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VwGH vom 19.11.1998, 98/06/0056

VwGH vom 19.11.1998, 98/06/0056

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fischer, über die Beschwerde des D in G, vertreten durch D, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Berufungskommission der Landeshauptstadt Graz vom , GZ. A 17-C-21.265/1997-1, betreffend Baubewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Graz hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer eines Hauses in Graz, P-Gasse. Er kam mit dem am eingebrachten Antrag um die baubehördliche Bewilligung zwecks "Errichtung einer Markise" an diesem Haus ein.

Die Baubehörde holte in weiterer Folge ein Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission ein, weil sich das Haus in einer Schutzzone gem. § 2 des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes (GAEG 1980) befindet.

Diese Kommission übermittelte sodann ein Gutachten vom folgenden Wortlautes (das, wie es in der Einleitung heißt, aufgrund einer örtlichen Begehung und eines Sitzungsbeschlusses vom erstellt worden sei):

"Beim gegenständlichen Objekt handelt es sich um das berühmte Palais I...

Der Konsenswerber hat nachträglich um die Errichtung einer Markise angesucht. Die Markise, die geöffnet fast 3 m hervorkragt, zerschneidet in einer Länge von 27,5 m die gesamte unversehrte schützenswerte Fassade. Dadurch befinden sich auch die Altstadtlaternen oberhalb der Markise, was im Plan nicht ersichtlich ist.

Ohne Zweifel ist das betroffene Bauwerk in seiner baulichen Charakteristik für das Stadtbild von Bedeutung, auf dessen Erscheinungsbild durch die angebrachte Markise ebensolche nachteilige Auswirkungen auftreten wie auf das des betroffenen Stadtbildes.

Die Anbringung der Markise wird daher negativ (im Original fett gedruckt) begutachtet."

In einer ergänzenden "Anmerkung" wurde darauf verwiesen, daß zu den bestehenden Markisen in der Umgebung (M-Platz) von der Kommission keine positive Begutachtung erfolgt sei.

Dieses Gutachten wurde dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Mit Eingabe vom übermittelte er der Behörde ein Privatgutachten eines Architekten (G.D.) vom . Dieses lautet wie folgt:

"Die Markisenelemente sind bewegliche Objekte mit keiner ursächlichen materiellen Verbindung zum denkmalgeschützten Altbestand!

Das heißt, sie sind jederzeit demontierbar und konstruktiv unabhängig.

Die Markisenelemente verletzen das Gebäude (die Fassade) materiell und architektonisch nicht, sie sind in Material und Farbe auf die Fassade abgestimmt und bedingen keine visuelle Veränderung des Gesamtbildes.

Bei Betrachtung der Gesamtsituation der anliegenden Gassen und Plätze muß festgehalten werden, daß die Charakteristik des Stadtteiles durch eine Vielzahl von Lokalen und Gastgärten mit Sitzplätzen im Freien und einer Vielzahl von Sonnen- und Regenschutzeinrichtungen (Markisen und großflächige Schirme) geprägt ist.

Es ist keine Ordnung ablesbar, die das Anbringen von Markisen aus architektonischer oder stadtgestalterischer Überlegung regelt.

Nahezu jedes Lokal bzw. Geschäft ist mit Markisen in gestalterisch unmöglichen Lagen ausgestattet (quer durch Fassadenprofilierung)."

Hierauf wurde mit Bescheid vom das Ansuchen des Beschwerdeführers gemäß § 29 des Steiermärkischen Baugesetzes 1995 (im folgenden kurz: BauG) in Verbindung mit dem Grazer Altstadterhaltungsgesetz 1980 abgewiesen.

Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, der Bescheid stütze sich "auf die angeführten gesetzlichen Bestimmungen und die negative Begutachtung durch die Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission vom ". Dieses Gutachten sei schlüssig, nicht hingegen die als Gutachten bezeichnete Stellungnahme des Architekten G.D., der auf die Frage, inwieweit sich die Markise in geöffnetem Zustand in das Erscheinungsbild der engen P-Gasse sowie des als Palais I... in der Literatur genannten "Barockbaues aus dem 16. Jahrhundert" einfüge, überhaupt nicht eingegangen sei.

Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Berufung ein und brachte im wesentlichen vor, daß sich die Behörde erster Instanz zur Abweisung seines Antrages lediglich darauf stützte, daß von Seiten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission das Anbringen der Markise als negativ begutachtet worden sei. In der gutachtlichen Stellungnahme vom habe der Architekt G.D. ausdrücklich ausgeführt, daß die Markisenelemente das Gesamtbild des Gebäudes nicht verletzten und insbesondere auf die Gesamtsituation der anliegenden Gassen und Plätze zu verweisen sei. Daher wäre im Zuge einer mündlichen Bauverhandlung zu klären gewesen, wieweit nicht überhaupt Markisen dem ursprünglichen Erscheinungsbild des seinerzeit als Marktplatz genutzten Gebietes entsprächen. Auch sei das Bauverfahren mangelhaft geblieben, weil es die Behörde erster Instanz unterlassen habe, gemäß § 24 BauG eine Bauverhandlung durchzuführen.

