VwGH vom 24.04.2002, 2001/16/0615
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
2001/16/0616
2001/16/0617
2001/16/0618
2001/16/0619
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Fellner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerden 1.) der E, 2.) des P, 3.) der H, 4.) des H und 5.) der I, alle in G, alle vertreten durch Poinstingl & Partner, Rechtsanwälte OEG in Wien VI, Capistrangasse 8, den gegen die Bescheide der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland je vom , 1.) GZ RV 0148-09/07/00, betreffend Erbschaftssteuer 2.) GZ RV 152-09/07/00, betreffend Schenkungssteuer, 3.) GZ RV 150-09/07/00, betreffend Erbschaftssteuer, 4.) GZ RV 151-09/07/00, betreffend Schenkungssteuer, und 5.) GZ RV 149-09/07/00, betreffend Erbschaftssteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je 1.089,68 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Erst-, Dritt- und Fünftbeschwerdeführerin sind zu je einem Drittel (gesetzliche) Erben nach dem am verstorbenen Erich A. Der Zweit- und der Viertbeschwerdeführer sind Enkel des Erblassers und Söhne der Drittbeschwerdeführerin bzw der Fünftbeschwerdeführerin. In einem im Protokoll über die Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung vom beurkundeten Erbübereinkommen übertrugen die Dritt- und die Fünftbeschwerdeführerin jeweils ihrem Sohn 1/10 des gesamten Nachlasses. Zum Nachlass gehörte unter anderem ein Geschäftsanteil an der A. GmbH. Diese GmbH betreibt eine Mühle.
Nach dem Bericht über eine am vorgenommene abgabenbehördliche Prüfung wurde der gemeine Wert der Anteile an der A. GmbH mit dem Mittel aus einem Substanzwert von S 107, 967.157,-- - der aus den Bilanzansätzen zum mit verschiedenen Korrekturposten errechnet wurde - und einem nach dem Ertrag der Wirtschaftsjahre 1993, 1994 und 1995 ermittelten Ertragswert zuzüglich diverser Beteiligungen angesetzt.
In der Folge erließ das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien an die Erst-, Dritt- und Fünftbeschwerdeführerin Erbschaftssteuerbescheide. Hinsichtlich des Zweit- und des Viertbeschwerdeführers vertrat die Abgabenbehörde die Auffassung, dass diese unter Lebenden bereichert worden seien, und schrieb ihnen gleichzeitig Schenkungssteuer vor.
In der Berufung gegen diese Bescheide wurde auf eine an den Bundesminister für Finanzen gerichtete Eingabe vom verwiesen. In dieser Eingabe wurden - soweit dies für das verwaltungsgerichtliche Verfahren noch wesentlich ist - insbesondere Einwendungen gegen die Ermittlung des Ertragswertes der A.-GmbH nach den Jahresgewinnen der Wirtschaftsjahre 1992/1993, 1993/1994 und 1994/1995 erhoben. Diese Ergebnisse seien unter Ausnützung des Vermahlungsschutzes, wie sie bis zum Beitritt Österreichs zur Europäischen Union bestanden hätten, erzielt worden. Bei der Ermittlung der Ertragsaussichten sei davon auszugehen, dass das Unternehmen der Gesellschaft in der bisherigen Art und Weise fortgeführt wird, es sei denn, dass konkret vorliegende Umstände eine andere Annahme rechtfertigen. Wertbestimmend könnten nur solche Kenntnisse sein, die bereits am Bewertungsstichtag prognostizierbar gewesen seien. Dass die Vermahlungsregelung nicht EU-konform gewesen sei, könne als bekannt gelten. In den folgenden Jahren (nach dem Beitritt Österreich zur Europäischen Union) seien Betriebsverluste von S 4,671.595,-- und S 10,491.461,-- erlitten worden. Bei einem Unternehmensverkauf müsse nicht nur auf eine Ertragsschätzung verzichtet werden, es käme auch zu Abschlägen von den Vermögenswerten. Der Mühlenbetrieb in G. sei bereits stillgelegt worden. Das Realvermögen sei nur im Wege einer Zerschlagung verwertbar. Die Mühlenbetriebe seien nach der Aufhebung der Vermahlungskontingentierung infolge der Überkapazitäten unverkäuflich geworden. In der Folge wurde in der Eingabe ein Substanzwert des Unternehmens in Höhe von S 95,236.140,-- ermittelt, wovon ein Liquidationswert von 40 % anzusetzen sei.
