntnis von der erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Asylbescheides gegründet. Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Hinterlegung eines Schriftstückes - sofern sie nicht auf einem Verschulden beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt - ist geeignet, einen Wiedereinsetzungsgrund zu begründen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2003/20/0077, vom , Zl. 2001/08/0011, und vom , Zl. 97/18/0418).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2001/01/0559).

An den Beschwerdeführer durften daher in Bezug auf die Vermeidung einer allfälligen Unkenntnis von einem Zustellvorgang nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie etwa an einen Rechtsanwalt, der bei der Einrichtung seines Kanzleibetriebes durch entsprechende Organisation und Kontrolle dafür vorzusorgen hat, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. dazu aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Beschlüsse vom , Zl. 90/08/0149, und vom , Zl. 91/10/0018).

Die belangte Behörde ist im vorliegenden Fall davon ausgegangen, dass es für den Beschwerdeführer nicht unvorhersehbar gewesen sei, dass es zu Zustellschwierigkeiten kommen könnte, und hat dies mit Hinweisen auf das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag und auf "mehrere Zustellvorgänge in anderen Akten" begründet. Dass in diesen anderen Verfahren - über die die belangte Behörde abgesehen davon, dass es sich um fremdenpolizeiliche Verfahren gehandelt habe, keine näheren Feststellungen getroffen hat - überhaupt Zustellungen an der Adresse des X.C. vorgenommen wurden, lässt sich weder dem angefochtenen Bescheid noch dem vorgelegten Verwaltungsakt entnehmen. Auch aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers kann der erwähnte Schluss in Bezug auf vorhersehbare Zustellschwierigkeiten nicht gezogen werden, da der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag in diesem Zusammenhang nur vorgebracht hat, dass er keinen Schlüssel zum Postkasten seiner Unterkunft gehabt habe. (Dabei fällt allerdings auf, dass laut der Hinterlegungsanzeige vom die Verständigungen gemäß § 21 Abs. 2 und § 17 Abs. 2 ZustellG nicht - wie schon im erstinstanzlichen Bescheid festgestellt - "im Hausbriefkasten hinterlassen", sondern "in den Briefeinwurf eingelegt" wurde.)

Die belangte Behörde hat nach dem Gesagten nicht nachvollziehbar begründet, dass bestimmte Umstände vorgelegen wären, die den Schluss zugelassen hätten, der Beschwerdeführer habe schon vor dem Zeitpunkt der Bescheidzustellung im Asylverfahren (am ) begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Unterkunftgebers hegen müssen. Bei dieser Sachlage konnte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dass im Unterbleiben von Erkundigungen beim Unterkunftgeber oder anderen (von der belangten Behörde angeführten) Maßnahmen eine auffallende, die Wiedereinsetzung hindernde Sorglosigkeit des Beschwerdeführers gelegen wäre (vgl. in diesem Sinne auch das den ähnlich gelagerten Fall einer dem Empfänger nicht bekannt gewordenen Zustellung an einen Ersatzempfänger betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 97/09/0134, mwN). Die belangte Behörde ist somit unzutreffend davon ausgegangen, der Wiedereinsetzungsantrag sei ohne Durchführung der zur Bescheinigung beantragten Beweise schon auf Grundlage des vom Beschwerdeführer erstatteten Vorbringens abzuweisen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am