Weder im in der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegten Gutachten noch im Bescheid selbst scheine eine Begründung auf, warum durch das Anbringen einer Markise eine nachteilige Veränderung des Erscheinungsbildes eintreten solle, sodaß auch das Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission keine taugliche Grundlage für die Abweisung des Antrages darstelle.

Die belangte Behörde wies mit dem bekämpften Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers ab und begründete diese Abweisung nach Darstellung des Sachverhaltes und der anzuwendenden Rechtslage wie folgt:

Im gegenständlichen Fall sei nach Überprüfung der Vollständigkeit der Unterlagen das Ansuchen um Errichtung einer Markise zur Erstellung eines Gutachtens an die Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission geschickt worden, weil der Bauplatz in der Schutzzone I nach dem Grazer Altstadterhaltungsgesetz liege. Nach diesem Gesetz seien nämlich jene Gebäude, die in ihrer baulichen Charakteristik für das Stadtbild von Bedeutung seien, in ihrem Erscheinungsbild nach Maßgabe der Schutzwürdigkeit ganz oder teilweise zu erhalten. Zu diesem gestaltungswirksamen Elementen gehörten unter anderem Portale, Tore, Fenster und die Fassaden einschließlich Gliederung. Die Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission habe darlegen können, daß es sich bei dem gegenständlichen Objekt um das berühmte Palais I... handle, welches in seiner baulichen Charakteristik für das Stadtbild von Bedeutung sei. Eine geplante Markise, welche fast 3 m hervorkrage und eine Länge von 27,5 m aufweise, zerschneide die gesamte unversehrte, schützenswerte Fassade und stelle somit das geplante Bauvorhaben einen Widerspruch zu den Bestimmungen des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes dar.

Die von dem Beschwerdeführer zu dem Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission abgegebene Stellungnahme setze sich nicht mit dem schützenswerten Objekt und der geplanten Markise auseinander, sondern stelle lediglich fest, daß in der gesamten Umgebung eine Vielzahl von Markisen und großflächigen Schirmen vorhanden sei. Mit dieser Stellungnahme sei jedoch nicht dargelegt worden, inwiefern die geplante Markise das Erscheinungsbild des Objektes P-gasse berücksichtige bzw. eine Beeinträchtigung dieses Erscheinungsbildes nicht eintreten könne.

Abschließend führte die belangte Behörde aus, daß die geplante Markise auch deshalb nicht bewilligungsfähig gewesen wäre, weil nach § 12 Abs. 1 BauG Markisen nur bis zu 1,5 m über die Straßenfluchtlinie vortreten dürften und diese mindestens 4,5 m über der Verkehrsfläche liegen müßten. Wie aus den eingereichten Plänen ersichtlich sei, sei geplant, die Markise bis zu 3 m auf die öffentliche Verkehrsfläche auskragen zu lassen, wobei lediglich eine Höhe von 2,5 m vorgesehen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und Rechtswidrigkeit des Inhaltes.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Desweiteren hat der Beschwerdeführer unaufgefordert eine Äußerung erstattet und damit ein weiteres Gutachten vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, daß es sich bei dem Objekt, an welchem die Markise angebracht werden solle, um einen späteren, L-förmigen Anbau an das Palais I. handle und nicht um das Palais selbst, welches (mit der Adresse M.-Platz 1) angrenze. Des weiteren handle es sich im gegenständlichen Fall nicht um eine Markise im Ausmaß von 27,5 m, sondern um 3 Markisenteile von je ca. 9 m. Die belangte Behörde habe das Gutachten des Architekten G.D. unzutreffend gewürdigt. Auch wären die widersprechenden Gutachten im Rahmen einer Bauverhandlung zu erörtern gewesen, wozu noch komme, daß das Gutachten der Altstadt-Sachverständigenkommission keinen entsprechenden Befund aufweise. Der Hinweis der belangten Behörde auf § 12 BauG gehe deshalb fehl, weil die Bewilligung unter der Auflage hätte erteilt werden können, daß die Markise nicht mehr als 1,5 m über die Straßenfluchtlinie vortreten dürfe. § 12 BauG sei auch "in Verbindung mit den straßenrechtlichen Bestimmungen zu sehen"; die P-Gasse sei eine Fußgängerzone, die nicht durch Kraftfahrzeuge befahren werden dürfe. Abgesehen davon liege auch eine entsprechende Genehmigung des "Magistrates Graz, Straßen- und Brückenbauamt", vor (gemeint: eine Bewilligung gemäß § 82 StVO gemäß dem Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom ).

Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer jedenfalls im Ergebnis im Recht.

Das fragliche Haus liegt unbestritten im Schutzgebiet nach dem GAEG 1980. Gemäß § 3 Abs. 1 leg. cit. haben Liegenschaftseigentümer im Schutzgebiet jene Gebäude, die in ihrer baulichen Charakteristik für das Stadtbild von Bedeutung sind, in ihrem Erscheinungsbild nach Maßgabe der Schutzwürdigkeit ganz oder teilweise zu erhalten. Zum Erscheinungsbild gehören alle gestaltwirksamen Merkmale des Gebäudes, wie zum Beispiel die Gebäudehöhe, Geschoßhöhe, die Dachform, Dachneigung und Dachdeckung, die Fassaden einschließlich Gliederung, die Portale, Tore, Fenster, Fensterumrahmungen und Fensterteilungen, Gesimse, Balkone und Erker sowie die Durchgänge, Höfe und Einfriedungen.