Die Berufung wurden zunächst mit Berufungsvorentscheidungen als unbegründet abgewiesen.
Den hierauf gestellten Anträgen auf Entscheidung über die Berufungen durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz war eine umfangreiche Stellungnahme eines vormaligen führenden Mitarbeiters der A. GmbH angeschlossen. Darin wurde unter anderem dargestellt, dass der Getreidepreis von S 677,44 im Dezember 1994 auf S 455,60 im Jänner 1995 bzw S 480,60 im Jänner 1999 gefallen sei. Der Durchschnittspreis für Weizenmehl habe im Hauptbetrieb in Gu. im Wirtschaftsjahr 1994/1995 S 701,--, im Wirtschaftsjahr 1995/1996 S 417,50 und im Wirtschaftsjahr 1998/1999 S 390,50 betragen. Hinsichtlich des gemeinen Wertes der Betriebsgrundstücke wurde ausgeführt, der vom Prüfungsorgan angenommene Wert von S 45,000.000,-- sei nicht begründet und nicht nachvollziehbar. Offensichtlich handle es sich um einen Mittelwert aus einem berichtigten Einheitswert von S 30,546.000 und dem dreifachen Einheitswert von S 63,108.000,--. Weiters wurde ausgeführt, Siloobjekte und Lager seien als Betriebsvorrichtungen und nicht als Gebäude zu bewerten. Ferner wurde geltend gemacht, dass das Warenlager nicht zum , sondern zum Todestag zu bewerten gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei infolge der Aufhebung der Pflichtlager eine Lagerabwertung schon festgestanden. Die Lagerabwertung habe insgesamt S 11,399.764,-- betragen. Schließlich wurde mit eingehender Begründung die Wertberichtigung der Forderungen um den Betrag von S 3,679.618,29 begehrt.
Mit den angefochtenen - hinsichtlich der Bewertung der in Rede stehenden GmbH-Anteile gleichlautenden - Bescheiden wurden die Berufungen als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich des Ansatzes der Betriebsgrundstücke bei der Ermittlung des Vermögenswertes wurde in der Begründung der Bescheide ausgeführt, dem Berufungsbegehren sei insofern Rechnung getragen worden, als bei einem Bilanzansatz von S 30,032.827,-- an Stelle des dreifachen Einheitswertes von S 63,108.000 der gemeine Wert von S 45,000.000 angesetzt worden sei. Die ungünstige Wirtschaftsentwicklung auf dem Mühlensektor sei erst nach dem Tode des Erblassers, genauer nach dem , eingetreten. Die bilanzielle Auswirkung sei erst in den nach dem Tod des Erblassers erfolgten Jahresabschlüssen festgestellt worden.
In den gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden erachten sich die Beschwerdeführer dadurch in ihren Rechten verletzt, dass bei der Ermittlung des gemeinen Wertes der Stammanteile an der A. GmbH die Ertragsaussichten des Unternehmens nicht berücksichtigt worden seien.
Die belangte Behörde erstattete Gegenschriften und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden im Hinblick auf ihren sachlichen und persönlichen Zusammenhang zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und hierüber erwogen:
Nach § 18 ErbStG erfolgt die Bewertung des erworbenen Vermögens grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld. Die Steuerschuld entsteht bei Erwerben von Todes wegen gemäß § 12 Abs 1 Z 1 ErbStG - von den dort angeführten Ausnahmen abgesehen - mit dem Tod des Erblassers. Nach Z 2 dieser Gesetzesstelle entsteht die Steuerschuld bei Schenkungen unter Lebenden mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung.
