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VwGH vom 21.03.1990, 90/01/0019

VwGH vom 21.03.1990, 90/01/0019

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Hoffmann und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hadaier, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom , Zl. SD 133-1/89, betreffend Übertretung des Versammlungsgesetzes 1953, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 10.620,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft T bestrafte mit Straferkenntnis vom den Beschwerdeführer wegen Verwaltungsübertretung nach § 19 in Verbindung mit § 2 Versammlungsgesetz mit Geldstrafe von S 1.000,--, Ersatzarreststrafe zwei Tage, weil er am gegen 17.00 Uhr in der Vorstadt in T eine Versammlung (Demonstration gegen den geplanten Bau des X-Tunnels) veranstaltete und es unterließ, diese Versammlung fristgerecht 24 Stunden vor deren Beginn bei der Bezirkshauptmannschaft T anzuzeigen.

Gegen diesen Bescheid berief der Beschwerdeführer.

Mit dem nun vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in Verbindung mit § 24 VStG 1950 abgewiesen. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, daß der Spruch des Straferkenntnisses wie folgt zu lauten hat:

"N wird wegen Verwaltungsübertretung nach § 2 Abs. 1 i.V.m.

§ 19 Versammlungsgesetz gemäß § 19 leg. cit. mit Geldstrafe von

S 1.000,--, Ersatzarreststrafe zwei Tage, bestraft, weil er am um ca. 17.00 Uhr bei der Volksschule in T eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste (an der ca. 100 Menschen - "X-Gegner" - teilgenommen haben, Menschen, die in weiterer Folge zur Wahlveranstaltung der ÖVP in der T Vorstadt zogen und dort die Wahlveranstaltung, insbesondere die Wahlrede des Landeshauptmannes, störten) veranstaltet hat, ohne dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Bezirkshauptmannschaft T schriftlich angezeigt zu haben."

Zur Begründung wurde ausgeführt, Tatsache sei, daß am um ca. 17.30 Uhr in T/Vorstadt eine Wahlveranstaltung der ÖVP anläßlich der damals bevorstehenden Landtagswahl stattgefunden habe, an der der Spitzenkandidat der ÖVP teilgenommen habe. Tatsache sei auch (das ergebe sich aus dem Bericht bzw. der Anzeige der Gendarmerie und aus Zeugenaussage und auch aus den Angaben des Beschwerdeführers selbst), daß während dieser Wahlveranstaltung ca. 100 Menschen, darunter der Beschwerdeführer, mit Transparenten etc. "dahergekommen" seien, Menschen ("X-Gegner"), die sich zuvor bei der Volksschule in T versammelt hätten, wozu der Beschwerdeführer aufgerufen habe (siehe auch das im Verwaltungsakt befindliche Flugblatt "Letzter Aufruf"), die in der Folge die Wahlveranstaltung der ÖVP, insbesondere die Wahlrede durch Zwischenrufe, Sirenengehäul, Hupen und dgl. massiv gestört haben. Tatsache sei ferner, daß die Versammlung, für die der Beschwerdeführer verantwortlich gezeichnet habe, nicht gemäß § 2 Versammlungsgesetz bei der Bezirkshauptmannschaft T angezeigt worden sei. Die Zusammenkunft bei der Volksschule T, zu der der Beschwerdeführer mit einem Flugblatt aufgerufen habe und die ihm in der Folge "entglitten" sei, sei zweifellos eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes bzw. der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gewesen. Daraus, daß der Beschwerdeführer sich - allerdings zu spät - von dieser Versammlung distanziert habe, vermöge er nichts zu gewinnen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, nicht gemäß § 19 in Verbindung mit § 2 Versammlungsgesetz bestraft zu werden, verletzt. In Ausführung der Beschwerde bringt der Beschwerdeführer im wesentlichen vor, zum Gegenstand des Strafverfahrens zweiter Instanz werde unzulässigerweise nicht mehr die von der Behörde erster Instanz als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes qualifizierte Teilnahme verschiedener Personen an der Wahlveranstaltung der ÖVP in der T Vorstadt gegen 17.30 Uhr gemacht,

sondern vielmehr das Zusammenkommen von Personen bei der Volksschule in T am gegen 17.00 Uhr. Es werde sohin zweifelsfrei unzulässigerweise die dem nunmehrigen Beschwerdeführer von der Behörde erster Instanz zur Last gelegte Tat von der belangten Behörde ausgewechselt. Die zentrale Frage, ob auch die Teilnahme an der Wahlveranstaltung der ÖVP in der Vorstadt am gegen 17.30 Uhr eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes darstelle, was vom Beschwerdeführer vehement bestritten werde, bleibe von der belangten Behörde letztendlich unbeantwortet. Ausschließlich zur Entscheidung über diese Frage wäre die belangte Behörde jedoch berufen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98, muß, wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muß spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen. Gemäß § 19 leg. cit. sind Übertretungen dieses Gesetzes, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Amtsgebiet einer Bundespolizeibehörde aber von dieser Behörde, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu S 5.000,-- zu ahnden.

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 - diese Vorschrift findet zufolge des § 24 VStG 1950 auch im Verwaltungsstrafverfahren Anwendung - hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache zu entscheiden. Sache in diesem Sinne ist immer die Angelegenheit, die den Spruch des Bescheides der Behörde erster Instanz gebildet hat. Die Berufungsbehörde bleibt trotz ihrer Berechtigung, den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, doch auf die Ahndung der dem Beschuldigten im Strafverfahren erster Instanz zur Last gelegten Tat beschränkt (vgl. Verwaltungsgerichtshof-Erkenntnisse vom , Slg. N.F. Nr. 1805/A, vom , Slg. N.F. Nr. 8864/A und andere mehr).

Wie aus § 2 Abs. 1 Versammlungsgesetz 1953 hervorgeht, liegt die Übertretung nach dieser Gesetzesstelle (§ 19 leg. cit.) vor, wenn zwei wesentliche Tatbestandselemente erfüllt sind, nämlich die Veranstaltung einer zweckgebundenen Versammlung an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit und die Unterlassung der gehörigen Anmeldung der Veranstaltung bei der Behörde. Im vorliegenden Fall wurde im Spruch des Straferkenntnisse der Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe in der Vorstadt in T eine Versammlung veranstaltet und die Anzeige bei der Behörde unterlassen. Die belangte Behörde hat hingegen (offenbar auf Grund der Ergebnisse des von ihr ergänzend durchgeführten Ermittlungsverfahrens) die von der Behörde erster Instanz als erwiesen angenommene Tat ausgewechselt und im Spruch des angefochtenen Bescheides dem Beschwerdeführer angelastet, er habe bei der Volksschule in T eine Versammlung veranstaltet und die Anzeige der Behörde unterlassen. Sachverhaltsbezogen handelt es sich demnach offensichtlich um zwei vom Beschwerdeführer an verschiedenen und auseinanderliegenden Orten veranstaltete Versammlungen. Damit hat die belangte Behörde aber eine Befugnis für sich in Anspruch genommen, die durch den Wortlaut des § 66 Abs. 4 AVG 1950 nicht mehr gedeckt ist.

Demzufolge hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG zu seiner Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof führen mußte.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom , BGBl. Nr. 206. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil zur Rechtsverteidigung nur ein Stempelaufwand für die Einbringung der Beschwerde und für die im Gesetz vorgesehene Vorlage von Beilagen nur im Ausmaß von S 510,-- erforderlich war.