Es kann nicht fraglich sein, daß eine Markise mit einer Länge von 27 m (mag sie auch aus mehreren Teilen bestehen - den Plänen zufolge wären es nicht deren drei, wie es in der Beschwerde heißt, sondern fünf ) geeignet ist, das Erscheinungsbild der Fassade als gestaltwirksames Merkmal des Hauses im Sinne dieser Bestimmung zu verändern, was der Beschwerdeführer auch gar nicht bestreitet. (Welche Farbe diese Markise projektsgemäß haben soll, ist im übrigen nicht klar). Die geplante Maßnahme ist daher jedenfalls nach § 3 Abs. 3 leg. cit. bewilligungspflichtig.

Zutreffend bemängelt der Beschwerdeführer, daß das Gutachten der Altstadt-Sachverständigenkommission, auf das sich die belangte Behörde gestützt hat, nicht als schlüssig angesehen werden kann, weil es an einem ausreichenden Befund mangelt und somit das Gutachten im engeren Sinn nicht auf seine Richtigkeit überprüft werden kann (zu den Erfordernissen an Gutachten siehe beispielsweise die in Hauer / Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens,

5. Aufl., unter E 70 ff zu § 52 AVG wiedergegebene hg. Judikatur). Es wäre daher eine eingehende Beschreibung des Objektes und im Gutachten eine eingehende Darlegung der angenommenen nachteiligen Auswirkungen auf das schützenswürdige Erscheinungsbild des Gebäudes erforderlich gewesen, zumal kein Bildmaterial beigelegt wurde. Im übrigen ist das vom Beschwerdeführer vorgelegte Gutachten des Architekten G.D. aus denselben Gründen gleichermaßen unzureichend.

Angesichts dessen ist zu prüfen, ob der von der belangten Behörde hilfsweise herangezogene Abweisungsgrund - Verstoß gegen § 12 BauG - die abweisliche Berufungsentscheidung zu tragen vermag.

Dies ist aber zu verneinen:

Nach § 12 Abs. 1 Z. 2 BauG dürfen, sofern in einem Bebauungsplan nichts anderes bestimmt ist, Hauptgesimse, Dachvorsprünge, nach außen öffenbare Fensterflügel, Gitter, Beleuchtungskörper, Werbeeinrichtungen u. dgl. bis 1,0 m, Balkone, Erker, Schutzdächer, Markisen u. dgl. bis 1,5 m über die Straßenflucht- oder Baugrenzlinie hervortreten; sie müssen jedoch mindestens 4,5 m über der Verkehrsfläche liegen, über Gehsteigen mit einer Breite von über 2,0 m genügt eine Mindesthöhe von 3,0 m. Zutreffend hat die belangte Behörde erkannt, daß auch die fragliche Markise (grundsätzlich) nicht mehr als 1,5 m über die Straßenflucht- oder Baulinie ragen dürfte. (Entgegen der in dem vom Beschwerdeführer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Privatgutachten vertretenen Rechtsauffassung ist nicht maßgeblich, ob die Markise einzurollen ist oder nicht, weil das Gesetz darauf nicht abstellt, ja auch Markisen im Zusammenhang mit "nach außen öffenbaren Fensterflügeln" nennt, die ja bestimmungsgemäß nicht ständig offen sein werden.) Was die zulässige lichte Höhe im Sinne dieser Bestimmung anlangt, kommt es nach dem Sinn der Norm (gilt es doch, Hindernissen zu begegnen) auf die lichte Höhe zur Unterkante (tiefsten Punkt) der Markise im geöffneten Zustand und nicht auf die Höhe an, in welcher die Markise an der Fassade montiert ist (dies wiederum im Hinblick auf Ausführungen in diesem Privatgutachten), wobei die zulässige lichte Höhe von Sachverhaltsmomenten (Verkehrsfläche, Breite des Gehsteiges) abhängig ist, die festgestellt werden müßten. Es hätte die Behörde aber nach den Umständen des Beschwerdefalles dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur einer entsprechenden Modifikation seines Projektes zu geben, meinte die Behörde, daß ein solches Bewilligungshindernis bestünde, das sich auch nicht durch Auflagen beseitigen ließe (siehe die §§ 24 Abs. 2 Z. 1 und 29 Abs. 5 BauG - ein Moment, das aufgrund der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung freilich nicht zum Tragen kam).

Da somit das Verfahren vor den Gemeindebehörden mangelhaft war, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Ersatz für die für den weiteren Schriftsatz (samt Gutachten) zu entrichtenden Stempelgebühren war deshalb nicht zuzuerkennen, weil dieser Schriftsatz hier nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienlich angesehen werden kann.

Wien, am