Nach dem gemäß § 19 Abs 1 ErbStG anzuwendenden § 13 Abs 2 BewG sind unter anderem Anteile an GmbH mit dem gemeinen Wert iSd § 10 BewG anzusetzen. Lässt sich der gemeine Wert aus Verkäufen nicht ableiten, so ist er unter Berücksichtigung des Gesamtvermögens und der Ertragsaussichten der Gesellschaft zu schätzen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei dieser im Gesetz zwingend angeordneten Schätzung der Ertragsaussichten davon auszugehen, dass das Unternehmen der Gesellschaft in der bisherigen Art und Weise fortgeführt wird. Zukünftige Entwicklungen sind dabei (nur) dann zu berücksichtigen, wenn sie am Bewertungsstichtag auf Grund konkreter Umstände prognostizierbar sind (vgl Fellner, Gebühren und Verkehrsteuern, Band III, Erbschafts- und Schenkungssteuer, § 19 ErbStG, Rz 48a, und die dort wiedergegebene Rechtsprechung). Im Erkenntnis vom , Zl 89/15/0124, hat der Verwaltungsgerichtshof darüber hinaus ausdrücklich ausgesprochen, dass in Fällen, in denen sich zur Zeit der Durchführung des Bewertungsverfahrens bereits das Ergebnis des Wirtschaftsjahres, in das der Ermittlungszeitpunkt fällt, überblicken lässt, dieses Ergebnis in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen ist. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die wirtschaftliche Entwicklung, wie sie sich tatsächlich nach dem Stichtag gestaltet hat, in Zweifelsfällen als Anhaltspunkt für die Bewertung am Stichtag verwendet wird, sofern die Entwicklung nicht einen außergewöhnlichen, am Stichtag nicht vorsehbaren Verlauf genommen hat.
Die Beschwerdeführer haben im Verwaltungsverfahren in umfangreichen Eingaben dargelegt, dass sich die Ertragslage der österreichischen Mühlenunternehmen durch den Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften entscheidend und auf Dauer verschlechtert hat. Sinngemäß wurde vorgebracht, dass dadurch Mühlenbetriebe unverkäuflich geworden seien und die Verwertung des betrieblichen Vermögens nur durch Aufteilung und Veräußerung einzelner Vermögensgegenstände möglich sei. Diesem Vorbringen hat die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden lapidar entgegengehalten, die Änderung der Marktsituation sei erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten und nicht vorsehbar gewesen. Diese Feststellung der belangten Behörde ist unrichtig. Zutreffend haben die Beschwerdeführer darauf hingewiesen, dass die Unterzeichnung des Beitrittsvertrages, die Beschlussfassung des Nationalrates hinsichtlich des Bundesverfassungsgesetzes über den Beitritt Österreichs, die Volksabstimmung hierüber und die Kundmachung des Ergebnisses der Volksabstimmung im Bundesgesetzblatt vor dem Tod des Erblassers stattgefunden haben. Daraus folgt aber, dass die Entwicklung auf dem Mühlenmarkt an dem hinsichtlich der Erbschaftssteuerfestsetzung gegenüber der Erst-, Dritt und Fünftbeschwerdeführerin maßgeblichen Bewertungsstichtag eindeutig vorsehbar und somit bei der Bewertung der in Rede stehenden Geschäftsanteile an der A GmbH zu berücksichtigen war.
Soweit die Schenkungssteuervorschreibung an den Zweit- und Viertbeschwerdeführer von der belangten Behörde ebenfalls damit begründet wurde, die Änderung der Marktsituation sei erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten, verkennt die Berufungsbehörde überhaupt, dass für die Schenkungsvorgänge nicht der Todestag, sondern der Zeitpunkt der Ausführung der Übertragung der Geschäftsanteile an der G. GmbH an den Zweit- und Viertbeschwerdeführer jeweils seitens der Mutter dieser Personen für den Zeitpunkt der Bewertung maßgeblich ist. Die Abtretung der Anteile erfolgte aber erst in dem von einem Notar beurkundeten Erbübereinkommen vom , wobei darauf zu verweisen ist, dass bei einem solchen Vorgang Titelgeschäft und Abtretung regelmäßig zusammenfallen (vgl zu einer entgeltlichen Abtretung das hg Erkenntnis vom , Zl 94/16/0044), sodass die Ausführung der Schenkung mit diesem Tag anzunehmen ist.
Aus den angeführten Gründen erweisen sich alle angefochtenen Bescheide als inhaltlich rechtswidrig; sie waren somit gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Dabei ist diesem Aufhebungsgrund der Vorrang gegenüber einer Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - welcher Aufhebungsgrund insbesondere darin gelegen war, dass sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer unter anderem auch zu den einzelnen Positionen der bewerteten Vermögenssubstanz in keiner Weise auseinandergesetzt hat - der Vorzug zu geben.
Im Hinblick darauf, dass die in den Beschwerdefällen zu lösenden Rechtsfragen durch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes klargestellt ist, konnte die Entscheidung darüber in einem nach § 12 Abs 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am